Vom Container auf den Laufsteg

Vom Container auf den Laufsteg

Second Hand ist Trend

Der neue Trend in Berliner Designerkreisen heißt „Upcycling“. Second-Hand-Kleidung oder Stoffreste werden kreativ zu neuen Stücken verarbeitet. Das schont Ressourcen und lässt Kreativität freien Lauf.

Von Lena Riemann

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Orsola de Castro, Pionierin der nachhaltigen Luxusmode (Foto: Chiara Bonetti)

Auf den ersten Blick ist klar, dass Mode eine große Rolle im Leben von Orsola de Castro spielt. Es liegt noch nicht einmal an ihrer Kleidung – die weite Hose und das T-Shirt sind schlicht gehalten. Nein, es sind die Details: der goldene Armschmuck, die schwarze Hornbrille. Das elegante Auftreten. Die bewusste Wahl jedes Wortes.

„Crafts reconnect you to clothes“, sagt De Castro voller Überzeugung. Auf dem Tisch vor ihr liegen  Häkelnadeln bereit. Damit wird sie in kurzer Zeit gemeinsam mit dem Publikum einen kleinen Workshop veranstalten.  Eigentlich ist die italienische Designerin nach Berlin gekommen, um ihre Kollektion vorzustellen, die seit Neuestem im Upcycling Fashion Store erhältlich ist. Vor allem geht es De Castro an diesem Abend jedoch darum, eine Message zu verbreiten. „Changing the way we buy clothes and the way we perceive them is an integral part in moving forward to a future with less waste and a more conscious approach to the impact of the fashion industry.”

De Castro gilt als Pionierin des nachhaltigen Modedesigns. Sie stellt sich gegen die Kurzlebigkeit der Mode. Viele Kleidungsstücke lassen sich mit ein paar Handgriffen ausbessern oder zu einem neuen Unikat aufwerten. Die Italienerin plädiert dafür, zu reparieren statt wegzuwerfen, Kreativität statt Konsum. Damit wird der Kreislauf von Kaufen, Wegwerfen und Neukaufen gebrochen. Genau das ist es, worum es beim Upcycling geht.

Von London nach Berlin

Seit Mitte der 90er Jahre gewinnt die Idee an Bedeutung. Im Jahr 2002 lieferten William McDonough und Michael Braungart mit ihrer Nachhaltigkeitsfibel „Einfach intelligent produzieren“ die intellektuelle Basis für das Konzept. Die Autoren – McDonough ist Architekt, Braungart Chemiker – entwerfen Produktdesign in Anlehnung an natürliche Stoffkreisläufe. Dieser Ansatz bietet einen Ausweg aus dem ethischen Konflikt, in dem sich der Konsument heutzutage häufig wiederfindet. Die Idee ist simpel: Werden für die Herstellung von Gütern nur wertvolle und biologisch abbaubare Materialien verwendet, ist die Produktion effizienter und somit kostengünstiger.

In London ist nachhaltige Mode schon seit Jahren ein Thema. Dort gründete Orsola de Castro das Label „From Somewhere“, das für Kleidung aus recycelten Luxusstoffen steht. Bei diesem Label lernten sich Luise Barsch, Arianna Nicoletti und Carina Bischof kennen. Die drei Modedesignerinnen stehen aus Überzeugung hinter der Idee des Upcycling. Um den Trend auch in Deutschland zu etablieren, gründeten sie vor drei Jahren gemeinsam mit Jonathan Leupert den Upcycling Fashion Store. Auf 73 m² Verkaufsfläche werden Einzelstücke von 40 bis 60 verschiedenen Öko-Designern angeboten, darunter das hauseigene Label Aluc. Neben upgecycelter Kleidung finden sich in dem Laden auch Schmuck aus Altmetall und Ketten aus Fahrradschlössern.

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Tops des britischen Labels „From Somewhere“ (Foto: Upcycling Fashion Store)

Ethisch korrekt bis zu den Knöpfen

Luise Barsch  ist eine der gefragtesten Designerinnen Berlins. Sie schätzt den kreativen Reiz beim Arbeiten mit Second Hand-Stoffen: „Ich nehme einen alten Pullover und denke: Daraus könnte was werden.“ Beim konventionellen Verfahren entwirft der Designer zuerst einen Schnitt und sucht danach nach einem passenden Stoff. Beim Upcycling wird der Weg umgedreht. Das erfordert mehr Aufwand, lässt aber Kreativität freien Lauf.

Zum Teil kommen die Stoffe tatsächlich aus dem Altkleidercontainer. Ein anderer Teil der einzigartigen Stücke wird aus industriellen Reststoffen gefertigt. Dieser Müll, den der Konsument unwissentlich verursacht, nennt sich „pre-consumer waste“. Luise und die anderen Designerinnen des Upcycling Fashion Store holen diese Reststoffe aus Fabriken in Österreich und der Schweiz. Mit Hilfe des Stoffkataloges entwerfen die Designerinnen einen Schnitt. Nach ihren Vorgaben werden in einer Behindertenwerkstatt im Harz die fertigen Kleidungsstücke zusammengenäht. Die Knöpfe für Hemden und Blusen werden von dem „Knopfprojekt“ geliefert. Dahinter steht eine Gruppe von Autisten, die ehrenamtlich Knopfspenden annimmt, sortiert und daraus Schmuck fertigt. Übrige Knöpfe landen im Upcycling Fashion Store. Sie werden in einer Berliner Behindertenwerkstatt angenäht. Schließlich ist jedes Produkt ein Unikat. Für die Produktion wurden keine Ressourcen aufgebraucht, keine langen Transportwege zurückgelegt und keine billige Arbeitskraft ausgebeutet. Stattdessen unterstützt der Käufer von Aluc Fashion soziale Projekte in der Region.

Innovative Ideen für eine müllfreie Zukunft

Obwohl soziale und ökologische Argumente eindeutig für Upcycling sprechen, erreicht der Trend bisher nur einen kleinen Teil der Bevölkerung. Der Schlüssel für mehr Akzeptanz ist sehr gutes Design, die Leute gar nicht hinterfragen. „Auf diesem Weg erreicht man die meisten Menschen“, weiß Luise vom Upcycling Fashion Store.

Sie wünscht sich, dass das Thema auch in Deutschland mehr Akzeptanz findet. Luise erinnert sich: „Als wir nach Firmen gesucht haben, von denen wir industrielle Reststoffe abholen könnten, haben wir nur eine Firma gefunden, die ja gesagt hat – und die war in Österreich.“ In Deutschland zeigen sich die Unternehmen wenig kooperationsfähig. „Die machen die ganze Zeit ihr Ding, machen ihren Müll, und keiner will so richtig darüber reden.“ Dabei könnte Upcycling gerade für die Industrie profitabel sein. „Wenn du 10 000 T-Shirts herstellt, hast du 10 000 mal den gleichen Verschnittrest und kannst daraus etwas machen. Das hast du schon bezahlt, das ist dein eigener Müll – mach was draus. Das wäre total lukrativ!“

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100% recycelte Stoffe (Foto: Trigema)

Zukunftsmusik oder Zuviel Optimismus?

Upcycling ist modisch, sozial und ethisch korrekt – so viel ist klar. Trotzdem wird kein geschlossener Stoffkreislauf geschaffen. Ein Vorgang ganz im Sinne des „Von der Wiege zu der Wiege“-Prinzips ist das Rückbilden getragener Kleidung. Bei einem chemischen Prozess wird der Stoff in seine Fasern zerlegt. Daraufhin kann aus diesen Fasern ein komplett neuer Stoff gewebt werden. „Das gibt es heute schon immer öfter, auch 100% recycelt“, erklärt Luise. Ein Beispiel dafür ist das deutsche Unternehmen Trigema. Das Label verkauft bereits seit 2006 Kleidungsstücke, die komplett kompostierbar sind. Während Upcycling der Kleidung mehrere Lebenszyklen verleiht, geht Trigema noch einen Schritt weiter. Es entsteht ein geschlossener Stoffkreislauf ohne Abfallprodukte. Die Natur wird in keiner Weise belastet – alles, was von ihr genommen wird, fließt in anderer Form zurück in den Kreislauf.

Was sich wie die Zukunftsvision eines hängen gebliebenen Hippies anhören mag, ist gar nicht so realitätsfern. Betrachten wir die Entwicklung in der Lebensmittelindustrie – während noch vor zwei Jahrzehnten nur in Eine-Welt-Läden biologisch angebaute Produkte zu finden waren, bietet heute sogar der Netto ein großes Bio-Sortiment. Öko ist zur Massenware geworden. Die Zahl der Menschen, die tatsächlich darauf achten, woher die Lebensmittel kommen, steigt kontinuierlich. Vor allem in Städten und vor allem in der Bildungsschicht. Aber: Das Bewusstsein ist geschaffen und wird über die Discounter in die breite Öffentlichkeit getragen. Genau so könnte es im Modebereich funktionieren. „In den letzten Jahren hat sich in Berlin sehr viel getan im Bereich nachhaltige Mode, es gibt viele kleine Läden“, sagt Luise. Außerdem berichtet die Presse immer mehr negativ über große Modeketten, die unter schlechten Bedingungen produzieren. Im zweiten Satz relativiert Luise ihren Optimismus: „Ich sage das und sitze in dieser Blase, die wir mit der Arbeit haben – man kriegt nur das mit, womit man zu tun hat, während 90% der Leute das gar nicht mitkriegen.“

Titelbild: Rudolpho Duba / pixelio.de


Lena Riemann studiert Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Sie berichtete für die Lokalpresse regelmäßig von einem Freiwilligendienst in Peru und gewann so erste journalistische Erfahrungen.

2017-07-06T12:18:12+02:00 Kategorien: Berlin + Brandenburg, Lesen, Wissen + Wirken|Tags: , , , , |