Zu Hause schmeckt’s am besten

Zu Hause schmeckt’s am besten

Kommt das Essen aus der Dose oder wird es frisch zubereitet? In den meisten Restaurants bleibt diese Frage ungeklärt. Das New Yorker Start-up Kitchensurfing will der Ungewissheit ein Ende setzen und bietet Privatpersonen die Möglichkeit, sich professionelle KöchInnen in die heimische Küche zu bestellen. So soll aus Essen ein Erlebnis werden. Ein Praxistest.

Von Florian Lehmuth

Nicole Hofen war im Jahr 2006 schon einmal auf der Fischerinsel. Damals leitete sie ein Restaurant in Essen, doch das Geschäft schwächelte und sie suchte nach einer neuen beruflichen Perspektive. „Berlin hat mir schon früher so gut gefallen, dass ich immer hinziehen wollte. Als ich dann wieder da war, dachte ich mir: Es ist ja immer noch schön hier.“ Also beschloss die Köchin vor acht Jahren, den alten Job aufzugeben und mit ihrer Familie in die Hauptstadt umzusiedeln.

Heute bringt sie die Arbeit in einen der Plattenbauten auf dem südlichen Teil der Berliner Spreeinsel, besser bekannt als Fischerinsel. Im zwölften Stock befindet sich die WG, die sich an diesem Abend bekochen lassen will. Nicole kommt überpünktlich mit einem schwer beladenen Trolley. Sie ist für Kitchensurfing unterwegs, einer Online-Plattform, über die man KöchInnen nach Hause bestellen kann. In ihrem Profil verspricht sie „neue Ideen und alte Gemüsesorten“, veranschaulicht mit einer Reihe vegetarischer Menüvorschlage. Nach der Begrüßung geht sie in der kleinen Küche gleich ans Werk. Kapern werden frittiert und platzen in Blütenform auf, während sie von ihrer turbulenten Laufbahn erzählt.

Nicole Hofen

Jetzt fehlt nur noch der Parmesan: Nicole Hofen tischt den Hauptgang auf (Alle Fotos: Florian Lehmuth)

„Mit dem Kochen habe ich schon als Kind angefangen, weil meine Mutter in der Küche komplett unbegabt war. Meine Oma bewies mir dann, dass die Dinge auch ganz anders schmecken können.“ So stand Nicole als Sieben- oder Achtjährige am Herd und probierte sich aus, ganz ohne Anleitung. Als sie mit 16 ihren Schulabschluss in der Tasche hatte, war für sie klar, dass sie eine Kochausbildung beginnen wollte. Doch die Eltern sprachen ihr ein Verbot aus. „Sie erklärten mir, dass ich aus dem Ruhrgebiet wegziehen müsste, weil es in der Nähe keine Ausbildungsplätze gab. Auch der Schichtdienst gefiel ihnen nicht.“ Stattdessen machte sie eine Lehre zur Arzthelferin, fand aber nicht viel Freude an diesem Beruf. Ihre alte Leidenschaft blieb: „Gekocht habe ich immer, aber nur für mich selbst und nicht professionell.“

Später holte Nicole dann das Abitur nach und kellnerte nebenbei in einer Weinstube. „Helge Schneider hat dort gespielt, bevor er berühmt war.“ Irgendwann fiel in der Küche jemand aus, sie sprang ein und sollte die nächsten zwanzig Jahre am Herd verbringen – auch ohne Ausbildung. Nach der Weinstube folgte ihr eigener vegetarischer Lieferservice für Kitas und Schulen. Das Geschäft lief gut, bis die Euro-Umstellung kam. „Die Leute gaben weniger Geld für Essen aus, gleichzeitig wurden aber die Lebensmittelpreise teurer.“ Über einen Umweg gelangte Nicole schließlich an eine Anstellung als Leiterin eines vegetarischen Restaurants in einem sozio-kulturellen Zentrum. Dort konnte sie ihre unternehmerische Freiheit behalten und wurde gut bezahlt. Dass sie aus Essen nach Berlin zog, liegt wohl an einer Baustelle, die vor dem Lokal errichtet wurde. Wenn sie bei ihrem alten Job geblieben wäre, hätte sie die gesunkene Zahl der Gäste zu Einsparungen gezwungen.

Kitchensurfing soll KöchInnen helfen, denen es ähnlich wie Nicole geht. „Wir bieten ihnen die Möglichkeit, die Selbstständigkeit auszuprobieren und sich einen eigenen KundInnenkreis aufzubauen“, erklärt Susanna Glitscher, die das Berliner Büro der Plattform leitet. „In der Anstellung bei Hotels oder Restaurants wird ihre Kreativität eingeschränkt; außerdem ist der Alltag in der Großküche sehr stressreich.“ Über Kitchensurfing sollen KöchInnen stattdessen zu ihrer eigenen Marke werden. Die Möglichkeit, sich auf der Plattform zu präsentieren und für die Arbeit bewertet zu werden, könne KöchInnen dabei helfen, sich unternehmerisch wie kulinarisch weiterzuentwickeln. „Die EsserInnen geben ja direkte Rückmeldung darüber, was schmeckt und was nicht. Auf diesem Weg können die KöchInnen viel ausprobieren und sehen, was am besten funktioniert“, sagt Susanna. Sie kennt Personen, die ihr Einkommen mittlerweile gänzlich über private Buchungen bestreiten. Der Großteil der registrierten KöchInnen sei jedoch noch anderweitig im Einsatz, etwa beim Street Food Thursday in der Markthalle IX.

Laut dem Landesamt für Statistik arbeiteten 2011 fast 73.000 Menschen im Berliner Gastgewerbe. Dagegen fallen die 64 KöchInnen, die derzeit auf Kitchensurfing registriert sind, kaum auf. Dem jungen Unternehmen geht es aber auch nicht darum, mit der klassischen Gastronomie zu konkurrieren. „Wir bieten eine Ergänzung“, sagt Susanna Glitscher. „Gebucht wird zu speziellen Anlässen wie Jubiläen und Geburtstagen. Oder von Familien, die mit ihren Kindern nicht so einfach ins Restaurant gehen können. Auch viele Firmen nutzen unser Angebot, um für die Belegschaft kochen zu lassen.“ Ein Menü muss dabei nicht viel teurer sein als im Restaurant. Ab 25 Euro pro Person geht es los. Die private Kochshow soll kein Luxusprodukt sein, sondern ein Erlebnis, das sich viele leisten können.

Von sterilem Fine-Dining-Ambiente ist an diesem Abend nichts zu spüren. Der vorübergehend im Wohnzimmer aufgebaute Esstisch erinnert viel eher an ein Familienessen in trauter Umgebung. Nicht einmal die Teller sind identisch, auf denen Nicole die Vorspeise hereinbringt. Aber das fällt auch nicht besonders auf, immerhin befindet sich auf jedem ein halber Kopfsalat, garniert mit Erdbeeren und Ziegenkäse. Obenauf befinden sich die frittierten Kapern, dazu gibt es Fladenbrot und Auberginen-Salsa. Die Kombination aus süß und herzhaft soll sich durch das ganze Menü ziehen und sorgt erst für überraschte Blicke, dann aber schnell für allgemeine Begeisterung.

Alle KöchInnen werden getestet, bevor sie ihre Dienste auf Kitchensurfing anbieten können. „Dazu laden wir TestesserInnen ein, denen ein oder zwei Gerichte vorgesetzt werden“, erklärt die Berlin-Chefin. „Ob die BewerberInnen eine Kochausbildung haben oder nicht, spielt bei der Entscheidung keine Rolle. Die Finesse und die Freude am Kochen sind ausschlaggebend.“ Wer die Prüfung bestanden hat, bekommt ein eigenes Profil, auf dem Buchungsanfragen gestellt werden können. Sind Details wie Datum, Personenzahl und Menü geklärt, wird ein Komplettpreis vereinbart. Der enthält neben Zutaten und Arbeitszeit auch Trinkgeld und Abwasch. Bezahlt wird vorab, zehn Prozent gehen als Vermittlungsgebühr an die Plattform. Soweit die Theorie.

„Richtig begeistert bin ich von Kitchensurfing nicht“, sagt Nicole. „Die meisten Anfragen bekomme ich sehr kurzfristig. Wenn meine Menüvorschläge dann überhaupt eine Rückmeldung erhalten, haben die KundInnen mitunter komische Vorstellungen von meiner Bezahlung. Ich soll am Samstagabend für fünfzig Euro zwei Personen bekochen? Also bitte! Geht doch ins Restaurant.“ Seit Nicole vor einem guten halben Jahr akzeptiert wurde, war sie erst drei Mal für Kitchensurfing im Einsatz. „Ich kann aber auch nicht ausschließen, dass es an mir liegt. Vielleicht bin ich einfach zu bodenständig.“ Sieht man sich die Übersicht der Berliner KöchInnen an, hat man das Gefühl, auf kulinarische Weltreise zu gehen. Vom mexikanischen Meeresfrucht-Experten bis zur selbsternannten Dumpling-Diva aus Shanghai sind alle Kontinente und Küchen vertreten.

Nicole hat aber den indonesischen Opa nicht, den sie nach eigener Aussage bräuchte, um in dieser Liga mitzuspielen. Also verdient sie ihr Geld mit einer Reihe unterschiedlichster Teilzeitjobs. Vor einem Jahr eröffnete sie in Neukölln einen Raum mit Küche, der für Supper Clubs gebucht werden kann. Wenn die Küche nicht belegt ist, bereitet sie dort selbst vegane Hotdogs zu, kocht Marmelade oder stellt Senf her. Mit ihren Produkten ist sie unter anderem auf dem Wochenmarkt am Maybachufer vertreten. Am meisten bringt ihr aber der Kaffeestand ein, den sie regelmäßig auf einem Flohmarkt aufbaut. Bei so viel Umtriebigkeit verliert die Köchin kurzzeitig selbst den Überblick. Aber die Vorstellung, sich auf eine einzige Aufgabe zu beschränken, widerstrebt ihr zutiefst. „Es wäre ein Albtraum für mich, immer bei der gleichen Stelle zu bleiben. Ich finde Anfänge interessant und baue gerne Strukturen auf. Dabei lernt man unglaublich viel. Nach spätestens fünf Jahren bin ich dann weg.“

In Sachen Kitchensurfing hat sie zumindest die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Dafür sind ihr an diesem Abend vier hungrige Münder sehr dankbar. Als Hauptgang steht Zitronen-Fenchel-Risotto mit Tomaten-Confitüre auf dem Programm. Zur Krönung raspelt Nicole ein Stück Parmesan darüber und sinniert: „Ich habe es ja kurzzeitig einmal als Veganerin versucht. Aber auf Käse könnte ich dauerhaft nicht verzichten.“ Bei der Nachspeise hat sie dann endlich Zeit, um sich mit an den Tisch zu gesellen. Es gibt noch einmal frische Erdbeeren, diesmal mit Pfeffer, Traubensirup und Avocado-Minz-Creme. „Oberlecker“, finden die Gäste. Und sind sich einig: So einen Abend dürfte es bald wieder geben.


Florian

Florian Lehmuth ist 21 Jahre alt und steht in seiner Freizeit gerne selbst am Herd. Bisher profitieren davon aber nur Freunde und Familie. Er studiert Anglistik und Publizistik.