Wie Politiker Social Media nutzen: zwischen Transparenz und Marketing

Wie Politiker Social Media nutzen: zwischen Transparenz und Marketing

Transparenz und Bürger-Dialog stehen spätestens seit dem Einzug der Piratenpartei ins Berliner Abgeordnetenhaus hoch auf der medialen und politischen Agenda. Selbst konservative Politiker benutzen Facebook und Twitter. Social-Media allein reicht aber nicht aus, um ein zunehmendes Bedürfnis der Bürger nach Transparenz zu befriedigen.

Von David Dreyfusz

„Die twitterwelt ist betreten. Die Spannung steigt! Aber was Peter Altmeier kann, muss ich doch auch können…“, schreibt CDU-MdB Michael Grosse-Brömer am 8. Mai 2012. Sein Parteikollege, der Vizevorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag Michael Fuchs, antwortet umgehend: „Nice to meet you“.

In der nächsten Woche wird Grosse-Brömer 49 Kurznachrichten – über Europapolitik oder Iris Berben –  senden. Er ist, wie der zukünftige Umweltminister Peter Altmeier, einer der vielen Politikern jeglicher Couleur, die Social-Media für sich entdeckt haben.

Wer sich durch die Unmengen an „Tweets“ kämpft, die tagtäglich von Abgeordneten ins Internet gestellt werden, wird unsicher. Haben Politiker einen neuen Kanal gefunden, in dem sie ohne die selektiven Eingriffe von Journalisten ihre Meinung in die Welt tragen können? Oder findet hier doch politische Meinungsbildung statt, komprimiert auf 140 Zeichen?

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Immer vernetzt: Piraten auf ihrem Parteitag. („Piratenpartei BPT2009“ von ClausM/ CC-BY 2.0)

Eine bisher unveröffentlichten Studie der Ludwig-Maximilians-Universität in München untersucht die Einstellungen deutscher Politiker zum Web 2.0. Die Studie von Nina Springer, Barbara Rampf und Bernhard Goodwin macht deutlich, wie wichtig das Internet inzwischen für die Politik geworden ist. Die ForscherInnen befragten knapp zehn Prozent aller deutschen Politiker in Landtagen, dem Bundestag sowei dem EU-Parlament. Mehr als dreiviertel der Befragten stimmten laut der Studie der Aussage zu, dass „Web 2.0-Angebote für die heutige Politik unverzichtbar sind“.

In der Wahrnehmung der befragten Politiker benutzen sie die neuen Medien auch zum Bürgerdialog. Knapp 40 Prozent gaben an, die Angebote zu nutzen, um „mit politisch Interessierten in Dialog zu treten“. Das sind nur 5 Prozent weniger als diejenigen, die angaben, das Web 2.0 für politische Stellungnahmen zu verwenden.

Über die Twitternutzung der politischen Novizen und medialen Lieblinge, der Piratenpartei, wurden ganze Artikel verfasst. Dies geschah oft unter dem Vorzeichen der Transparenz und nur vereinzelt, etwa bei prominenteren Mitgliedern, unter dem des Marketings. Selbst die ehemalige politische Geschäftsführerin der Piraten, Marina Weisband, wurde mehr für ihre zahlreichen Medienauftritte als für ihre Selbstdarstellung im Internet kritisiert.

Ist es vielleicht tatsächlich so, dass die zunehmende Präsenz von Politikern in sozialen Netzwerken sie zu transparenteren Volksvertretern macht? Führt der Druck zur Selbstdarstellung, dem sich Politiker zunehmend ausgesetzt fühlen dazu, dass als Nebeneffekt auch der politische Prozess sichtbarer und damit überprüfbarer wird?

Eine Antwort darauf liefern womöglich die beiden Twitterer vom Anfang des Artikels. Der social-media-erfahrene Michael Fuchs geriet Anfang des Jahres in die Kritik, weil er Nebentätigkeiten über Jahre hinweg nicht wie vorgeschrieben dem Bundestagspräsidenten gemeldet hatte.

Das Internet spielte nämlich durchaus eine Rolle bei der Aufdeckung dieser Unterlassung. Auf dem Portal Abgeordnetenwatch , einem moderierten Portal für Anfragen von Bürgern an Politiker,  stellte ein Bürger Fuchs am 7. Dezember 2011 die Frage, ob seine „Tätigkeit für die Außenhandelskammer in Hong Kong nicht auch unter seinen Nebentätigkeiten aufgeführt werden“ müsste.

Fuchs antwortete ausweichend. Erst nachdem der Fragesteller erneut, die Verhaltensregeln des Bundestags zitierend, nachhakte, antwortete Fuchs lapidar: „Der Verwaltung des Deutschen Bundestages habe ich meine Tätigkeit nachgemeldet.“

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Michael Fuchs auf Twitter

Gregor Hackmack, einer der Gründer von Abgeordnetenwatch,  sieht Onlinekommunikation zwischen Bürgern und Politikern als Spannungsfeld zwischen Eigenwerbung und ernsthaftem Gespräch. „Viele Politiker benutzen Social-Media hauptsächlich für Selbstmarketing.“ Dennoch biete das Internet Chancen, um die Politik einsehbarer zu machen.

Vor allem sei eine Umkehr des Kommunikationsprinzips wichtig. Weg also von einseitigen Pressemitteilungen auf 140 Zeichen, hin zu einem aktiven Dialog mit der Zivilgesellschaft. Sind etwa Social-Media und moderierte Portale à la Abgeordnetenwatch völlig unterschiedlich? Fördert das eine gar die Transparenz, während das andere ihr im Wege steht? Wäre das der Fall, dann sollten die zahllosen Onlineauftritte der Piratenpartei und ihre Allgegenwart bei Twitter nicht so hoch angesehen sein.

„Viele Politiker benutzen Social-Media hauptsächlich für Selbstmarketing“ – Gregor Hackmack, Abgeordnetenwatch

Doch Twitter und Konsorten bei den Piraten als Instrument der dialogischen Kommunikation und in Händen der Volksparteien als Marketingkanal zu verstehen, wäre abwegig. Unabhängig von der Eigenwahrnehmung der Politiker – das wird in der münchener Studie deutlich – ist der digitale Dialog mit dem Bürger politisch hoch relevant geworden.

„In gewisser Weise gibt es zunehmend eine Transparenzkultur in der Politik; oder zumindest die Forderung danach“, sagte auch Gregor Hackmack von Abgeordnetenwatch auf Nachfrage.

Dieser kulturelle Wandel ist es auch, der Michael Fuchs ins Straucheln brachte und er ist wohl auch der Grund, warum sein Parteikollege mit dem Twittern anfing. Es wird zunehmend Druck auf Politiker ausgeübt, sich im Web 2.0 zu präsentieren. Derselbe Druck führt aber auch zu einer gläsernen Politik. Die Politiker befinden sich in einem Dilemma. Wenn nur wenige die Social-Media-Kanäle bespielen, so haben sie einen Marketingvorteil gegenüber den Unaktiven.

Wenn aber auf einmal alle twittern und sich den Bürgerfragen auf Portalen wie Abgeordnetenwatch stellen, müssen die Politiker neue Arten finden, mit der sie sich absetzen können. Das können sie durch den Hype, der um den Begriff der Transparenz entstanden ist. Transparenz als Marketing.