Östlicher Glaube in westlicher Kultur

Östlicher Glaube in westlicher Kultur

Der Glaube soll Menschen Halt im Leben geben. Viele Buddhisten in Berlin brauchen aber einen starken Halt, um ihren Glauben überhaupt leben zu können. Viel Disziplin und Überzeugung benötige man für diese Religion, sagt Thomas Stemple, der in einem buddhistischen Zentrum die Meditation leitet, weil man hier sehr stark von diesem fremden Glauben abgelenkt würde. Denn wer in Berlin als Buddhist leben will, der muss tagtäglich den ganz großen Bogen schlagen: zwischen fernöstlichem Glauben und westlicher Kultur.

Von Annika Cline

„Ommmm.” Auf der ganzen Welt singen Buddhisten diesen Ton. An diesem Abend hallt er durch das Dachgeschoss eines Berliner Gebäudes, dringt durch das offene Fenster nach unten in die Milastraße im Prenzlauer Berg. Die Töne verklingen und die Meditation auf den 16. Karmapa wird weiter in deutscher Sprache gehalten.

Das stereotype Bild eines Buddhisten ist eigentlich der Mönch, der in den Bergen von Thailand lebt und sich in orangefarbene Gewänder hüllt. Aber in Berlin nimmt das Wort eine neue Bedeutung an. In dieser Stadt muss sich die buddhistische Praxis an das deutsche Leben anpassen, sagt Thomas Stemple, der heute die Meditation leitet und das Zentrum mitgegründet hat.

„Der große Unterschied zwischen dem Buddhismus in Deutschland und in seinem Ursprungsgebiet ist,  dass es keinen kulturellen Buddhismus hier gibt. Wir alle sind von einer christlichen Kultur ,” sagt Stemple. Aus diesem Grund erlebten viele deutsche Buddhisten den Buddhismus als eine einzigartige Kreuzung zwischen buddhistischer Philosophie und christlichen Einflüssen in ihrem Alltag, so Stemple. Buddhist zu sein bedeute aber nicht unbedingt, die westliche Tradition aufzugeben.

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Buddha-Statue (Foto: A. Cline)

Als Stemple aufwuchs, ging er in eine katholische Kirche, hatte Religionsunterricht in der Schule und feierte die christlichen Feiertage mit der Familie. Er wurde im Alter von 19 Jahren in den Buddhismus eingeführt, während er auf Reisen außerhalb des Landes war. Es war ein kompletter Zufall, sagte er, dass er einen Mann, der ihm ein Buch über diese Religion gab, kennengelernt habe. „Es hat mich interessiert, weil es so wahnsinnig logisch war”, sagt Stemple.

Hujiang Li, ein Student, der am die Institut für Religionswissenschaft der Freien Universität Buddhismus studiert, sagt, dass die Deutschen manchmal nur an der Meditation interessiert seien, und das Interesse an der eigentlichen Philosophie fehle. Er geht jeden Freitag für zwei Stunden zum Fo-Guang ShanTempel zum Meditieren, und schätzt, dass etwa ein Drittel der Teilnehmer Deutsche sind. Sein Tempel  hat einen eher traditionellen Ansatz im Vergleich beispielsweise zu den Diamantweg-Zentren. Das könnte, wie er sagt, der Grunde für die geringere Zahl der deutschen Mitglieder sein.

Das Diamantweg-Zentrum im Prenzlauer Berg hat nach eigenen Angaben über 250 feste Mitglieder und etwa 100 unregelmäßige Besucher, die nur ab und zu vorbeischauen. Darüber hinaus gibt es noch ein Diamantweg-Zentrum in Schöneberg, und auch andere buddhistische Zentren in Berlin, die von Westlern gegründet wurden.

Die Frage ist, ob dies nur ein Trend oder mehr ist. Yuanying Wu, ein Schulfreund von Li, der ebenso einen Abschluss in Buddhismus macht, war erstaunt, wie ernst seine deutschen Bekannten den Buddhismus nehmen.

„Die deutschen Buddhisten sind sehr professionell,“ sagt Wu. „Als ich zum ersten Mal hier war, dachte ich, wow, sie kennen sich wirklich aus.“ Er habe eine richtige Leidenschaft und tiefe Überzeugung unter den deutschen Buddhisten bemerkt. „Sie üben ihn aus dem Herzen heraus aus.“

Stemple findet, Buddhist in einem westlichen Land zu sein, braucht Disziplin, weil man nicht ständig an ihn erinnert wird. “Man muss überzeugt sein,” sagt er.

Trotz dieser Überzeugung, die Stemple besitzt, hat er nicht vor, seine beiden kleinen Kinder unter Druck in den Buddhismus einzuführen. Stattdessen will er es ihnen selbst überlassen, den richtigen Glauben für sich zu wählen. Stemple selbst handelt immer nach der buddhistischen Philosophie, auch mit all den westlichen Einflüssen, egal ob zu Hause, im Büro oder unterwegs. „Buddhist ist man immer,” sagt er.


P1030590Annika Cline kommt aus Phoenix und studiert Journalistik an der Arizona State University. Sie will Radio-Reporterin werden und Dokumentarfilme drehen. Sie arbeitet bereits für eine wöchentliche Radio-Show des Lokalsenders Downtown Devil. Annika wurde in Deutschland, in Bayern, geboren und hat somit eine Affinität zu deutscher Kultur. Außerdem liebt sie Camping und Fotografie. Sie ging als Praktikantin zum Berliner Rundfunk und machte viele lustige und ernste Straßenumfragen.

Internationales Journalisten-Kolleg ǀ  internXchange ǀ Sommer 2013