Young Utopians: Aus Worten Taten werden lassen

Die Vier Utopist*innen, v. l. n. r. Celine Weimar-Dittmar, Luca Kolenda, Lisa Henkel und Aaron Otto Foto: Young Utopians

Young Utopians: Aus Worten Taten werden lassen

Vom 21. bis zum 31. Juli 2019 findet in Berlin Kreuzberg das „Youth Activist Camp“ statt. Dahinter steht der Verein „Young Utopians“. Er wurde Anfang dieses Jahres von vier motivierten jungen Menschen gegründet. Gemeinsam wollen sie es Jugendlichen leichter machen sich zu engagieren. Sie könnten eine Antwort darauf geben, wie aus den „Fridays for Future“ Streiks Taten werden.

von Yannick Motschke und Annabella Backes

Es ist drei Uhr morgens und auf den Gehwegen der Stadt tummeln sich Menschen. Mit ihrem Geschrei übertönen sie sich gegenseitig. Alle Geschäfte sind noch geöffnet, Motorräder hupen und die Straßen sind hell erleuchtet. An einem Tisch sitzt eine kleine Gruppe und unterhält sich über ihre Zukunftsvorstellungen, tauscht sich aus über die Probleme der zukünftigen Generationen. Fünf von ihnen kommen aus Pakistan, ein junger Mann aus Singapur. Eine Schwedin und zwei Kreuzberger*innen sind auch dabei. Nein, diese Szene spielt sich nicht vor irgendeinem Späti in Berlin ab und auch nicht vor einem Club.

Wir befinden uns inmitten der größten Stadt Pakistans, in Karatschi, in der im vergangenen Jahr die Youthopia-Konferenz stattfand. Ende August versammelten sich dort junge Menschen aus aller Welt, um über die Nachhaltigkeitsziele zu sprechen, aktuelle Politiken zu reflektieren und sich als Jugend in diesem Wirrwarr zu positionieren. Doch bei einem reinen Austausch von Gedanken und Ideen soll es nicht bleiben, entschieden die zwei Kreuzberger*innen an dem Teetisch in Karatschi. Sie kehrten nach Berlin zurück und begannen direkt damit, an einem Konzept für ein Jugendaktivismus-Camp zu feilen. Der Plan war und ist es, tatsächlich aktiv zu werden, etwas auf die Beine zu stellen, eine soziale Bewegung ins Rollen zu bringen und eben nicht nur zu reden. Von der Jugend für die Jugend, für die Zukunft. Wer kritisiert, muss auch handeln, eine Alternative finden. So entstand vor fast einem Jahr die Idee zu Young Utopians.

Auf der ursprünglichen Youthopia Konferenz in Pakistan trafen 30 internationale auf 100 pakistanische Jugendliche und sponnen in kleinen Gruppen Utopien, diskutierten darüber, wie man dazu beitragen kann, die „Sustainable Development Goals“ der UN zu erreichen. Zentral für den Austausch war jedoch nicht nur Klima, sondern auch Themen wie Armutsbekämpfung und Gleichberechtigung. In dieser Nacht in den Gassen Karatschis teilten alle jungen teetrinkenden Menschen einen Gedanken. „Das darf nicht einmalig bleiben.“ Und so sind Aaron Otto Langguth und Céline Weimar-Dittmar mit der ziemlich konkreten Idee nach Deutschland zurückgekehrt, eine ähnliche Konferenz zu veranstalten. Von da aus ging alles auch ziemlich schnell. Schon im Dezember 2018 gründeten sie den Verein „Young Utopians e.V.“. Mittlerweile waren sie auch nicht mehr nur zu zweit, sondern zu viert.

Die Vier Utopist*innen

Neben Aaron Otto Langguth und Céline Weimar-Dittmar gehören Lisa Henkel und Luca Kolenda zu den vier Gründungsmitgliedern. Langguth ist 21 Jahre alt und studiert Politik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin. Er ist bereits mit Dittmar zur Schule gegangen und war dort Schülersprecher. Wirklich aktiv geworden sei er jedoch erst nach dem Abitur, erzählt Langguth während eines Interviews. Seine Mutter führte einen der ersten Bioläden Berlins, der Vater, Punker, floh im Herbst 1989 aus der DDR. Die Eltern prägten Aaron politisch und geben ihm Rückhalt und Unterstützung. Aufgewachsen in diesem stabilen wertschätzenden Umfeld, erkannte Langguth, dass er sein Leben von einem sehr privilegierten Punkt aus startete. Aus dieser bevorteilten Position kann und muss er, seiner Meinung nach, etwas erreichen.

Jugend Protestiert: Aaron Langguth auf einer Klimademo Foto: Young Utopians

Céline Weimar-Dittmar ist derzeit noch bei Politik und Soziologie an der Humboldt Universität Berlin eingeschrieben. Jedoch pausiert sie ihr Studium gerade, um sich komplett der Vereinsarbeit zu widmen. Dort kümmert sie sich hauptsächlich um die Außenkommunikation, zieht zum Beispiel Sponsor*innen ans Land oder präsentiert das Projekt bei unterschiedlichen Gelegenheiten. Während eines lockeren Interviews spricht sie viel über ihre Motivation, die sie zur Gründerin eines ehrenamtlichen Vereins machte. Am wichtigsten sei es, dass ihr eigenes Engagement auch andere dazu begeistert, aktiv zu werden – besonders diejenigen, die entweder nie den Input dazu bekommen haben oder einfach noch keine passende Möglichkeit dazu gefunden haben. Die „Aktivist*innenblase“ müsse zum Platzen gebracht werden und einen Raum schaffen, „in dem sich alle einbringen können und sich auch trauen, das zu tun“.

Im Herbst 2018 stieß Lisa Henkel zu den beiden. Damals befand sich die junge Psychologiestudentin in ihrem Auslandssemester in Sevilla. Da meldete sich Aaron, den sie schon aus Kindertagen kennt, mit einer Bitte bei ihr, ob sie nicht die Schatzmeisterin für den Verein sein könne. Zumindest auf dem Papier. Lisa jedoch dachte sich, wenn sie ohnehin offiziell und formal Teil des Vereins sei, dann könne sie auch aktiv beteiligt sein. Seither kümmert sie sich um alles Organisatorische und behält den Überblick über die Finanzen. Alle drei teilen den Wunsch, Menschen dazu zu bewegen, sich zu engagieren. Henkel sagt, sie spreche immer wieder mit Leuten, die meinen, sie würden gerne etwas tun, wüssten aber nicht genau wie. Sie will diesen Leuten zeigen, dass „man nicht erst ein riesen Studium gemacht haben muss, um was zu erreichen“.

Schließlich schloss sich Ende 2018 das letzte Mitglied dem Kernteam an: Luca Kolenda ist 22 Jahre alt und hat Mitte letzten Jahres ihren Bachelor in Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin gemacht. Die Expertise daraus bringt sie jetzt im Verein ein. So hat sie zum Beispiel das Logo und sämtliche Illustrationen auf der Website gestaltet. Insgesamt kümmert sie sich um die bildsprachliche Außenkommunikation, wie sie es ausdrückt. Ihr Weg in den Verein wurde ebenfalls durch bereits bestehende Beziehungen geebnet. Céline Weimar-Dittmar und sie spielten lange zusammen Fußball. Aus genau diesem Netzwerk kennen sich auch einige der neuen Utopist*innen. Auch sie spricht viel davon, jungen Menschen überhaupt erst einmal die Chance zu geben, sich zu engagieren.

Moment der Betroffenheit

In den folgenden Wochen wurde es vorerst etwas ruhiger um die Gruppe und ihren neugegründeten Verein. Das lag hauptsächlich daran, dass sowohl Langguth als auch Henkel sich noch im Ausland befanden und sich dementsprechend die Kommunikation etwas schwer gestaltete. Das erste Mal so richtig kamen alle im April diesen Jahres zusammen. Seitdem ist auch der Verein ganz offiziell eingetragen. Man kennt es ja, die Behörden in Deutschland brauchen immer etwas länger.

Der erste Punkt auf der To-Do-List der Kreuzberger*innen war, wie bereits in den Monaten zuvor geplant, im Sommer eine ähnliche Veranstaltung wie die in Pakistan auf die Beine zu stellen. „Youth Activist Camp“ sollte das Ganze heißen. Wie in Pakistan sollen internationale Jugendliche aus allen Erdteilen der Welt mit lokalen Jugendlichen, in diesem Fall 30 Berliner*innen, zusammenkommen. Allen war von Anfang an bewusst, dass solch ein großes Event sorgfältig organisiert und ausreichend finanziell gestützt sein muss. Um dies zu gewährleisten arbeiten die vier Teammitglieder seit April praktisch Vollzeit an der Organisation des Camps. Und natürlich machen sie das auch nicht mehr nur zu viert. Zum Kernteam haben sich mittlerweile 20 bis 30 Unterstützer*innen gesellt, die sich im Verein engagieren und in allen Bereichen Unterstützung leisten.

Die Young Utopians auf Veranstaltung von „Die offene Gesellschaft“

Vollzeit-Job: Die Young Utopians auf einerVeranstaltung von „Die offene Gesellschaft“. Foto: Young Utopians

Zuerst musste natürlich die Finanzierung her. Dazu wurde eine Crowdfunding-Kampagne ins Leben gerufen. Das erste Ziel war es 7000 Euro gespendet zu bekommen, die mehr oder weniger für die Befriedigung der Grundbedürfnisse, wie Essen, Materialien und Fortbewegung, während des zehntägigen Camps ausreichen sollten. Vor Kurzem endete der Spendenzeitraum und insgesamt wurden mehr als 10.000 Euro eingesammelt. Parallel begannen sie online nach internationalen Bewerber*innen zu suchen. Die Resonanz darauf ist auch für Außenstehende beeindruckend. Über 7000 Bewerbungen aus aller Welt haben sie erreicht. Die Bewerber*innen sollten in ihrer Bewerbung ihre persönliche Utopie entwerfen. Das Spektrum an Themen, mit denen sich die Utopien befassten, war sehr breit – nachhaltige Verhütungsmittel, Smart City, Obdachlosenhilfe.

Um diese Wucht an Bewerbungen fair zu selektieren, legten die vier eine Art Raster an. Nachdem eine Vielzahl an Bewerbungen bereits aufgrund unerfüllter formaler Kriterien rausfiel, lag das Augenmerkmal besonders darauf, dass die Bewerber*innen ein ähnliches Verständnis von Demokratie, Nachhaltigkeit und Gleichberechtigung teilen. Am Ende von diesem Prozess standen 30 Bewerber*innen fest, die nun Ende Juli nach Berlin kommen und an dem Camp teilnehmen. Unter ihnen ist zum Beispiel Manar, 26, aus Ägypten. Sie fokussiert in ihrer Bewerbung die Herausforderungen Afrikas in der nicht allzu fernen Zukunft, zu denen unter anderem der Klimawandel gehört. Sie möchte, dass sich der Kontinent hier seiner Verantwortung bewusst wird. Oder Christina, 18, aus der Ukraine. Sie denkt ihre Utopie nicht im großen Stil von einer vereinigten Welt, die es vielleicht nie geben wird, sondern möchte erstmal, dass sich jede*r seine*ihre eigene kleine Utopie schafft. Das Leben für den*die Einzelne*n also verbessern.

Doch, wie schaffen es vier „kleine Leute“ eine solche Reichweite zu generieren? Haben sie womöglich einfach nur den genau richtigen Zeitpunkt abgepasst, um Young Utopians zu gründen? Auf die Frage, wie genau sie es geschafft haben, erhält man von den Gründer*innen unterschiedliche Antworten. Aaron sagt, dass vor allem die Verbreitung im Internet durch soziale Medien eine unglaubliche Reichweite erzeugt hat. Auch Webseiten wie „Youthopportunitys“ vernetzen Jugendliche international und verbreiten Informationen enorm schnell. Andererseits gibt es aktuell scheinbar auch ein verstärktes Bewusstsein in der Jugend vor allem bei dem höchstpräsenten Thema Klimaerwärmung und damit die damit zusammenhängende Klimapolitik. Und das zeigt sich nicht nur in den Fridays-for-Future-Protesten. Luca Kolenda beschreibt es als Moment der Betroffenheit. Sie vergleicht es mit dem Einfluss des Reaktorunglücks in Tschernobyl auf die Anti-Atomkraft-Bewegung.

„Glokal“ die Welt verändern?

Vom 21. bis 31. Juli sollen die internationalen Teilnehmer*innen mit den 30 Berliner*innen in den Räumen des Leibnitz-Gymnasiums Kreuzberg zusammenkommen und dort in kleinen Gruppen zehn Projekte zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz, Chancengleichheit und Demokratie entwickeln. Diese sollen komplett durchgeplant, von Zielgruppe bis hin zur Finanzierung, und sofort umsetzungsfähig sein. Dabei wird das Team der Utopians von einigen Expert*innen unterstützt, die den Erfolg des Vorhabens absichern sollen. So wird zum Beispiel Carla Reemtsma von Fridays for Future zu Gast sein und einen Vortrag halten. Und trotzdem scheint der Ausgang des Camps noch sehr ungewiss. Ist das „Youth Activist Camp“ vielleicht auch nicht mehr als die Utopie vier junger Kreuzberger*innen, die die Welt verändern wollen? Auf die Frage wie genau das hochgesteckte Ziel von vier „bereit zum Servieren“-Projekten erreicht werden soll, sind die Antworten der Gründungsmitglieder noch etwas schwammig. Fest steht jedoch, dass die Beteiligten während der ersten Tage alle auf ein Wissenslevel gebracht werden sollen, sodass ein Konsens besteht. In den folgenden Tagen werden den Teilnehmenden dann die Fähigkeiten und Werkzeuge an die Hand gegeben, mit denen sie ihre Projekte in ihren Heimatländern umsetzen können. Gleichzeitig sollen ein paar der Projekte auch ganz lokal in Kreuzberg umgesetzt werden. „Glokal“ nennt der Verein das.

Und wahrscheinlich ist genau das die größte Herausforderung für die Zukunft der Young Utopians. Wie lässt sich die internationale Vernetzung langfristig beibehalten? Und werden die entwickelten Projekte wirklich direkt umsetzungsfähig sein? Wenn man die vier fragt, was für sie das Worst-Case-Szenario ist, antworteten sie alle ähnlich: Dass sich das Momentum verliert und aus dem Camp nichts Langfristiges entsteht. Das Optimum wäre dann das genaue Gegenteil. Die Projekte werden umgesetzt und das Youth Activist Camp wäre wirklich nur der Pilot zu einer Vielzahl an weiteren Veranstaltungen.

Vor etwas weniger als einem Jahr war das Alles noch nicht viel mehr als eine Idee an einem Teetisch in Pakistan. Heute gibt es einen eingetragenen Verein, mehr als 10.000 gespendete Euro und ein an die Tür klopfendes Kick-Off-Event, das „Youth Activist Camp“. Wie schwer war es bis hierher zu kommen? Die Antworten, die man darauf bekommt, sind überraschend. „Wenn man eine Idee und Lust hat was zu machen, dann ist das total einfach“, sagt Lisa Henkel. Wie einfach es wirklich ist, wird sich bis Ende Juli herausstellen, wenn das Camp zu Ende gegangen und alle Teilnehmenden wieder zu Hause sind. Wenn alles gut läuft, könnten die Young Utopians eine erste Antwort darauf sein, wie aus den „Fridays for Future“-Streiks oder der „Youthopia“-Konferenz in Pakistan mehr wird als „nur“ Protest, der entweder ignoriert oder als kurzfristiges Aufmucken abgetan wird.


Large Blog ImageYannick Motschke studiert Filmwissenschaft und Publizistik. Wenn Leute fragen, was er damit machen will, sagt er Filmkritiker. Seine persönliche Utopie ist eine Welt, in der ein ICE Ticket weniger als 50 Euro kostet.



Large Blog ImageAnnabella Backes studiert Anthropologie und Publizistik. Sie möchte sich weiterhin sozial und politisch engagieren, was von der Welt sehen und soviel wie möglich leben. Ihre persönliche Utopie ist, dass alle Menschen alle Realitäten akzeptieren.