Evolution und KreationismusPersönliche Stellungnahmen von Reinhold Leinfelder zum Thema - Artikel in GMit 21, 2005Erschienen in GMit (Geowissenschaftliche Mitteilungen), 21, 79-82, September 2005 Kreationismusdebatte in Deutschland wo bleiben die Paläontologen?Von Reinhold Leinfelder, München, vorab publiziert am 27.7.2005
Unter den oben erwähnten Leserbriefen finden sich jedoch auch etliche, die mit dem Tenor abwiegeln, „seien wir doch tolerant, lass die Kreationisten doch arbeiten, sie haben doch bei uns keine Chance“. Mein Eindruck ist, dass auch viele Paläontologen in diese Kategorie gehören, frei nach dem Motto: „So ignorant kann doch niemand sein, unsere überwältigenden Beweise für Evolution zu übersehen, das spricht doch für sich selbst“. Schön, wenn es so wäre, aber möglicherweise geht die Fahrt doch in eine sehr andere Richtung. Kardinal Schönborn, Wien, wirbelte jüngst (7.7.05) mit einem Gastkommentar in der New York-Times viel Staub auf, indem er nicht nur dem „Intelligent Design“-Gedanken seine Sympathien entgegenbrachte, sondern dabei den Neo-Darwinismus (synthetische Evolutionstheorie) als Ideologie bezeichnete („Any system of thought that denies or seeks to explain away the overwhelming evidence for design in biology is ideology, not science.“). Er behauptete, dass die Aussage des verstorbenen Papstes Paul zur Vereinbarkeit der Evolutionstheorie und dem christlichen Glauben („Evolution is more than just a hypothesis“) falsch verstanden worden sei, und berief sich in öffentlichen Stellungnahmen sogar darauf, von Papst Benedikt zu diesem Artikel ermuntert worden zu sein (Originaltext des Artikels siehe unten). Die Kritik an diesem Artikel (u.a. auch aus der protestantischen Kirche) hat sicherlich auch die Diskussion zu Evolution und Kreationismus in vielen deutschen Zeitungen und Magazinen (u.a. FAZ, Stern, Spiegel, Süddeutsche) befördert, aber das Grundproblem scheint mir meist noch nicht erkannt worden zu sein: Die berechtigte und notwendige Kritik an die Kreationisten richtet sich häufig gleich komplett gegen christliche Weltanschauungen oder Religion überhaupt und beginnt damit auch von Wissenschaftsseite einen Keil zwischen „wissenschaftsgläubige“ und „religiöse“ Menschen zu treiben. Dies befördert genau das Ziel der allermeisten Kreationisten, egal welcher Couleur. Solche Diskussionen gehen also am Wesen der Debatte vorbei. Selbstverständlich kann jeder glauben, was er will, selbstverständlich kann kein Naturwissenschaftler die philosophische oder religiöse Frage nach dem Sinn des Seins, darunter des Menschseins beantworten. Dafür sind andere zuständig und vor allem wohl auch jeder für sich selbst. Die Evolutionstheorie und Evolutionsforschung haben ganz andere Ziele, als die Existenz oder Nichtexistenz eines göttlichen Schöpfers wissenschaftlich zu belegen. Der Evolutionswissenschaftler kann ausschließlich Fragen beantworten wie: warum hat der menschliche Embryo fischartige Kiemenansätze, warum ist die genetische Information selbst sehr unterschiedlicher Lebensformen so ähnlich, warum haben alle Land-Wirbeltiere die fünfstrahligen Finger bzw. Abwandlungen davon? Manche Evolutionskollegen schießen, gerade in der derzeitigen Debatte, jedoch unproduktiv über das Ziel hinaus: der (nur angeblich logische) Schluss, dass ein Evolutionstheoretiker automatisch Atheist sein muss, ist dann wirklich dogmatisch, kann uns zu Recht vorgeworfen werden und ist extrem unproduktiv. Ob wir als Naturwissenschaftler nun Atheist, Agnostiker, Pantheist sind oder an einen Gott in welcher Form auch immer glauben das geht nur die jeweiligen Personen etwas an. Natürlich darf jeder (auch ich) glauben was er/sie (ich) will. Es darf aber nicht sein, dass die Öffentlichkeit zu einer Entscheidung gedrängt werden soll zwischen „Ich glaube an die Evolutionstheorie“ oder aber „Ich glaube an Gott“ so ist ganz offensichtlich das Vorgehen der Kreationisten auch in Deutschland. Noch plakativer: „Wenn ich mich an die wissenschaftlichen Fakten halte, komme ich nicht in den Himmel“. Wunderbar, wenn dann Kreationisten mit Professoren- oder Doktortitel vorhanden sind, die sagen: Ihr könnt sogar beides vereinbaren, nur muss es die „richtige“ (also „Intelligent-Design-“) „Wissenschaft“ sein. Ein Ansatz wie der „Intelligent-Design“-Kreationismus, der die Naturgesetze und Evolution teilweise walten lässt, teilweise aber zu Gunsten des „Designers“ außer Kraft setzt, ist aber nie beweisbar und nie falsifizierbar und damit keine Wissenschaft.
Was aber kann die Paläontologie konkret zur Diskussion beitragen? Es gilt sich zum einen zu informieren, welche Argumentationsweisen die Kreationisten (incl. der ID-Kreationisten) verwenden. Insgesamt geht es beim Ansatz der modernen ID-Kreationisten meist darum, sog. historische Wissenschaften von den „echten“ Naturwissenschaften, die rezent-empirisch arbeiten abzukoppeln. Paläontologie und Geologie wären dann eben historische Wissenschaften und damit grundverschieden zu behandeln, eben viel hypothetischer und nicht beweisbar. Natürlich basieren aber auch Physik und Chemie auf nicht in allen Bereichen empirisch fassbaren, jedoch gut belegten Theorien (z.B. die „nichteuklidischen Raumzeitstruktur“ in der Relativitätstheorie, Beispiel aus Neukamm 2003). Weiterhin muss man wohl klar machen, dass selbst wenn einiges an der synthetischen Evolutionstheorie (die ja belegbare Fakten, nämlich Fossilien und Kausalhypothesen, wie z.B. Selektionsmechanismen vereint) widerlegt werden könnte, nicht automatisch andere Behauptungen (Vorhandensein eines Designers) richtig werden. Weiterhin ist ein Hauptansatzpunkt der ID-Kreationisten das sog. Paradigma der Makroevolution. Mikroevolution (transspezifische Evolution) wird von den meisten modernen ID-Kreationisten zugelassen, Makroevolution sei jedoch eindeutig der Ausdruck des Designers. Nach unseren heutigen Erkenntnissen, die von modernen phylogenetischen Methoden gestützt sind, verläuft Evolution jedoch in kleinen Schritten, Makroevolution im Sinne der ID-Kreationisten („Schaffung neuer Grundtypen von Organismen“) existiert so natürlich nicht. Weiterhin seien die intelligenten hochkomplexen Bioapparate (z.B. Auge, Flagellen) ein Beweis für die Existenz eines Designers. Zeigen wir paläontologische Beispiele zur Präadaption und später daraus resultierender Funktionswandlung, die solche komplexen Systeme erklären! Transportieren wir insgesamt, dass die Antworten der Evolutionstheorie auf überprüfbaren Fakten basieren, die im Gelände und insbesondere in unseren naturwissenschaftlichen Sammlungen für jeden nachvollziehbar dokumentiert sind! Erläutern wir den Urvogel Archaeopteryx als Bindeglied zwischen Dinosauriern und Vögeln und bringen Beispiele für weitere connecting links! Demonstrieren wir, dass die kambrische Explosion so explosiv auch nicht war, da frühere Lebensformen aus dem Präkambrium sehr wohl vorliegen bzw. erläutern wir, warum es sei dem Kambrium durch die Hartteilbildung einfach bessere Überlieferung gibt! Dass wir noch längst nicht alle Details des Evolutionsablaufes enträtselt haben, sollten wir ruhig auch offen sagen, aber natürlich auch, dass dies nichts an der Tatsache der allgemeinen Gültigkeit der Evolution ändert. Vielleicht ist auch hilfreich zu erwähnen, dass längst nicht alles gleich besonders intelligent erscheint, was die Natur hervorgebracht hat. Warum verläuft der Schlund des Tintenfisches mitten durch sein Gehirn? Macht es Sinn, beim Fressen großer Stücke vielleicht Kopfschmerzen zu haben? Hätte ein Platzhirsch nicht doch eine intelligentere Methode als ein im Wald überaus unhandliches 16-Ender-Geweih haben können, um die Hirschkuh zu beeindrucken? Warum trägt ein Wal noch Reste seiner Hinterextremitäten im Skelett herum, obwohl er die gar nicht braucht? Biologische Konstrukte sind also funktionell oder ggf. auch indifferent, solange sie keinen Selektionsnachteil gegenüber anderen Konstrukten bringen. Bewertungen wie intelligent oder unintelligent sind nicht angebracht.
Und als Geowissenschaftler sollten wir unsere Betrachtungen ruhig noch weiter fassen, gerade wegen des Versuches, die Paläontologie und Geologie als angeblich überwiegend nichtempirische Wissenschaften insgesamt aus den Naturwissenschaften herauszudiskutieren: Die geologischen Altersmessungen basieren auf Naturgesetzen und entsprechenden physikalischen Vorgängen, genauso wie das Ticken einer Quarzuhr, der Strom für des Wissenschaftlers Kaffeemaschine, die messbare Ausweitung des Atlantiks oder die Erdbeben, welche die Welt und Menschheit erschüttern. Evolutionstheorie, Quantentheorie, Theorie der Plattentektonik alles nur Weltanschauungen, alles Aberglaube?
Ich denke, die Paläontologie und die Geowissenschaften können und sollten sich bei der laufenden Kreationismus-Debatte hervorragend einbringen wir können die Bedeutung unseres Faches eben gerade auch für gesellschafts- und kulturrelevante Fragestellungen hier bestens klar machen und auch wesentlich dazu beitragen, den Wissenschaftsstandort Deutschland zu festigen und kulturelle Spaltungen zu verhindern. Wie sagte kürzlich der Evolutionsbiologe Kotrschal in einem offenen Brief an Kardinal Schönborn so treffend: „Eine Hauptfront im Kampf der Kulturen auf dieser Welt verläuft heute weniger zwischen Christentum und Islam, sondern zwischen Fundamentalismus und Aufklärung.“ (diepresse.com, 14.7.05).
Informationen: Umfassendste Information zur Debatte, incl. der Auflistung der meisten der oben erwähnten und weiterer Beispiele (Schulbuch, Kreationisten an deutschen Hochschulen und Max-Planck-Instituten, Filmproduktionen), Argumentationsweisen u.v.m.: Kutschera, U. 2004, Streitpunkt Evolution. Darwinismus und Intelligentes Design.- 312 S., Lit-Verlag, Münster. Siehe auch Buchbesprechung von M. Neukamm: http://www.martin-neukamm.de/kutschera.html Einstiegsinformation mit Literaturangaben und Links zu kreationistischen und Antikreationistischen Informationen: http://de.wikipedia.org/wiki/Kreationismus Originaltext des Artikels von Kardinal Schönborn in der New York Times vom 7.7.2005: http://www.diepresse.com/textversion_article.aspx?id=494045 Beispiele für Junge Erde-Kreationisten:
Informationen zur Argumentationsweise des Intelligent-Design-Kreationismus:
Hinweis: alle obigen Links wurden am 27.7.2005 letztmalig geprüft. Die Inhalte könnten sich bis zur Drucklegung dieses Artikels geändert haben. Insbesondere ist auch das Wikipedia-Projekt ein Open-Source-Projekt, bei dem sich Inhalte und Autoren auch kurzfristig ändern können. Prof. Dr. Reinhold Leinfelder Generaldirektor der Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns sowie Lehrstuhl für Paläontologie und Historische Geologie der LMU, email: rrl(a)lrz.uni-muenchen.de Herzlichen Dank an Dr. Michael Wuttke, Mainz, Dipl.-Geol. Christoph Hartkopf-Fröder, Krefeld, Dr. Oliver Rauhut, München und Dr. Andreas Kunkel, München für Informationen und kritische Durchsicht. Many thanks to Sidney Harris for permission to use his witty cartoon --- Artikelende --- Für weitere Links zum Thema siehe weitere Rubriken auf dieser Website. Last Changes by Reinhold Leinfelder : |