Prof. Dr. Volker von Prittwitz

Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft

Wintersemester 2009/2010 (ab 15. Oktober 2009)

Donnerstag, 10 - 12 Uhr, Ihnestraße 22 (altes Gebäude), UG2

www.volkervonprittwitz.de

vvp@gmx.de

 

 

Offentliche Vorlesung im WS 2009/2010, Teil:

Bound Economy

 

Märkte sind vermachtet, wenn operativ beteiligte Akteure die Marktverfahren beziehungsweise Marktregeln einseitig bestimmen. Dies ist häufig in Monopol- oder Oligopol-Strukturen so (Beispiel deutscher Strommarkt). Aber auch wenn Akteure intransparente Produkte anbieten, die sie weitgehend beliebig nach ihren Eigeninteressen handhaben können (Beispiel Derivate im spekulativen Finanzmarkt) besteht eine hochgradig vermachtete Struktur. Schließlich können Wirtschaftsakteure über ihre Verbände- und Netzwerkmacht bis hin zu Korruption wirtschaftsbezogene Regelsetzung und Regelinterpretation beherrschen.

Dem steht das Bound-Economy-Konzept gegenüber. Demnach entwickelt sich eine Volkswirtschaft am besten, wenn alle Wirtschaftsakteure in gleicher Weise an bestimmte, ihnen vorgegebene Verfahren bzw. Regeln gebunden sind. In diese Regeln fließen herrschende Werte und Normen (Beispiele Klimaschutz und Verbot von Kinderarbeit) ein. Regelsetzung und herrschende Regelinterpretation einerseits und operative Wirtschaftstätigkeit im Rahmen jeweils bindender Regeln andererseits sind demnach getrennte Sphären. Welche Werte, Normen, Verfahren und Regeln bindend sind, ist demnach kein Ergebnis des volkswirtschaftlichen, sondern eines politischen Prozesses. Die Vorstellung eines selbstregulierenden Marktes verfehlt also die Logik des Bound-Economy-Ansatzes fundamental. Angemessen funktionieren kann Wirtschaft nur, wenn Regelsetzung und regelgebundenes wirtschaftliches Handeln voneinander differenziert sind.

Organisieren sich wirtschaftliche Akteure politisch, beispielsweise in Verbänden oder Parteien, um dadurch wirtschaftspolitischen Einfluss zu gewinnen, so ist dies so lange legitim, wie sie die Eigenständigkeit der politischen Willensbildung respektieren, sich also an deren herrschende Werte, Normen und Verfahren gebunden verhalten. Letztlich sind dies vor allem rechtsstaatlich-demokratische Verfahren, die eine plurale, offene Willensbildung zulassen. In dem Maße, in dem sie diese Unabhängigkeit nicht respektieren oder unterminieren, beispielsweise durch intransparente Netzwerkmacht oder Korruption, sind Bound Governance, hier Bound Economy-Anforderungen dagegen verletzt. Fundamental verletzt sind diese Anforderungen auch durch Formen von Public-Private-Partnership, in denen öffentliche Belange der Regelsetzung in die Hand privater Marktteilnehmer übergehen (Beispiel: Von betroffener Industrie finanzierte oder gar persönlich besetzte Ministerialstellen)        

Diese grundsätzlichen Überlegungen gelten auf allen Ebenen, von der wirtschaftlichen Mikroebene und lokalen Ebene bis zur Weltwirtschaft. Sie gelten auch für alle wirtschaftlichen Sektoren inklusive des finanzwirtschaftlichen Sektors, insbesondere des so genannten Investment-Banking. Welche Normen, Verfahren und Regeln für einzelne Wirtschaftssektoren gelten sollen, kann zwar durch deren politische Repräsentanten politisch beeinflusst werden; es ist aber keineswegs Sache der jeweils herrschenden Akteure dieser Sektoren allein, darüber zu befinden; im Gegenteil: Wirtschaftstätigkeit ist prinzipiell, damit in jedem Sektor, an allgemein akzeptierte Verfahren zu binden.

Das Verfahrenskonzept von Bound Governance, hier Bound Economy, schließt die verfahrensbezogene Gleichheit und die verfahrensinterne Freiheit aller operativer Akteure ein. Im Rahmen der allgemein akzeptierten Bindungen sind also alle Wirtschaftsakteure prinzipiell gleich und frei. Bound Economy bedeutet also nicht nur Bindung an übergeordnete Verfahren bzw. Regeln, sondern auch Gleichheit und Freiheit. Man könnte also auch von gebunden-offener Wirtschaft sprechen. Gerade durch diese Kombination verspricht das Bound-Economy-Konzept eine besonders stimulierende, innovations- und allgemein leistungsförderliche Wirkung. Da offenbar gewordene Verfahrens- bzw. Regelschwächen prinzipiell politisch korrigiert werden können (und sollen), ist auch eine optimale Wohlfahrtswirkung zu erwarten.