Sokolo
Keiner spricht von Sokolo.
Wer kennt schon Sokolo? Ein hübscher Name, wie der Klang eines einfachen
Trommelrhythmus, Sokolo, Sokolo, Sokolo, mehr ist nicht bekannt. Oder doch?
Der deutsche Nachrichtensprecher
berichtet vom Regierungswechsel in Nigeria; von einer Überschwemmungskatastrophe
in Mosambik; von meuternden Schwarzen in Simbabwe: ein weißer Farmer
wurde ermordet; desweiteren hört man von verhungernden Ziegen in Eritrea.
Eingeblendete Bilder zeigen Ziegenkinder, die sich nicht mehr auf den Beinen
halten können und vor den Augen des Fernsehzuschauers sterben.
Eine deutsche Kunststudentin
ist nach ihrer Rückkehr aus Afrika an einer unbekannten Krankheit gestorben,
man vermutete Lassafieber.
Man könnte doch einmal
in Afrika Urlaub machen, auf Bali war ich schon, und vor zwei Jahren haben
wir Australien entdeckt, ach ja Hawaii vor drei Jahren habe ich vergessen,
aber diese Krankheiten......Man weiß ja nicht, was man sich da holt,
sagt der Nachbar.
Das Afrikabild in Europa
ist lückenhaft und sehr einseitig - die Darstellung ist meistens negativ:
Hungersnöte, Kriege, Völkermord, Aids, Epidemien...
Ich möchte lieber
von den Menschen in Sokolo erzählen. Also zurück nach Sokolo, wer
weiß, wie dort die Nacht des Millenium gefeiert wurde? Gab es was zu
feiern?
Abderrahmane Sissako ist
ein Kind Sokolos und lebt heute in Paris als Regisseur und Schauspieler des
afrikanischen Kinos. Sein Film La Vie sur Terre handelt vom Erleben
der Jahrtausendwende aus der Sicht der Dorfbewohner Sokolos. Sokolo liegt
auf dem 15. Breitengrad in der heißesten Zone Malis.
Am 31.12.1999 hört
man im örtlichen Radio auf einem internationalen Sender Berichte von
ausschweifenden Feierlichkeiten in Sydney, Paris und New York. Zwischendurch
hört man auf einer lokalen Welle Nachrichten von La Voix du Riz.
Während die Jugendlichen
im Schatten einer Hauswand auf ihren Stühlen vor sich hinträumen,
hören sie den Wetterbericht aus den Schweizer Alpen. Langsam wandert
die Sonne und zwingt die jungen Männer, ihre Träumereien zu unterbrechen,
um ihre Stühle näher zur schattigen Ecke der Hauswand zu rücken.
Gegen Abend, wenn die Hitze von ihrer Grausamkeit verliert, sind alle müde,
gehen nach Hause und essen mit ihren Familien Reis mit Soße. Irgendwie
ist überall Party nur hier nicht...
Die Armut in Sokolo ist
groß. Mancher hat sich nach Europa aufgemacht, um ein wenig Komfort
nach Sokolo zu bringen. Bei einem Unwetter während der Regenzeit wurde
ein Teil von Mamadous Reisernte zerstört. Sein Neffe aus Marseille hat
ihm Geld für drei Säcke Reis geschickt.
Die Menschen in Sokolo
leben mit Gott im Einklang, sie leben in einer brüderlichen Gemeinschaft
und helfen einander, wo immer sie helfen können.
Wenn die deutschen Moderatoren
der Milleniumsnacht Witze über die Bekleidung der Festtrommler auf den
Tonga-Inseln machen, hören die Menschen in Sokolo die ausgelassene Stimmung
in Paris unterm Eiffelturm über Weltradio, und feiern entspannt im Schatten
einer Hauswand mit.
Zu La Vie sur Terre
gibt es einen zweiten Teil, Retour à Sokolo, der davon handelt
wie die Dorfbewohner ihr eigenes Kinodebüt erleben. Regie führte
diesmal Marie Jaoul de Poncheville.
Auf dem Dorfplatz wird
eine 5x5m große weiße Leinwand gespannt. Mit einfachsten Mitteln
wird ein Kino mit zwei Projektoren und riesigen Megaphonlautsprechern errichtet.
In Interviews bedanken sich die Bewohner von Sokolo bei allen, die die Produktion
dieses Films ermöglicht haben und besonders den Zuschauern in Europa,
die nun ein neues, wenn auch kleines Puzzleteil zu ihrem ansonsten grobgerasterten
Afrikabild hinzufügen konnten.
Aus Stimmen
aus dem Meer von Coqueluche 27.4.2000
|