Copyright © Stephan Käppler
Rezension; In: TAZ, 05.02.1990, Seite 17

Kurzes und Kürzestes
 

Norbert C.Kasers Prosa
 

Zehn Jahre nach Kasers Tod erschien im Innsbrucker "haymon" -Verlag der Teil
der literarischen Texte Kasers, den man als Prosa bezeichnen darf.
Ein erster Band faßte die Gedichte, ein dritter und letzter Teil wird die
Briefe Kasers dokumentieren.

Nobert Conrad Kaser ist 1947 in Norditalien geboren, im deutschsprachigen
Brixen an der Eisack. Aufgewachsen ist er wenige Kilometer weiter in Bruneck
an der Rienz. Schon früh begeisterte sich Kaser für die Literatur,
vernachlässigte darüber völlig die Schule. So fiel er zweimal durchs Abitur.
Nur mit Mühe gelang ihm schließlich ein dritter Versuch.

Kaser arbeitete bereits früh als Autowäscher und Porzellanverkäufer in
Bruneck, später als Frühstücksmacher und Portier an der Küste von Genua, war
Eisengießer bei den Pfalzwerken in Ludwigshafen, Novize in einem
Kapuzinerkloster, Wegbauer an den Küstenhängen in Norwegen, Filmschauspieler
in Apulien und Nordtunesien, viele Monate Mauteinnehmer an der
Brennerautobahn, immer wieder Dorfschullehrer in abgelegenen Gebirgsdörfern
und zuletzt Werbetexter für eine Hotel-Pension und Schreibgehilfe in einer
Fahrschule. Dann starb er. Aber vorher schrieb er Gedichte.

In erster Linie war Kaser Lyriker. Diese Vorliebe für kleine literarische
Formen verschaffte sich auch bei dem Verfasser von Kurzprosa Geltung. Die
Texte zeichnen sich durch ihre prägnante Kürze aus. Manchmal sind sie nur
einen Satz lang, die längsten Texte umfassen allenfalls einige Seiten. Und
dennoch konnten für diese Werkausgabe annähernd 400 Seiten Prosa
zusammengetragen werden.

Kasers Texte zeichnen sich durch ihre fast immer gleichbleibende Qualität
aus. Ganz selten ein schwächerer Satz. Kaser war kein Journalist, kein
Vielschreiber, er schrieb bedacht und bedächtig. Erstaunlich ist die Vielfalt
der literarischen Formen. Von Glossen, Fabeln und Märchen reichen sie über
Kurzgeschichten, Parabeln und der selten gepflegten Form der "Stadtstiche"
bis hin zu Traktaten und Texten, die nur aus ein paar Sätzen bestehen.
Sparten wie Roman und Drama wurden hingegen von Kaser gemieden.

Kaser variiert auch höchst amüsant Motive aus der griechischen und
christlichen Mythologie: Er erzählt von der heldenhaften Reinigung der völlig
versauten Ställe des König Augias - bei Kaser ein köstlich gemütlicher
Vielfraß - oder schmückt fein die verführerischen Fähigkeiten der Maria von
Magdala aus, die auf ihre Weise den Freundeskreis des "Berufenen" heillos zu
verwirren vermag.

Zwischendurch wieder fast parabelhafte Geschichten wie die von dem
säugenden Elefanten, der bis zu seinem 16.Geburtstag seine dicke
Elefantenmutter wörtlich aussaugt und nach ihrem Tode zwar die tollsten und
ausgefallensten Kunststücke beherrscht, aber den Wirrnissen des Lebens nicht
gewachsen ist. Oder die lehrreichen, nicht minder aufregenden, immer nur eine
Seite fassenden fabelhaften Erzählungen über kaiser max & kufstein,
die koechin eines pfarrers oder Landschaftsbeschreibungen: "& unten
die keusche ebene der bahnhof ein wuerfelchen die geleise zu einem faden
geschmolzen".

Kaser war Kommunist. Über die tieferen Beweggründe seiner Wandlung vom
katholischen Kapuziner zum kommunistischen Kolumnisten läßt sich nur
spekulieren, da Kaser fern von Theorie und abstraktem Studium sich nie in
dieser Richtung geäußert hat. Ein Grund liegt sicherlich in seiner
Biographie, die ihn sein Leben lang unmittelbar die Abhängigkeit und
wirtschaftliche Not der norditalienischen Bevölkerungsmehrheit erleiden ließ.
Das erleichterte ihm den Zugang zu den Kommunisten. Der kommunistische
Dorfschullehrer hieß seine Schüler in den Schulbüchern Passagen, die ihnen
nicht zusagten, quer durch- und ausstreichen. Das war ihm Unterricht. Er
schrieb auch für seine Zöglinge neue Geschichten, wie beispielsweise "im wald
hat einmal ein großer drachen gehaust. der brachte angst & schrecken in die
gegend. seine augen waren groß wie pfannnen, aus seinem maul sprang feuer,
das die kleinen baeume verbrannte... sein bauch ist gelb gewesen & 19 buben &
6 maedchen haetten leicht darauf ballspielen koennen."

Ab Sommer 1977 bis zu seinem Tode schrieb Kaser regelmäßig bissige Kolumnen
für die norditalienische Tageszeitung 'Alto Adige`. Sein unermüdlicher Kampf
gegen die sich in Schützenvereinen organisierenden südtiroler Patrioten und
Revanchisten brachte ihm selbst dann ablehnende und boshafte Leserbriefe ein,
wenn es um Hallenbäder oder um den Bau neuer Liftanlagen ging. Selbst ein
zweimonatiger Kuraufenthalt des schwer Erkrankten in der DDR war seinen
Gegnern Anlaß, ihn zu diffamieren. Die in diesem Buch veröffentlichten
Glossen machen deutlich, wie sehr diese Kommentare zum literarischen
Gesamtwerk Kasers gehören. Bis kurz vor seinem Tod schrieb Kaser unermüdlich
und streng diszipliniert noch über siebzigmal seine literarischen
Zeitungstexte.

Kaser war Trinker. Er trank die Demütigungen, die Unbillen des Alltags in
sich hinein, steigerte kurzfristig seine Inspirationskraft, verkürzte sie
aber langfristig. Der Alkohol machte Kaser als Schriftsteller nicht zu
schaffen, aber seinem Körper. Der litt. Da blähte sich sein Bauch:
Bauchwassersucht. Eine späte Auswirkung der "Grauen Schwestern zu Brixen",
die Kaser gestillt hatten?

Sich zu mokieren über die konsequente Kleinschreibung, die Negierung und die
Vermeidung von Umlauten und das einfache Abbrechen des Satzes am Zeilenende
ohne Trennungsstriche, hieße, sich der Mißachtung der stilistischen Fein- und
Eigenheiten Kasers schuldig zu machen. Das ist vielleicht mitunter mühsam zu
lesen. Aber die Bemühung zahlt sich vielfach aus.

Stephan Käppler

Norbert C.Kaser: Prosa. Gesammelte Werke - Band 2, Hrsg. Hans Haider,
haymon-Verlag Innsbruck 1989, 470 Seiten, 62 DM.

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