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2 volkswirtschaftliche Argumente für das Existenzgeld

A. Einleitung

Sparen soll die edelste politische Tugend werden. Dabei ist mit "Sparen" das Kürzen von Ausgaben, vor allem von Ausgaben für die Ärmeren und für die Armen gemeint. Daß es zum Sparen keine Alternative gebe, ist das Bekenntnis, das allen abverlangt wird, die wollen, daß ihre politische Meinung überhaupt als seriös und diskutabel zur Kenntnis genommen wird.
Eingestandenermaßen trifft es zu, daß ein Staat, der für seine Ausgaben Schulden aufnimmt, seinen Gläubigern, und das sind naturgemäß nicht die Armen, Zinsen zahlen muß und deshalb Vermögen von unten nach oben umschichtet. Allerdings könnte der Staat aber genausogut von den Reichen nicht Kredite, sondern mehr Steuern nehmen und auf diese Weise seine Einnahmen erhöhen. Wenn er dann seine Ausgaben um einen geringeren Betrag als seine Einnahmen erhöhen würde, könnte man genauso gut den Staatshaushalt sanieren wie mit der derzeitigen Option, der Ausgabenkürzung ("Sparen"). Insofern ist die Behauptung, zum Sparen gebe es keine Alternative, glatt gelogen.

Es gilt die Ansicht, daß sinkende Einkommen (der Armen) und zunehmende Existenzangst zwar unangenehm für die betroffenen Menschen aber gut für die Wirtschaft sind. Und was gut für die Wirtschaft ist, ist irgendwann später auch wieder gut für die Menschen. Das ist das überraschend simple Rezept der Experten und Wissenschaftler in Sachen Volkswirtschaft: die Reichen müssen noch reicher und die Armen noch ärmer werden. Denn nur wenn sie noch mehr Geld haben, können die Reichen mehr investieren. Und nur wenn die Armen noch weniger Geld haben, werden sie qua Existenzangst ausreichend dazu ermuntert, sich mit tüchtiger Mitarbeit, ohne zu murren, am Erstarken der Volkswirtschaft zu beteiligen. Zu viel Gleichverteilung führt zu einer Lähmung der Wirtschaft (keine Investitionen, keine Arbeitsbereitschaft), zunehmende Ungleichverteilung führt dynamisierend die Wirtschaft in einen Heilungsprozess, der in einer ungewissen Zukunft allen zugute kommt. Dies beinhaltet die Feststellung, die Arbeit sei zu teuer: denn zum einen ist es der Sozialstaat, dem zu einem gewichtigen Teil die Lohnnebenkosten, die die Arbeit verteuern, dienen; und zum anderen erlauben die sozialstaatlichen Standards, die noch gelten, den Betroffenen, daß sie nicht zu einem beliebig niedrigen Lohn ihre Arbeitskraft anbieten.

Die Einführung des Existenzgeldes wäre zum einen mit einer erheblichen Umverteilung von oben nach unten verbunden und würde (das ist sein Sinn) zum zweiten allen Gesellschaftsmitgliedern ein ausreichendes Einkommen garantieren, das sie vom Zwang zu fremdbestimmter Arbeit gänzlich befreit.

Beides ist der herrschenden Doktrin diametral entgegengesetzt. Deshalb wird das Existenzgeld nicht einmal als Thema zur Kenntnis genommen, geschweige denn als Alternative zum "Sparen" ernstlich diskutiert.

Hier folgen nun zwei Argumente, die sich völlig in der gängigen akademischen nicht-marxistischen VWL bewegen und die darauf hinauslaufen, dass das Existenzgeld
- marktkonform ist, indem es den Arbeitsmarkt verbessert
- für die Volkswirtschaft gut, weil stabilisierend, ist.
 

B Volkswirtschaftliche Argumente für das Existenzgeld

1. erstes Argument: Das Existenzgeld ist nicht marktwidrig, sondern eine gesellschaftliche Rahmenbedingung für den Arbeitsmarkt; erst unter Existenzgeldbedingungen entsteht für Arbeit so etwas wie ein Marktpreis, und außerdem erhöht das Existenzgeld die Allokationseffizienz der Ressource Arbeit.

Zentraler Bestandteil der Neoklassik, der bei weitem vorherrschenden volkswirtschaftlichen Theorie, ist das Modell des Marktes; dieses Modell wird auch auf den Arbeitsmarkt angewendet. Auf dem Markt treffen immer Angebot und Nachfrage aufeinander, die Vertragspartner wägen Vor- und Nachteile des zu schließenden Kaufvertrages ab und einigen sich schließlich auf einen auf diese Weise marktförmig entstandenen Preis. Beide haben ihren Nutzen maximiert.

Beim Arbeitsmarkt:
- Anbieter sind diejenigen, die ihre Arbeitskraft zum Verkauf anbieten, also die sogenannten Arbeitnehmer: die für Märkte typische Abwägung zwischen Vor- und Nachteilen ist hier die Abwägung zwischen der Arbeit, also dem erlittenen Schaden, dem Freizeitverlust auf der einen Seite und dem Lohn, der Entschädigung für die verrichteten fremdbestimmten Dienste auf der anderen Seite. Hier zeigt sich übrigens ein zentraler Bestandteil des Menschenbildes der Neoklassik: Arbeit ist Leid; der Arbeits-Lohn die Entschädigung dafür.
- Nachfrager sind diejenigen, die sich Arbeitskraft einkaufen wollen, also die sogenannten Arbeitgeber. Sie wägen ab zwischen dem Wert der Produktion, dem Nutzen, der von der Arbeitskraft zu erwarten ist, und den Kosten, die sie verursacht (also den gesamten Lohnkosten)
Der Preis der Ware Arbeitskraft ist der vereinbarte Lohn.

Auf dem Arbeitsmarkt gibt es nun eine entscheidende Besonderheit: Die Arbeitskraft ist eine ganz besondere Ware: sie ist mit der Person, die sie anbietet, fest verbunden, und der Arbeit-anbietende Mensch ist darauf angewiesen, seine Arbeitskraft zu verkaufen, weil er das Einkommen zur Existenzsicherung braucht, falls er oder sie nicht eine anderweitige Versorgung hat. (Hier Quelle angeben woher ich den Gedanken habe) Also: mit dem freien Abwägen der Vor- und Nachteile, wie es so auf den Märkten der Neoklassik stattfindet, ist es auf dem Arbeitsmarkt nicht so weit her: Der Arbeitskraft-Anbieter (der oder die Arbeit-Suchende) kann sich in aller Regel nicht so frei entscheiden, ob er den Vertrag abschließt oder nicht; sondern ist zur Einigung, gezwungen. Es gibt also einseitige Einigungszwänge, eine beträchtliche Macht-Asymmetrie. Die Arbeitskraft-Nachfrager haben wesentlich mehr Macht. (Kontrahierungszwang)

Das hat zwei Konsequenzen:
a) In der heraufziehenden Dienstbotengesellschaft werden für jeden Mist Arbeitskräfte gefunden, denn die Möglichkeit, nein zu sagen, haben die Leute eben nicht: sondern sie müssen sich verkaufen. Die Reichen können ihr überzogenes Anspruchsdenken hemmungslos ausleben, können Arbeit einkaufen, um sich nach Belieben bedienen zu lassen, können eine neuzeitliche Sklavenhaltermentalität kultivieren und öffentlich zelebrieren. Daß sie anderen mit ihren Wünschen nichts als Arbeit machen, gilt nicht als Ärgernis, sondern als die durch nichts zu übertreffende Wohltat der "Schaffung von Arbeit".
b) Der Preis der Ware Arbeit ist eben kein Marktpreis; der Arbeit-Suchende kann nicht, wie z.B. im Immobiliengeschäft, mit dem Verkauf warten, bis der Preis stimmt. Denn dann nimmt der Arbeitskraft-Nachfrager einfach einen Konkurrenten. Dies gilt zumal unter der Bedingung der Massenarbeitslosigkeit: Marx kennzeichnete die Arbeitslosen als die industrielle Reservearmee. Wenn der Preis zu niedrig ist, muß der Arbeitskraft-Anbieter sein Angebot an Arbeit sogar vergrößern, um einkommensmäßig über die Runden zu kommen. Die Arbeitskraft-Anbieter geraten hier in eine Unterbietungskonkurrenz: alle wollen aus verständlichen Gründen nicht gänzlich vor die Hunde gehen und bieten sich noch billiger an; spieltheoretisch betrachtet ist das ein Negativsummenspiel; das Ergebnis ist für die Gesamtheit der Arbeitskraft-Anbieter schlecht; die Spirale führt nach unten, ist ein "race to the bottom".

Was hat das mit dem Existenzgeld zu tun: erst wenn Alle Existenzgeld beziehen würden, wären sie Marktteilnehmer im Sinne der Neoklassik, könnten wie in der Theorie zwischen Vor- und Nachteilen abwägen und könnten auch mal Nein sagen. Vorausgesetzt, das angestrebte Konsumniveau liegt nicht über den Möglichkeiten, die das Existenzgeld bietet, bestünde keinerlei Zwang mehr zum Abschluß eines Arbeitsvertrages.

Fazit des ersten Argumentes: Existenzgeld ermöglicht marktförmiges Handeln der Arbeitskraft-Anbieter: sie könnten abwägen zwischen Vor- und Nachteilen der Arbeit;
- sie müßten sich nicht mehr an ihre Arbeitsplätze klammern: das Gejammer über die unerwünschte Arbeit ("wann ist denn endlich Wochenende") wäre sachlich nicht mehr gerechtfertigt; die Existenzgeld-Gesellschaft wäre eine "Gesellschaft ohne Ausrede")
- sie müssen nicht mehr sich mit Arbeiten durchschlagen, die weder ihrer Neigung noch ihrer Eignung entsprechen, sie wären nicht zu Dienstleistungen gezwungen; es würde, wenn überhaupt, ein freier Dienstleistungssektor entstehen, aber kein prekarisierter, der für die Dienstkräfte jenseits der nackten Existenzsicherung keinerlei Befriedigung oder Sinn bietet.
Alles in allem wäre der Arbeitsmarkt gekennzeichnet durch eine verbesserte Allokationseffizienz: das bedeutet, die Leute könnten mehr ausprobieren, so nach und nach das lernen, was sie am besten können und was sie am liebsten machen, was sie "wirklich wirklich tun wollen" (Fritjof Bergmann) und alle könnten "ihren Platz im Leben finden".
Letztlich nicht sicher zu prognostizieren ist die Reaktion des Arbeitsangebotes. Die Befürworter des durch das Existenzgeld verwirklichten individuellen Freiheitszuwachses stellen ein prosperierendes Wirtschaftsleben in Aussicht, in dem nicht nur alle tun was sie wollen, sondern in dem alle (bzw. hinreichend viele) auch gern und viel tätig sind, in dem es keine "inneren Kündigungen" geben wird, sondern ein produktives und ertragreiches Geschehen sich einstellen wird, innerhalb und jenseits des Wettbewerbs des Marktes. Wer dagegen den Zwang zur Arbeit befürwortet, wird vorzugsweise ein sich schlagartig ausbreitendes Untätigwerden bis hin zu Versorgungsengpässen prognostizieren.

An dieser Stelle bietet sich ein (vereinfachender) Vergleich zwischen dem Existenzgeld und den gängigen Konzepten der negativen Einkommensteuer an. Formal sind beide strukturgleich: Es gibt ein Mindesteinkommen für alle Personen, jeder Hinzuverdienst zu diesem Mindesteinkommen wird besteuert (bzw. mittels "take half" halbiert), so daß ab einer bestimmten Höhe des selbstverdienten Einkommens der Betrag des abgegebenen Einkommens den Betrag des erhaltenen Mindesteinkommens übersteigt und aus der negativen Steuer (die der Betreffende erhält) eine positive, "normale" Steuer wird, die gezahlt wird.
Die wesentlichen Unterschiede liegen in der Zielvorstellung:
die BezieherInnen von negativer Einkommensteuer sind aufgefordert, sich aus dem "negativen Bereich" heraus emporzuarbeiten, sollen perspektivisch wieder auf den sog. "eigenen Füßen" stehen.
Das Existenzgeld ist ein Menschenrecht und die pauschale Bezahlung unspezifischer gesellschaftlicher Tätigkeiten.
Diese unterschiedliche Zielvorstellung findet ihren konkreten Ausdruck in der geringen, zur Mehrarbeit "anreizenden" Höhe der negativen Einkommensteuer, verbunden u.U. mit dem Zwang zur Arbeitsaufnahme. Das Existenzgeld dagegen ist als dauerhaft bedarfsdeckend konzipiert.
 

2. zweites Argument: Umverteilung von reich nach arm stabilisiert die Wirtschaft

Die Umverteilung von Geld von wenigen Reichen zur breiten Masse der Bevölkerung in Form des Existenzgeldes erfüllt nicht nur den beabsichtigten politisch-menchenrechtlich-humanitären Anspruch, sondern sichert ganz nebenbei noch automatisch eine stabile Wirtschaftsentwicklung: die vorhandene Massenkaufkraft sorgt für eine dauerhafte Nachfrage auf den Konsumgütermärkten und verhindert konjunkturelle Einbrüche.

Um zu diesem Argument zu kommen, ist es sinnvoll, die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik von der nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik zu unterscheiden und einige Merkmale und Optionen von nachfrageorientierten Wirtschaftspolitiken darzustellen.

Die z. Zt. vorherrschende angebotsorientierte Wirtschaftspolitik zielt darauf ab, die Wettbewerbsbedingungen für die Unternehmen durch staatliches Handeln zu verbessern. Die politisch-moralische Rechtfertigung lautet: Erwerbslosigkeit und Armut werden dann verschwinden, wenn die Unternehmer die Ertragsaussichten als so gut einschätzen, dass sie mehr Arbeitskräfte einstellen und damit die Arbeitslosigkeit verringern.
Was wird vom Staat gefordert: Vor allem Senkung der Steuern;
Diese Forderung basiert auf der Annahme, daß dann die Vermögenden mehr Geld für Investitionen übrig haben, und mit den von ihnen getätigten Investitionen Beschäftigung schaffen werden, was allen zugute kommt. Die Vermögenden sind die Sachwalter des Gemeinwohls, man muß pfleglich mit ihnen umgehen; durch Steuersenkung werden sie zu sofortigem für die Allgemeinheit vorteilhaftem wirtschaftlichen Handeln angeregt. Das war jetzt bereits die Polemik, wie sie etwa Galbraith gegen diese Annahme vorträgt. Denn in Wirklichkeit ist das Gegenteil richtig: Vermögende entziehen ihr Einkommen dem Wirtschaftskreislauf. Das ist empirisch unbestritten: je höher das Einkommen, ein um so geringerer Anteil von den Einkommen wird für Konsum verwendet und ein um so größerer Anteil bleibt zu Spekulationszwecken in der Kasse.

Das Ausmaß des Investitionen verwendeten Anteils hängt vorrangig von den Ertragsaussichten ab. Diesen Sachverhalt hat Keynes, ein britischer Ökonom der 30iger Jahre, erforscht: wenn die Nachfrage nachläßt, wenn Ertragsaussichten ungünstig erscheinen, dann gehen auch die Investitionen und die Wirtschaftstätigkeit zurück, da können die Steuern noch so niedrig und die Einkommen der Reichen noch so hoch sein. Dies führt bei den unteren Bevölkerungsschichten zu harten Konsequenzen wie Zunahme von Erwerbslosigkeit und deshalb auch Armut. Keynes leitete aus diesen Überlegungen die nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik ab: Um einem krisenhaften Rückgang der Wirtschaftstätigkeit entgegenzusteuern, soll der Staat einspringen, selber als Nachfrager auftreten, auf diese Weise die gesamtwirtschaftliche Nachfrage aufrechterhalten, und Beschäftigung schaffen.

Die nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik ist aus unterschiedlichen Gründen unter Beschuss geraten:
- Im Vertrauen auf die Unkenntnis und die Gedankenlosigkeit der Benachteiligten wird in der öffentlichen Diskussion mitunter schlicht behauptet, die nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik sei zu teuer, und es müsse gespart werden; der ideologische Charakter dieses Argumentes ist offensichtlich: diese Wirtschaftspolitik ist ganz einfach zu teuer für die Reichen, die mehr Steuern zahlen sollen und dies nicht wollen.
Aber es gibt interessantere Gegenargumente:
- Der Staat kann seine Nachfrage-schaffenden Ausgaben durch Kreditaufnahme finanzieren und (gedacht ist immmer: vorübergehend, um einen konjunkturellen Abschwung aufzufangen) eine Erhöhung des Defizites in Kauf nehmen; in der Einleitung wurde bereits erwähnt, daß in der Tat das deficit spending zu einer zunehmenden Belastung des öffentlichen Haushaltes durch Zinszahlungen an die Gläubiger führt. Das ist das einzige Argument vom derzeitigen Finanzminister Eichel; seine Behauptung, es gebe "keine Alternative zum Sparen", ist glatt gelogen, denn selbstverständlich gibt es die Alternative, die Einnahmen durch stärkere Inanspruchnahme der Einkommen und Vermögen der Reichen (durch Steuern und andere Abgaben) zu erhöhen.
- Hier würde das neoklassisches Argument auf den Plan treten: durch die staatliche Nachfrage wird die private Nachfrage verdrängt, das Nachfragevolumen insgesamt erhöht sich gar nicht: was der Staat mehr nachfragt, entspricht der Einbuße an Nachfrage seitens der Unternehmer. Allerdings geht diese Rechnung deshalb nicht auf, da die private Investitions-Nachfrage von den Ertragsaussichten abhängt und, anders als beim öffentlichen Haushalt immer die Option der spekulativen Geldalage offensteht (siehe oben).
- Es mag zwar sein, würde die Neoklassik des weiteren sagen ,daß durch staatliche Ausgaben die gesamtwirtschaftliche Nachfrage stabilisiert werden kann; aber hinsichtlich des Angebotes von Gütern und Leistungen ist die Privatwirtschaft grundsätzlioch effizienter als der Staat. Dies ist ein zentrales Argument für Privatisierungen staatlicher Einrichtungen.
- Interessant wird es, wenn von seiten der Neoklassik ein Freiheitsargument angeführt wird: die gesellschaftliche Wohlfahrt wird durch private Anbieter, die auf dem Markt im Wettbewerb um Kunden stehen besser verwirklicht als durch einen tendenziell immer autoritären Versorgungs-Staat.
- In die selbe Richtung zielt die Kritik von links: hier geht es ausdrücklich um die autoritäre Vorgehensweise des staatlichen Handelns. Denn um die Frage, wie der Staat eingreifen soll, was er finanzieren soll, welche Beschäftigung er schaffen soll, also um den ganzen qualitativem Aspekt, haben sich die Volkswirte nur in Ausnahmefällen gekümmert. Diese Kritik trifft einen Aspekt des orthodoxen Keynesianismus, auch Vulgärkeynesianismus genannt.
Der Bau von Autobahnen dient hierbei genauso der Belebung der Wirtschaft wie die Finanzierung von alternativen Kultur-Projekten. Kennzeichen dieses orthodoxen Keynesianismus ist der Vorrang der Beschäftigung: Hauptsache, möglichst viel Arbeit wird geschaffen, und zwar eine Arbeit, die von oben festgelegt wird.

Das gesellschaftliche Ziel einer sowohl stabilen als auch liberalen Wirtschaft vorausgesetzt, erscheint nun das Existenzgeld geradezu als eine notwendige Rahmenbedingung: es sorgt als konstante, vom Strukturwandel unabhängige Massenkaufkraft, die auch als stabile gesamtwirtschaftliche Nachfrage wirksam wird, denn die ärmeren Leute geben ihr Geld aus und spekulieren nicht; und es gewährleistet ein auf den Prioritäten der existenzgeldgestützten MarktteilnehmerInnen basierendes freies Marktgeschehen.

Zur Illustration zwei Entwicklungspfade für den sogenannten Dritten Sektor:
a) Die autoritäre Variante wäre ein ausgelagerter öffentlicher Dienst, ein bürokratisch kontrollierter Arbeitsdienst für Arbeitslose. Gekennzeichnet wäre er von ganz normaler, fremdbestimmter, bloß miserabel bezahlter Erwerbsarbeit,
b) Die freiheitsorientierte Variante des Dritten Sektors ermöglicht unter Existenzgeldbedingungen selbstbestimmtes gesellschaftliches Handeln und Eigeninitiative.
Eine geeigntete, demokratisch hervorgerufene Werkstättenlandschaft wäre die für sinnvolle selbstgewählte Tätigkeiten notwendige Infrastruktur.
 

C. Die beiden Alternativen, die in der Geschichte des Kapitalismus vorherrschten, beinhalteten beide die Aufrechterhaltung des Zwanges zur (Erwerbs- bzw. Zwangs-) Arbeit:
In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit bestand der Zwang zur Arbeit aufgrund materieller Not. Die industrielle Reservearmee, die Massen der Erwerbslosen hatten keine andere Wahl als sich um Arbeit zu bemühen, auch zu geringen Löhnen.
"Hitler hatte bereits herausgefunden, wie man Arbeitslosigkeit beseitigt, bevor Keynes die Erklärung beendet hatte, wieso sie entstand", sagt die Ökonomin Joan Robinson. Die zweite Alternative war autoritäre nachfrageorientierte Politik. Im deutschen Nationalsozialismus bestand sie in Zwangsarbeit, mündete in Kriegsvorbereitung und in den Krieg. Kalecki beschreibt, daß der "kapitalistische Widerstand gegen die Vollbeschäftigung" nur durch einen autoritären Staat überwunden werden konnte/besänftigt werden konnte, in dem "der wirtschaftliche Druck, den die Arbeitslosigkeit ausübt, durch politischen Druck ersetzt ist" (Kalecki, S. 238). Der zweite, staatlich finanzierte Arbeitsmarkt in der BRD, in den 80iger und frühen 90iger Jahren noch eine zwar ungeliebte aber nützliche Geldquelle für verschiedenste kuklturelle und soziale Initiativen und Projekte, erhält immer mehr den ihm auch gesetzlich zugedachten Charakter eines Disziplinierungsinstrumentes.

D. Ausgehend von den hier vorgetragenen ökonomischen Überlegungen ist es interessant, den Gedanken einer liberalen Gesellschaft aufzugreifen und weiterzudenken. Das bis zum Überdruß bekannte Hauptargument der liberalen Ökonomen lautet, daß eine autoritäre zentrale Verwaltungswirtschaft, eine "sozialistische Kommandowirtschaft" jegliche unternehmerische Initiative abtötet, daß sie die in den Fähigkeiten und Interessen der Individuen (der Unternehmer) liegenden gesellschaftlichen Wohlfahrtspotentiale lähmt, daß sie deshalb ineffizient und der freien Marktwirtschaft unterlegen sei. Von denselben Ökonomen weniger beachtet wird der Umstand, daß die reale Freiheit der unternehmerischen Gestaltung höchst ungleich verteilt und schlicht von den Ausgangsbedingungen, sprich vom Vermögen, abhängt. Es macht einen Unterschied, ob ich in der Lage bin, mit viel Zeit und viel Aufwand einen neuen KFZ-Typ oder eine neue Software-Generation zu entwickeln oder ob ich meine Lebensmittel für den heutigen Tag damit erwerben muß, indem ich Autofahrer an der roten Ampel mit meinem Angebot belästige, ihre Autofensterscheiben zu wischen. In beiden Fällen handelt es sich im weitesten Sinne um unternehmerische Initiative; die Ideologie stellt den armen kleinen Mann (weniger die Frau) eher als frei und unbeschwert von den ganz großen Sorgen dar, während der langfristig investierende Vermögende geradezu erdrückt wird von der Last des besonders großen Risikos und der großen gesellschaftlichen Verantwortung.
Es wäre aufzuzeigen, daß der unmittelbaren Zwang zur Erwerbsarbeit eine Freiheitseinschränkung ist, die nicht nur politisch nicht hinnehmbar ist, sondern auch - analog zur Freiheitseinschränkung durch eine zentrale Verwaltung der Volkswirtschaft - mögliche Initiativen fesselt und Wohlfahrtspotentiale verschüttet. Das Existenzgeld, das die Individuen von der Notdurft der unmittelbaren Existenzsicherung befreit, wäre in diesem Sinne eine folgerichtige ergänzende Rahmenbedingung einer liberalen Gesellschaft.

Das Existenzgeld hat sich bisher bekanntlich nicht durchgesetzt: das Primat der Beschäftigung ist übermächtig, auch in den Köpfen der Beschäftigten bzw. der von Beschäftigung Bedrohten selbst. Hierzu äußert sich die akademische Volkswirtschaftslehre nicht. Der linke Ökonom Galbraith empfiehlt, sich damit als etwas Unabänderlichem abzufinden, wenn man ernsthaft und pragmatisch die Armut bekämpfen will. Fraglich ist, ob es wirklich die pragmatische, erfolgsorientierte Vorgehensweise ist, wenn man die ins Auge springende Doppelmoral der Arbeit aus der Theorie ausblendet: Fortbestand der protestantischen Arbeitsethik, die laut Max Weber ein wesentlicher Bestandteil der Erfolgsgeschichte des Kapitalismus ist, auf der einen Seite; die Haltlosigkeit dieser Ethik in einem entwickelten Kapitalismus, dessen
Erfolg längst darin besteht, Arbeit zu "vernichten". Getragen wird diese Doppelmoral von einem autoritätsfixierten, freiheitsfeindlichen Charakter, der sich unsinnigen Zwängen mitunter unwillig aber grundsätzlich widerstandslos unterwirft und rachsüchtig dafür Sorge trägt, daß auch die anderen unterdrückt werden.

Jedoch genügt ein Blick in eine beliebige Boulevardzeitung, um zu erkennen,
Immerhin würde das Existenzgeld eine Säule des Kapitalismus zum Einsturz bringen: den Zwang zur Lohnarbeit (" 'Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot verdienen', fordern die Grundprinzipien der kapitalistischen Ethik - es sei denn, du verfügst zufällig über Vermögen' " Kalecki S.237).
Dann gibt es da noch die
oder den autoritätsgebundenen Charakter, den die Kritische Theorie der Frankfurtere Schule untersucht hat,
aber das wären neue Themen.

Autoritätsfixierung: daß Arbeit etwas sein müsse, was von einem Arbeit"geber" "gegeben" werden müsse

Existenzgeld
- ermöglicht selbstbestimmtes Leben
- setzt politische Bewegung voraus, die gegen Fremdbestimmung kämpft (setzt also das voraus, was es dann ermöglichen soll)
(Kreis aufmalen)
Es ist zu befürchten, daß es nicht gelingen wird, eine autoritätsfixierte Gesellschaft mittels Existenzgeld zur Selbstbefreiung zu überlisten

Offene, unbehandelte Punkte: ich will gar kein Wirtschaftswachstum, sondern schrumpfende Wirtschaft mit mehr Wohlfahrt.
 

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