Es gilt die Ansicht, daß sinkende Einkommen (der Armen) und zunehmende Existenzangst zwar unangenehm für die betroffenen Menschen aber gut für die Wirtschaft sind. Und was gut für die Wirtschaft ist, ist irgendwann später auch wieder gut für die Menschen. Das ist das überraschend simple Rezept der Experten und Wissenschaftler in Sachen Volkswirtschaft: die Reichen müssen noch reicher und die Armen noch ärmer werden. Denn nur wenn sie noch mehr Geld haben, können die Reichen mehr investieren. Und nur wenn die Armen noch weniger Geld haben, werden sie qua Existenzangst ausreichend dazu ermuntert, sich mit tüchtiger Mitarbeit, ohne zu murren, am Erstarken der Volkswirtschaft zu beteiligen. Zu viel Gleichverteilung führt zu einer Lähmung der Wirtschaft (keine Investitionen, keine Arbeitsbereitschaft), zunehmende Ungleichverteilung führt dynamisierend die Wirtschaft in einen Heilungsprozess, der in einer ungewissen Zukunft allen zugute kommt. Dies beinhaltet die Feststellung, die Arbeit sei zu teuer: denn zum einen ist es der Sozialstaat, dem zu einem gewichtigen Teil die Lohnnebenkosten, die die Arbeit verteuern, dienen; und zum anderen erlauben die sozialstaatlichen Standards, die noch gelten, den Betroffenen, daß sie nicht zu einem beliebig niedrigen Lohn ihre Arbeitskraft anbieten.
Die Einführung des Existenzgeldes wäre zum einen mit einer erheblichen Umverteilung von oben nach unten verbunden und würde (das ist sein Sinn) zum zweiten allen Gesellschaftsmitgliedern ein ausreichendes Einkommen garantieren, das sie vom Zwang zu fremdbestimmter Arbeit gänzlich befreit.
Beides ist der herrschenden Doktrin diametral entgegengesetzt. Deshalb wird das Existenzgeld nicht einmal als Thema zur Kenntnis genommen, geschweige denn als Alternative zum "Sparen" ernstlich diskutiert.
Hier folgen nun zwei Argumente, die sich völlig in der gängigen
akademischen nicht-marxistischen VWL bewegen und die darauf hinauslaufen,
dass das Existenzgeld
- marktkonform ist, indem es den Arbeitsmarkt verbessert
- für die Volkswirtschaft gut, weil stabilisierend, ist.
Zentraler Bestandteil der Neoklassik, der bei weitem vorherrschenden volkswirtschaftlichen Theorie, ist das Modell des Marktes; dieses Modell wird auch auf den Arbeitsmarkt angewendet. Auf dem Markt treffen immer Angebot und Nachfrage aufeinander, die Vertragspartner wägen Vor- und Nachteile des zu schließenden Kaufvertrages ab und einigen sich schließlich auf einen auf diese Weise marktförmig entstandenen Preis. Beide haben ihren Nutzen maximiert.
Beim Arbeitsmarkt:
- Anbieter sind diejenigen, die ihre Arbeitskraft zum Verkauf anbieten,
also die sogenannten Arbeitnehmer: die für Märkte typische Abwägung
zwischen Vor- und Nachteilen ist hier die Abwägung zwischen der Arbeit,
also dem erlittenen Schaden, dem Freizeitverlust auf der einen Seite und
dem Lohn, der Entschädigung für die verrichteten fremdbestimmten
Dienste auf der anderen Seite. Hier zeigt sich übrigens ein zentraler
Bestandteil des Menschenbildes der Neoklassik: Arbeit ist Leid; der Arbeits-Lohn
die Entschädigung dafür.
- Nachfrager sind diejenigen, die sich Arbeitskraft einkaufen wollen,
also die sogenannten Arbeitgeber. Sie wägen ab zwischen dem Wert der
Produktion, dem Nutzen, der von der Arbeitskraft zu erwarten ist, und den
Kosten, die sie verursacht (also den gesamten Lohnkosten)
Der Preis der Ware Arbeitskraft ist der vereinbarte Lohn.
Auf dem Arbeitsmarkt gibt es nun eine entscheidende Besonderheit: Die Arbeitskraft ist eine ganz besondere Ware: sie ist mit der Person, die sie anbietet, fest verbunden, und der Arbeit-anbietende Mensch ist darauf angewiesen, seine Arbeitskraft zu verkaufen, weil er das Einkommen zur Existenzsicherung braucht, falls er oder sie nicht eine anderweitige Versorgung hat. (Hier Quelle angeben woher ich den Gedanken habe) Also: mit dem freien Abwägen der Vor- und Nachteile, wie es so auf den Märkten der Neoklassik stattfindet, ist es auf dem Arbeitsmarkt nicht so weit her: Der Arbeitskraft-Anbieter (der oder die Arbeit-Suchende) kann sich in aller Regel nicht so frei entscheiden, ob er den Vertrag abschließt oder nicht; sondern ist zur Einigung, gezwungen. Es gibt also einseitige Einigungszwänge, eine beträchtliche Macht-Asymmetrie. Die Arbeitskraft-Nachfrager haben wesentlich mehr Macht. (Kontrahierungszwang)
Das hat zwei Konsequenzen:
a) In der heraufziehenden Dienstbotengesellschaft werden für jeden
Mist Arbeitskräfte gefunden, denn die Möglichkeit, nein zu sagen,
haben die Leute eben nicht: sondern sie müssen sich verkaufen. Die
Reichen können ihr überzogenes Anspruchsdenken hemmungslos ausleben,
können Arbeit einkaufen, um sich nach Belieben bedienen zu lassen,
können eine neuzeitliche Sklavenhaltermentalität kultivieren
und öffentlich zelebrieren. Daß sie anderen mit ihren Wünschen
nichts als Arbeit machen, gilt nicht als Ärgernis, sondern als die
durch nichts zu übertreffende Wohltat der "Schaffung von Arbeit".
b) Der Preis der Ware Arbeit ist eben kein Marktpreis; der Arbeit-Suchende
kann nicht, wie z.B. im Immobiliengeschäft, mit dem Verkauf warten,
bis der Preis stimmt. Denn dann nimmt der Arbeitskraft-Nachfrager einfach
einen Konkurrenten. Dies gilt zumal unter der Bedingung der Massenarbeitslosigkeit:
Marx kennzeichnete die Arbeitslosen als die industrielle Reservearmee.
Wenn der Preis zu niedrig ist, muß der Arbeitskraft-Anbieter sein
Angebot an Arbeit sogar vergrößern, um einkommensmäßig
über die Runden zu kommen. Die Arbeitskraft-Anbieter geraten hier
in eine Unterbietungskonkurrenz: alle wollen aus verständlichen Gründen
nicht gänzlich vor die Hunde gehen und bieten sich noch billiger an;
spieltheoretisch betrachtet ist das ein Negativsummenspiel; das Ergebnis
ist für die Gesamtheit der Arbeitskraft-Anbieter schlecht; die Spirale
führt nach unten, ist ein "race to the bottom".
Was hat das mit dem Existenzgeld zu tun: erst wenn Alle Existenzgeld beziehen würden, wären sie Marktteilnehmer im Sinne der Neoklassik, könnten wie in der Theorie zwischen Vor- und Nachteilen abwägen und könnten auch mal Nein sagen. Vorausgesetzt, das angestrebte Konsumniveau liegt nicht über den Möglichkeiten, die das Existenzgeld bietet, bestünde keinerlei Zwang mehr zum Abschluß eines Arbeitsvertrages.
Fazit des ersten Argumentes: Existenzgeld ermöglicht marktförmiges
Handeln der Arbeitskraft-Anbieter: sie könnten abwägen zwischen
Vor- und Nachteilen der Arbeit;
- sie müßten sich nicht mehr an ihre Arbeitsplätze
klammern: das Gejammer über die unerwünschte Arbeit ("wann ist
denn endlich Wochenende") wäre sachlich nicht mehr gerechtfertigt;
die Existenzgeld-Gesellschaft wäre eine "Gesellschaft ohne Ausrede")
- sie müssen nicht mehr sich mit Arbeiten durchschlagen, die weder
ihrer Neigung noch ihrer Eignung entsprechen, sie wären nicht zu Dienstleistungen
gezwungen; es würde, wenn überhaupt, ein freier Dienstleistungssektor
entstehen, aber kein prekarisierter, der für die Dienstkräfte
jenseits der nackten Existenzsicherung keinerlei Befriedigung oder Sinn
bietet.
Alles in allem wäre der Arbeitsmarkt gekennzeichnet durch eine
verbesserte Allokationseffizienz: das bedeutet, die Leute könnten
mehr ausprobieren, so nach und nach das lernen, was sie am besten können
und was sie am liebsten machen, was sie "wirklich wirklich tun wollen"
(Fritjof Bergmann) und alle könnten "ihren Platz im Leben finden".
Letztlich nicht sicher zu prognostizieren ist die Reaktion des Arbeitsangebotes.
Die Befürworter des durch das Existenzgeld verwirklichten individuellen
Freiheitszuwachses stellen ein prosperierendes Wirtschaftsleben in Aussicht,
in dem nicht nur alle tun was sie wollen, sondern in dem alle (bzw. hinreichend
viele) auch gern und viel tätig sind, in dem es keine "inneren Kündigungen"
geben wird, sondern ein produktives und ertragreiches Geschehen sich einstellen
wird, innerhalb und jenseits des Wettbewerbs des Marktes. Wer dagegen den
Zwang zur Arbeit befürwortet, wird vorzugsweise ein sich schlagartig
ausbreitendes Untätigwerden bis hin zu Versorgungsengpässen prognostizieren.
An dieser Stelle bietet sich ein (vereinfachender) Vergleich zwischen
dem Existenzgeld und den gängigen Konzepten der negativen Einkommensteuer
an. Formal sind beide strukturgleich: Es gibt ein Mindesteinkommen für
alle Personen, jeder Hinzuverdienst zu diesem Mindesteinkommen wird besteuert
(bzw. mittels "take half" halbiert), so daß ab einer bestimmten Höhe
des selbstverdienten Einkommens der Betrag des abgegebenen Einkommens den
Betrag des erhaltenen Mindesteinkommens übersteigt und aus der negativen
Steuer (die der Betreffende erhält) eine positive, "normale" Steuer
wird, die gezahlt wird.
Die wesentlichen Unterschiede liegen in der Zielvorstellung:
die BezieherInnen von negativer Einkommensteuer sind aufgefordert,
sich aus dem "negativen Bereich" heraus emporzuarbeiten, sollen perspektivisch
wieder auf den sog. "eigenen Füßen" stehen.
Das Existenzgeld ist ein Menschenrecht und die pauschale Bezahlung
unspezifischer gesellschaftlicher Tätigkeiten.
Diese unterschiedliche Zielvorstellung findet ihren konkreten Ausdruck
in der geringen, zur Mehrarbeit "anreizenden" Höhe der negativen Einkommensteuer,
verbunden u.U. mit dem Zwang zur Arbeitsaufnahme. Das Existenzgeld dagegen
ist als dauerhaft bedarfsdeckend konzipiert.
2. zweites Argument: Umverteilung von reich nach arm stabilisiert die Wirtschaft
Die Umverteilung von Geld von wenigen Reichen zur breiten Masse der Bevölkerung in Form des Existenzgeldes erfüllt nicht nur den beabsichtigten politisch-menchenrechtlich-humanitären Anspruch, sondern sichert ganz nebenbei noch automatisch eine stabile Wirtschaftsentwicklung: die vorhandene Massenkaufkraft sorgt für eine dauerhafte Nachfrage auf den Konsumgütermärkten und verhindert konjunkturelle Einbrüche.
Um zu diesem Argument zu kommen, ist es sinnvoll, die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik von der nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik zu unterscheiden und einige Merkmale und Optionen von nachfrageorientierten Wirtschaftspolitiken darzustellen.
Die z. Zt. vorherrschende angebotsorientierte Wirtschaftspolitik zielt
darauf ab, die Wettbewerbsbedingungen für die Unternehmen durch staatliches
Handeln zu verbessern. Die politisch-moralische Rechtfertigung lautet:
Erwerbslosigkeit und Armut werden dann verschwinden, wenn die Unternehmer
die Ertragsaussichten als so gut einschätzen, dass sie mehr Arbeitskräfte
einstellen und damit die Arbeitslosigkeit verringern.
Was wird vom Staat gefordert: Vor allem Senkung der Steuern;
Diese Forderung basiert auf der Annahme, daß dann die Vermögenden
mehr Geld für Investitionen übrig haben, und mit den von ihnen
getätigten Investitionen Beschäftigung schaffen werden, was allen
zugute kommt. Die Vermögenden sind die Sachwalter des Gemeinwohls,
man muß pfleglich mit ihnen umgehen; durch Steuersenkung werden sie
zu sofortigem für die Allgemeinheit vorteilhaftem wirtschaftlichen
Handeln angeregt. Das war jetzt bereits die Polemik, wie sie etwa Galbraith
gegen diese Annahme vorträgt. Denn in Wirklichkeit ist das Gegenteil
richtig: Vermögende entziehen ihr Einkommen dem Wirtschaftskreislauf.
Das ist empirisch unbestritten: je höher das Einkommen, ein um so
geringerer Anteil von den Einkommen wird für Konsum verwendet und
ein um so größerer Anteil bleibt zu Spekulationszwecken in der
Kasse.
Das Ausmaß des Investitionen verwendeten Anteils hängt vorrangig von den Ertragsaussichten ab. Diesen Sachverhalt hat Keynes, ein britischer Ökonom der 30iger Jahre, erforscht: wenn die Nachfrage nachläßt, wenn Ertragsaussichten ungünstig erscheinen, dann gehen auch die Investitionen und die Wirtschaftstätigkeit zurück, da können die Steuern noch so niedrig und die Einkommen der Reichen noch so hoch sein. Dies führt bei den unteren Bevölkerungsschichten zu harten Konsequenzen wie Zunahme von Erwerbslosigkeit und deshalb auch Armut. Keynes leitete aus diesen Überlegungen die nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik ab: Um einem krisenhaften Rückgang der Wirtschaftstätigkeit entgegenzusteuern, soll der Staat einspringen, selber als Nachfrager auftreten, auf diese Weise die gesamtwirtschaftliche Nachfrage aufrechterhalten, und Beschäftigung schaffen.
Die nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik ist aus unterschiedlichen
Gründen unter Beschuss geraten:
- Im Vertrauen auf die Unkenntnis und die Gedankenlosigkeit der Benachteiligten
wird in der öffentlichen Diskussion mitunter schlicht behauptet, die
nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik sei zu teuer, und es müsse
gespart werden; der ideologische Charakter dieses Argumentes ist offensichtlich:
diese Wirtschaftspolitik ist ganz einfach zu teuer für die Reichen,
die mehr Steuern zahlen sollen und dies nicht wollen.
Aber es gibt interessantere Gegenargumente:
- Der Staat kann seine Nachfrage-schaffenden Ausgaben durch Kreditaufnahme
finanzieren und (gedacht ist immmer: vorübergehend, um einen konjunkturellen
Abschwung aufzufangen) eine Erhöhung des Defizites in Kauf nehmen;
in der Einleitung wurde bereits erwähnt, daß in der Tat das
deficit spending zu einer zunehmenden Belastung des öffentlichen Haushaltes
durch Zinszahlungen an die Gläubiger führt. Das ist das einzige
Argument vom derzeitigen Finanzminister Eichel; seine Behauptung, es gebe
"keine Alternative zum Sparen", ist glatt gelogen, denn selbstverständlich
gibt es die Alternative, die Einnahmen durch stärkere Inanspruchnahme
der Einkommen und Vermögen der Reichen (durch Steuern und andere Abgaben)
zu erhöhen.
- Hier würde das neoklassisches Argument auf den Plan treten:
durch die staatliche Nachfrage wird die private Nachfrage verdrängt,
das Nachfragevolumen insgesamt erhöht sich gar nicht: was der Staat
mehr nachfragt, entspricht der Einbuße an Nachfrage seitens der Unternehmer.
Allerdings geht diese Rechnung deshalb nicht auf, da die private Investitions-Nachfrage
von den Ertragsaussichten abhängt und, anders als beim öffentlichen
Haushalt immer die Option der spekulativen Geldalage offensteht (siehe
oben).
- Es mag zwar sein, würde die Neoklassik des weiteren sagen ,daß
durch staatliche Ausgaben die gesamtwirtschaftliche Nachfrage stabilisiert
werden kann; aber hinsichtlich des Angebotes von Gütern und Leistungen
ist die Privatwirtschaft grundsätzlioch effizienter als der Staat.
Dies ist ein zentrales Argument für Privatisierungen staatlicher Einrichtungen.
- Interessant wird es, wenn von seiten der Neoklassik ein Freiheitsargument
angeführt wird: die gesellschaftliche Wohlfahrt wird durch private
Anbieter, die auf dem Markt im Wettbewerb um Kunden stehen besser verwirklicht
als durch einen tendenziell immer autoritären Versorgungs-Staat.
- In die selbe Richtung zielt die Kritik von links: hier geht es ausdrücklich
um die autoritäre Vorgehensweise des staatlichen Handelns. Denn um
die Frage, wie der Staat eingreifen soll, was er finanzieren soll, welche
Beschäftigung er schaffen soll, also um den ganzen qualitativem Aspekt,
haben sich die Volkswirte nur in Ausnahmefällen gekümmert. Diese
Kritik trifft einen Aspekt des orthodoxen Keynesianismus, auch Vulgärkeynesianismus
genannt.
Der Bau von Autobahnen dient hierbei genauso der Belebung der Wirtschaft
wie die Finanzierung von alternativen Kultur-Projekten. Kennzeichen dieses
orthodoxen Keynesianismus ist der Vorrang der Beschäftigung: Hauptsache,
möglichst viel Arbeit wird geschaffen, und zwar eine Arbeit, die von
oben festgelegt wird.
Das gesellschaftliche Ziel einer sowohl stabilen als auch liberalen Wirtschaft vorausgesetzt, erscheint nun das Existenzgeld geradezu als eine notwendige Rahmenbedingung: es sorgt als konstante, vom Strukturwandel unabhängige Massenkaufkraft, die auch als stabile gesamtwirtschaftliche Nachfrage wirksam wird, denn die ärmeren Leute geben ihr Geld aus und spekulieren nicht; und es gewährleistet ein auf den Prioritäten der existenzgeldgestützten MarktteilnehmerInnen basierendes freies Marktgeschehen.
Zur Illustration zwei Entwicklungspfade für den sogenannten Dritten
Sektor:
a) Die autoritäre Variante wäre ein ausgelagerter öffentlicher
Dienst, ein bürokratisch kontrollierter Arbeitsdienst für Arbeitslose.
Gekennzeichnet wäre er von ganz normaler, fremdbestimmter, bloß
miserabel bezahlter Erwerbsarbeit,
b) Die freiheitsorientierte Variante des Dritten Sektors ermöglicht
unter Existenzgeldbedingungen selbstbestimmtes gesellschaftliches Handeln
und Eigeninitiative.
Eine geeigntete, demokratisch hervorgerufene Werkstättenlandschaft
wäre die für sinnvolle selbstgewählte Tätigkeiten notwendige
Infrastruktur.
C. Die beiden Alternativen, die in der Geschichte des Kapitalismus vorherrschten,
beinhalteten beide die Aufrechterhaltung des Zwanges zur (Erwerbs- bzw.
Zwangs-) Arbeit:
In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit bestand der Zwang zur Arbeit aufgrund
materieller Not. Die industrielle Reservearmee, die Massen der Erwerbslosen
hatten keine andere Wahl als sich um Arbeit zu bemühen, auch zu geringen
Löhnen.
"Hitler hatte bereits herausgefunden, wie man Arbeitslosigkeit beseitigt,
bevor Keynes die Erklärung beendet hatte, wieso sie entstand", sagt
die Ökonomin Joan Robinson. Die zweite Alternative war autoritäre
nachfrageorientierte Politik. Im deutschen Nationalsozialismus bestand
sie in Zwangsarbeit, mündete in Kriegsvorbereitung und in den Krieg.
Kalecki beschreibt, daß der "kapitalistische Widerstand gegen die
Vollbeschäftigung" nur durch einen autoritären Staat überwunden
werden konnte/besänftigt werden konnte, in dem "der wirtschaftliche
Druck, den die Arbeitslosigkeit ausübt, durch politischen Druck ersetzt
ist" (Kalecki, S. 238). Der zweite, staatlich finanzierte Arbeitsmarkt
in der BRD, in den 80iger und frühen 90iger Jahren noch eine zwar
ungeliebte aber nützliche Geldquelle für verschiedenste kuklturelle
und soziale Initiativen und Projekte, erhält immer mehr den ihm auch
gesetzlich zugedachten Charakter eines Disziplinierungsinstrumentes.
D. Ausgehend von den hier vorgetragenen ökonomischen Überlegungen
ist es interessant, den Gedanken einer liberalen Gesellschaft aufzugreifen
und weiterzudenken. Das bis zum Überdruß bekannte Hauptargument
der liberalen Ökonomen lautet, daß eine autoritäre zentrale
Verwaltungswirtschaft, eine "sozialistische Kommandowirtschaft" jegliche
unternehmerische Initiative abtötet, daß sie die in den Fähigkeiten
und Interessen der Individuen (der Unternehmer) liegenden gesellschaftlichen
Wohlfahrtspotentiale lähmt, daß sie deshalb ineffizient und
der freien Marktwirtschaft unterlegen sei. Von denselben Ökonomen
weniger beachtet wird der Umstand, daß die reale Freiheit der unternehmerischen
Gestaltung höchst ungleich verteilt und schlicht von den Ausgangsbedingungen,
sprich vom Vermögen, abhängt. Es macht einen Unterschied, ob
ich in der Lage bin, mit viel Zeit und viel Aufwand einen neuen KFZ-Typ
oder eine neue Software-Generation zu entwickeln oder ob ich meine Lebensmittel
für den heutigen Tag damit erwerben muß, indem ich Autofahrer
an der roten Ampel mit meinem Angebot belästige, ihre Autofensterscheiben
zu wischen. In beiden Fällen handelt es sich im weitesten Sinne um
unternehmerische Initiative; die Ideologie stellt den armen kleinen Mann
(weniger die Frau) eher als frei und unbeschwert von den ganz großen
Sorgen dar, während der langfristig investierende Vermögende
geradezu erdrückt wird von der Last des besonders großen Risikos
und der großen gesellschaftlichen Verantwortung.
Es wäre aufzuzeigen, daß der unmittelbaren Zwang zur Erwerbsarbeit
eine Freiheitseinschränkung ist, die nicht nur politisch nicht hinnehmbar
ist, sondern auch - analog zur Freiheitseinschränkung durch eine zentrale
Verwaltung der Volkswirtschaft - mögliche Initiativen fesselt und
Wohlfahrtspotentiale verschüttet. Das Existenzgeld, das die Individuen
von der Notdurft der unmittelbaren Existenzsicherung befreit, wäre
in diesem Sinne eine folgerichtige ergänzende Rahmenbedingung einer
liberalen Gesellschaft.
Das Existenzgeld hat sich bisher bekanntlich nicht durchgesetzt: das
Primat der Beschäftigung ist übermächtig, auch in den Köpfen
der Beschäftigten bzw. der von Beschäftigung Bedrohten selbst.
Hierzu äußert sich die akademische Volkswirtschaftslehre nicht.
Der linke Ökonom Galbraith empfiehlt, sich damit als etwas Unabänderlichem
abzufinden, wenn man ernsthaft und pragmatisch die Armut bekämpfen
will. Fraglich ist, ob es wirklich die pragmatische, erfolgsorientierte
Vorgehensweise ist, wenn man die ins Auge springende Doppelmoral der Arbeit
aus der Theorie ausblendet: Fortbestand der protestantischen Arbeitsethik,
die laut Max Weber ein wesentlicher Bestandteil der Erfolgsgeschichte des
Kapitalismus ist, auf der einen Seite; die Haltlosigkeit dieser Ethik in
einem entwickelten Kapitalismus, dessen
Erfolg längst darin besteht, Arbeit zu "vernichten". Getragen
wird diese Doppelmoral von einem autoritätsfixierten, freiheitsfeindlichen
Charakter, der sich unsinnigen Zwängen mitunter unwillig aber grundsätzlich
widerstandslos unterwirft und rachsüchtig dafür Sorge trägt,
daß auch die anderen unterdrückt werden.
Jedoch genügt ein Blick in eine beliebige Boulevardzeitung, um
zu erkennen,
Immerhin würde das Existenzgeld eine Säule des Kapitalismus
zum Einsturz bringen: den Zwang zur Lohnarbeit (" 'Im Schweiße deines
Angesichts sollst du dein Brot verdienen', fordern die Grundprinzipien
der kapitalistischen Ethik - es sei denn, du verfügst zufällig
über Vermögen' " Kalecki S.237).
Dann gibt es da noch die
oder den autoritätsgebundenen Charakter, den die Kritische Theorie
der Frankfurtere Schule untersucht hat,
aber das wären neue Themen.
Autoritätsfixierung: daß Arbeit etwas sein müsse, was von einem Arbeit"geber" "gegeben" werden müsse
Existenzgeld
- ermöglicht selbstbestimmtes Leben
- setzt politische Bewegung voraus, die gegen Fremdbestimmung kämpft
(setzt also das voraus, was es dann ermöglichen soll)
(Kreis aufmalen)
Es ist zu befürchten, daß es nicht gelingen wird, eine autoritätsfixierte
Gesellschaft mittels Existenzgeld zur Selbstbefreiung zu überlisten
Offene, unbehandelte Punkte: ich will gar kein Wirtschaftswachstum,
sondern schrumpfende Wirtschaft mit mehr Wohlfahrt.