Rifkins Hauptaugenmerk gilt der Analyse des unglaublichen Rationalisierungspotentials der kybernetischen Revolution, in deren Folge das Lohnarbeitsvolumen weltweit kontinuierlich und un- widerruflich vermindert wird (17ff). Der tertiäre Sektor wird entgegen den Annahmen vieler Politiker und Ökonomen die überflüssige (Lohn-)arbeitskraft des industriellen und des staatlichen Sektors nicht aufsaugen können. Der Autor zeigt an vielen Beispielen - vorzugsweise vor US-amerikanischem Hintergrund - wie der Einsatz modernster Technologie den Arbeitsprozeß revolutioniert und gleichzeitig das Gesamtvolumen der notwendigen Lohnarbeitszeit radikal reduziert.
In den meisten Industrieländern sind beispielsweise mehr als 75 Prozent aller Arbeitskräfte mit einfachen Routinetätigkeiten beschäftigt, die ebensogut von automatisierten Maschinen übernommen werden könnten. Nach neueren Untersuchungen haben weltweit noch nicht einmal fünf Prozent der Unternehmen mit der Einführung entsprechender Technologien begonnen (19). Als möglichen realen Trend auch für Deutschland erkannten dies bereits 1993 H.A. Henzler, Manager bei der Unternehmensberatung McKinsey, und der ehemalige CDU-Ministerpräsident Lothar Späth (heute Vorstandsvorsitzender von Jenoptik). In einem Buch prognostizierten sie den Wegfall von neun Millionen Arbeitsplätzen allein in Westdeutschland bei flächendeckendem Einsatz der heute bereits verfügbaren Technologie.2
Als Auslöser der großen Produktivitätssprünge erkennt Rifkin in erster Linie die Verknüpfung von Automatisierung, Reengineering und Lean Management vor allem bei global operierenden Konzernen. Indem die jeweilige betriebliche Organisation an die computergestützte Technologie angepaßt wird, fallen nicht nur niedrig eingestufte Arbeitsplätze weg, sondern auch die mittlere Verwaltungsebene verschwindet tendenziell im Zuge der Einebnung traditioneller Managementhierarchien. Hoffnungen auf den Dienstleistungssektor als Wegweiser zurück in die Vollbeschäftigung werden durch Forschungsergebnisse ad absurdum geführt: am Ende der 90er Jahre werden, so Rifkin im Jahre 1995, bei US-amerikanischen Handels- und Geschäftsbanken 30 bis 40 Prozent der Arbeits-
plätze weggefallen sein. Das entspricht einer Verminderung von etwa 700.000 Jobs pro Jahr (22). Dieser Trend läßt sich offenkundig auch für die europäische und deutsche Entwicklung prognostizieren. Ein Professor für Wirtschaftsinformatik an der Uni Würzburg hat 1997 eine Studie zur Beschäftigungsentwicklung im Dienstleistungssektor vorgelegt. Die zu erwartenden Auswirkungen der modernen Informationsverarbeitung in Verbindung mit neuen Formen der Arbeits- und Unternehmensorganisation gefährden demnach 6,7 von 15,3 Mio. Arbeitsplätze im deutschen Dienstleistungssektor. Am gravierendsten werden die Folgen auch hier im Bankengewerbe zu spüren sein. Denn etwa 80 Prozent des Bankgeschäfts bestehen aus beratungslosen Wiederholungsvorgängen, die vollständig zu automatisieren sind.3
Das vorhandene Rationalisierungspotential widerspricht also dem angeblichen "Hoffnungsträger tertiärer Sektor" ebenso sehr wie die Mär von der "Dienstleistungslücke" in der BRD. In deutschen Unternehmen, die offiziell dem Industriesektor zugerechnet werden, besteht häufig ein großer Teil der Tätigkeiten aus Dienstleistungen (Forschung, Entwicklung, Design, Qualitätskontrolle etc.). In den USA werden diese oder ähnliche Unternehmensbereiche verstärkt ausgelagert und gelten dann als eigenständige Dienstleistungsbetriebe und somit dem tertiären Sektor zugehörig. Dieser Aspekt wirkt sich statistisch aus. Das DIW stellte 1996 fest, daß in den USA 26 Prozent der Beschäftigten einer industriellen Tätigkeit nachgehen, während es in Westdeutschland 25 Prozent sind. 72 Prozent der ArbeitnehmerInnen der USA erbringen Dienstleistungstätigkeiten gegenüber 73 Prozent in Westdeutschland.4 In einem DIW-Wochenbericht des letzten Jahres heißt es lapidar: "Es gibt in Deutschland weder insgesamt noch im Hinblick auf einfache Tätigkeiten einen signifikanten Rückstand an Dienstleistungen im Vergleich zu den USA."5
Die Klassifizierung "Tertiärer Sektor" ist wegen seiner Unschärfe für unseren Zusammenhang im Grunde kaum brauchbar. Die Rede von der wachsenden gesamtwirtschaftlichen Bedeutung des Dienstleistungssektors reflektiert zudem in keinster Weise seine Heterogenität. Was haben ein Banker, ein Schuhputzer und eine Bedienerin am McDonalds-Tresen schon gemeinsam? Wenn hiesige Unternehmer ihre "Die-Deutschen-müssen-wieder-dienen-lernen"-Leier anstimmen, fordern sie die Ausweitung eines Niedriglohnsektors zur Überwindung der sogenannten Beschäftigungskrise. Die "Jobmaschine USA" wird dann in aller Regel als großes Vorbild angepriesen. Die häufig vertretene These, daß die USA vorwiegend Arbeitsplätze im Niedriglohnbereich des Dienstleistungssektors ("McJobs") geschaffen haben, ist empirisch aber nicht belegbar. Im Vergleich zum Hochlohnsektor Finanzdienstleistungen fielen in den 90er Jahren die Zuwächse im Billiglohnbereich Handel und personenbezogene Dienste eher gering aus.6 Die Entwicklung der Produktions- und Arbeitsorganisationstechnik mindert die Bedeutung von unqualifizierter Arbeit in großem Maßstab. Diese objektive Tendenz aber wird von führenden deutschen Politikern und Wirtschaftsbossen verschleiert, indem immer wieder ein angeblicher Nachholbedarf der BRD im Dienstleistungsbereich vorzugsweise gegenüber den USA, Dänemark und den Niederlanden konstatiert wird.7 Ziel ist die Einführung eines Kombilohns, um der "Dienstbotengesellschaft" einen großen Schritt näherzukommen. Wie die Erfahrungen in den USA aber gezeigt haben, tragen Lohnsubventionen auf deregulierten Arbeitsmärkten nicht zur Beschäftigungssteigerung bei, sondern mildern allenfalls die Armut der "Working poor" - und legitimieren damit Löhne unterhalb des Existenzminimums.8
Welchen Weg schlägt Jeremy Rifkin vor? Er macht deutlich, daß heute alle klassischen Sektoren, also Landwirtschaft, Industrie und Dienstleistungen gleichermaßen von Automatisierung und Umstrukturierungen betroffen sind. Ein neuer, "vierter" Sektor, der die überschüssigen Arbeitskräfte aufnehmen könnte, ist nicht in Sicht. Die mögliche Lösung der Probleme erkennt Rifkin, wie gesehen, in einer Sphäre jenseits von Markt und Staat, also in einem Bereich der "sozialen Verantwortlichkeit" (183), den er den "dritten" Sektor nennt. Dieser Begriff des "Dritten Sektors" entstammt der politikwissenschaftlichen Diskussion und soll als Basis eines neuen Gesellschaftsvertrages dienen. Das Leben und die Arbeit in diesem Non-Profit-Bereich werden einerseits als Garant für die Grundversorgung der Bevölkerung gesehen, andererseits zur Vorbedingung des (Wieder-)Aufbaus lokaler Strukturen erklärt. Der entstehende "Geist der Gemeinnützigkeit" wird sich "vom Nützlichkeitsdenken des Marktsektors grundlegend" unterscheiden (186). Die staatliche Gewährung eines individuellen "Sozialeinkommens" (187) ist nach Meinung des Autors allerdings an die Pflicht zur gemeinnützigen Arbeit gekoppelt, wobei über die Höhe des Einkommens keinerlei Angaben gemacht werden.
Wie nun steht das Konzept des Existenzgeldes zu Rifkin und seinen Folgerungen
aus der Erosion der klassischen Form der Erwerbsarbeit? Der amerikanische
Wissenschaftler zeigt zum einen eindrucksvoll den illusionären Charakter
einer Hoffnung auf den Dienstleistungssektor auf, zum anderen verknüpft
er das wie auch immer gestaltete Mindesteinkommen an eine Tätigkeit
im Dritten Sektor. Die von Rifkin erwartete Emanzipation von der Erwerbsarbeitsgesellschaft
vollzieht sich also nicht ohne Arbeitspflichten für die have-nots.
Die Forderung nach einem Existenzgeld, verstanden als ein wirklich bedarfsgerechtes
Einkommen, muß sich demgegenüber gegen jegliche Arbeitszwänge
verwahren und gleichzeitig das Angebot von alternativen Arbeitsmöglichkeiten,
nicht zuletzt in einem nicht-profitorientierten Sektor, politisch auf die
Tagesordnung setzen. Zumindest sollte darüber diskutiert werden.
2 vgl. Martin Kempe, Die Jobwende: Wie man Arbeit schafft, 1998, S.12
3 vgl. Gerhard Bosch, "‘Jobless Growth’? Die Auswirkung
der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien auf die Beschäftigung",
in: Arbeit, Heft 4, 1998, S.311
und: Gerhard Willke, Die Zukunft unserer Arbeit, 1998, S.63
4 DIW-Wochenbericht 14/96
5 zit. nach Spiegel Online, Internet-Zeitschrift, 26.8.98
6 vgl. Wirtschaftsdienst, 5/1999, S.303f
vgl.auch Jürgen Hoffmann, "Die ‘Dienstleistungsgesellschaft’
in der ‘Globalisierungsfalle’?", in: M.Heinrich/D.Messner (Hrsg.), Globalisierung
und Perspektiven linker Politik: Festschrift für Elmar Altvater, 1998,
S.311
7 vgl. zum Beispiel "Boom durch Billigjobs", in: Der Spiegel, 48, 1998, S.104ff.
8 Der männliche Blick ignoriert selbstverständlich, daß unsere Gesellschaft schon immer eine Dienstleistungsgesellschaft war, in der die von Frauen geleisteten Dienste unbezahlt geblieben sind und keinen Eingang in das Bruttosozialprodukt erhalten haben. Die zur Zeit aktuelle Diskussion um "geringqualifizierte" haushaltsnahe und personenbezogene Dienstleistungen im Rahmen eines auszubauenden Niedriglohnsektors stellt eine generelle Abwertung von Frauenarbeit dar, erhellt den herrschenden Arbeitsbegriff dabei um so mehr!