Existenzgeld und Automatisierung
Es läßt sich nicht bestreiten, daß dem Konzept des Existenzgeldes ein statisches Moment anhaftet. Die - auch in dieser Broschüre - nachgewiesene Finanzierbarkeit des bedarfsorientierten Einkommens für alle in diesem Land setzt eine funktionierende Kapitalverwertung voraus und blendet deshalb die Krisenhaftigkeit der kapitalistischen Produktionsweise aus. Also soll die Frage diskutiert werden, ob der geforderte Griff nach dem gesellschaftlichen Reichtum einer "Geld-ist-genug-da"-Illusion aufsitzt, die, zumindest langfristig betrachtet, wie eine Seifenblase platzen könnte, und inwiefern die Existenzgeldidee produktiv mit diesem Widerspruch umgehen kann.1)
Der Nürnberger Theoretiker Robert Kurz hält den Vertretern der Forderung nach einem monetären Grundeinkommen seine These von der Endkrise des warenproduzierenden Systems entgegen. Die Forderung nach einer Beteiligung aller am technischen Fortschritt hat seiner Meinung nach zu berücksichtigen, daß jeder Produktivitätsgewinn durch die Vermittlung der Wertform und deren Restriktionen hindurchgehen muß, d.h. eine Umverteilung von Geld nur nach Maßgabe einer erfolgreichen Realisation von Mehrwert möglich ist. Erfolg auf dem Weltmarkt ist also Voraussetzung für die Erwirtschaftung der monetären Mittel, die zur Umverteilung zur Verfügung stehen. "Implizit", so Kurz, "enthält daher das Konzept des ‘Grundeinkommens’ einen nationalistischen und rassistischen Vorbehalt; es ist nichts als ein Derivat des sozialnationalistischen Linkskeynesianismus."2)
Die Befürworter eines Existenzgeldes streben die Überwindung des herrschenden Distributionsverhältnisses an, ohne das zugrundeliegende Produktionsverhältnis direkt in Frage zu stellen. Kurz setzt der Logik der Reichtumsumverteilung eine Logik der kapitalistischen Reichtumsproduktion entgegen. Und diese offenbart einen "inneren Zusammenhang von Arbeit, Geld und Weltwirtschaft", der letztlich auf dem krisenhaften "Widerspruch zwischen der Logik des Geldes (Rentabilität) und dem technisch-wissenschaftlichen Potential" beruht.3) Geldschöpfung hängt von einer gelingenden Kapitalverwertung ab, welche betriebswirtschaftlich genutzte Arbeit zur Voraussetzung hat, die sich wiederum am globalisierten Produktivitäts- und Rentabilitätsstandart messen lassen muß. Die fortschreitende Produktivität und der Zwang, auf dem höchsten Produktivitätsniveau lebendige Arbeit zu kapitalisieren, erfordert letzlich immer geringere Arbeitsmengen - und das resultiert in immer weniger abschöpfbares Geld ... "und wieder beißt sich die Katze in den Schwanz".4)
Kurz folgt hier dem Marx der "Grundrisse", der die ökonomische Krise (Zusammenbruchsthese!) von der Durchsetzung neuer Produktivkräfte ableitet: "Sobald die Arbeit in unmittelbarer Form aufgehört hat, die große Quelle des Reichtums zu sein, hört und muß aufhören, die Arbeitszeit sein Maß zu sein und daher der Tauschwert (das Maß) des Gebrauchswerts. Die Surplusarbeit der Masse hat aufgehört, Bedingung für die Entwicklung des allgemeinen Reichtums zu sein, ebenso wie die Nichtarbeit der wenigen. für die Entwicklung der allgemeinen Mächte des menschlichen Kopfes. Damit bricht die auf dem Tauschwert ruhnde Produktion zusammen ... Das Kapital ist selbst der prozessierende Widerspruch (dadurch), daß es die Arbeitszeit auf ein Minimum zu reduzieren strebt, während es andererseits die Arbeitszeit als einziges Maß und Quelle des Reichtums setzt."5)
Kapital zerstört also die eigene ökonomische Substanz, indem die wertproduktive lebendige Arbeit aus dem Produktionsprozeß hinausgedrängt wird. Da die Logik des Verwertungsprozesses in der Verwertung des Werts, der Verwandlung lebendiger in tote Arbeit als Voraussetzung jeglicher kapitalistischer Gebrauchsgüterproduktion liegt, reicht der alleinige Hinweis auf die vorhandene technologische Potenz nicht aus, um die Teilhabe aller am gesellschaftlichen Reichtum gewährleisten zu können. Zudem muß sich eine an - nicht inflationärem - Geld reiche Gesellschaft auf einen Staat stützen können, der die Bedingungen der (noch) "erfolgreichen" Kapitalverwertung auf dem Weltmarkt zu garantieren hat.
Wird also deshalb das Umverteilungsvolumen zur Realisierung des Existenzgeldes "in Wahrheit mit dem Fleisch der globalen Verlierer bezahlt"6), ist eine weltweite monetäre Grundver-sorgung aufgrund der fehlenden Profitmasse nicht eine pure Illusion und leitet überdies menschliche (Lohn-)arbeit ersetzende Mikroelektronik und Computerisierung einen über Jahrzehnte währenden historischen Zusammenbruchsprozeß ein, der von Entwertungsschocks, sozialen Zerfallsvorgängen und kriegerischen Auseinandersetzungen begleitet wird?
Festzuhalten bleibt, daß die Dynamik der kapitalistischen Ökonomie, ihre Krisenzyklen und deren Auswirkungen auf die Lohnarbeit Eingang finden müssen in den Begründungszusammenhang der Existenzgeldidee. Ob mensch mit Kurz gleich dem "Kollaps der Modernisierung" entgegensieht oder dem Kapitalismus weiterhin die Fähigkeit zu bereinigenden Krisen zutraut: das Existenzgeld als reine Mathematikaufgabe zu sehen und der gelingenden internen und externen Ausbeutung durch den Kapitalismus zu "vertrauen" würde nicht nur der Kurz’schen Geringschätzung eines garantierten Einkommens rechtgeben. Schließlich ist ein Finanzierungsmodus nach der Logik des "take-half" einerseits schlicht und ergreifend auf möglichst viel und gut bezahlter Erwerbsarbeit angewiesen (trotz des "Rechts auf Faulheit": paradox, paradox!), andererseits der privilegierten Stellung im Nord-Süd-Verhältnis geschuldet. Die mikroelektronische Revolution und die Umwälzung der tayloristischen Produktions- und Arbeitsorganisationsformen billigen dem an sich "konservativen" Rechenmodell7) insofern nur den Status einer an den heutigen Verhältnissen orientierten Momentaufnahme zu. Die Realisierung des Existenzgeldes im nationalökonomischen Bezugsrahmen oder in Westeuropa hätte die Zementierung der globalen Gewinnerposition auf Kosten der Peripherie zur Folge, die zudem nach "Krisis"-Lesart auf tönernden Füßen stünde: denn die Linke habe "den seltsamen Traum eines kasinokapitalistischen Egalitarismus geträumt."8) Die kapitalistische Krisenwirklichkeit könne daraus schnell einen "Katastrophen-Egalitarismus"9) machen.
Die Verknüpfung der Idee als Überlebensforderung mit dem die gegenwärtigen Verhältnisse überschreitenden Charakter ("anders leben, anders arbeiten") zeigt indes die Politiktauglichkeit der linken Forderung nach dem Existenzgeld auf und überwindet so den Widerspruch. Sie reflektiert den postfordistischen Kontext, in dem es keinen privilegierten Ort der Auseinandersetzung, keinen Zentralkonflikt mehr gibt. Die reformistischen und radikalen, weil potentiell kulturrevolutionären Teilaspekte der Forderung schaffen zugleich eine Dynamik, die Bündnisse oder Vernetzungen verschiedenster sozialer Akteure ermöglichen und damit wiederum das vorherrschende Gefühl von gesellschaftlicher und politischer Ohnmacht überwinden helfen kann. Das nackte Überlebensinteresse der aus der Kapitalverwertung Ausgegrenzten überschneidet sich beim garantierten Einkommen mit der Sehnsucht vieler nach einer Überwindung des unerträglichen Charakters der Lohnarbeit. Das Existenzgeld kann so zu einem politischen Instrument werden, das den postfordistischen Lebensverhältnissen angemessen ist.
Eben diese These wird von den Wertkritikern der "Krisis"-Gruppe verworfen. Die Förderung etwa eines Non-Profit-Sektors "jenseits von Markt und Staat", in dem autonomes Arbeiten auf der Basis des Existenzgeldes möglich ist, erscheint aus ihrer Perspektive nur als eine naive, vom Wissen über das Wesen der kapitalistischen Produktionsweise ungetrübte Hoffnung: "Als Emanzipationskonzept taugt diese Vorstellung erst recht nichts. Keine Frau kann nur ein bischen schwanger sein, keine Gesellschaft kann zugleich die versachtlichte Gewalt und Profit anerkennen und sich daneben einen Bereich autonomen Wirtschaftens auf Geldbasis halten, der mehr wäre als ein Elends- und Abfallprodukt der herrschenden Wertverwertung. Das Kapital ist eine imperiale Macht, die nichts Autonomes neben sich duldet und alles, was sich der unmittelbaren ökonomischen Annektion sperrt, nur als Schattenreich zuläßt ... Selbstbestimmung kann es nur gegen die kapitalistische Enteignungslogik geben, nicht friedlich neben ihr."10) Wie systemkonform oder -kritisch die gesellschaftlichen Auswirkungen der Existenzgeldforderung letztlich ausfallen, hängt allerdings nicht zuletzt von den AkteurInnen selbst ab. Und wenn eben diese für die Idee einer "Befreiung von falscher Arbeit" gewonnen werden sollen, dann muß auch der herrschende Arbeitsbegriff ideologisch und politisch angegriffen werden, ohne die gegenwärtige Verarmung und Perspektivlosigkeit von immer mehr Menschen zu übersehen. Millionen von Menschen leben in der BRD an oder unter dem Existenzminimum. Armut als Massenerscheinung entspricht dem Reichtum als Massenphänomen in dieser Gesellschaft. 10) Daß die "Verteilungsspielräume" ausgereizt seien, wie allerorten verlautbart wird, ist also schlicht Unsinn. Die kapitalistische Krisendynamik als solche kann insofern nicht gegen eine radikale monetäre Umverteilung ins Spiel gebracht werden, solange das gesellschaftliche System auf Ausbeutung und Ausgrenzung beruht und Gewinne und Vermögen explodieren - Geld also genug da ist.
Ja, die Existenzgeldforderung ist systemimmanent: die Erwerbslosen, die seit Anfang der achtziger Jahre diese Forderung vertreten, wissen aber, warum ihnen Verbalradikalismus oder revolutionäre Phrasen wenig helfen. Und sie wissen, was es heißt, mit dem Rücken zur Wand zu stehen und dennoch gegen "falsche Bescheidenheit" aufzutreten. Wer sich für 1500 DM plus Warmmiete stark macht, findet sich weder mit einem "selbstbestimmten" Leben in einer vom System gnädig tolerierten "autonomen" Armutsnische ab, noch gerät er oder sie in ein besonders verabscheuungswürdiges Abhängigkeitsverhältnis zum Staat. Denn welcher Existenzgeldler glaubt ernsthaft daran, daß Staat, Kapital und "neue Mitte" freiwillig einer Umverteilung zusehen oder daß die Forderung urplötzlich "die Massen ergreift" und die gesellschaftlichen Verhältnisse tatsächlich zum Tanzen gebracht werden? Der Utopiegehalt der Existenzgeldidee kann aber sowohl den alltäglichen Kampf der politisierten Erwerbslosen und LohnarbeitsgegenerInnen unterstützen, als auch den für dieses Gesellschaftssystem grundlegenden Begriff von "Arbeit" endlich zur Diskussion stellen (was auch den Menschen von "Krisis" gut zu Gesicht stehen würde: denn daß ohne die schon immer Dienste leistendenen und unbezahlt bleibenden Arbeiterinnen im Haushalt auch die Produktionssphäre zusammenbrechen würde - davon ist bei ihnen allenfalls am Rande die Rede).
Wenn diese Hoffnung sich also nicht erfüllt und auf Dauer das Interesse an ein Existenzgeld nicht zu-, sondern eher abnimmt, dann erfüllt die Forderung auch ihren Zweck nicht und kann getrost ad acta gelegt werden..
1) |
eine typisch gewerkschaftsnahe
Argumentation lautet etwa:
Erwerbsmöglichkeiten,als die Grundlage der Existenzsicherung, sind ein knapper werdendes Gut, das folglich gerechter verteilt werden müsse. Geld sei grundsätzlich genug da, wie das Spekulationskapital beweise. Da Arbeitsplätze aber durch Spekulation verlorengingen, würde die Verwendung des scheinbar im Überfluß vorhandenen Geldes/Kapitals für die Sicherung der Existenzgrundlage von immer mehr Menschen entscheidend. Im wesentlichen ginge es also um die Frage der Verteilung von Geld und (d.h.durch) Lohnarbeit. (vgl.z.B. Gisbert Schlemmer, "Geld ist genug da, Arbeit auch - wir müssen beides gerechter verteilen", in: H.Schui/E.Spoo (Hg.), Geld ist genug da: Reichtum in Deutschland, 1996, S.193-97); Im Umkehrschluß bedeutet das aber: Unternehmergewinne, die als vagabundierendes Kapital fungieren, müssen in die reale Produktionssphäre "rückgeführt" werden - dann läuft angeblich alles wieder bestens! Warum Kapital dem realen Verwertungsprozeß entzogen wird und warum das etwas mit der krisenhaften Dynamik zu tun hat, bleibt in der vorgestellten Argumentation außen vor. Hier ist also das Spekulationskapital Ursache für die Krise, nicht die Folge der Kapitalverwertungsprobleme. (zurück zum Text) |
2) |
R.Kurz, "Antiökonomie und Antipolitik", in : Krisis: Beiträge zur Kritik der Warengesellschaft, 19, S.79 (zurück zum Text) |
3) |
R.Kurz., "Abschied vom Arbeitswahn", in: taz, 24.3.94 (zurück zum Text) |
4) |
R.Kurz., "Abschied vom Arbeitswahn", in: taz, 24.3.94 (zurück zum Text) |
5) |
MEW 42, S.601 (zurück zum Text) |
6) |
R.Kurz, "Abschied vom Arbeitswahn", in: taz, 24.3.94 (zurück zum Text) |
7) |
vgl. das Rechenmodell von BAG-SHI (Beschreibung u.a. in dieser Broschüre) (zurück zum Text) |
8) |
Ernst Lohoff, "Zuckerguß für eine bittere Pille: Zur linken Diskussion um das garantierte Mindesteinkommen", in: Weg und Ziel: Marxistische Zeitschrift,1, März 1999, S.32 (zurück zum Text) |
9) |
Ernst Lohoff, "Zuckerguß für eine bittere Pille: Zur linken Diskussion um das garantierte Mindesteinkommen", in: Weg und Ziel: Marxistische Zeitschrift,1, März 1999, S.30 (zurück zum Text) |
10) |
in der BRD leben mindestens 1,7
Millionen Haushalte mit einem monatlichen Nettoeinkommen von über
10.000 DM,
vgl. E.-U. Huster, "Einkommensverteilung und hohe Einkommen in Deutschland", in: ders. Reichtum in Deutschland, 1997, S.40 (zurück zum Text) |