Bergmanns "New Work" und Rifkins "Dritter Sektor"
Die AG Existenzsicherung vertritt den Standpunkt, daß die Forderung nach dem Existenzgeld untrennbar mit einer Kritik des herrschenden Arbeitsbegriffs verknüpft sein muß. Die ideologische Legitimierung eines garantierten Einkommens für alle ohne Arbeitszwang setzt zwingend das Aufbrechen der gängigen Lohnarbeitsfixierung voraus. Die Koppelung des Aspekts "Überleben" mit der Utopie eines "Anderen Lebens und Arbeitens" macht den Doppelcharakter des Existenzgeld-Konzeptes aus. Die Stoßrichtung gegen die Auswirkungen der kapitalistischen Produktionsweise - Deregulierung, Flexibilisierung, Prekarisierung -, verstanden als defensive Strategie, trifft auf einen gestaltenden, schöpferischen Impuls, d.h. der offensiven Strategie, "autonome" Arbeit zu fördern und zu entwickeln. Die monetäre Seite der Existentgeldforderung isoliert zu betrachten und die utopische, sprich gesellschaftsverändernde Zielsetzung zu vernachlässigen, untergräbt deshalb den emanzipatorischen Anspruch.
Das "New Work"-Konzept des US-amerikanischen Philosophen Frithjof Bergmann vertritt zwar keine Forderung nach einem Existenzgeld für alle, verknüpft aber den Sektor der Lohnarbeit mit einer Idee von "Neuer Arbeit", die auf Sebständigkeit, Eigeninitiative und dem gründet, was die Menschen "wirklich, wirklich wollen". Die folgende Auseinandersetzung mit dem Bergmann-Konzept wird durch die Frage motiviert, ob die Kriterien des Existenzgeldes mit den Vorstellungen des amerikanischen Professors kompatibel sind, einzelne Aspekte oder Ideen fruchtbar und anregend wirken können, oder ob das New-Work-Arbeitsmodell schlicht abzulehnen ist.
Biographisches
Der 69jährige Professor F.Bergmann wurde in Sachsen geboren und wanderte mit 19 Jahren in die Vereinigten Staaten aus. Er arbeitete dort zunächst u.a. am Fließband, studierte Philosophie an der Eliteuniversität Princeton und promovierte über Hegel. Seit 1978 lehrt er Philosophie und Anthropologie an der University of Michigan in Ann Arbor. 1984 schlug die Geburtsstunde von "New Work" in Flint bei Detroit (Michigan). Der Auslöser war eine Automatisierungswelle bei General Motors, in deren Verlauf Massenentlassungen drohten. Geschäftsführung und Gewerkschaft einigten sich unter Vermittlung von Bergmann auf ein außergewöhnliches Modell von Arbeitszeitverkürzung. Es wurde vereinbart, daß sechs Monate Erwerbsarbeit mit sechs Monaten arbeitsfreier Zeit abwechselten und auf diese Weise die Entlassung der Hälfte der Belegschaft vermieden werden konnte. Die so gewonnene freie Zeit für die Menschen sollte nach dem Willen von Bergmann für neue, selbstbestimmte Arbeit genutzt werden, wie Bildung, Eigen- und Gemeinschaftstätigkeit. Das "Center for New Work" in Flint stand den betroffenen Menschen dabei beratend und unterstützend zur Seite. Das Projekt allerdings scheiterte schnell und wurde 1986 eingestellt. Seitdem widmet sich der Professor vorwiegend der theoretischen Ausarbeitung und Verbreitung seines Konzepts.1 Außerdem arbeitete er jahrelang in Detroit und New York mit Jugendlichen und Obdachlosen. Zur Zeit ist er Gastprofessor an der Gesamthochschule Kassel und wirbt auf Vortragsreisen für seine Ideen.
Was ist "New Work"?
Bergmann betrachtet das Erwerbsarbeitssystem als ein Auslaufmodell im Endstadium. Sein Ausgangspunkt besteht in der Erkenntnis, daß das Rationalisierungspotential längst nicht erschöpft ist, die Folgen der Automatisierung aber keinen Grund zur Resignation darstellen und der Lohnarbeit nicht nachgetrauert werden sollten. Im Gegenteil: "Dabei sollten wir ein Fest machen, daß uns die Erwerbsarbeit ausgeht. Wir sollten zwei Monate lang feiern, daß wir die Erwerbsarbeit hinter uns haben."2
Bergmanns alternative Vorstellung einer neuen Arbeitsgesellschaft ruht auf den "drei Säulen" von "New Work": "Das Ziel ist, die Arbeit in drei Einheiten zu teilen. Zwei Tage der Woche wird regulär gearbeitet, zwei Tage widmet man dem high-tech self providing, also der Selbstversorgung auf hohem technischem Niveau, und an zwei Tagen tun die Leute das, was sie schon immer wirklich wollten."3 Neben der regulären Erwerbsarbeit auf Teilzeitbasis tritt die Eigenarbeit oder Selbstversorgung, in deren Rahmen Konsum- und Gebrauchsgüter - Nahrungsmittel, Kleidung, selbst Wohnhäuser - hergestellt werden. Ein hohes Versorgungsniveau trotz geringem Erwerbseinkommen soll auf diese Weise gesichert werden: "Unser Ziel ist, mit wenig Arbeitseinsatz siebzig bis achtzig Prozent der Dinge, die man zum Leben braucht, selbst herzustellen."4 Die dritte Einheit im Modell von Bergmann wird "Paid Calling" (bezahlte Berufung) genannt. Zumindest ein Teil der individuellen Gesamtarbeit soll demnach bezahlte Arbeit sein, die man - nach dem mittlerweile geflügelten Wort - "wirklich, wirklich will". Der religiöse Begriff des "Calling" verweist darauf, daß mit einer "höheren" Form von Arbeit Geld verdient werden soll, mit einer Arbeit also, die den persönlichen Talenten entspricht und mit der sich die Menschen wirklich identifizieren können (im Unterschied zur oberflächlichen Scheinidentifikation, die in der Regel der kapitalistischen Beschäftigung anhaftet). Was nun aber beispielsweise ArbeiterInnen nach vielen Jahren Fließbandarbeit "wirklich, wirklich wollen" muß erst herausgefunden werden, oder um mit Bergmann zu sprechen, "das Gold muß in den Köpfen gehoben", "die Armut der Begierde" überwunden werden.5
Die brachliegenden, verborgenen Neigungen und Fähigkeiten der Menschen sollen "gehoben" werden, denn viele, so Bergmann, wissen nicht, was sie eigentlich wollen: "Vielen sind die Wünsche ausgetrieben worden. Sie werden wunschlos unglücklich."6 Bergmann präsentiert einige konkrete Beispiele für eine aus seiner Sicht gelungene Therapie in Sachen "Calling": ein begabter Fließbandarbeiter eröffnete ein Yoga-Studio und baute dieses sogar zu einer Lehr- und Lernanstalt aus, eine weitere ungewöhnlich talentierte Frau informierte sich mit Hilfe des Zentrums für Neue Arbeit über Balinesische Kunstformen und unterrichtete diese mit wachsendem Erfolg zu Hause.7
Die Drittelung der Arbeitsformen ist nicht streng schematisch aufzufassen, sondern deutet lediglich die Entwicklungsrichtung an, auf die es ankommt. Eine flexibel handhabbare Arbeitszeitverkürzung auf Wochen-, Monats- oder Jahresbasis soll die Schwerpunktverlagerung von der fremdbestimmten Arbeit auf den Selbstversorger- und Eigenarbeitssektor erleichtern. Die "Paid Callings" sind nach den Vorstellungen Bergmanns durch verschiedene Finanzierungsquellen zu sichern: "Zum einen sinken die Ausgaben des Staates durch die Eigenarbeit. Zum anderen müßten die großen Konzerne, die immer mehr rationalisieren, mehr Steuern zahlen oder das durch Entlassungen eingesparte Geld für Projekte zur Verfügung stellen, in denen die Menschen anderen Tätigkeiten nachgehen können."8 Die neu zu entwickelnden kreativen Arbeitsformen sollen zudem einerseits von Firmen und unabhängigen Förderkreisen gesponsert, andererseits in den Markt integrieren werden. Folglich stellt Bergmann die Frage, wo die Vorteile der Neuen Arbeit für Unternehmen liegen könnten. So sieht er zum Beispiel einen sich erweiternden Markt durch gesteigerte Nachfrage aufgrund der Neuen Arbeit. Eine Verminderung von Abfindungszahlungen bei Entlassungen führt er ebenso an, wie das verbesserte Betriebsklima, das sich bei fehlendem Entlassungsdruck einstellt.9
Bergmanns Konzept setzt auf die "win-win"-Lösung, also einer Kultur
des Konsens, die sowohl Unternehmern wie Arbeitenden Vorteile verschaffen
soll. Diesem Ansatz entspricht deshalb die Prognose des Philosophen, daß
die Konzerne in einer globalisierten Welt zunehmend wichtiger werden, die
Staaten dagegen einen Machtverlust erfahren. Die Hoffnung auf den Staat
führt seiner Meinung nach in die Irre. Der Empfang von Unterstützungszahlungen
an Arbeitslose bezeichnet er als Almosen, die die Leute lähmen, statt
sie zu aktivieren. Im staatlichen sozialen Netz ersticke man, "fürs
Nichtstun soll niemand bezahlt werden"10 schlußfolgert
er konsequenterweise. Und mit Blick auf die, so Bergmann, staatsfixierten
Deutschen mache er sich so seine Sorgen. Nicht zuletzt deshalb, so darf
vermutet werden, weilte er in den 90er Jahren als Dauergast auf deutschen
Tagungen über die Krise der Arbeitsgesellschaft.
"New Work" in der BRD
Das praxisorientierte Beschäftigungskonzept erhielt in der späten Kohl-Phase vor allem im krisengeschüttelten Osten der Republik eine große Aufmerksamkeit. Da der Begriff "New Work" nicht geschützt ist, taucht er entsprechend inflationär auf und leistet dadurch einer möglichen "Verwässerung" der Ideen Bergmanns Vorschub. Von ihm selbst genannte und dadurch "autorisierte" Beispiele für Zentren Neuer Arbeit finden sich u.a. in Mühlhausen (Thüringen), in Dessau ("Stiftung Bauhaus") und Wolfen ("Kreativ-Zentrum"). Daß gerade in Ostdeutschland das Konzept auf fruchtbaren Boden fällt, hängt auch mit der dortigen Mentalität zusammen, welche stärker durch Nachbarschaftshilfe, informeller Arbeit und Elementen von Subsistenzwirtschaft geprägt worden ist.11 In München engagiert sich das "Haus der Eigenarbeit" bei der Etablierung der Subsistenzwirtschaft, in Köln hat sich die "Sozialistische Selbsthilfe" in einem alten Sanierungsgebiet in Mülheim die Förderung der Eigenarbeit zum Ziel gesetzt. Entgegen dem unternehmerfreundlichen Ansatz Bergmanns (Original-ton: "Ich betone ... die ‘Neue’ Arbeit in einem Betrieb einzuführen, macht den Betrieb effizienter, produktiver, fortschrittlicher, wettbewerbsfähiger.")12 interessieren sich allerdings die wenigsten Manager für das innovative Potential, das "New Work" verspricht. Und auch die alternativen Betriebe "von unten" sind nominell vielleicht zahlreich, aber über die Republik verteilt und insofern sehr unauffällig. Noch besteht eine große Diskrepanz zwischen dem in der Theorie dargelegten Praxisbezug der Neuen Arbeit und ihrer wirklichen Umsetzung in Unternehmen, Initiativen, Werkstätten und "Kreativ-Zentren". Bleibt zu fragen, ob neben dem bislang uneingelösten praktischen Versprechen der Idee zumindest die theoretische Konzeption eine emanzipatorische Antwort auf die Folgen der Krise der Lohnarbeit geben kann.
Kritik an "New Work"
Bergmann geht von einem spezifischen Verständnis der Freiheit des Individuums aus. Er wendet sich gegen die philosophische Tradition, nach der Freisein mit dem Wählenkönnen gleichgesetzt wird. "Mir wurde klar, daß im Gegenteil das Wählenkönnen nicht das Großartige ist. Wir haben tatsächlich unendlich viele Möglichkeiten zu wählen, aber der Zustand ist, daß wir dauernd die Wahl treffen zwischen Dingen, die wir gar nicht wollen. Daraus hat sich ein ganz anderes Menschenbild langsam zusammengesetzt - mit dem Gedanken: Inbegriff des Guten oder der Freiheit ist, wenn man wenigstens manchmal etwas tun kann, daß man wirklich, wirklich will. Von da war es nur noch ein Schritt bis zur Arbeit."13 Die Suche nach der "höheren" Arbeit, der Selbstfindung und den verschütteten individuellen Fähigkeiten führt ihn zu einer radikalen Kritik der Lohnarbeit. Der Kerngedanke der Neuen Arbeit ist, daß die Menschen nicht fremdbestimmt für andere, sondern für sich und von sich heraus gern arbeiten.
Gesellschaftsveränderung beginnt für Bergmann demnach bei der "Heilung" des Individuums. Die seine Texte durchziehende medizinische und psychanalytische Terminologie verweist auf diesen Ausgangspunkt. Die nicht zuletzt durch Erwerbsarbeit verdrängten kreativen Potentiale sollen ins individuelle und kollektive Bewußtsein zurückgeholt werden. Die Adressaten seines Konzeptes sind also nicht nur die aus dem Erwerbsleben Verdrängten oder die materiell Verarmten, sondern grundsätzlich alle Mitglieder der Gesellschaft. Demnach müssen, wie gesehen, die Vorteile seines "New-Work"-Modells für alle, ob Erwerbslose, Lohnabhängige oder Unternehmer, sichtbar werden. Die Individuen haben einen Erziehungsprozeß zu durchlaufen, um ihre "verborgenen Schätze" bergen zu können, wobei die Zentren für Neue Arbeit als unentbehrliche Helfer und Begleiter bei der "Schatzsuche" angesehen werden. Die individuelle Befähigung zu Neuer Arbeit setzt insofern ein mehr oder weniger verschüttetes "Gold in den Köpfen" voraus. Was mit Menschen geschehen soll und kann, die wenig oder nichts vorfinden, auch nach intensiver Suche Fehlanzeige melden, sagt der Professor in seiner Rolle als Psychiater seinen Patienten nicht. Das Diktum, daß fürs Nichtstun auch niemand bezahlt werden soll, erhält vor diesem Hintergrund eine beklemmende Bedeutung. Daß der Erziehungs- und Entwicklungsprozeß im Rahmen von "New Work" Arbeit ist, versteht sich. Daß viele sich einer so definierten Mitarbeit in einem Bergmann’schen Zentrum verweigern könnten ist vorstellbar - auch, daß diejenigen dann materiell leer ausgehen. Die unbezahlte Reproduktionsarbeit bleibt bei Bergmann ebenfalls unberücksichtigt. Die Betonung auf die notwendige Einführung des "New Work"-Ansatzes in kapitalistische Betriebe, das Schmackhaftmachen seiner "effizienten" Ideen gegenüber Managern, belegt zum einen die Ausgrenzung von Hausfrauen- und Familienarbeit, zum anderen ein - zumindest theoretisches! - Desinteresse an Langzeitarbeitslosen, "Müßiggängern" und schlicht "kaputten" Menschen. Die Idee, daß ein Existenzgeld zunächst die materielle gesellschaftliche Teilhabe sicherstellen könnte, auf dessen Grundlage das Prinzip des "Wirklich-Wirklich-Wollens" wirken könnte, teilt Bergmann offensichtlich nicht. Er verknüpft beide Aspekte unmittelbar, veranschaulicht im Begriff "Paid Calling".
Als Hegel-Experte teilt er wohl eher die Ansicht des deutschen Philosophen. Nach Hegel verstößt die Subsistenz der Bedürftigen, die nicht durch Arbeit vermittelt ist, "gegen das Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft und des Gefühls ihrer Individuen von ihrer Selbständigkeit und Ehre ... Somit entsteht im Pöbel das Böse, daß er die Ehre nicht hat, seine Subsistenz durch Arbeit zu finden".14 Bergmann ist nicht Hegel, aber Ähnlichkeiten sind nicht ausgeschlossen. Ebenso wie die Juristin Sybille Tönnies vertritt der Amerikaner die These von der "anthropologischen Bedeutung der Arbeit und der fatalen Wirkung arbeitsloser Einkommen".15 Das Existenzgeld stellt dagegen die Frage nach der Verteilung des - im Grunde von allen, weltweit - produzierten gesellschaftlichen Reichtums. Diese Forderung ist formal an den Staat, substantiell aber natürlich an die Gesellschaft insgesamt gerichtet. Bergmann hält dagegen nichts von einer Orientierung an den Staat oder einer Institution, die, fern der einzelnen Menschen, einen gesellschaftlichen Ausgleich organisiert: "Ich habe Marx studiert und bin schon 1981 zu dem Schluß gekommen, daß der Sozialismus scheitern muß ... Wir machen genau das Gegenteil von Marx. Wir stärken das Individuum."16 Bergmann vertritt damit einen kommunitaristischen Ansatz, der auf dem Subsidiaritätsprinzip aufbaut.
Einer der wichtigsten Vertreter dieser Richtung, der Sozialphilosoph Amitai Etzioni, beschreibt beispielhaft ein nach dem Subsidiaritätsprinzip geordnetes System der Verantwortlichkeiten. Der von ihm angestrebte Ausgleich zwischen Freiheit und sozialer Ordnung, zwischen Rechten und Verantwortung mündet in der Feststellung, daß niemand nur ein hilfloses Opfer sei. Der beste Weg, einen reduzierten Kern des Wohlfahrtsstaats dauerhaft zu erhalten, setze voraus, damit aufzuhören, ihn durch immer mehr Sozialleistungen und Forderungen zu überladen. Etzioni stellt die hierarchisch angeordneten vier Stufen der sozialen Verantwortung vor. Erstens liegt demnach unter allen sozio-ökonomischen Bedingungen die Hauptverantwortung bei jeder Person selbst. Die zweite Ebene der Verantwortung betrifft die Familie eines Menschen, die dritte das weitere soziale Umfeld eines jeden. Erst an vierter Stelle kommt die Gesellschaft insgesamt ins Spiel. So verwundert es nicht, daß er dem Staat empfiehlt, die Sozialhilfe an Arbeitsfähige schrittweise in Arbeitslohn für Gemeinschaftsarbeiten um-zuwandeln (welfare into workfare).17
Das "New Work"-Konzept kann sehr leicht von der "Jeder-muß-den Gürtel-enger-schnallen"-Fraktion instrumentalisiert werden, da es grundsätzlich nicht nur - wie gesehen - mit der Modernisierung der Wirtschaft, sondern eben auch mit dem fortschreitenden Sozialabbau kompatibel ist. Der Schwerpunkt liegt nun einmal auf der "heilenden" Wirkung des "Wirklich-Wirklich-Wollens", d.h. der (neuen) Arbeit und nicht einem materiell gesicherten Müßiggang oder einer monetären Absicherung der bisher unbezahlt Reproduktionsarbeit Leistenden. Da das Grundsatzproblem im Innern der Subjekte zu verorten ist, wird wenig Wert auf den Umbau der gesellschaftlichen und vor allem der ökonomischen Verhältnisse gelegt. Der Hamburger "Arbeitskreis Lokale Ökonomie" beschreibt die Defizite des "New Work"-Konzeptes: "Es verzichtet völlig auf eine Waren- und Geldkritik und setzt stark auf einen reformwilligen Teil von Privatunternehmern und Bankern. Das halten wir für illusionär."18 Die zentrale Idee von "Paid Calling" läßt sich gemäß den von Bergmann selbst erwähnten Beispielen (Yoga-Lehrer etc.) allenfalls in Marktnischen verwirklichen und verpaßt somit die durchaus intendierte Frontstellung gegen die Lohnarbeit und die Verwertungszwänge des Markts.
Daß dabei regelmäßig die Entfaltung der Individualität auf der Strecke bleibt, ist zu vermuten.19 Der andere Bereich wiederum, die Selbstversorgung auf hohem technischen Niveau, erlangt in der Praxis längst nicht die Bedeutung, die ihm in der Theorie zugeschrieben wird. Daß durch das "high-tech self-providing" ein großer Teil der Lebenstätigkeit bestritten werden kann, läßt sich an den Erfahrungen der bisherigen "New Work"-Projekten wohl eher widerlegen. Jedenfalls ist nicht bekannt, daß sich die Utopie von eigenproduzierten Autos, Wohnhäusern oder Kleidung und Nahrungsmitteln in relevantem Maßstab erfüllt hätte.
Dennoch darf festgehalten werden, daß die grundsätzliche Haltung von Bergmann und Epigonen gegen die abhängige Erwerbsarbeit auch für Befürworter des Existenzgeld-Konzepts anregend ist und "New Work", verstanden als ein "Baukasten von Ideen", durchaus produktiv nutzbar ist. Inwiefern das gleiche von Jeremy Rifkins Vorstellungen über einen "Dritten Sektor" als Antwort auf die Krise der kapitalistischen Gesellschaft behauptet werden kann, soll im folgenden - zumindest ansatzweise - geprüft werden.
Rifkins "Dritter Sektor"
Rifkins zentrale These ist, daß sich das Volumen der (Lohn)Arbeitszeit durch die Dritte Industrielle Revolution stetig vermindert und mit traditionellen Methoden keine Ersatzarbeitsplätze in ausreichendem Maß geschaffen werden können. Da sich barbarische gesellschaftliche Zustände abzeichnen, wenn sich nichts grundlegend ändert, entwickelt er einen Alternativvorschlag: Radikale Verkürzung der Lohnarbeitszeit, Schaffung neuer Arbeitsplätze im gemeinnützigen, d.h. Dritten Sektor, sowie Verknüpfung eines Sozialeinkommens mit den dort zu leistenden Tätigkeiten für Erwerbslose.
Der Dritte Sektor ist für Rifkin ein Bereich der sozialen Verantwortlichkeit, in dem ohne Profitzwänge Sorgearbeit für Millionen Menschen zu verrichten wäre, Arbeit, die weder Markt noch Staat abdecken könnten.20 Der Wissenschaftler träumt von einer Welt, in der das Nützlichkeitsdenken der kapitalisti schen Marktwirtschaft zurückgedrängt wird und die "geistigen Grundlagen des postmarktwirtschaftlichen Zeitalters" vorherrschen. Darunter versteht er u.a. die Wiederherstellung der Gemeinschaft und die Rücksichtnahme auf die Umwelt (188). Typische Beispiele für Tätigkeiten in dem Non-Profit-Sektor sind die Betreuung von Alten, Behinderten und Kranken, Armen, Alkoholikern, Drogenabhängigen (181). Die durch Markt und Staat verursachten "Schäden" sollen offensichtlich im "alternativen" Sektor behoben oder behandelt werden. Aber dieser Dritte Sektor soll nicht abgekoppelt und unvermittelt neben den anderen gesellschaftlichen und ökonomischen Bereichen fungieren.
Damit die dort zu leistende Arbeit überhaupt möglich ist, muß die materielle Grundlage in doppelter Hinsicht gewährleistet sein. Zum einen sollen Produktivitätsgewinne der Privatwirtschaft in den Dritten Sektor fließen, zum anderen die Tätigkeiten selbst vergütet werden. Freiwillige, die einer regulären Erwerbsarbeit nachgehen, sollen durch Steuererleichterungen zu einem Engagement im gemeinnützigen Sektor animiert werden. Sie in erster Linie sollen diesen Sektor zum Funktionieren bringen und die Leitungsaufgaben übernehmen: "Die Organisationen des Dritten Sektors sollten eine ähnliche Abstufung von Berufen, Qualifikationen und Einkommen einführen wie es sie in der Wirtschaft gibt" (193). Selbstorganisation und basisdemokratische Strukturen sind folglich nicht vorgesehen, für eine erfolgreiche Tätigkeit im gemeinnützigen Sektor offensichtlich nicht notwendig. Entsprechend fällt die Rolle derjenigen aus, die weder im ersten noch zweiten Sektor einen Platz finden. Sie sollen allenfalls ein nicht näher quantifiziertes Sozialeinkommen für Arbeit im Dritten Sektor erhalten. Ein staatlich garantiertes Mindesteinkommen an gemeinnützige Arbeit zu koppeln würde nach Rifkins Meinung zu einer "Weiterentwicklung der Gemeinschaft" (197f) beitragen.
Auch Rifkins Einteilung der Ökonomie in Markt, Staat und "gemeinnützigen" Sektor verschleiert weitgehend die Tatsache, daß die gesellschaftliche Gesamtarbeit zu zwei Dritteln unbezahlt und vorwiegend von Frauen geleistet wird. Auch seine Vorstellung über den Dritten Sektor umfaßt den Großteil der Reproduktionsarbeit nicht! Daß die Basis für die Entwicklung auch des "alternativen" Sektors von der patriarchalisch geprägten Familien- und Hausarbeit gebildet wird, übersieht Rifkin wie die meisten Ökonomen und Forscher zum Arbeitsbegriff. Von einer Bezahlung für Hausarbeit ist bei ihm jedenfalls nicht die Rede. Rifkin stellt die patriarchalische Struktur der Gesellschaft also nicht in Frage.Vielmehr vertritt er ausdrücklich das Prinzip des gesellschaftlichen - sprich männlichen - Konsens.
Unnötige Konfliktlinien zum ersten Sektor sollen vermieden werden. Der Dritte Sektor soll keineswegs einen Gegenentwurf zum erwerbswirtschaftlichen und staatlichen Bereich darstellen, sondern diese lediglich - als Reparaturbetrieb - ergänzen. Die inhaltliche Füllung des Begriffs "Gemeinschaft" unterbleibt. Wenn das Bedürfnis nach Gemeinschaft aber emanzipatorisch besetzt werden soll, kann die Funktionsweise des Dritten Sektors á la Rifkin kaum akzeptiert werden. Nicht zuletzt an der Höhe des Sozialeinkommens würde es sich entscheiden: stellt der Dritte Sektor die Ressourcen für "alternative" Lebens- und Arbeitsformen bereit oder versorgt er die "Überflüssigen" mit obligatorischen Arbeitsdiensten für wenig Geld, funktioniert er also als "ein großer Elendsparkplatz inmitten der kapitalistischen Produktion"?21 Ein Sektor jenseits von Markt und Staat, der seinen (pflicht)arbeitszentrierten Charakter ablegen will, muß zum einen aber die Umverteilungsfrage stellen, um sowohl einer "Vermarktwirtschaftlichung" als auch staatlicher Gängelei zu entgehen, zum anderen auf rein freiwilligen Zusammenschlüssen der Menschen beruhen, damit der emanzipatorische Anspruch nicht frühzeitig über Bord geht.
Ein Dritter Sektor, lediglich verstanden als Auffangbecken für
die "Überflüssigen" von Markt und Staat, enttäuscht notgedrungen
die Erwartungen auf einen sozialen Raum, der ein "anderes Leben und Arbeiten"
jenseits der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung ermöglicht und
fördert. Ein alternativer Sektor ohne Existenzgeld steht dabei immer
in der Gefahr der Selbstausbeutung, gleichbedeutend der Ausbeutung in den
prekarisierten Beschäftigungsverhältnissen der Profitökonomie
und des öffentlichen Sektors. Auch Nischenproduktion, Subsistenz-
und Selbsthilfeökonomie widersprechen der kapitalistischen Tendenz
der Marginalisierung von immer mehr Menschen nicht. Die Forderung nach
einer radikalen Umverteilung der vorhandenen Geldmittel (z.B. nach dem
take-half-Prinzip: nimm die Hälfte von jedem Netto-Einkommen) greift
dagegen das gegenwärtigen Verteilungsmodell an, stellt den zugrundeliegenden
männlichen Arbeitsbegriff radikal in Frage und schafft zumindest eine
unabdingbareVoraussetzung für die Entwicklung eines Dritten Sektors,
der tatsächlich jenseits von Markt und Staat angesiedelt ist.
Anmerkungen
2 Bergmann in einem Interview, "Langeweile bringt die Leute um", in: Facts, 11, 1998, S.88
3 Bergmann in einem Interview, "Das Gold in den Köpfen heben", in: Die Zeit, 7.3.97
4 ebd.
5 vgl. F.Bergmann, "Die Neue Arbeit: Skizze mit Vorschlag", in: Gewerkschaftliche Monatshefte, 9-10, 1997, S.527f.
6 Facts, 11, 1998, S.89
7 GMH, S.529; taz-Redakteur H.Koch spricht in diesem Zusammenhang von einem "Existenzgründerprogramm im Zeichen des Hedonismus", taz, 8.7.98
8 Die Zeit, 7.3.97
9 GMH, S. 531 10 Facts, 11, 1998, S.90 11 vgl. Frankfurter Rundschau, 21.11.98
12 Bergmann in einem Interview,"Wir verbrennen Geigen, um Dampfmaschinen anzuheizen...", in: Contraste, Juni ‘98; S.6
13 ebd.
14 zit. nach Sibylle Tönnies, "Staatliche Intervention ist gefragt", in: taz, 22./23.2.97
15 ebd.
16 zit. nach Mitteldeutsche Zeitung, 1./2.5.97
17 vgl. Amitai Etzioni, "Im Winter einen Pullover ablehnen, weil es im Sommer warm war?: Ein kommunitaristischer, den Wohlfahrtsstaat neu zu definieren.", in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 2, 1997, S.234ff.
18 zit. nach: Volker Hildebrandt, "Alte ‘Neue Arbeit’: Oder: Wie sich neue Ansätze in ihr Gegenteil verkehren können", in: Weg und Ziel: Marxistische Zeitschrift, 1 , März 1999, S.16
19 vgl. die Kritik am "New Work"-Konzept bei Hildebrandt, S.16ff.
20 Jeremy Rifkin, Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft, 1995, S.183
21 Heiner Möller, "Müßiggang statt Arbeitszwang",
in: FALZ (Hrsg.), Arbeitsdienst - wieder salonfähig?, 1997, S.103