I. Einleitung
Der Streit um die Verantwortbarkeit der Kernenergie hat in unserem
Land über Jahrzehnte hinweg zu heftigen Diskussionen und Auseinandersetzungen
in der Gesellschaft geführt. Unbeschadet der nach wie vor unterschiedlichen
Haltung zur Nutzung der Kernenergie respektieren die EVU (Energieversorgungsunternehmen)
die Entscheidung der Bundesregierung, die Stromerzeugung aus Kernenergie
geordnet beenden zu wollen.
Vor diesem Hintergrund verständigen sich Bundesregierung und Versorgungsunternehmen darauf, die künftige Nutzung der vorhandenen Kernkraftwerke zu befristen. Andererseits soll unter Beibehaltung eines hohen Sicherheitsniveaus und unter Einhaltung der atomrechtlichen Anforderungen für die verbleibende Nutzungsdauer der ungestörte Betrieb der Kernkraftwerke wie auch deren Entsorgung gewährleistet werden.
Beide Seiten werden ihren Teil dazu beitragen, dass der Inhalt dieser Vereinbarung dauerhaft umgesetzt wird. Die Bundesregierung wird auf der Grundlage dieser Eckpunkte einen Entwurf zur Novelle des Atomgesetzes erarbeiten. Bundesregierung und Versorgungsunternehmen gehen davon aus, dass diese Vereinbarung und ihre Umsetzung nicht zu Entschädigungsansprüchen zwischen den Beteiligten führt. (...)
II. Beschränkung des Betriebs der bestehenden Anlagen
Für
jede einzelne Anlage wird festgelegt, welche Strommenge sie gerechnet ab
dem 1.1.2000 bis zur Stilllegung maximal produzieren darf (Reststrommenge).
Die Berechtigung zum Betrieb eines KKW (Kernkraftwerks) endet, wenn die
vorgesehene bzw. durch Übertragung geänderte Strommenge für
die jeweilige Anlage erreicht ist. (...)
Für jede Anlage wird auf der Grundlage einer Regellaufzeit von 32 Kalenderjahren ab Beginn des kommerziellen Leistungsbetriebs die ab dem 1.1.2000 noch verbleibende Restlaufzeit errechnet. Für Obrigheim wird eine Übergangsfrist bis zum 31.12.2002 vereinbart. Weiterhin wird eine jahresbezogene Referenzmenge zu Grunde gelegt, die für jedes Kraftwerk als Durchschnitt der 5 höchsten Jahresproduktionen zwischen 1990 und 1999 berechnet wird. Die Referenzmenge beträgt für die KKW insgesamt 160,99 TWh/a (ohne Mülheim-Kärlich) (eine Terawattstunde TWh entspricht einer Milliarde Kilowattstunden).
Gegenüber diesen Referenzmengen wird für die Restlaufzeit auf Grund der sich fortsetzenden technischen Optimierung, der Leistungserhöhung der einzelnen Anlagen und der durch die Liberalisierung u.a. veränderten Reservepflicht zur Netzstabilisierung eine um 5,5 Prozent höhere Jahresproduktion unterstellt. Die Reststrommenge ergibt sich durch Multiplikation der um 5,5 Prozent erhöhten Referenzmenge mit der Restlaufzeit. (...) Die EVU können Strommengen (Produktionsrechte) durch Mitteilung der beteiligten Betreiber an das BfS (Bundesamt für Strahlenschutz) von einem KKW auf ein anderes KKW übertragen. (...) RWE zieht den Genehmigungsantrag für das KKW Mülheim-Kärlich zurück. Ebenso nimmt das Unternehmen die Klage auf Schadenersatz gegen das Land Rheinland-Pfalz zurück. (...) RWE erhält die Möglichkeit, entsprechend der Vereinbarung 107,25 TWh auf andere KKW zu übertragen. (...)
III. Betrieb der Anlagen während der Restlaufzeit
(...)Während der Restlaufzeiten wird der von Recht und Gesetz
geforderte hohe Sicherheitsstandard weiter gewährleistet; die Bundesregierung
wird keine Initiative ergreifen, um diesen Sicherheitsstandard und die
diesem zugrunde liegende Sicherheitsphilosophie zu ändern. Bei Einhaltung
der atomrechtlichen Anforderungen gewährleistet die Bundesregierung
den ungestörten Betrieb der Anlangen. (...)
Die EVU werden bis zu den in Anlage drei genannten Terminen Sicherheitsüberprüfungen (SSA und PSA) durchführen und die Ergebnisse den Aufsichtsbehörden vorlegen. Damit wird eine bei der Mehrzahl der KKW begonnene Praxis fortgesetzt. Die Prüfungen sind alle 10 Jahre zu wiederholen (...) Die Forschung auf dem Gebiet der Kerntechnik, insbesondere der Sicherheit, bleibt frei. (...)
Die Bundesregierung wird keine Initiative ergreifen, mit der die Nutzung
der Kernenergie durch einseitige Maßnahmen diskriminiert wird. Dies
gilt auch für das Steuerrecht. Allerdings wird die Deckungsvorsorge
durch Aufstockung der so genannten zweiten Tranche oder einer gleichwertigen
Regelung auf einen Betrag von 5 Milliarden Mark erhöht.
IV. Entsorgung
(...)Die EVU errichten so zügig wie möglich an den Standorten
der KKW oder in deren Nähe Zwischenlager. Es wird gemeinsam nach Möglichkeiten
gesucht, vorläufige Lagermöglichkeiten an den Standorten vor
Inbetriebnahme der Zwischenlager zu schaffen. (...) Die Entsorgung radioaktiver
Abfälle aus dem Betrieb von KKW wird ab dem 1.7.2005 auf die direkte
Endlagerung beschränkt. Bis zu diesem Zeitpunkt sind Transporte zur
Wiederaufarbeitung zulässig. Angelieferte Mengen dürfen verarbeitet
werden. (...) Die EVU können abgebrannte Brennelemente bei Vorliegen
der gesetzlichen Voraussetzungen bis zur Inbetriebnahme der jeweiligen
standortnahen Zwischenlager in die regionalen Zwischenlager sowie bis zur
Beendigung der Wiederaufarbeitung ins Ausland transportieren. Beide Seiten
gehen davon aus, dass die standortnahen Zwischenlager in einem Zeitraum
von längstens fünf Jahren betriebsbereit sind. (...)
Die Erkundung des Salzstockes in Gorleben wird bis zur Klärung konzeptioneller und sicherheitstechnischer Fragen für mindestens drei, längstens jedoch zehn Jahre unterbrochen. (...) Die zuständigen Behörden schließen das Planfeststellungsverfahren für den Schacht Konrad nach den gesetzlichen Bestimmungen ab. Der Antragsteller nimmt den Antrag auf sofortige Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses zurück, um eine gerichtliche Überprüfung im Hauptsacheverfahren zu ermöglichen.(...) Die EVU werden (...) im Hinblick auf Gorleben und auf die von ihnen anteilig zu übernehmenden Kosten für Schacht Konrad keine Rückzahlung von Vorauszahlungen verlangen. (...)
V. Novelle des Atomgesetzes
1. Die EVU nehmen zur Kenntnis, dass die Bundesregierung die Einführung
eines gesetzlichen Neubauverbots für KKW sowie einer gesetzlichen
Verpflichtung zur Errichtung und Nutzung von standortnahen Zwischenlagern
beabsichtigt.
2. Die Bundesregierung wird auf der Grundlage dieser Eckpunkte einen Entwurf zur Novelle des AtG (Atomgesetzes) erarbeiten (...). Die Beteiligten schließen diese Vereinbarung auf der Grundlage, dass das zu novellierende Atomgesetz einschließlich der Begründung die Inhalte dieser Vereinbarung umsetzt. Über die Umsetzung in der AtG-Novelle wird auf der Grundlage des Regierungsentwurfs vor der Kabinettbefassung zwischen den Verhandlungspartnern beraten. (...)
VII. Monitoring
Um die Umsetzung der gemeinsamen Vereinbarungen zu begleiten, wird
eine hochrangige Arbeitsgruppe berufen, die sich aus drei Vertretern der
beteiligten Unternehmen und drei Vertretern der Bundesregierung zusammensetzt.
Unter Vorsitz von ChefBK (Kanzleramtschef) bewertet die Arbeitsgruppe in
der Regel einmal im Jahr - ggf. unter Heranziehung externen Sachverstands
- gemeinsam die Umsetzung der in dieser Vereinbarung enthaltenen Verabredungen.