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Ars donandi

Eine (Kurz-)Geschichte des Schenkens

© Dr. Friedrich Rost, Eberbacher Str. 2, D-14197 Berlin, Tel.: +49 (30) 822 83 61, e-mail: rostfu@zedat.fu-berlin.de

Schenken ist bis heute eine Nachahmung der "Vornehmen". Schon die Homerischen Gesänge berichten von der Großzügigkeit des griechischen Adels. Ein Gelage wird noch schöner, wenn es Geschenke gibt. So durften Griechen (und später Römer), die bei reichen Gastgebern eingeladen waren, nach dem Fest sogar den kostbaren Becher mitnehmen, aus dem sie getrunken hatten. Aristoteles, Cicero, Seneca u.a. reflektieren in ihren Schriften die sich verfeinernde Kunst des Schenkens (ars donandi). Mit Gaben wurde oft auch im Großen wie im Kleinen Politik betrieben, denn sie verpflichteten: Es wurden freundschaftliche wie strategische Allianzen besiegelt oder gefestigt, familiale Bindungen hergestellt und aufrechterhalten, Treue vorgetäuscht, Zwietracht gesät, Richter bestochen.

Bevor man allerdings etwas verschenken kann, muss man es besitzen oder sich aneignen. Und dieser Aspekt ist geschichtlich ein dunkles Kapitel. Der "edlen" Freigebigkeit gingen oftmals Kampf, Raub und Erpressung voraus. Allerdings galt der Kampf um Beute nach damaligem Rechtsverständnis nicht als unehrenhaft, sondern als eine dem Krieger würdige Art der Aneignung, selbst wenn der Gegner deutlich unterlegen war oder der Sieg durch List errungen wurde. Schließlich setzte man das eigene Leben ein, um an die Beute zu kommen. Der roub (was auch die abgezogene Haut des Tieres meinte) konnte allerdings auch verhindert werden: durch das Anbieten eines Geschenks, was einer Unterwerfung gleichkam. War das Geraubte Individualbeute, so fielen die Erlöse aus Sklavenverkauf, Lösegelderpressung und Plünderungen den Anführern zu, die ihre Mannen nach Stand und Leistung an der Beute beteiligten und darüber hinaus "beschenkten", um sich weiterhin ihre Gefolgschaft und Dienste zu sichern.

Elsbet Orth berichtet von dem großen Widerstand der merowinger Freien gegenüber Steuerforderungen ihres Königs. Wie Tributpflichtige, also Unfreie, zum Königsschatz beitragen zu sollen, kam einer Demütigung gleich. Der Ausweg: Man einigte sich mit dem König auf dona (freiwillige Gaben), zuerst sporadisch, etwa zu einer Hochzeit, später regelmäßiger und in der Karolingerzeit auch nicht mehr freiwillig. Aber die Art und den Wert des Geschenks bestimmten die Freien selbst; so blieb der Anschein der Freiwilligkeit gewahrt. Ähnlich wie beim Turnier entwickelte sich ein Wettbewerb der Freigebigkeit mit dem Ziel, andere zu übertrumpfen. Georges Duby ist sogar der Auffassung, dass mit unersättlicher Gier geraubt wurde, um noch freigebiger schenken zu können. Denn demonstrativer Konsum und die eigene Großzügigkeit sicherten nicht nur Anerkennung zu Lebzeiten: Reichtum musste verteilt werden, damit sich der eigene Ruhm verbreitete und erhielt. Nicht mehr verteilen zu können, kam dem Eingeständnis gleich, nicht mehr über die Kraft zu verfügen, sich das Gewünschte anzueignen.

Erst die Kirche Christi als Mahnerin zur Mäßigung und (zeitweiser) Askese hat einen Sinneswandel eingeleitet: An die Stelle des eigenen Ruhms trat der Wunsch nach dem ewigen Leben. Zur Ehre Gottes und in der Hoffnung auf den "wunderbaren Tausch" verschenkten Begüterte oft einen erheblichen Teil ihrer Habe und ihres Gutes an die Kirche: "Kleines für Großes, Irdisches für Ewiges". Der umfangreiche Transfer von Ländereien und Vermögen gefährdete die Existenz der Nachkommen solch gläubiger Menschen. Parallel zu den großen Schenkungen blieb der "heidnische Gabentausch" zu Neujahr erhalten, der schon im vorchristlichen Rom Usus war. in Rom wurden kleine Tonfiguren und Geldmünzen getauscht für ein gutes omen principii. Trotz des obrigkeitlichen Verbotes von Neujahrsumzügen (Weihnachten war bis 1691 zugleich Beginn des neuen Jahres) tauschten seit dem 9. Jh. weltliche und geistliche Würdenträger Neujahrsgeschenke aus, erhielten Gesinde und Arme Geld- und Brotspenden. Letzterer Brauch wurde christlich überhöht im freigebigen Abend: So berichtet der Prager Mönch Alsso um 1400, dass kein Hausvater es sich habe nehmen lassen, am Vorabend des Weihnachtsfestes ein largum sero an Verwandte und Nachbarn zu schicken in Erinnerung an das Geschenk Gottes: Christi Geburt.

Obwohl Luther gegen die Verdienstlichkeit der guten Werke anging und 1520 die Abschaffung sämtlicher Feste vorschlug, da doch jeder Tag durch Christi Opfertod ein Festtag sei, haben auch die Protestanten die Nachahmung des Adels und seiner Bräuche nicht abschaffen können: Weil sich nicht nur der Adel, sondern vor allem die kleineren Leute ruinierten, wenn sie einmal im Leben "den großen Herrn" spielten, wurde schon ab 1200 immer wieder versucht, die Ausgaben für Geschenke zu reglementieren sowie übermäßiges "Hochzeiten und Festen" zu verbieten; mit der Folge, dass die Festgesellschaften in der Zeit der deutschen Kleinstaaterei z.T. ins "Ausland" auswichen. Um die komplette Verausgabung zu vermeiden, empfahl die protestantische Hausväterliteratur des 16. Jh. pragmatisch eine Rücklagenbildung von einem Drittel des Ersparten für Feste und Geschenke. - Auch der seit dem 16. Jh. bezeugte Einlegebrauch, dass Sankt Nikolaus kleine Geschenke am 6.12. in Schuhe oder Socken steckt, wurde reformerisch überarbeitet. Nicht ein Heiliger, sondern der "Herre Christ" selbst brachte in der evangelischen Oberschicht des 16. Jh. heimlich und unerkannt Geschenke für Kinder, woraus sich später in katholischen Gegenden das "Christkind" und in protestantischen der "Weihnachtsmann" als weitere Gabenbringerfiguren entwickelten.

Insofern ist die bürgerliche Schenkkultur, wie sie uns heute vertraut ist, nicht erst im 18. Jh. anzutreffen, wie Jürgen Hannig glaubt. Natürlich kann man nur geben, wenn man übrig hat oder Kredit bekommt. Die Mehrheit der Bevölkerung war bis in das 20. Jh. zu arm, um große Geschenke zu machen und solche ohne großen Nutzwert. Sie war darauf angewiesen, selbst etwas geschenkt zu bekommen. Bettelumzüge und Heischegänge zu bestimmten Terminen waren Brauch, um Nahrung, getragene Kleidung oder Geldmünzen zu erhalten. – Wer allerdings als Mann um eine Frau werben wollte, musste nach Möglichkeit ihr Herz auch mit kleinen, bei fahrenden Händlern oder auf den Märkten käuflichen Aufmerksamkeiten erobern.

In dem langen Zeitraum, in dem es das Schenken schon gibt, sind alle Versuche gescheitert, ein Ausufern des Feierns und Schenkens einzudämmen, und zwar an der Tendenz zur Großzügigkeit und Verausgabung, die ein Fest erst zu einem rauschenden und ein Geschenk erst zu einem besonderen macht. Die Negierung der sonst vorherrschenden Knappheit kulminiert bei uns im Weihnachtsfest als christlich überlagertem heidnischen Gabentausch zur Sicherung eines guten omen principii für das neue Jahr.

Eine gekürzte Fassung ist zuerst erschienen in der Verlagsbeilage "Geschenke" der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), Nr. 282, S. B1-B2.