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Michael Unterguggenberger Sozialdemokrat

Sozialdemokrat ist Unterguggenberger geworden wie tausend, ja millionen andere: «Wer mit 20 Jahren nicht Sozialist ist, der hat kein Herz», sagte der kluge Satiriker Clemenceau, der Menschen und Parteien in Frankreich kannte; aber er fügte auch noch bei: «wer es mit 40 Jahren noch ist, hat kein Hirn», weil er auch das Endergebnis des Sozialismus sah, den Kommunismus und den Bolschewismus, die Diktatur und die allgemeine Verstaatlichung und Verbürokratisierung des Menschen: «Die besten Schleicher kommen hier an die besten Stellen», sagt Gesell. Michael Unterguggenberger ist Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Österreichs geworden wie die meisten: ohne zunächst die Theorien zu kennen, welche die Forderung nach der «Überführung der Produktionsmittel in den Besitz der Allgemeinheit» zur Folge haben mußte. «Sie laufen alle hinter vier dicken Bänden her und keiner weiß was darin steht», spottete Oswald Spengler 1920 in seiner Schrift «Preußentum und Sozialismus». Aus diesen vier dicken Bänden des «Kapital» hatte Karl Kautsky einen Auszug machen wollen, kam aber nie über den ersten Band hinaus. Diesen Auszug aus dem ersten Band des «Kapitals» von Karl Marx findet man heute noch in allen Bibliotheken alter Sozialisten. Sie haben diesen Auszug aus dem ersten Band des «Kapital» vielleicht sogar gelesen. Darüber hinaus aber ist selten einer gekommen und keiner weiß, daß Marx, wie Thomas G. Masaryk feststellt, «neben die falsche Ansicht auch immer noch die richtige setzt, in der Folge leider aber immer an der falschen festhält». Hätte Karl Kautsky einen Auszug aus dem ganzen Werk gemacht und wäre durch die Rabulistik des Werkes nicht verwirrt worden, so würde er auf jene Stellen im III. Band, 1. Hälfte gestoßen sein, worin Marx so deutlich und so unmißverständlich feststellt, wie ihm das mit seinem mangelnden Gefühl für Sprachsauberkeit und für Klarheit nur möglich war, daß es eine Ausbeutung gegeben habe, bevor es Unternehmer gab, daß zur Beseitigung aller Ausbeutung «nichts nötig» sei, als daß «keine natürliche oder künstliche Monopole den Warenaustausch zugunsten des Käufers oder des Verkäufers verfälschen»! Damit fällt sein ganzer Kampf gegen Proudhon dahin, der das gleiche sagte, aber dafür von Marx in schandbarer Weise angegriffen worden ist... In gleicher Weise wie Marx im III. Band äußerte sich übrigens auch Friedrich Engels über die Ursache der kapitalistischen Ausbeutung: daß sie durch das Zurückhalten des Tauschmittels entstehe, durch das hamsterfähige Geld. -

Michael Unterguggenberger war mit der täglichen Arbeit in der Partei nicht zufrieden. Er wollte um das Warum und das Weshalb wissen. Aber es ging ihm wie dem großen schweizerischen Arbeiterführer Hermann Greulich, der bekennt, nach einigen Seiten von Karl Marx habe ihm der Kopf geraucht. Doch tat er nicht was Scheidemann bei seinem Marxstudium machte. Scheidemann schreibt, er sei davongelaufen und zum Bier gegangen, um sich da zu erholen. Vielleicht war es die Krankheit der armen Leute, die Tuberkulose, die den österreichischen «Diener im Lokomotivfahrdienst» veranlaßte, tiefer zu schürfen als die gesunden und robusten Naturen: Michael Unterguggenberger las in seiner sehr beschränkten Freizeit was ihm an sozialreformerischen Schriften in die Hand fiel.

Das Bürgertum trieb Sozialfürsorge. Das war alles, was ihren Volkswirtschaftsprofessoren und Politikern einfiel. Sozialversicherungen aller Art, Arbeitslosenversicherungen, Wohnungsämter, Mieterschutz (der zur Wohnungsnot führen mußte!) - das war ungefähr alles, was aus dem Bürgertum an Sozialreform herauskam. Die Ursache der Arbeitslosigkeit dagegen, die Ursache der Wohnungsnot, die Ursache der Massenarmut wurde nirgends ermittelt; überall wurde nur an den Folgen herumgedoktert. Aber der Gesamtablauf der Wirtschaft wurde nirgends untersucht. So konnte auch niemand auf bürgerlicher Seite bessere Vorschläge machen.

Michael Unterguggenberger suchte und suchte. Er forschte, wie Otto Maaß in Erfurt geforscht hatte, wie in jedem Land Menschen suchten, die Sozialisten waren in Hinsicht auf das Ziel des Sozialismus: «die Beseitigung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen», aber nicht in bezug auf den Weg: «die Überführung der Produktionsmittel in den Besitz der Allgemeinheit».

Michael Unterguggenberger hatte schon die Krise von 1907/8 durchgemacht. Er hatte in der Krise 1912/14 wieder gesehen, wie Österreich und mit Österreich die ganze Welt in den Krieg hineingeführt wurde. Er hatte im Krieg 1914/18 die Inflation erlebt und erlitten und mußte dabei feststellen, daß die sozialistischen Hochschuldozenten über die Ursache und die Verhinderung einer Inflation noch viel weniger wußten als die bürgerlichen Professoren. Nach der Inflation folgte eine Deflation, von der die Sozialisten alles Gute erwarteten, aber noch schlimmer geschädigt wurden als durch die Inflation. Dann folgte die Erholung 1924 bis 1929. Schließlich kam, vom September 1929 ab, die neue Deflation, die große Weltwirtschaftskrise. Und noch immer wußten die Sozialisten darüber nichts zu sagen und konnten in ihren heiligen Büchern nichts über die Ursachen der Kaufkraftschwankungen finden als eine Schimpfiade über die einzige Theorie, die darüber etwas zu sagen gehabt hätte: die Quantitätstheorie. Diese leitet die Geldwertschwankungen ganz einfach und natürlich aus dem Geldumlauf her, der, im Verhältnis zum Warenangebot, bald zu groß, bald zu klein ist.

Am Anfang aller menschlichen Ordnungen steht ein Mensch. Wenn dieser Mensch gescheit ist, so merkt er, ob die Ordnungen, die er sich selbst gegeben hat, vernünftig und zweckentsprechend sind oder nicht, ob sie wirkliche Ordnungsgrundsätze sind oder ob sie zur Unordnung führen müssen. Wenn dieser Mensch klug ist, wird er versuchen, andere dafür zu gewinnen, eine bessere Ordnung einzuführen. Er wird auch seine eigenen, vielleicht noch nicht durchgeführten Vorschläge an den täglichen Erfahrungen nachprüfen und seine Theorien der Gegenwart und ihren Lehren entsprechend abändern und neue Wege gehen. Aber die bürgerliche Welt ging damals ihre alten Wege und die Sozialisten hingen an ihren alten Theorien. Nur wenige dachten an neue Wege und suchten eine neue, bessere Lehre, die das erklären könnte was vorgeht und lehren könnte, was notwendig getan werden müßte.


Auszug aus: Fritz Schwarz: Das Experiment von Wörgl; 1951
Dieser Text wurde ins Netz gebracht von: W. Roehrig. Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.
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