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Michael Unterguggenberger, Bürgermeister in Wörgl

Während von Schwanenkirchen noch keine weltweite Wirkung aufging, teilte sich Wörgl und sein Bürgermeister Unterguggenberger bald auf den Titelseiten der Sensationspresse mit Filmstars und den Toten der Blutnacht vom 30. Juni 1934 - doch nur für eine Nummer. Denn was in Wörgl getan wurde, erforderte eigenes Nachdenken, und dazu ist der normale Zeitungsleser nicht geeignet. Wenn er eine Zeitung zur Hand nimmt, so will er sich rasch orientieren oder auch zerstreuen - mehr nicht.

Wer ist Michael Unterguggenberger? - Wer den Mann zum ersten Mal sah, wurde sogleich gefesselt durch den scharfen, prüfenden Blick dieses eher kleinen Mannes. Es war der etwas ablehnende Blick eines Mannes, der nicht glaubt und nicht wirklich anerkennt, was er nicht verstehen und begreifen kann, und was ihm Unverständliches, Lücken oder Widersprüche zeigt. Wenn Alex von Muralt schreibt, Michael Unterguggenberger betone immer wieder, er sei kein Marxist, so versteht das jeder, der den Marxismus mit seinen Irrtümern, seinen Widersprüchen und seinen undurchdringlichen und unentwirrbaren Satzgefügen mit nie genau umschriebenen Begriffen kennt. Ein Mann mit Unterguggenbergers Blick kann nie der marxistischen Lehre verfallen - er kann sie höchstens in der Verzweiflung einer auswegslosen Lage praktisch zu verwirklichen suchen, ohne sich in der Lehre selbst auszukennen. Er verwirklicht sie, ohne sie zu glauben. Das Ergebnis ist auch danach...

Michael Unterguggenberger, aus einer alten Tiroler Bauernfamilie stammend, hatte das Leben des armen Europäers kennengelernt, ohne in der schweren körperlichen Arbeit das Denken zu vergessen. Geboren am 15. Auguse 1884 im Tiroler Unterland, mußte er schon als Zwölfjähriger die Schulbank verlassen, um als Hilfsarbeiter im Sägewerk Hopfgarten, in seinem Heimatdorf für den Unterhalt der Familie mitzuarbeiten. Hilfsarbeiter aber wollte er nicht bleiben; nach drei Jahren hatte er sein erstes Teilziel erreicht: er durfte in Imst im Oberinntal als Lehrling bei einem Mechaniker eintreten. Sein Lehrgeld dazu hatte er sich selber Groschen um Groschen erspart, zum Teil diente er es als Geselle ab. Er wartete nicht auf das große Los; klein zu klein baute er sich das Leben selber auf.

Michael, der ausgelernte Mechaniker, wird Handwerksbursche. Von Imst geht es zum Bodensee, vom Bodensee hinab bis nach Wien und an die Rumänische Grenze, dann hinüber nach Galizien und endlich in das weite Deutsche Reich.

In Liegnitz in Schlesien lernte er die Gewerkschaft kennen, neben der Konsumgenossenschaft die erste Form des gesellschaftlichen Zusammenschlusses der heutigen Arbeiterschaft. Er blieb der Gewerkschaftsbewegung auch Zeit seines Lebens treu.

Sollte er nun Geselle bleiben oder mit Ach und Krach eine eigene Werkstatt eröffnen? Das war die Frage. Sein Ziel wurde ein drittes: die Anstellung bei der Eisenbahn, die damals einem aufstrebenden Arbeiter noch größere Möglichkeiten bot als heute. Im Jahre 1905 kam der damals Einundzwanzigjährige nach Wörgl in den Dienst der Bahn.

Bald geriet das Streben nach sozialer Gerechtigkeit in Widerstreit mit seinem persönlichen Vorwärtskommen.

Der Marxismus trennt Unternehmer und Arbeiter. Er verhindert das, was sein könnte und sein müßte: die Zusammenarbeit zwischen dem Unternehmer und seinen Mitarbeitern. Das, was der Angelsachse «Teamwork» nennt, kann der Marxist nicht anerkennen, weil nach seiner Meinung der Unternehmer, der Chef, der Leiter einer Fabrik der Ausbeuter der Arbeiter ist, der nach seinem Belieben und Gutfinden die Grundrente und den Zins des Betriebes als Dividende an das Finanzkapital weiter gibt. Daß das Zahlen der Grundrente und daß der Zins für das Anlagekapital Voraussetzung für jeden Betrieb ist, und daß es das Finanzkapital, das bare Geld ist, welches über Sein oder Nichtsein jeder Unternehmung entscheidet, das hat der Theoretiker Karl Marx nie selbst erlebt und erfahren und Friedrich Engels, das Mitglied der Börse von Manchester, schreibt es wohl einmal, aber er beachtet es selbst kaum und vergißt es. -

Unterguggenberger wurde nicht mehr weiter befördert, als er sich als Gewerkschafter für seine Arbeitskameraden einsetzte und sich 1912 in die Personalkommission der österreichischen Staatsbahnen wählen ließ, wo er die Gruppe «Diener im Lokomotivfahrdienst des Dienstbezirks Innsbruck» zu vertreten hatte. Für die höheren Beamten der österreichischen Bahnen blieb er derjenige, welcher die Interessen des Personals gegen die Interessen der Bahngesellschaft und nicht die Interessen der Bahn selbst vertritt.

So wurde er, was er geblieben ist: ein einfacher Arbeiter, aber auch der Anwalt der Arbeit gegen die Ausbeutung der Arbeitenden aller Stände und Berufe durch das Kapital. Wir sind nachträglich darüber froh.

Nicht nur der Lokomotivführer, sondern auch der Gewerkschafter Michael Unterguggenberger machte seine Arbeit gut: der Gewerkschaftsverband in Wörgl wuchs! Mit 100 fing Unterguggenberger an, der Verband verdoppelte sich, er verdoppelte sich unter seiner Führung noch einmal und noch ein drittes Mal: auf 800 Mitglieder.

Wie die meisten rührigen Gewerkschafter damals, so wurde auch

Michael Unterguggenberger Sozialdemokrat


Auszug aus: Fritz Schwarz: Das Experiment von Wörgl; 1951
Dieser Text wurde ins Netz gebracht von: W. Roehrig. Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.
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