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Winston Churchill über den Ausgangspunkt

Das Experiment von Wörgl lief darauf hinaus, die Lehren Silvio Gesells einmal praktisch anzuwenden und zu zeigen, daß Prof. Dr. Irving Fisher Recht gehabt hatte, als er sagte: «Freigeld, richtig angewendet, würde die Vereinigten Staaten in drei Wochen aus der Krise herausbringen».

Über den ersten Freigeldversuch in Wörgl ist viel gesprochen und viel geschrieben worden. Es kann das nur verstehen, wer die damalige Situation selbst miterlebt hat und weiß, daß ohne die Krise von 1929 ab die Nazis niemals zur Herrschaft gelangt wären.

Die folgende Übersicht liefert dafür den untrüglichen Beweis; sie zeigt, daß von 1924 bis 1928, in den Jahren der verhältnismäßig guten Konjunktur, des annähernd festen und bewußt festgehaltenen Preisstandes sich die Zahl der Nazis verminderte - mit der Zahl der Arbeitslosen - daß sich aber in den vier Krisenjahren 1929 bis 1932 mit der Zahl der Arbeitslosen in dieser Deflationsperiode die Zahl der Nazistimmen stieg, bis der Sieg der Unvernunft vollständig werden konnte.

Nationalsozialisten in den Wahlen 1924/33

Zeit Stimmen Sitze in % Arbeitslose
4. 5. 24 1 918 009 32 6,6 340 711 (1)
7. 12. 24 908 000 14 3,0 282 645
4. 5. 28 810 000 12 2,6 268 443 (2)
14. 9. 30 6 407 000 107 18,3 1 061 570
31. 7. 32 13 779 000 230 37,3 5 392 248
6. 11. 32 11 737 000 196 33,1 5 355 428
5. 3. 33 17 265 800 288 43,7 5 598 855
12. 11. 33 39 655 200 661 92,1 3 746 000 (3)
(1) März 1924. (2) Mai 1928. (3) Arbeitslose in Lagern nicht inbegriffen - Naziherrschaft.

Winston Churchill schildert in seinen Memoiren den Übergang vom festen zum absinkenden Preisstand, von der guten Konjunktur in die Deflation und damit in die Krise von der politischen Seite her in glänzender Weise. Zunächst das, was heute noch gleich ist wie damals:

«Die breiten Massen hatten von den einfachsten wirtschaftlichen Tatsachen keine Ahnung, und die Parteiführer wagten mit Rücksicht auf ihre Wähler nicht, sie darüber aufzuklären. Die Presse besprach und unterstrich nach altem Brauch die vorherrschenden Ansichten.» (Bd. I, S. 22.)

Weiter schreibt Churchill:

«Nach der Unterzeichnung des Vertrages von Locarno (1926) saßen wir alle in bestem Einvernehmen und dachten, welch wunderbare Zukunft Europa erwarte ... Am Ende von Baldwins zweiter Regierungszeit (1929) war die Lage in Europa so ruhig, wie sie es seit zwanzig Jahren nicht gewesen war und auch mindestens auf zwanzig Jahre hinaus nicht mehr sein sollte ... Das neue Deutschland nahm seinen Sitz im Völkerbund ein ... Seine neuen Ozeandampfer gewannen das Blaue Band des Atlantik, sein Außenhandel nahm einen plötzlichen Aufschwung und der Wohlstand im Innern entwickelte sich. Auch Frankreich und sein neues Bündnissystem schienen gesichert... Viele hochgestellten Personen in Deutschland wiesen den Gedanken an einen Krieg heftig von sich...» (S. 52.)

Und nun kam das Unglücksjahr 1929 mit seinem «schwarzen Freitag», wo sich die Kündigung von 800 Millionen Darlehen an Makler an den amerikanischen Börsen wie eine Katastrophe auswirkte:

«Das Jahr 1929 verlief fast zu drei Vierteln mit der Verheißung und dem Anschein zunehmenden Wohlstandes, und zwar vor allem in den Vereinigten Staaten ... Es wurden Bücher geschrieben, um zu beweisen, daß die Phase der Wirtschaftskrisen endlich durch die sich ausdehnende Geschäftsorganisation und Wissenschaft überwunden sei. «Der zyklische Wirtschaftsverlauf, wie wir ihn bisher gekannt haben, liegt offensichtlich hinter uns», sagte der Präsident der New-Yorker Börse im September.» (S. 52.)

«Aber im Oktober fegte ein plötzlicher heftiger Sturm über die Wall Street. Die einflußreichen Stellen vermochten die Flut panikartiger Verkäufe nicht aufzuhalten. Eine Gruppe führender Banken gründete einen Fonds von einer Milliarde Dollar, um den Markt zu stützen und zu stabilisieren. Alles war vergeblich ... Verwirrung und Lähmung ergriff die mächtigen Produktionsbetriebe ... Zwanzigtausend lokale Banken stellten ihre Zahlungen ein, der Austausch von Waren und Arbeitsleistungen zwischen den Menschen war ganz und gar zerrüttet, und der Krach in Wall Street hallte in den bescheidensten wie in den reichsten Häusern nach.

Auf den Zusammenbruch der Börse folgte in den Jahren 1929 bis 1932 ein unaufhaltsamer Preissturz und damit ein Rückgang der Produktion, der zu ausgedehnter Arbeitslosigkeit führte. Die Folgen dieser Störungen des Wirtschaftslebens machten sich auf der ganzen Welt bemerkbar. Die Arbeitslosigkeit und das Nachlassen der Produktion bewirkten eine allgemeine Schrumpfung des Handels. Zum Schutz der heimischen Märkte wurden Einfuhrbeschränkungen verfügt. Die allgemeine Krise brachte akute Geldschwierigkeiten mit sich und lähmte den Kredit im Innern. Dadurch dehnte sich Ruin und Arbeitslosigkeit auf der ganzen Erdkugel aus ... Ähnliche Katastrophen suchten Deutschland und andere europäische Länder heim.» (S. 53/54.)

Es folgte bald die Rückwirkung auf Deutschland:

«Der Zusammenbruch der Mark vernichtete die Basis des deutschen Mittelstandes, aus deren Reihen viele aus Verzweiflung Mitglieder der neuen Partei wurden und in Haß, Rachsucht und patriotischem Feuer eine Erleichterung ihres Elends fanden.» (S. 77.)

«Die Banken der Vereinigten Staaten, die mit zunehmenden Verpflichtungen im eigenen Land belastet wurden, verweigerten die Vergrößerung ihrer unbedachten Anleihen an Deutschland. Diese Reaktion führte zu ausgedehnten Stillegungen von Fabriken und zum plötzlichen Ruin vieler Unternehmungen, auf denen das friedliche Wiederaufleben Deutschlands fußte. Die Arbeitslosigkeit stieg im Winter 1930 auf 2 300 000 an.» (S. 86.)

Was die Währungspolitik verdorben hatte, suchten die Politiker mit Nachgeben und Entgegenkommen wieder gut zu machen:

«Aber die große Masse des deutschen Volkes nahm die bemerkenswerten Zugeständnisse der Sieger gleichgültig auf. Zu einem früheren Zeitpunkt oder unter glücklicheren Umständen wären sie als große Fortschritte und als Rückkehr zu wahrem Frieden begrüßt worden. Nun aber lastete die Arbeitslosigkeit als stets gegenwärtige, alles überschattende Angst auf dem deutschen Volk.» (S. 86.)

Lassen wir noch einen Bericht aus der "Frankfurter Zeitung" folgen, der die unheilvolle Zeit vor dem Durchbruch Hitlers schildert. Er ist so bezeichnend für die Entwicklung vom Frieden zum Krieg und für die Stimmung in der Weltwirtschaftskrise von 1929 ab, daß sich der Abdruck wie die aufmerksame Lektüre dieses Berichtes aus dem September 1930 lohnt:

«Diejenigen von uns, die den Krieg für ein Unglück halten, das durchaus vermieden werden müßte, und einen fortwährenden Frieden wünschen, werden an Zahl immer geringer und finden für ihre Bestrebungen immer weniger Widerhall.

Vor vier oder fünf Jahren noch sagte mir ein Reichswehroffizier, der als solcher sicherlich kein Kriegsgegner war: ,Solange meine Generation am Leben ist, wird es keinen neuen Krieg geben. Was wir im Felde durchgemacht haben, war allzu schlimm. Erst wenn keine Menschen mehr da sind, die sich an den vorigen erinnern, können wir einen neuen Feldzug führen.'

Wie überraschend schnell hat sich diese Haltung geändert. Es soll nicht die Behauptung wiederholt werden, die gewisse Kreise in den anderen Ländern so häufig aussprechen, daß bei uns zum Kriege gehetzt würde. Das ist nicht wahr. Daß aber der Gedanke an einen künftigen Krieg mehr Boden gewonnen hat in manchen Lagern als noch vor wenigen Jahren ist nicht von der Hand zu weisen.

Es besteht heute die fürchterliche Ansiche bei vielen Leuten, daß ein Krieg über kurz oder lang etwas Unvermeidliches wäre, etwas nicht zu umgehendes sei. In Schrift und Wort, in Bildern, Zeitungen, Broschüren, Büchern wird von einer gewaltsamen Auseinandersetzung gesprochen, als stände sie unmittelbar vor der Türe. Man überlegt gar nicht mehr, wie solch eine Auseinandersetzung in friedliche Bahnen gelenkt werden könnte, man rechnet schon mit dem Kampf der Gewalten. -

Es gibt heute Tausende von jungen Menschen zwischen 20 und 30, die noch unentschieden sind oder bis vor kurzem noch unentschieden waren. Diese jungen Menschen, nach aufreibender und anstrengender Lehrzeit jetzt auf dem Punkte angekommen, wo sie eigenes Geld verdienen müßten, lungern zumeist verzweifelt in den Familien herum, da sie keine Beschäftigung in den von ihnen gewählten Berufen finden können: Juristen, Philologen, Mediziner, Chemiker, Ingenieure, Kaufleute, Architekten, Musiker, Schauspieler. Von links bietet man ihnen nur Kritik. Von rechts stellt man ihnen den Krieg als das unvermeidliche Ereignis der Zukunft dar und sucht sie auf diesen vorzubereiten. Sie beginnen ihn zu wünschen, denn er wird sie wenigstens aus dem unerträglichen Einerlei des Zuhauseseins befreien, sie aus dem Gefühl ihrer Nutzlosigkeit, ihres Überflüssigseins herausführen, wird ihren ungebrauchten, unanwendbaren Kräften Betätigung bringen. Sie kennen den Krieg nur vom Hörensagen und ersehnen in ihm das Abenteuer.

Hier lauert die ungeheure Gefahr. Erkennt man sie und was tut man, sie abzuwenden?»

Hier versuchten hunderte in allen Ländern der Gefahr entgegenzuarbeiten. Auf dem Internationalen Arbeitsamt in Genf allein liefen über zweihundert Vorschläge zur Bekämpfung der herrschenden Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit ein. Nach einer Mitteilung von Dr. Fuß, der die überaus förderliche Studie über «Die Ursachen der Arbeitslosigkeit in internationaler Betrachtung» herausgegeben hatte, enthielten von diesen Vorschlägen sozusagen alle in irgend einer Form den Versuch, durch die Behebung des Geld und des Kapitalstreiks die Wirtschaft wieder in Fluß zu bringen.

Neben einer Reihe von kleinen Versuchen in den Vereinigten Staaten, über welche Irving Fisher berichtete, hat neben Hebecker in Schwanenkirchen der Bürgermeister von Wörgl, Michael Unterguggenberger, einen Versuch gemacht, die Krise in seiner Gemeinde von der Geldseite her zu bekämpfen.

Am Beginn der großen Geldreform des 20. Jahrhunderts stand Silvio Gesell, ein Kaufmann deutschfranzösischen Ursprungs in Argentinien, 1891, beim Beginn seiner schriftstellerischen Tätigkeit, noch nicht dreißig Jahre alt. Am Anfang der praktischen Verwirklichung der Gesellschen Gedanken standen ein Ingenieur namens Hebecker in Schwanenkirchen, Bayern, und ein Österreicher:

Michael Unterguggenberger, Bürgermeister in Wörgl


Auszug aus: Fritz Schwarz: Das Experiment von Wörgl; 1951
Dieser Text wurde ins Netz gebracht von: W. Roehrig. Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.
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