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Was Dr. Hornung und die meisten Kritiker nicht verstehen

"Mit den zur Verfügung stehenden Mitteln hat die Gemeinde eine Reihe von Arbeiten ausführen lassen... Die Ziffern erwecken den Eindruck, als ob trotz des geringfügigen Schwundgeldumlaufs ein ganz unwahrscheinlicher Erfolg erzielt worden sei." Wir haben schon früher auf den Heiterkeitserfolg hingewiesen, den jener Ängstliche durch die Mitteilung erreicht, es müssen Arbeitsscheine von anderer Seite in Umlauf gebracht worden sein, weil schon 5100 eingelaufen seien, während doch nur 1000 im Umlauf seien! Auch Dr. Hornung wundert sich darüber, daß man mit so wenig Mitteln so viel erreicht habe. Mürrisch gibt er sich damit zufrieden, Kritik an den Notstandsarbeiten zu machen, indem er feststellt, daß einige Bauten gar keine Notstandsarbeiten, sondern nur gewöhnliche Arbeiten gewesen seien! Darüber wollen wir nicht streiten. Schließlich gibt Dr. Hornung zu:

«Durch die Beschäftigung von Arbeitslosen ließen sich die Ausgaben für Armenunterstützung einschränken, die auch weiterhin vom Jahre 1932 bis zum Jahre 1933 nur unwesentlich gestiegen sind.»

Dr. Hornung vergißt, daß sie von 1931 auf 1932 um 15 000 Schilling sanken! Dann fährt er verdrossen fort:

«Die Produktivität der gebauten Straßen (denn aus dem Straßenbau bestand hauptsächlich das Notstandsprogramm 1932) ist jedoch gerade in der heutigen Zeit stark problematisch, weil infolge der Sperre des Fremdenverkehrs von Deutschland her in Wörgl kaum ein Bedürfnis nach einem derart umfassenden Ausbau des Straßennetzes, wie er jetzt durchgeführt worden ist, vorhanden war. Abgesehen vielleicht von der Brixentalerstraße, die aber nicht zum Notstandsprogramm gehörte, und einigen kleineren Ausnahmen bestand kein dringendes Erfordernis. Es wurde nur gebaut, um Leute zu beschäftigen. Ferner bildet ganz allgemein der Straßenbau eine Quelle ständig neuer Ausgaben, denn wenn auch vom Jahre 1932 bis zum Jahre 1933 sich nach der Gemeinderechnung die Kosten der Straßenerhaltung von Sch. 20 448.- auf Sch. 4 646.-, somit sehr erheblich gemäßigt haben, so tritt sicherlich schon in den nächsten Jahren infolge Verwitterung und Abnutzung ein erheblicher Geldbedarf für Reparaturen ein.»

Die Logik dieser Äußerungen waren also die, keine Straßen zu bauen, um später nichts daran flicken zu müssen!

Wer nun weitblickender gewesen ist, Bürgermeister Unterguggenberger oder wir Schweizer, ist heute leicht zu ermessen. Wörgl hat damals, zu Preisen und Löhnen, die heute mehr als das Doppelte von 1932 betragen, die Straßen in Wörgl ausgebaut und ein Straßennetz erstellt, das heute dem Orte dient und über das die neue Stadt sehr froh sein darf. Man denke nur an die Bevölkerungszunahme!

Wenn gar Dr. Hornung eine Rechnung aus der Schweiz anführt - die damals bis 124 000 Arbeitslose und keine Arbeitsbeschaffung kannte, wenigstens lange nicht in dem Umfang wie heute - um zu beweisen, daß «die Ausgaben für die Beschäftigung von Arbeitslosen und die Ausgaben, die das Material für die Bauten erforderte, mindestens dreimal so hoch sind wie die Aufwendungen für die Arbeitslosenunterstützung», so ist es wohl richtig, daß die Bundesräte Schultheß und Musy dies festgestellt haben, aber eine solche Rechnung ist in jeder Hinsicht abwegig. Denn man kann eine Krise beseitigen und Arbeit beschaffen, ohne daß man «Aufwendungen» dafür macht: Man braucht bloß die Kräfte, die im Volk liegen, nicht durch eine Deflationspolitik lahmzulegen - das ist alles was getan werden muß!

Dr. A. Hornung weiß einen guten Rat: Wörgl hätte besser getan, «wenigstens einen Teil der rückständigen Zinsen zu erlegen als ein derartig umfangreiches Notstandsprogramm durchzuführen». Das ist seine Meinung ...

Dieser Volkswirtschafter hätte Wörgl empfohlen, weiterhin 10 Prozent Zinsen für die Hypothekarschuld der Gemeinde zu zahlen - denn so unsinnig hohe Zinsen hat man von der Gemeinde verlangt! - dagegen das Straßennetz nicht in Ordnung zu bringen, sondern Schulden zu machen, um Arbeitslosen und Armenunterstützung zu zahlen.

Aber Schulden machen - wo? - Man lese oben nach, was Herr Hutter, der Präsident des Gewerbeverbandes darüber sagte!

Reichlich seltsam ist auch die Kritik von Dr. Hornung, wenn er schreibt:

«Die Produktivität der Notstandsarbeiten im Jahre 1933 ist noch problematischer, weil in diesem Jahre fast ausschließlich Anlagen für den Fremdenverkehr geschaffen wurden, die sich infolge der (ab 1. Juni) einsetzenden Sperre des Fremdenverkehrs von Deutschland her als größtenteils nutzlos erwiesen.

Es wurden u. a. angelegt:

Durch diese Bauarbeiten konnte man durchschnittlich 50-60 Arbeitslose direkt und etwa 30-40 Mann indirekt, d. h. in der ZubehörIndustrie, also zusammen maximal 80-100 Personen zusätzlich vorübergehend beschäftigen, ein recht bescheidener Erfolg bei einer Gesamtarbeitslosenzahl in Wörgl von etwa 400 Personen.»

Erstens wäre manche Gemeinde im Schweizer Fremdengebiete froh, wenn sie damals ihre Arbeitslosen mit solchen Arbeiten beschäftigt und heute Anlagen dieser Art hätte! Sie wären damals billiger erstellt worden als heute!

Sodann: vergleichen wir doch einmal, was Unterguggenberger in Wörgl geschaffen und wie sich in seinem kleinen Bezirk die Arbeitslosenziffer stellt neben der Arbeitslosigkeit im ganzen Lande Österreich!

In seinem kleinen Bezirk, der weitgehend durch das Versagen von Gesamtösterreich arbeitslos geworden ist, gelang es dem Bürgermeister immerhin, von August 1932 bis im September 1933 den vierten Teil der Arbeitslosen wieder zu beschäftigen. Wie stand es damals im großen Österreich, wo Dr. Kienböck regierte? Hier die Arbeitslosenziffern:

Arbeitslose in Österreich (in Tausend)
Monat 1931 1932 1933
Januar 331 358 478
Februar 334 362 480
März 304 352 455
April 347 304 423
Mai 209 335 392
Juni 191 328 381
Juli 194 329 375
August 196 334 366
September 202 345 -
Oktober 228 370 -
November 274 410 -
Dezember 330 450 -

Man sehe sich diese Zahlen an! In der Zeit vom August 1932 bis zum September 1933 steigerte Dr. Kienböck die Arbeitslosigkeit von 334 000 auf 366 000. Hätte er auf seinem Gebiete das fertig gebracht, was Bürgermeister Michael Unterguggenberger im Stadtgebiet von Wörgl getan hat, so wäre sie von 334 000 auf 260 000 bis 240 000 zurückgegangen, und man hätte 80 - 100 000 Arbeitslose wieder beschäftigen können. Statt dessen ging sie in Gesamtösterreich in die Höhe.

Man muß auch daran denken, daß der Export durch eine vernünftigere Kurspolitik wieder hätte in Gang kommen können - wie er anstieg in Finnland von 1931 ab, als es eine andere Preis- und Kurspolitik trieb und damit seinen Käseexport verdreifachte in der gleichen Zeit, in welcher der Käseexport der Schweiz von 30 000 auf 17 800 Tonnen sank! Unterguggenberger hatte versucht, die Zellulosefabrik wieder mit Aufträgen zu versorgen. Es wäre ihm gelungen, wenn nicht der Kurs des Schillings künstlich hochgehalten worden wäre. «Nicht der Index, sondern der Dollarkurs ist heute in Wien bestimmend für die Geldausgabe der Notenbank. Der Preisstand muß schwanken und der Wechselkurs muß fest bleiben - das ist die Idiotenparole, mit der wir heute überall regiert werden», schmetterte Handelskammerpräsident Peter Westen, der bekannte Großindustrielle aus Siebenbürgen Minister Rintelen am 19. August 1932 in der bereits erwähnten Konferenz in Wien ins Gesicht. Unter dieser Parole ging die Wirtschaft in Österreich wie in der Schweiz weiter ihren Krebsgang.

In seiner Untersuchung kommt Dr. A. Hornung zum Schluß, daß das Wörgler Schwundgeld «kein Freigeld» gewesen sei. Das ist ein gutes Zeichen für dieses Tauschmittel und für das Experiment des Bürgermeisters Unterguggenberger. Denn:

Wäre das Experiment nicht gelungen, wäre die Arbeitslosigkeit nicht zurückgegangen, der Geldumlauf und damit die Wirtschaftstätigkeit nicht aufrechterhalten worden in diesem Unglücksjahr 1932, wo überall - selbst im abgewerteten England! - die Arbeitslosigkeit weiter anstieg, dann - so darf ziemlich sicher angenommen werden - dann würde das WörglerGeld Freigeld gewesen sein! Den Beweis für diese Annahme liefert die Tatsache, daß da, wo man, in Unkenntnis der Vorgänge in Wörgl, ein Mißlingen des Versuches annimmt, immer scharf akzentuiert vom «verunglückten FreigeldExperiment von Wörgl» gesprochen wird! Es gibt noch nettere Ausdrücke: «Der Schwindel von Wörgl», im «Neuen Winterthurer Tagblatt» vom 20. November 1933, oder «Der Bluff von Wörgl», in den «Neuen Zürcher Nachrichten» vom 17. Oktober 1933 usw. usw.


Auszug aus: Fritz Schwarz: Das Experiment von Wörgl; 1951
Dieser Text wurde ins Netz gebracht von: W. Roehrig. Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.
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