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Eduard Daladier besucht auch Wörgl

Im Jahre 1923 hatte Eduard Daladier zusammen mit Herriot Rußland bereist. Das Ergebnis dieser Reise war die spätere Ablehnung der russischen Revolution und eine scharfe Abkehr Daladiers vom kommunistischen Wirtschaftssystem.

Im Sommer 1933 kam er auch nach Wörgl, um hier das Ergebnis dieser Geldreform zu sehen. Nach Frankreich zurückgekehrt, hielt er auf dem Kongreß der Radikalsozialisten am 15. April 1935 in Nantes eine Rede, die überall in ähnlicher Weise entstellt wiedergegeben wurde wie etwa Gesells Lehren anläßlich der Volksabstimmung über die KaufkraftInitiative im Frühjahr 1951 in der Schweiz. Die Zeitungen berichteten, daß Caillaux, der Advokat der Hochfinanz und der Goldwährung in dieser Partei, während den Ausführungen von Daladier abwechselnd den Kopf geschüttelt oder ihn mit beiden Händen gestützt hätte. Wir zitieren Daladiers Rede nach dem Originaltext.

Einleitend führte Daladier an, er werde «eine wirtschaftliche und geldtheoretische Lehrmeinung zeigen können, die berufen sei, die Bewegung von 1789 in wirtschaftlicher Hinsicht wieder aufzunehmen». Es sei möglich geworden, «eine erweiterte, ja verhundertfachte Güterherstellung durch ein neues Geld hervorzubringen». Bisher sei «infolge der Durchsetzung der Verwaltungsräte, infolge des wechselnden Einflusses der Bank, die Aktien in Umlauf setzte und den Kredit verwaltete, in diesem Land der individualistischen Demokratie - in Frankreich - 200 Familien die unbestrittenen Gebieterinnen nicht allein der französischen Wirtschaft, sondern auch der französischen Politik selbst geworden». (Lebhafter Beifall!) Solche Gebilde hätte nicht einmal Richelieu im Königreich Frankreich geduldet, und so sei alles in Aufruhr versetzt worden.

Daladier fuhr fort: «Ich hätte sicherlich nicht darüber gesprochen, wenn ich nicht in der Lage wäre, dieser Kritik ein Aufbauprogramm folgen zu lassen, das eine Fortsetzung der Bewegung von 1789 in wirtschaftlicher Hinsicht bedeutet.» - «Ich halte von Tag zu Tag weniger von einer sogenannten Planwirtschaft. Wie sagte doch Proudhon 1848 in seinem berühmten Aufruf an die Arbeiter von Luxemburg? Wenn ihr an die Stelle eines Monopols ein anderes setzt, an die Stelle einer Vereinigung eine andere, werdet ihr schließlich, wie lauter eure Absichten auch sein müssen, vor denselben Zerstörungen, vor denselben Ruinen stehen. Wenn Sie die Planwirtschaft durch die Herrschaft einer einzigen Partei oder einer einzigen Klasse verwirklichen wollen, dann werden Sie hingedrängt zur politischen Diktatur, zum Faschismus, zur Zerstörung des Aufbauwerkes der französischen Revolution.»

"Unsere heutige Wirtschaftskrise ist eine Umsatzkrise. Man kann nicht sagen, daß wir es mit einer durch Überproduktion verursachten Krise zu tun haben, denn den Mengen von Getreide und sonstigen Waren, die man vernichtet, stehen Millionen Menschen gegenüber, die Hungers sterben! Es handelt sich um eine Umsatzkrise, die wir in dem Maße überwinden werden, als wir die Kaufmöglichkeiten des Volkes herstellen und zur Entfaltung bringen werden.”

«Ein nationales Arbeitsprogramm soll auch der Geldhamsterung ein Ende bereiten. Das Geld spielt im Wirtschaftskörper dieselbe Rolle wie das Blut im Körper des Menschen. Soll der Körper seine verschiedenen Lebensfunktionen erfüllen, muß der Kreislauf des Blutes ungehemmt vor sich gehen. So ist es auch notwendig, daß das Geld umläuft, damit die allgemeine Beschäftigung zur Wirklichkeit werde.»

«Ich behaupte, daß man der Krise nicht Herr wird, solange man das Geldwesen nicht in der Hand hat, und ich betrachte sowohl die Inflation als auch die Deflation als einen Betrug; es ist das eine so falsch wie das andere. Nur durch die Anpassung des Geldumlaufs an das Warenangebot wird man der Umlaufskrise abhelfen und dadurch dem kleinen Gewerbe, dem kleinen Handel Frankreichs Hilfe bringen, deren Zusammenbruch durch die Krisenbestrebungen des Großkapitals verursacht wird.» (Beifall!)

«Ich will Ihnen einen bemerkenswerten Versuch zur Prüfung unterbreiten. Ich habe in der «Illustration» (man druckt darin nichts, was den braven Bürgersmann aufschrecken könnte) einen Aufsatz von Herrn Bourdet gelesen, der sich nach einem tirolischen Dorf von 4000 Einwohnern, namens Wörgl, begeben hatte, das, angeregt durch die Geldtheorien Silvio Gesells und der davon ausgehenden freiwirtschaftlichen Bewegung, einen beachtenswerten Versuch unternommen hat. Ich habe mir die Sache selbst angeschaut, denn wir leben in einer Zeit, in der wir nichts geringschätzen, nichts verachten dürfen. Ich habe lange mit diesem Bürgermeister, dem nunmehrigen Altbürgermeister von Wörgl verhandelt.

Er verwaltete eine Gemeinde, wo seit dem Krieg niemand mehr die Gemeindesteuern bezahlte und man seit 1919 keine Reinigungsarbeiten ausführen lassen konnte, so daß die Wörgler Straßen zum Symbol der dort herrschenden Verwahrlosung wurden. Es gab sogar einen Spottvers: «Doch das schlimmste aller Laster, Wörgl, ist dein Straßenpflaster.» Niemand zahlte noch Steuern, niemand arbeitete. Die Zahl der Arbeitslosen stieg. Niemand konnte noch einkaufen. Ein Geschäft nach dem anderen wurde geschlossen.

Der Bürgermeister setzte sich mit dem Pfarrer, dem Kooperator, dem Obmann der Frontkämpfer usw. zusammen. Er rief im eigentlichen und aufrichtigen Sinn des Wortes eine «nationale Vereinigung» ins Leben und sagte zu den Leuten: "Wir werden alle in diesem Wirbel zugrunde gehen. Wollen Sie daher das System, das ich Ihnen vorschlage, anzuwenden versuchen?"

Der Bürgermeister von Wörgl schuf alsdann sogenannte Arbeitswertscheine.

Das sind höchst merkwürdige Scheine. Es ist sozusagen «Schwundgeld», denn es sind Geldscheine, denen die Eigentümlichkeit anhaftet, im Jahr 12 Prozent, monatlich 1 Prozent ihres Wertes zu verlieren.

Mit Zuhilfenahme solchen Geldes konnte der Wörgler Bürgermeister Gemeindearbeiten ausführen lassen; er ließ Straßen instandsetzen, Wasserleitungen und Bäder bauen usw. Die Arbeitslosigkeit ging zurück; das Geschäftsleben erholte sich zusehends. Wörgls Bevölkerung war zufrieden, und die Freude hatte die Verzweiflung wieder verdrängt. Die Bewohner haben mir erklärt, daß sie solches Geld, das sie leben läßt, dem Goldwahn und anderen veralteten Idealen vorziehen.»

«Aber entsteht nicht etwa durch die Verhinderung des Sparens eine ernste Gefahr? Da muß man eben beachten, daß die Kaufkraft dieser Scheine keine Verringerung erlitt. Übrigens meint man in Wörgl, daß das Sparen durch Hamstern von Geldscheinen einer dahingegangenen Zivilisationsperiode angehöre, Spargeld gehöre in die Sparkassen.

Dieses Geld hat überaus beachtenswerte Ergebnisse gezeitigt. Zahlreiche Orte Österreichs haben seine Einführung verlangt. Auch ich will in meiner Heimatstadt, falls sie einer solch erschreckenden Krise wie in Wörgl preisgegeben sein sollte, dieses System, wenn auch mit wesentlichen Abänderungen anzuwenden versuchen, ehe ich mich jenem Fatalismus ausliefere, der in unserem Land so gang und gäbe ist.

Was immer auch an dem Wörgler Versuch auszusetzen wäre - und das ist der einzige Schluß, den ich heute aus der Sache ziehe: wir leben in einer Zeit, wo man versuchen muß, der Krise durch Vergrößerung des Geldumlaufes und Verstärkung der Kaufmöglichkeiten der arbeitenden Bevölkerung Herr zu werden.

Es tut mir leid, Sie durch diese Rede so lange in Anspruch genommen zu haben, doch glaube ich, daß sie von einigem Nutzen ist. Frankreich ist nicht willens, sich irgendwelchen Abenteurern oder Diktatoren in den Arm zu werfen, denn Frankreich hat zweimal die Diktatur versucht, und zweimal hat diese das Land zum Ruin, zur Niederlage und zur Zerreißung seiner Grenzen geführt.» (Beifall.)

Daladiers Rede ging unter in den Störungen, welche die Nationalsozialisten verursachten, diese Kreaturen, welche die Krise in Deutschland an die Spitze des Staates gehoben hatte.

Im September 1936 hat Frankreich abgewertet und damit die Krise einstweilen überwunden. Als Daladier wieder zur Regierung gelangte, bestand seine Aufgabe darin, im französischen Heere und dann in Europa die Nazis zu bekämpfen, die gerade durch die Krise 1929-36 groß und stark geworden waren.


Auszug aus: Fritz Schwarz: Das Experiment von Wörgl; 1951
Dieser Text wurde ins Netz gebracht von: W. Roehrig. Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.
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