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In ältesten Zeiten mag der Handel aus dem
Darbringen von Geschenken und der Entgegen-
nahme von Gegengeschenken entstanden sein,
wie es unter Naturvölkern und Kindern heute
noch ist. Der wahre Charakter dieses "Schen-
kens" zeigt sich aber schon in dem ungeschriebe-
nen Gesetz, gleichwertige Gaben zu tauschen.
Daß Glaukus seinem Gast Diomedes eine gol-
dene Rüstung schenkte und eine eherne dafür
empfing, wird vom Dichter der Ilias mit dem
Tadel vermerkt, daß Zeus ihn "ganz und gar
seiner Sinne beraubt" habe.
Im übrigen aber schien sich dieser Handel im
Altertum in geradezu vorbildlicher Noblesse ab-
zuwickeln. So schreibt Herodot von den Berich-
ten der Karthager: ". . . es wäre auch noch liby-
sches Land und Menschen darin jenseits der Säu-
len des Herakles (= Meerenge von Gibraltar).
Wenn sie dahin kämen, lüden sie ihre Waren
aus, dann gingen sie wieder in ihre Schiffe und
machten einen großen Rauch. Wenn nun die Ein-
geborenen den Rauch sähen, so kämen sie an das
Meer und legten für die Waren Gold hin und
dann gingen sie wieder weit weg von den Wa-
ren, die Karthager aber gingen an das Land und
sähen nach, und wenn des Goldes genug wäre
für die Waren, so nähmen sie es und führen nach
Hause; wäre es aber nicht genug, so gingen sie
wieder an Bord und warteten es ruhig ab. Dann
kämen sie wieder und legten noch immer etwas
Gold zu, bis die Karthager zufrieden wären.
Keiner aber betrüge den anderen, denn sie rühr-
ten weder das Gold eher, als bis die Waren da-
mit bezahlt wären, noch rührten jene eher die
Waren an, als bis sie das Gold genommen." (s.
Rob. Eisler: Das Geld, S. 49.)
Dies mag noch echter Tauschhandel gewesen
sein. Wohl ist vom Golde die Rede, aber noch
nicht vom Geld im späteren Sinn dieses Wortes.
Mannigfache Erzeugnisse in natura gleichwer-
tig zu tauschen, ist eine unlösbare Aufgabe. Da
die Aufgabe aber einem Bedürfnis entspricht und
somit doch vernünftig ist, muß es auch eine ver-
nünftige Lösung geben. Diese Lösung fand und
entwickelte der Mensch in dem merkwürdigen
Ding, das er "Geld" nennt. Seit den ältesten
Zeiten haben mancherlei Dinge als Geld gedient,
von denen wir viele heute nicht mehr als Geld
betrachten können; Vieh, Muscheln, Häute, Skla-
ven und Metalle allerArt wurden zeitweise nicht
wegen ihrer unmittelbaren Verwendbarkeit, son-
dern wegen der Möglichkeit des Weiter-Tauschens
gegen die wirklich begehrten Dinge angenom-
men. Damit wurden sie zu einem Zwischenglied
im Handel, das den Tausch vermittelt, zum
Gelde. Daß in dieser Entwicklung die Edel-Me-
talle sehr bald den Vorrang einnahmen, versteht
sich von selbst. Schon bei den Assyrern und
Ägyptern war das gestückelte Hacksilber be-
kannt, das nichts weiter war als ein Stück von
dem Gußkuchen des geschmolzenen und in Was-
ser gegossenen Metalls. Von hier aus führte ein
gerader Weg zur gleichbleibenden Stückelung;
Stangen, Ringe, Barren, gestempelte Barren, ge-
prägte Münzen folgten.
In der Geschichte des Münzwesens gelten die
Lydier als die Erfinder der Münze. Ihre Münzen
bestanden aus einer Legierung von Gold und Sil-
ber. Der außerordentlich ergiebige Goldbergbau
der Lydier war ja auch die Grundlage für den
sagenhaften Reichtum jenes Königs Krösus, der
im 6. Jahrhundert vor Christus lebte, damals
aber bereits ein hochentwickeltes Geldsystem in
seinem Lande hatte.
Wo immer das Geld erstmalig auftrat, erwach-
ten wie nach einer zauberhaften Berührung die
schlummernden Kräfte des Neuen, taten sich un-
geahnte Quellen der Wohlfahrt und des Reich-
tums auf, Handwerk und Künste entwickelten
sich, und der Mensch erhob sich über die Bedürf-
nisse des Alltags und machte sich an Werke, die
Generationen überdauerten. Wo aber das Geld
wieder verschwand, da zerfiel der Bau der Kul-
tur, weil das Fundament der Arbeitsteilung sich
auflöste.
Um die Mitte des 7. Jahrhunderts v. Chr.
wurden auf der Insel Mykene die ersten Mün-
zen Griechenlands geprägt. Jetzt brauchte das
Silber des Händlers nicht mehr geprüft und ge-
wogen zu werden, jetzt konnte man fertig ge-
prägte Stücke zählen und damit rechnen.
Vor dieser Zeit war auch in Griechenland das
Vieh das gebräuchlichste Tauschmittel "Geld".
In den Gedichten Homers ist die Münze noch
unbekannt, weshalb alle Werte immer am Rind
gemessen werden - die goldene Rüstung des
Glaukos ist 100 Rinder wert; und Laertes be-
zahlt Eurikleia mit 20 Rindern (s. F. Müller-
Lyer: Phasen der Kultur, München 1929, S. 250
ff). Töchter waren zu diesen Zeiten wertvoll,
weil sie Rinder einbrachten, wenn sie einen Mann
fanden; Söhne dagegen machten Kosten.
Durch die Erfindung des Geldes wurde der
Handel erleichtert und dieser Erleichterung des
Handels ist die Entfaltung der gewerblichen
Produktion Griechenlands zuzuschreiben; mit
den Impulsen, die sich aus dem aufblühenden
Handel ergaben, wurden Handwerk, Künste
und Wissenschaft machtvoll gefördert.
Jeder besser gestellte Handwerker in Athen
oder Korinth beschäftigte unfreie Arbeiter, Skla-
ven, in seiner Werkstätte; auch war es durchaus
nichts Ungewöhnliches, daß ein Vermögender
einem Sklaven einen Gewerbebetrieb oder ein
Handelsgeschäft übergab, worin dieser selbstän-
dig für den Gewinn des Herrn arbeitete und
Handel trieb. So besaß der Vater des Demosthe-
nes eine Messerschmiede und eine Stuhlfabrik
mit zusammen mehr als 50 Arbeitern und an
diesem Unternehmen verdiente er so viel Geld,
daß er 40 Talent Silber oder fast 200 000 Gold-
mark hinterlassen konnte. Kleon betrieb eine
Gerberei, Hyperbolos eine Lampenfabrik. Es ist
einleuchtend, daß eine derartige Produktion so-
wohl einen aufnahmefähigen inneren Markt wie
auch ein in die Ferne reichendes Netz von Han-
delsverbindungen zur Vorbedingung hatte. Aber
die Völker des Altertums saßen ja nach einem
Wort von Herodot "wie die Frösche um den
Teich" an den Küsten des Mittelmeeres, das die-
sen Handel von Natur aus begünstigte. Und
dieser Handel mit anderen Völkern entwickelte
überall noch spezielle Produktionszweige. Milet,
Kios und Samos fertigten Wollstoffe, Teppiche
und kostbare Gewänder. Chalkis und Korinth
exportierten Waffen, Tongeschirr und Geschmei-
de. In Theben und Sizilien saßen die besten
Wagenbauer und Agina lieferte Klein- und Ga-
lanteriewaren.
In bezug auf die rechnerische Einteilung im
Münzwesen war den Griechen die geheimnisvol-
le Zahl 12 - die selbst in der Ordnung des Kos-
mos ihre Bedeutung zu haben scheint - richtung-
weisend, während die semitischen Handelsvöl-
ker mit dem Dezimalsystem rechneten. Der grie-
chische Silber-Stater zählte 12 Obolen; der
Obolos war die kleinste Münze. Eine Zwischen-
größe stellte die Drachme dar, die wohl die ge-
bräuchliche Münze für den alltäglichen Markt-
verkehr gewesen sein dürfte; diese Münze hatte
den Wert von 6 Obolen. Neben dem Silber-Sta-
ter gab es auch Gold-Stater. Den Handelsge-
schäften der Großkaufleute diente die Mine, die
den Wert - d. h. das Silbergewicht - von 60
Drachmen hatte, als gebräuchliche Münze; 60
Minen waren ein Talent. (*)
Dem Einfluß der Phönizier und Syrier zufol-
ge soll die Mine später auf 100 Drachmen ge-
setzt worden sein; doch im übrigen blieb es bei
der Einteilung im Zwölfer-System, in dem die
Zahl 60 - die sich in jede Zahl von 1 bis 6 ohne
Rest teilen läßt - dominierende Bedeutung be-
hielt. Nach heutigen Begriffen muß die Kauf-
kraft des damaligen Geldes der Griechen außer-
ordentlich hoch gewesen sein. In Athen verwan-
delte Solon die drakonischen Strafen, die bis zu
seiner Zeit (640 - 559 v. Chr.) in Schafen und
Rindern entrichtet werden mußten, in Geldstra-
fen, wobei er das Schaf mit 1 Drachme, das Rind
mit 5 Drachmen ansetzte. Kein Wunder, daß
sich das neue Geld, in welchem sich Besitz und
Reichtum in beweglichster Form konzentrierten,
allgemeiner Wertschätzung erfreute.
Es ist die Lichtseite des zunehmenden Reich-
tums, daß sich eine wachsende Zahl von Men-
schen der Kunst und Wissenschaft zuwenden
konnte, und so aus der Masse das Volkes viele
hervorragende Begabungen heraustraten.
Aber die Geldwirtschaft hatte auch eine Schat-
tenseite; mit den Diensten, die das Geld dem
Menschen leistete, verstrickte es ihn auch mehr
und mehr in Abhängigkeit. Je weiter wir uns in
die Spezialisierung der Gewerbetätigkeit hin-
einwagen, desto bedingungsloser sind wir auf
die Vermittlung des Leistungsaustausches durch
das Geld angewiesen, und desto tiefer ist denn
auch unser Sturz, wenn das Geld einmal seine
Dienste versagt.
Schon war es soweit, daß auch die Kriegs-
führung vom Gelde abhing. Im Krieg gegen
die Phönizier ließ Damarete, die Gemahlin Ge`
lons, aus ihrem Silberschmuck Münzen schla-
gen und die reichen Bürgerinnen von Syrakus
folgten ihrem Beispiel. Und auch nach dem er-
fochtenen Sieg führte sie den kostbaren Tribut
im Werte von 100 Talenten, den ihr Karthago
für die milde Behandlung der Gefangenen dar-
brachte, der Münzprägung zu. Daraus entstan-
den die prachtvollen Deka-Drachmen; die im
Spiegel des Münzwesens einen klaren Wieder-
schein von der hohen Kultur Griechenlands ge-
ben (s. "Die schönsten Griechenmünzen Sizi-
liens", Insel-Bücherei Nr. 559).
Die Griechen müßten keine Menschen gewe-
sen sein, wenn sie durch ihren Aufstieg nicht
übermütig und maßlos geworden wären. Da
man für Geld alle Schätze der Welt, die schön-
sten Gewänder und die erlesensten Genüsse kau-
fen konnte, wurde der naive Mensch dieser frü-
hen Kultur geradezu von einer Gier nach Geld
erfaßt. Die griechischen Bauern verkauften ihre
Ernte, entblößten sich aller Vorräte, nur um
Geld zu bekommen; es begann die Verschuldung
des Bodens. "Die Pfandsteine fesselten zahllos
der Mutter Erde dunkelfarbig Land" hören wir
Solon klagen. Für Geld-Darlehen mußten 36
Prozent und mehr Zinsen gezahlt werden. Es
begann ein sozialer Verfall; wer einmal in Not
geraten war, versank rasch in Schuldknechtschaft
und Sklaverei, während auf der anderen Seite
der Reichtum sich steigerte.
Bald drängte sich in den Städten verarmtes
Volk, das auf Kosten der Staatskasse mit Ge-
treidelieferungen ernährt und mit Theater er-
götzt werden mußte. Soziale Wirren und Auf-
stände wurden häufiger. Zweimal in einem ein-
zigen Menschenalter wurden in Syrakus die Rei-
chen niedergemetzelt, der Besitz neu verteilt
und die Schuldscheine verbrannt. Doch solche
Aktionen änderten nichts an dem in Gang ge-
kommenen Prozeß der finanziellen Auszehrung
Griechenlands. Die Getreide-Einfuhr für die Ar-
men und die Luxusbedürfnisse der Reichen be-
wirkten zusammen einen anhaltenden Abfluß
des Geldes. Um die Mitte des 5. Jahrhunderts
v. Chr. war die attische Tetra-Drachme die gän-
gigste Silbermünze der damaligen Welt; ebenso
wurden in dieser Zeit in Athen noch Goldmün-
zen geprägt. Aber das Brotgetreide kam aus
Ägypten und kostete Geld, und auch die Kriegs-
heere kosteten Geld; und der soziale Verfall
zerstörte den inneren Markt, während der
Außenhandel passiv wurde und unaufhörlich
silberne Drachmen und goldene Stater auf Nim-
merwiedersehen verschlang.
Nach dem traurigen Ausgang des peloponne-
sischen Krieges ließ die neue oligarchische Re-
gierung Athens 1500 seiner reichsten Bürger hin-
richten und deren Vermögen konfiszieren, um
Geld in die Staatskasse zu bekommen. Aber das
Ergebnis war enttäuschend; der Grundbesitz
dieser Reichen ließ sich nicht veräußern, weil
niemand mehr da war, der Geld hatte. Und wer
würde es auch gewagt haben, zu zeigen, daß er
noch Geld hat, wenn er damit rechnen muß, zu
den Reichen gezählt zu werden, die ihres Reich-
tums wegen des Todes würdig sind? - So wirk-
ten zwei Ursachen zusammen, das Geld vom
Markt zu fegen:
Einesteils der tatsächliche Geldabfluß an die
Händler aus den fernen Ländern, die das Brot-
getreide für das Volk wie auch die Spezereien
und den Luxus für die Vermögenden lieferten;
und anderenteils die spekulative Erwartung und
die ängstliche Sorge, daß das Geld noch knapper
und am allgemeinen Begehren gemessen noch
kostbarer werden würde. Immer schon wurde ein
Ding just in dem Moment, in dem es am dring-
lichsten begehrt wird, in auffälliger Weise knapp
- weil eben Knappheit den Wert noch steigert.
Für den Markt und den Handel, der auf das
Rollen des Geldes angewiesen war, bedeutete
das Versiegen der Geldzirkulation eine verhee-
rende Drosselung der Geschäfte. Die Auflösung
der Arbeitsteilung war unabwendbar. Längst
waren die Tempelschätze angegriffen; der Schatz
von Delphi wird auf mehr als 50 Millionen
Goldmark geschätzt - in damaliger Kaufkraft
eine gewaltige Summe.-
Aber der unaufhörliche Abfluß des Geldes -
den man damals noch nicht statistisch registrie-
ren und erst recht nicht in seinen Auswirkungen
abschätzen konnte - brachte Handel und Wan-
del zum Erliegen. Die Landwirtschaft war schon
zerstört; und jetzt kam der Niedergang auch
über Handel und Gewerbe. Ist es verwunderlich,
wenn ein Volk, das sich von der Höhe einer ent-
wickelten Arbeitsteilung und Marktwirtschaft
wieder in die Niederungen urbäuerlicher Haus-
wirtschaft zurückgestoßen sieht, nichts Großes
mehr zu schaffen vermag?-
Es mag tragisch sein, aber es ist der Lauf der
Welt, daß die Einsichten der Weisen so oft unge-
hört oder unverstanden verhallen. "Ehret Ly-
kurg", ruft Pythagoras aus, "denn er ächtete das
Gold, die Ursache aller Verbrechen!" - Lykurg
hatte als einziger Gesetzgeber Griechenlands den
Versuch gemacht, seinen Staat Sparta aus der
Abhängigkeit vom Golde herauszuhalten; das
Geld Spartas war aus Eisen, das in Essig gehär-
tet war. Doch über die Verflechtung in den all-
gemeinen Handel war Sparta dennoch in die all-
gemeine Abhängigkeit verkettet. Der Verfall
der Geldordnung zerstörte die hohe Blüte der
griechischen Kultur.
Nach nur wenigen Generationen standen arm-
selige Ziegenhirten verständnislos vor den Tem-
peln ihrer großen Vergangenheit und brachen
Steine heraus, um ihre kümmerlichen Behausun-
gen damit auszubauen. Sie lebten wieder in Na-
turalwirtschaft.