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Und jetzt ist wieder etwas Besonderes bemer-
kenswert, das gleichfalls in den Bereich unserer
Betrachtungen und in den Zeitabschnitt dieser
reichen Jahrhunderte fällt: die Entwicklung der
deutschen Hanse.
Der Fernhandel ist auch von anderen Völ-
kern früherer Kulturen schon gepflegt worden.
Die Landeserzeugnisse fernab gelegener Gebiete
gehörten bereits in den großen Städten des klas-
sischen Altertums zu jenen Dingen, die ein ver-
feinerter Lebensstil für unentbehrlich hielt.
Trotzdem gibt es in der Wirtschaftsgeschichte
wenig Vergleiche, die der Blütezeit des mittel-
alterlichen Welthandels, dem machtvollen Wir-
ken der deutschen Hanse, gegenübergestellt wer-
den könnten.
Eine Reihe glücklicher Umstände haben zu-
sammengewirkt. Handel, Handwerk und Gewer-
be, überall in rühriger Geschäftigkeit, bilden
die
Grundlage wachsenden Wohlstandes. Ohne Un-
terbrechung räumt die Nachfrage, die in Ge-
stalt der rastlos zirkulierenden geprägten Sil-
berplättchen auftritt, den Markt. Es gibt keine
Stockung des Absatzes wie zuweilen in unserer
modernen Wirtschaft; es gibt auch keine Hem-
mung der weiteren Produktion und Zufuhr. Die
Erzeugnisse werden kunstvoller und gediegener,
die Käufer anspruchsvoller. Man begehrt das
Besondere, das Seltene, das Produkt fremder
Landstriche und verfeinerter Herstellung. So
ziehen denn die Kaufleute mit Roß und Wa-
gen und bewaffneten Knechten in die Welt hin-
aus, nehmen heimische Erzeugnisse mit und je
weiter sie vordringen, desto kostbarer wird ihre
Ware am Ort des Absatzes; und was sie dort
einhandeln und nach langer und beschwerlicher
Reise zurückbringen, das hat in der Heimat-
stadt jenen höheren Marktwert, der sich in klin-
genden Gewinn umsetzen läßt.
So bildeten sich im Laufe der Jahrhunderte
die Straßen des erstarkenden Handels, über Ge-
birgspässe hinweg, die Flußtäler entlang, wie
ein von starkem Leben durchpulstes Aderwerk,
das von der vitalen Kraft des ganzen Raumes
der mitteleuropäischen Wirtschaftsverfassung
Kunde gab und bis an die Peripherie der damals
bekannten Kulturwelt reichte.
Da war über die Alpenpässe hinweg die Han-
delsstraße von Norditalien, Genua, Venedig,
Florenz zum Rheintal diesseits der Alpen, den
Rhein entlang bis zu seiner Mündung und da-
mit zum Anschluß an die Seefahrtswege nach
England. Über diese Handelsstraße brachten die
Kaufleute viel Gewürz und Spezereien, Duft-
stoffe, Heilmittel aus dem Orient auf die Märkte
von Frankfurt, Köln, Brügge, Antwerpen, eben-
so auch Rohstoffe, Baumwolle, Alaun, das lange
Zeit nur von den Türken zu bekommen war und
zur Gerberei und Färberei gebraucht wurde,
Seide und kunstvolle Brokatstoffe aus Alexan-
drien und Byzanz. Den entgegengesetzten Weg
machten die Weberei-Erzeugnisse aus Flandern,
das Pelzwerk aus dem hohen Norden. Pelze gal-
ten schon frühzeitig als vornehmste Bekleidung,
als Zeichen von Würde, Pracht und Reichtum
und wurden stets mit hohem Gewinn abgesetzt.
Doch die Kaufleute, die sich mit der Beschaffung
dieser begehrten Artikel befaßten, hatten auch
viel Mühen zu tragen.
Wie am Rhein, so bildete sich auch an der
Donau, an Elbe, Oder und Weichsel und an der
Küste des Nordmeeres und der Ostsee das Ge-
äder der Handelswege. Und die Schnittpunkte,
an denen sich solche Handelsstraßen überquer-
ten, entwickelten ein Leben, wie wir es uns kaum
mehr vorstellen können. Nicht von ungefähr
wurde Wien die blühende Handelsstadt im Süd-
osten, an der großen Völkerstraße der Donau
gelegen, die durch Ungarn bis zum Schwarzen
Meer reichte und die Handelsbeziehungen über
die Grenzen des christlichen Abendlandes hinaus
führte. In nord-südlicher Richtung aber ging die
Handelsstraße gleichfalls über Wien hinweg und
verband die Städte an der Oder und an der
Weichsel mit den Pässen über die Alpen bis zur
Adria.
In gleicher Weise war Frankfurt der große
Markt der mittelalterlichen Weltwirtschaft im
Westen; hier trafen sich die Kaufleute mit ihren
Handelszügen aus Italien, aus Frankreich, aus
Flandern, aus dem Norden und aus dem Osten.
Für Nürnberg kam der Reichtum jahrhunderte-
lang durch seine nach allen Richtungen offenen
Stadttore. Durchs Frauentor kamen von Regens-
burg her die Kaufmannszüge mit den Erzeugnis-
sen der fernen Türkei, der Donauländer in die
Stadt; durchs Laufer Tor von Breslau her, aus
Prag und Krakau; nach der Alpenstraße und
nach Italien öffnete sich das Spitteler Tor, das
auch von Augsburg her die Kaufmannsware aus
dem Westen, von Frankreich und Spanien, her-
ein ließ; den Weg nach Mitteldeutschland, nach
Erfurt, Magdeburg und weiter nach dem Nor-
den bis nach Dänemark und Schweden schlugen
die Wagenzüge ein, die an der Burg vorbei
durchs Tiergärtner Tor Nürnberg verließen.
An solchen Schnittpunkten der Handelsstra-
ßen zu liegen, war Geldes wert. Dennoch wäre
es falsch, völlig außer acht zu lassen, welcher
Fleiß und Aufwand, welche Klugheit und kraft-
volle Rührigkeit erforderlich gewesen sein dürfte,
einen Platz mit so viel Leben und Anziehungs-
kraft zu erfüllen, daß er zu einem großen Sam-
melpunkt, zu einem weltoffenen, über die lokale
Bedeutung hinausreichenden Markt und Um-
schlagplatz werden konnte. Diejenigen Städte,
die das zustande brachten, verdanken in der Tat
ihren Glanz und ihre Größe nicht dem manch-
mal überschätzten Umstand, Wohnsitz des Bi-
schofs oder des Fürsten zu sein, sondern sie ver-
danken dies der kühnen Regsamkeit ihrer Kauf-
herren und dem Fleiße ihrer Handwerker und
Künstler. Neben den vielen materiellen Gütern,
die auf hochbepackten Lastwagen und von star-
ken Gespannen gezogen aus der Ferne anrollten,
haben die fahrenden Kaufleute auch ideelle
Werte, Erfahrungen, Beobachtungen aus ande-
ren Ländern mit nach Hause gebracht und die
selbstbewußte Entschlossenheit zu gemeinsamem
zielbewußten Handeln.
Um aber noch ein wenig bei den wirtschaft-
lichen Verhältnissen zu verweilen und jene Zeit
aus der Perspektive des 20. Jahrhunderts zu be-
trachten: Wenn Handwerk und Gewerbe solcher
Art für einen Absatz arbeiten konnten, den die
Kaufherren nach fremden Märkten verfrachte-
ten, dann war dies doch nach heutigen Begriffen
eine Erzeugung für den "Export", während die
Zufuhr fremder Waren nach dem heimischen
Markt den "Import" darstellte. Diese Begriffe
mit ihrer heute nur zu oft auftretenden Proble-
matik kannte die mittelalterliche Weltwirtschaft
indessen noch nicht. Auch die Mannigfaltigkeit
in der Münzprägung war dem Handel jener Zeit
keinesfalls in besonderem Maße hinderlich, ob-
wohl der Geltungsbereich einer Münze oft sehr
begrenzt war. Vielleicht liegt die Natürlichkeit
und Selbstverständlichkeit der mittelalterlichen
Weltwirtschaft zu einem wesentlichen Teil ge-
rade darin begründet, daß noch keine reglemen-
tierende Politik in die Handelsbeziehungen der
Kaufleute eingriff. Gewiß lag hierzu auch keine
Veranlassung vor, solange die Geldwirtschaft in
dem Sinne in Ordnung war, mit ihrem unge-
störten Kreislauf die Erzeugung vom Markte zu
nehmen. So nahm auch der Kaufmann, der den
Fernhandel pflegte, die heimischen Produkte vom
Markt, bezahlte sie mit dem hier gültigen Geld
und lieferte für das gleiche Geld die Erzeug-
nisse, die seine Wagenzüge aus der Fremde brach-
ten. Nach denselben Grundsätzen ließ sich die
heimische Ware auf dem fremden Markt abset-
zen, wodurch das Geld erworben wurde, die Er-
zeugnisse zu bezahlen, die die Rückfracht nach
der Heimat darstellten. Die Probleme der "De-
visenbewirtschaftung" und -beschaffung für die
Bezahlung der Exporte lösten sich lächerlich ein-
fach und die merkantilistischen Überlegungen
von der "Schädlichkeit" des Importes und von
der "Notwendigkeit" des Exportes, die den reg-
lementierenden Staat auf den Plan riefen, schlum-
merten um diese Zeit noch im Schoße der Zu-
kunft. Vielleicht wäre es besser gewesen, die tö-
richten und widerspruchsvollen Theorien wären
nie zur Wirkung und Anwendung gekommen.
Die Wirtschaft dieser Jahrhunderte des späten
Mittelalters war ein großes Ganzes, und wenn
auch die Entfernungen für damalige Verkehrs-
verhältnisse weitaus größer waren, als sie es
heute sind, so wußte sich dieses Geschlecht wage-
mutiger Kaufleute, das die Welt nach allen Him-
melsrichtungen durchzog, doch besser zu helfen
als wir es heute mit allen Errungenschaften des
modernen Verkehrs und Nachrichtenwesens ver-
mögen.
Wo organisierte Zusammenarbeit notwendig
war, kam sie nicht durch obrigkeitliche Gesetz-
geberei zustande, sondern durch die Initiative
der in eigener Sache mit freier Selbständigkeit
handelnden Kaufleute. Da war als Dringlichstes
die Notwendigkeit des Schutzes auf der Land-
straße, auf den Flüssen und auf der See. Noch
war es nicht ungefährlich, kostbare Waren über
weite Wege zu den Städten zu bringen. An den
befahrensten Handelsstraßen und Flüssen hat
mancher reisende Kaufmann seine Fracht mit
Wagen und Rossen an den Ritter verloren, der
von seiner Raubburg herab den Weg überwachte.
Mit allmählich um sich greifender Gesittung
wurde dann späterhin ein Zolltribut daraus und
schließlich ein durch Reichsrecht sanktionierter
Wege- und Brückenzoll, der für die Instandhal-
tung der Verkehrswege und als Entgelt für die
Verkehrssicherheit bezahlt werden mußte. Aber
bis dahin dauerte es noch eine ganze Weile; und
die Kaufmannschaft war auf ihre eigene Stärke
auf gegenseitigen Beistand in Rat und Tat und
auch auf die Unterstützung der Bürgerschaft der
Städte angewiesen. Von diesen Zuständen aus
entwickelte sich die "Schar in der Fremde", die
Gilde der Kaufleute, zur "Deutschen Hanse",
zu jener achtunggebietenden Organisation, von
deren Ruhm und Größe ihre alten Städte heute
noch träumen.
Da Einkauf und Verkauf gänzlich verschie-
dene Aufgaben darstellten und die weiten, zeit-
raubenden Reisen die sorgfältige Wahrnehmung
beider Aufgaben kaum erlaubten, haben die
Kaufleute der Hanse früh schon begonnen, Nie-
derlassungen in der Ferne zu gründen, ihre Han-
delskontore und Faktoreien; in London den Stal-
hof an der Themse, in Flandern das Kontor in
Brügge, in Norwegen befand sich das nördlichste
Hansekontor in Bergen, und im Osten war die
letzte Niederlassung der Hanse bis nach Now-
gorod vorgeschoben, nahe dem Ilmensee, durch
den Handel mit Rußland lohnend genug.
Zwischen all diesen Orten, den speziellen Pro-
duktionsstätten oder Stapelplätzen, und den gro-
ßen Märkten der fernen Städte waren ständig
die Wagenzüge und zur See die Schiffe der han-
sischen Kauffahrer unterwegs; und von allen
Gewerbezweigen war der Handel als metho-
disch und weiträumig organisierter Güteraus-
tausch entscheidend für alle Gewerbetätigkeit,
der vornehmste und anspruchsvollste, der Kühn-
heit, Wagemut und Klugheit zugleich erforderte.
Nicht umsonst berief die Heimatstadt ihre Kauf-
herren in der Regel auch in den Rat des Gemein-
wesens. Der Handel brachte nicht nur Reichtum
für den Kaufmann, sondern er brachte auch die
Aufträge für das heimische Gewerbe. Kaufleute
waren es auch, die als Woll-Importeure die We-
berei in den Städten ihrer Heimat begründeten
und zum Blühen brachten und mancherlei an-
dere Förderung des Handwerks vermittelten.
Welch großartige Befruchtung der Wirtschaft
ging doch allein von der Entwicklung des Fisch-
handels aus, den die Hanse unter der Führung
Lübecks im 13. Jahrhundert in die Hand nahm;
Saxo Grammaticus, der Vater der dänischen Ge-
schichte, erzählte von der Ostsee-Meerenge zwi-
schen Seeland und Schonen, daß dort alljährlich
reiche Fischzüge zu beobachten seien: "Der ganze
Meeresraum füllt sich gewöhnlich so mit Fischen,
daß manchmal die Schiffe feststehen und kaum
mit angestrengten Rudern herauszubringen sind
und die Beute nicht mehr mit der künstlichen
Vorrichtung gefangen, sondern ohne weiteres
mit der Hand gegriffen wird" (s. E. Hering: Die
deutsche Hanse, S. 61).
Der Reichtum dieser Fischgründe war aber
bis zum Auftreten der hansischen Kaufleute, die
jetzt erst einen Markt, und zwar einen riesenhaf-
ten Markt für Jahrhunderte eröffneten, in den
Händen der Dänen wertlos. Jetzt jedoch ent-
standen - nach einem ersten Vertrag der Dänen
mit Lübeck im Jahre 1225 - die Niederlassun-
gen der hansischen Fischhändler auf Schonen
und eine von kluger und straffer Organisation
zeugende Entwicklung ließ bald ein anderes Bild
entstehen.
Da kamen die Koggen der Hanse mit Lübek-
ker Salz, das in riesigen Mengen gebraucht
wurde; aus den Städten Pommerns wurden Hun-
derttausende hölzerner Tonnen geliefert, alle von
gleichem Maß nach der mustergültigen Rostocker
Tonne. Zugleich wurden freilich auch andere
Waren, Tuch aus Flandern, niederdeutsche Lei-
newand, fertige Kleider, Pelzwerk, Seidenstoffe,
Gewürze und orientalische Spezereien, Lebens-
mittel und Getränke, insbesondere Wein und
Bier, und mancherlei sonstige Kostbarkeiten,
Brokate, Gold- und Silberwaren, Srhmuck und
Hausrat nach dem Markt geliefert, auf dem sich
während der Heringsfangzeit die ganze Ostsee-
küste ein jährliches Stelldichein gab. Man arbei-
tete wohl, um zu leben; aber man vergaß auch
nicht, sich des Lebens zu freuen.
Die Bearbeitung, das Sortieren, Salzen und
Einlegen der Heringe war sorgfältig organisiert.
Nur die von "Wraker" geprüfte, verschlossene
und gesiegelte Tonne konnte als "gut schonen-
sche" den Weg in die weite Welt antreten. So
gingen die vollbeladenen Schiffe zurück in die
Heimatstädte, der Hering schwamm flußauf-
wärts und rollte per Achse bis weit in den Sü-
den, über die Alpen nach Frankreich, nach Ita-
lien, nach Polen und nach Rußland; auch nach
England, der meerumspülten Insel, lieferten die
Kaufherren der Hanse den schonenschen Hering.
Noch größere Bedeutung als Schonen bekam
weiter oben im Nordosten des baltischen Mee-
res das von der Hanse gegründete Wisby auf
Gotland, von dem auch die Fäden des Seehan-
dels zu den weiteren hansischen Gründungen
Reval und Riga, Königsberg, Elbing und Dan-
zig reichten, von Riga die Düna aufwärts über
Livland, Litauen nach Rußland führend, von
Danzig an der Mündung der Weichsel zu den
Hansestädten Thorn, Warschau und Krakau tief
im Herzen Polens. -
Hoch oben an der Küste Norwegens war das
bereits erwähnte Bergen die nördlichste Nieder-
lassung. Von dort kam der schon im Mittelalter
gern gegessene Kabeljau als "Stockfisch" auf die
Märkte. Dieser Fisch wurde vornehmlich in der
Lofotengegend gefangen; er wurde geköpft, aus-
genommen und einfach am Schwanzende mit
einem anderen zusammengebunden, über Gerü-
sten hängend im steifen Wind des nordischen
Frühjahres getrocknet. Danach ging er, in Ballen
verpackt, auf die Reise. Auch der Heilbutt, von
kundigen Händen zugerichtet, getrocknet, ge-
räuchert, war eine sehr begehrte Ware. Aus dem
Hinterland Bergens kamen aber auch alle denk-
bar möglichen Felle, Bären-, Wolf-, Fuchs-, Mar-
der-, Biber- und Otterfelle, nach dem Handels-
hof der Hanse und fanden mit den Produkten
der See und ihrer Küste, mit Walspeck, Robben-
tran, mit Seehundsfellen, Federn und Daunen
der Singvögel ihren Absatz durch die hansi-
schen Kaufleute.
Während so die Erzeugnisse des Nordens durch
die kaufmännische Organisation der Hanse in
die fernsten Städte geleitet wurden, brachten
die in den bergischen Hafen einlaufenden Schiffe
Korn und Mehl, Malz, Lübecker Bier, Lünebur-
ger Salz und, wie Ernst Hering in seinem er-
wähnten Werk berichtet, "eine erstaunliche Man-
nigfaltigkeit allein schon in Tuchen, graue La-
ken aus Lüneburger Heidewolle, braune Laken
aus guter weißer und schwarzer Stralsunder
Wolle, weiße Laken aus guter weißer Wolle
wurden aus Braunschweig und Magdeburg be-
zogen. Dazu kam gebleichte und ungebleichte
Leinewand aus der Lüneburger Heide, aus Ül-
zen und Lüchow, Lübecker Schuhe waren als
Ausfuhrgut sehr begehrt. Taue aus Bast und
Hanf, kupferne Kessel, Kannen, Schwerter und
Anker, Angelschnüre, Teer für den Bau und die
Instandhaltung von Holzhäusern gehörten eben-
falls zur Fracht nach Bergen" (s. a. a. O., S. 75).
Bei solchen Güterumsätzen versteht es sich
wohl, daß die hansische Niederlassung, das Kon-
tor von Bergen, eine gewaltige Anlage mit gro-
ßer Verwaltung darstellte: 60 große Speicher-
gebäude nahmen die Waren auf, die im mittel-
alterlichen Welthandel auf ihrem Weg zu den
Märkten über den Stapelplatz und Versand-
hafen Bergen liefen.
Werfen wir noch einen Blick nach dem We-
sten und nach dem Süden, nach Flandern und
nach England. Es wäre verwunderlich, wenn wir
nicht überall das gleiche Bild von emsiger Ge-
schäftigkeit, von beträchtlichen Güterumschlägen
und machtvoll wachsendem Reichtum erblicken
würden. Seit die Kaufleute der Hanse 1367 in
Köln mit der denkwürdigen "Kölner Konföde-
ration" ein Städtebündnis gegen die gekrönten
Herren von Dänemark und Norwegen geschlos-
sen hatten, war das Bürgertum, das in seinen
vornehmsten und aktivsten Vertretern, seinen
welterfahrenen und weitschauenden Kaufleuten
vor die Rampe der mittelalterlichen Weltpolitik
getreten war, als geschichtsbildende Kraft nicht
mehr hinwegzudenken.
Rund 170 Städte schlossen sich dem Bund der
Hanse an. In ihnen war der Geist der neuen,
gestaltenden Kräfte, des gewerbetreibenden Bür-
gers, des fleißigen Handwerkers und welterfah-
renen Kaufherrn maßgebend und führend. Der
Feudalismus, Adel und Grundherren, haben
kaum noch einen bescheidenen Bruchteil von
dem aufzuweisen, was der Bürger für den allge-
meinen Wohlstand zustande bringt.
Der Hansische Handel legt Regeln fest für
den Umschlag bestimmter Waren; und die Städte,
die die anerkannten Stapelplätze hansischen
Kaufmannsgutes wurden, lebten Generationen
lang von den Besonderheiten ihres Marktes. Hier
wurde Korn und Getreide aus dem Hinterland
gestapelt und verschifft, dort Fische, Pelzwerk,
Bernstein und Zinn.
Ein althansischer Spruch zählt knapp und
bündig auf: Lübeck ein Kaufhaus, Köln ein Wein-
haus, Braunschweig ein Honighaus, Danzig ein
Kornhaus, Magdeburg ein Backhaus, Rostock ein
Malzhaus, Lüneburg ein Salzhaus, Stettin ein
Fischhaus, Halberstadt ein Frauenhaus - was
natürlich nicht besagen will, daß die Frauen hier
als Stapelware gehandelt worden seien - Reval
ein Flachs- und Wachshaus, Krakau ein Kupfer-
haus, Wisby ein Pech- und Teerhaus.
Es lag klar zutage, wie sehr die allgemeine
Wohlfahrt in Stadt und Land durch den Fern-
handel der Kaufmannschaft gefördert wurde,
und so wußten die Städte auch die Verpflichtun-
gen zu würdigen, die aus der Teilnahme am Se-
gen des Handels hervorgingen, wie sie in der er-
wähnten Kölner Konföderation beschlossen wor-
den waren: "Um mancherlei Unrecht und Scha-
den, den die Könige dem gemeinen Kaufmann
tun und angetan haben, heißt es da, "wollen
die Städte ihre Feinde werden und eine der an-
dern treulich helfen. . " "Welche Stadt von der
wendischen Seite von Preußen, von Livland und
von der deutschen Hanse im allgemeinen, von
der Südersee, von Holland und von Seeland
nicht dazu tun will, deren Bürger und Kaufleute
sollen keine Gemeinschaft mehr haben mit allen
Städten in diesem Bunde. Man soll ihnen nichts
abkaufen noch verkaufen. In keinen Hafen sol-
len sie ein- oder ausfahren, laden oder löschen
zehn Jahre lang." -
Das war gewiß ein anderer Einsatz kraftvol-
ler Selbsthilfe als in den Anfängen, da es galt,
ab und zu gegen Raubritter und Wegelagerer
zusammenzustehen. Aus der kleinen "Schar in
der Fremde" war ohne jede politische Zielset-
zung eine Großorganisation von gleichwohl po-
litischer Bedeutung geworden. Jetzt war die
Hanse stark genug, mit dem Bund ihrer Städte
den Dänenkönig Waldemar und den Norweger
Haakon zu besiegen. Eine jede der Hansestädte
hatte Geld und Waffen und Kriegsleute gestellt;
und die Seestädte hatten ihre Handelskoggen
für den Kriegsdienst ausgerüstet.
Mit solchen Kämpfen und Siegen waren in-
dessen noch nicht alle Fährnisse des Handels aus
dem Wege geräumt. Die merkwürdige Unbe-
denklichkeit, mit welcher der Adel des Mittel-
alters Faustrecht, Raub und Plünderung als ein
ehrbares Geschäft betrachtete, herrschte auch an
der Küste. Da gab es manchen Fürsten und Burg-
herren und hohe Adlige, die das einträgliche
Geschäft der Seeräuberei betrieben oder minde-
stens mit den Piraten Hand in Hand arbeiteten,
ihnen Unterschlupf und Waffenhilfe gewährten
und den Raub mit ihnen teilten. So stark waren
die Seeräuber schon, daß sie ganze Flottenver-
bände von heimkehrenden, vollbeladenen Kauf-
mannsschiffen kaperten! - Eine derartige Ge-
fährdung des Handels war aber auf der zu dieser
Zeit erreichten Entwicklungsstufe mehr als nur
ein geschäftliches Mißgeschick für die vom Ver-
lust betroffenen Kaufleute; es war eine unmit-
telbare Gefährdung des allgemeinen volkswirt-
schaftlichen Güteraustausches und in diesem
Sinne eine Gefahr für die soziale Ordnung, die
sich in der Endwirkung bis weit im Hinterland
bemerkbar machen mußte.
Auch in diesen Angelegenheiten war es die
Hanse, die junge Macht aus dem Schoße des Bür-
gertums, die die Ordnung von Recht und Sitte
herstellte, von der alle Kultur und Weiterent-
wicklung abhängig war. Die alten Ordnungs-
mächte des Adels hatten vor dieser Aufgabe ver-
sagt.
Wie sehr die Lebensauffassungen der Piraten
den Denkgewohnheiten des Raubrittertums ent-
sprachen, zeigte sich in den Tagen, als die Ham-
burger den kühnsten und gefährlichsten Seeräu-
ber, Klaus Störtebecker, den Tochtermann des
mächtigen Kenno ten Broke, mit 150 Kumpanen
gefangen hatten und ihm den Prozeß machten.
Da protestierte der Seeräuber noch dagegen, daß
man ihn in Ketten gefesselt schimpflich auf der
Kuhhaut zum Richtplatz schleppen wollte. Er
habe doch nur als "tapferer Kämpfer" das Faust-
recht zur See ausgeübt, wie es sich die Ritter
und Junker zu Lande "auch zur Ehre anrech-
nen"; er habe den Kauffahrern kühn und in
ehrlichem Kampfe wieder abgenommen, was sie
"mit Krämergeist errafft" hätten. Und schließ-
lich bat er, daß er mit den Seinigen den letzten
Gang zur Richtstätte im besten Gewand gehen
dürfe. - Die Richter des Rates von Hamburg
gewährten die Bitte, und so war es, wie die
Chronik berichtet, ein wahrhaft unerhörtes
Schauspiel, als die 150 todgeweihten Seeräuber
"sauber und prächtig angezogen in seidenen
Wämsern, Schuhen und Hüten" von Trommlern
und Pfeifern geführt, zum Richtplatz marschier-
ten, wo sie vor den Augen einer großen Men-
schenmenge mit dem zweischneidigen Schwert
des Meisters Rosenfeldt enthauptet wurden.
In den Vorstellungen des Volkes gehörte
Klaus Störtebecker freilich nach seinem blutigen
Ende erst recht zu jenen wunderlichen Gestalten,
die als "edle Räuber" in der Erinnerung fort-
leben. Der kühne Seeräuber hat überdies vor sei-
ner Hinrichtung anno 1402 noch eine Stiftung
für die Armen errichtet. Nach dieser Stiftung
werden heute nach alljährlich im Monat März
im Hof des Rathauses zu Verden an der Aller
800 Salzheringe und nach einem jahrhunderte-
alten Rezept gebackene Roggenschrotbrote ver-
teilt.
Wenn wir heute solche Bilder eines machtvoll
pulsierenden Lebens, eines ständigen Kampfes
gegen Widerstände und Bedrohungen jeglicher
Art, wie ihn dieses Bürgertum des gotischen Mit-
telalters zu bestehen hatte, an unserem geistigen
Auge vorüberziehen lassen, gewinnen wir viel-
leicht erst den rechten Standort, die Leistungen
jener Zeit richtig zu beurteilen. Die äußeren
Umstände sind dem Erblühen eines wirtschaft-
lichen Wohlstandes und einer hohen Kultur in
jenen Jahrhunderten weitaus ungünstiger gewe-
sen, als sie es in unsere Zeit sind. Hinzu kommt,
daß sowohl die Methoden als auch die Möglich-
keiten des Verkehrs gegenüber den Möglichkei-
ten der modernen Welt eine viel geringere Ent-
faltung der Leistung erlaubten. Ungeachtet des-
sen läßt sich aber nicht leugnen, daß das Leben
reicher war, daß Fleiß und unverdrossene Reg-
samkeit, Arbeit und Wagemut im Handel einen
Wohlstand hervorbrachten, der merkwürdiger-
weise heutzutage für viele unerreichbar zu sein
scheint.
Es liegt offensichtlich in den Unzulänglichkei-
ten menschlichen Denkvermögens, daß es schwer
ist, jene Zusammenhänge noch zu erkennen, die
außerhalb des Blickfeldes unmittelbarer Beobach-
tungsmöglichkeit liegen. Wir haben einen zu "en-
gen Horizont", um die Fäden verfolgen zu kön-
nen, die sich in der Ferne verlieren und an denen
doch unser Schicksal hängt. Auch geschichtliche
Tatsachen, die sonnenklar zutage liegen, sind
selten bis in die eigentlich entscheidenden Zusam-
menhänge hinein begriffen worden. - Man hätte
sonst aus der Geschichte schon viel mehr lernen
können. -
So dürfte es im Grunde nicht einmal verwun-
derlich sein, daß ein ursächlicher Zusammenhang
des machtvollen Aufblühens der mittelalterlidien
Weltwirtschaft mit den hier wiederholt hervor-
gehobenen Eigentümlichkeiten der mittelalter-
lichen Geldverfassung in unseren Geschichtsbe-
trachtungen in der Regel übersehen wird. Die
eigentliche Verwirrung entsteht aber erst, wenn
der Historiker auf dem Gebiet, von dem er
einige markante Besonderheiten berichten muß,
keine gründlichen Kenntnisse hat und darum
seinen Wertungen und seinem Urteil die übliche
Allerweltsmeinung zugrunde legt. So redet man
denn von einem "mittelalterlichen Münzwirr-
warr" und nimmt andererseits das Phänomen
der jahrhundertelang blühenden Wirtschaft und
Kultur als eine Selbstverständlichkeit hin, als
ob es daran nichts zu erklären gäbe. -
Wer aber erst anfängt, die herrschenden Mei-
nungen der heutigen Zeit zu diesen Betrachtun-
gen in Beziehung zu setzen, der wird erst recht
verwirrt. Es ist nach diesen herrschenden Ansich-
ten schlechthin unvorstellbar, daß man mit
einem Geld, das überall anders ist und immer
nur einen beschränkten Gültigkeitsbereich hat
und obendrein auch noch periodisch verändert
ist, Waren kaufen kann, die ganz wo anders
produziert werden. -
Wie hat es also die Hanse gemacht? Wie kam
es, daß diese Schöpfung deutscher Organisations-
kunst ohne politische Macht, ohne Kaiser und
Fürstengewalt, ohne die Herrschaft über das Ge-
wissen der Menschen, nur aus der Leistung des
Bürgertums heraus groß wurde? -
Die Hanse war die Gestalterin des mittel-
alterlichen Welthandels; sie war an dieser Auf-
gabe selbst groß geworden. Aber so wichtig die
Tätigkeit des Kaufmanns auch sein mag - ganz
voraussetzungslos ist sie dennoch nicht. Eine jede
Ware kann nur verkauft werden, wenn die Nach-
frage auf den Markt kommt, die "Nachfrage"
in Gestalt jener Münzen, die man für die Ware
zu bezahlen gedenkt. Um den "Bedarf" braucht
sich der Kaufmann keine Sorgen zu machen. Be-
darf ist immer da, denn der Bedarf wird von
Hunger und Liebe erzeugt und ist so uferlos wie
das Begehren nach allem Schönen und Guten.
Auf die "Nachfrage" also kommt es an, und die
Nachfrage ist identisch mit dem Geld-Angebot.
Das Geld muß also erst einmal da sein; man
muß es haben, um es ausgeben zu können. An
dieser elementaren Vorbedingung kann alle
Tüchtigkeit des Kaufmanns, der verkaufen
möchte, nicht das Geringste ändern.
Mit dem "Da-sein" des Geldes ist es aber nun
auch noch nicht ganz getan. Was auf dem kleinen
Markt der mittelalterlichen Stadt der eine aus-
gibt, das nimmt der andere ein - das Geld ist so
immer wieder da, gleichgültig, in wessen Hän-
den es sich befindet, und es wäre auch immer
noch da, wenn es in der Truhe läge. Seine volks-
wirtschaftliche Bedeutung entfaltet es aber nur
- wenn es nicht in der Truhe liegt, sonst hätten
die Schätze Attilas, des Hunnenkönigs, auch
schon kulturfördernd wirken können. - Es
kommt also darauf an, daß das Geld immer wie-
der als Nachfrage auftritt, heute nach dieser und
morgen nach jener Ware. So kommt mit der
Zirkulation des Geldes ein geschlossener Strom-
kreis von immerwährender Nachfrage zustande,
der fortgesetzt die Erzeugnisse des Gewerbeflei-
ßes vom Markt nimmt. Daraus ergibt sich der
ständige Impuls zur Weiterarbeit, zur erneuten
Belieferung des Marktes. Alle Arme rühren sich,
und der Segen dieses Fleißes zeigt sich in immer
besseren, vortrefflicheren Leistungen, in reicher
Mannigfaltigkeit der Güter, die auf den Markt
strömen; und das Kaufen und Verkaufen stei-
gert allseitig den Wohlstand, weil der Absatz
die restlose Weiterarbeit ermöglicht.
Diesen Zustand ununterbrochener Geschäftig-
keit hat also jenes merkwürdige Geld, das kei-
ner in die Schatztruhe legen mochte, weil es viel-
leicht in Kürze aufgerufen werden konnte, ur-
sächlich ausgelöst. So war an allen Orten und
auf allen Märkten, wo Brakteaten zirkulierten,
Tag für Tag, Jahr für Jahr ohne Unterbrechung
bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts eine rege
Nachfrage vorhanden. Diese Nachfrage zu be-
friedigen, größeren und verfeinerten Anforde-
rungen gerecht zu werden, Güter aus der fernen
Welt heranzubringen und die heimischen Er-
zeugnisse draußen abzusetzen, das war die ein-
fache und selbstverständliche Aufgabe der Kauf-
leute. Diese Aufgabe war groß genug und sie ist
vom hansischen Kaufmann wahrhaft ehrenvoll
gelöst worden. Aber wir würden nur zu halben
Einsichten kommen, wenn wir nicht die Vorbe-
dingungen dieser Blüte des Welthandels ins
Auge fassen würden.
Sicher würde auch die moderne Welt zu einer
dauernden Blütezeit des Handels und der Wirt-
schaft kommen, wenn die Märkte der Welt bis in
das breite Land hinaus jede Zufuhr so rasch und
bereitwillig aufnehmen würden, wie es zur Zeit
der Gotik geschah. -