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Ein Kapitel aus:
Karl Walker: Das Geld in der Geschichte
Rudolf Zitzmann Verlag; Lauf bei Nürnberg; 1959

DIE BRAKTEATEN

Wenn eine Linie der Entwicklung des Münz-
wesens vornehmlich in dem durch Donau und
Rhein begrenzten südwestlichen Raum Europas
durch Nachbildung römischer Münzen und all-
mähliche Verselbständigung in der Kunst des
Stempelschneidens und Prägens erblickt werden
kann, haben wir es im nordostgermanischen
Raum noch mit einer zweiten Entwicklungslinie,
einer anderen Technik der Nachbildung und Neu-
prägung von Münzen zu tun. Auch diese nahm
ihren Ausgang von der Goldschmiedekunst her
und hatte ihre Wiege in der Schmuckgestaltung.

Es handelte sich hierbei um die Technik, orna-
mentale Linienmuster, Runenzeichen und der-
gleichen auf der Vorderseite erhaben und auf
der Rückseite vertieft in Gold-, Silber- oder Kup-
ferblech zu treiben. Derartige Arbeiten wurden
erst als Gewandspangen, als Schmuck und An-
hänger getragen; es gibt Funde davon, die aus
einer Zeit von 400 bis 1000 Jahren vor der christ-
lichen Zeitrechnung stammen.

In der nachrömischen Zeit wurde indessen
diese Technik des Einprägens eines Bildes in dün-
nes Silber- oder Goldblech auch auf die dadurch
vereinfachte Nachahmung von Münzen angewen-
det. Es gibt Stücke - allerdings auch in dieser
Form noch mit einer Anhänge-Öse versehen, le-
diglich zum Schmuck bestimmt -, welche aus zwei
Abdrücken, Vorder- und Rückseite einer Münze,
zusammengesetzt und am Rande zusammenge-
halten, bestehen. - Einen solchen Schmuck-An-
hänger, bestehend aus zwei dünnen Goldblechen,
über eine römische Münze aus der Zeit von 215
v. Chr. gehämmert, von einem goldenen Ring
zusammengehalten, die alte Münze noch als Kern
enthaltend, zeigt Schwarzkopf in seiner interes-
santen Abhandlung über "Germanische Schmuck-
brakteaten" in dem Band "Das Erbe unserer
Ahnen" S. 476. (siehe auch Abb. S.19)

Die Herstellung solcher Abdrücke stellte na-
türlich gegenüber den Schwierigkeiten des Stem-
pelschneidens ein vereinfachtes Verfahren dar.
Es war nur notwendig, die Prägung auf einer
weichen Unterlage, z. B. auf Blei, vorzunehmen.
Mit dem im allmählich zunehmenden Wirtschafts-
verkehr zutage getretenen größeren Bedarf an
Tauschmitteln kam naturgemäß auch im nordisch-
germanischen Raum die Entwicklung des Münz-
wesens in Fluß. Es erübrigte sich schließlich, die
Prägung mit einer Anhänge-Öse zu versehen, da
die Münzen dauernd von Hand zu Hand liefen
und nicht mehr als Schmuck am Halse getragen
wurden. So kamen etwa um die Mitte des zwölf-
ten Jahrhunderts in Skandinavien unter dem Dä-
nen Sven Grathe die einseitig geprägten Silber-
blech-Münzen auf, die man später als "Brak-
teaten" - bractea = dünnes Blech - bezeichnete
(s. Schwarzkopf : a. a. O. S. 469).

Im übrigen ist aber die wirkliche Entwicklung
der Brakteaten-Geldwirtschaft doch eine rein
deutsche Erscheinung; die nordischen Ansätze
dazu sind, ohne eine Bedeutung erlangt zu
haben, wieder erloschen.

In Deutschland sind die ersten derartigen Prä-
gungen in der bischöflichen Münze von Magde-
burg geschlagen worden. Nach neueren Forschun-
gen von Prof. Dr. Arthur Suhle hat Erzbischof
Hartwig von Magdeburg, der von 1079 bis 1102
regierte, damit begonnen, die um diese Zeit zur
Aufnahme eines großen Münzbildes schon ziem-
lich breit und dünn gewordenen Silberpfennige
einseitig schlagen zu lassen. Allerdings erst
Erzbischof Wichmann von Seeburg, der anno
1152 von Barbarossa in Magdeburg eingesetzt
worden war, hat diese Münzprägung im Erzstift
zu ungeahnter Blüte entfaltet.

Als sich dieses Verfahren der Münzprägung
in Deutschland ausbreitete, waren seit der Münz-
ordnung Karls d. Gr. bereits 300 Jahre vergan-
gen. Im Verlaufe dieser Zeit waren aber durch
die Nachfolger Karls d. Gr. - angefangen von
Ludwig dem Frommen - die Reichsrechte der
Münzprägung an unzählige Könige, Fürsten, Gra-
fen, Bischöfe, Grundherren, Klöster und Städte
verliehen worden. Hieraus hat sich naturgemäß
ein sehr buntes Bild der Münzverfassung erge-
ben, zumal vom 11. Jahrhundert an Bild, Name
und Gepräge der Münze durch die Träger des
Münzrechtes verändert werden durften.

Schon während dieser Zeit, also noch vor dem
Erscheinen der Brakteaten, war die Vergebung
des Münzrechtes von fiskalischen Erwägungen
bestimmt. Die mit dem Münzregal Beliehenen
hatten dafür Abgaben zu leisten, die sie bei der
Prägung durch Erhebung eines "Schlagschatzes"
und durch "Auswechseln" hereinholten.

Mit dem Aufkommen der Brakteaten in der
Hohenstaufenzeit war nun einesteils die Tech-
nik der Münzprägung vereinfacht; man hatte
zwar vor dieser Zeit schon "Dünnpfennige" ge-
prägt, die aber beidseitig ein Bild trugen, das
freilich mitunter ziemlich unklar wurde, weil
der Stempel der Rückseite sich durchpreßte und
die Vorderseite störte, wie auch umgekehrt. Nun
kam die Gegenprägung in Wegfall.

Die Herstellung der Münzen wurde nach wie
vor von den Münzmeistern vorgenommen, die
im Umherziehen an die Höfe der Fürsten und Bi-
schöfe und der kleineren Münzherren kamen und
dort ihre Kunstfertigkeit anbrachten. Daneben
gab es indessen auch eine große Anzahl Präge-
stätten des Reiches, von denen viele gleichfalls
die Prägetechnik der Zeit pflegten. So hat z. B.
Barbarossa seine prachtvollen Brakteaten in den
kaiserlichen Münzstätten in Saalfeld, Altenburg,
Mühlhausen und Nordhausen schlagen lassen.

Die nicht-privilegierte Herstellung von Mün-
zen wurde, unbeschadet der Großzügigkeit, mit
der das Münzrecht an unzählige Beliehene ver-
geben war, nach dem Kodex der mittelalterlichen
Rechtspflege sehr streng, mit dem Abhacken der
Hand, geahndet.

Andererseits war es natürlich, daß die in der
Brakteaten-Technik hergestellten dünnen Sil-
berblechmünzen im Verkehr weniger dauerhaft
sein konnten als die beidseitig geprägten stärke-
ren Geldstücke. Um die den Wertbegriffen ge-
recht werdende Silbermenge auf die Münze zu
verwenden, wurde die Einzelmünze größer ge-
macht. Es gibt Brakteaten von fast 5 cm Durch-
messer. Man konnte sie gegebenenfalls durch-
brechen oder durchschneiden und auf diese Art
teilen.

Aus diesen Umständen und der höheren Ab-
nutzung, die solches Geld im Verkehr erlitt, er-
gab sich dann wohl die Notwendigkeit einer
laufenden Nachprägung. Die Münzmeister hat-
ten ihre "Arbeitsbeschaffung", wie man heute
sagen würde. Die Nachprägung von Münzen war
aber nicht allein aus den Erträgnissen der neu
erschlossenen Silbergruben im Harz, im Elsaß,
in den Tiroler Bergen und in Böhmen zu bewäl-
tigen, sondern sie wurde nun auch als Umprä-
gung von aufgerufenen Münzen vorgenommen.

Daß bei der Ausgabe von neuen Münzen das
alte Geld außer Kurs gesetzt, um des Metall-
wertes willen aber eingezogen und mit entspre-
chendem Abschlag gewechselt wurde, ist ein sehr
alter Brauch. In seinem Wörterbuch der Münz-
kunde erwähnt Freih. Friedrich v. Schrötter, daß
derartiges schon im alten Rom gemacht wurde (s.
a. a. O. S. 440), und Prof. A. Suhle führt in sei-
ner Schrift "Die deutschen Münzen des Mittel-
alters" an, daß Karl d. Gr. im Kapitular von
Mantua anno 781 mit seiner grundlegenden
Neuordnung des Münzwesens die Annahme der
alten Pfennige verboten habe (s. a. a. O. S. 22).

Nach der mittelalterlichen Münzverfassung,
die insbesondere im "Sachsenspiegel" niederge-
legt war, - dem ältesten und bedeutendsten
deutschen Rechtsbuch, 1220 von Eike von Rep-
kow in lateinischer Sprache, später noch in nie-
dersächsischer Mundart geschrieben und großen-
teils vom "Schwabenspiegel" für Südwest-
Deutschland übernommen - war es rechtens, eine
Änderung der Münzen vorzunehmen, "wenn
neue Herren kommen". Anläßlich eines solchen
Wechsels der Herrschaft, sei es auf Grund von
Erbfolge beim Tode eines Fürsten oder Grafen,
oder auch nach dem Ausgang von Machtkämp-
fen unter den Großen, war es demgemäß nach
dem Gesetz der "Renovatio Monetarum" Rechts-
brauch, die umlaufenden Münzen aufzurufen
und unter Abzug eines Schlagschatzes gegen
neue Münzen einzuziehen.

Derartige Aufrufe und Umprägungen erwie-
sen sich nun nach Einführung der weniger dau-
erhaften Brakteaten auch ohne den Anlaß von
Regierungswechsel und damit zu häufigeren
Zeitpunkten als zweckmäßig. Kulischer berich-
tet in seiner "Allgemeinen Wirtschaftsgeschichte
des Mittelalters und der neuen Zeit", München
1928, daß man in Polen diese "revocationes",
"innovationes" oder "mutationes" viermal im
Jahre durchführte - daß es Verordnungen gab,
die zu jeder Messe neues Geld vorsahen. Bern-
hard von Anhalt, der Sohn von Albrecht dem
Bären, der durch Krieg und Erbschaft das Ha-
velland erworben hatte und sich "Markgraf von
Brandenburg" nannte, hat in 32 Regierungs-
jahren fast hundert Prägungen herausgebracht.
In Wien gab es in 150 Jahren fast ebensoviele
verschiedene Wiener Pfennige. Kaiser Friedrich
II., der Enkel Barbarossas, hatte nach dem Tode
des letzten Babenbergers das Herzogtum Öster-
reich dem staufischen Reich einverleibt und in
Wien in Fortsetzung der Babenberger Pfennig-
prägung nunmehr kaiserliche Brakteaten ge-
schlagen.

Von Erzbischof Wichmann von Magdeburg
sind mehr als 70 verschiedene Prägungen be-
kannt; Erzbischof Wichmann scheint der erste
gewesen zu sein, der die eigenen Münzen selbst
wieder aufrief, während doch nach der Rechts-
regel des Sachsenspiegels die Münzerneuerung
nur bei Herrschaftswechsel erfolgen sollte. Die
Münzverrufung wurde unter seiner Herrschaft
zweimal im Jahre vorgenommen, am 4. Fasten-
sonntag vor Ostern und an Mariä Himmelfahrt,
am 15. August; wahrscheinlich waren diese Ter-
mine auch Markttermine. Für 12 alte Pfennige
wurden jeweils 9 neue Pfennige gegeben. Von
den Erträgnissen dieser Münzerneuerung kann
man sich ungefähr ein Bild machen, wenn man
erfährt, daß Erzbischof Wichmann einige Jahre
verpflichtet war, aus der "moneta Magdebur-
gensi" jährlich 236 Mark Silber - die "Kölnische
Mark" zu 233 g oder rund 240 Denarii - an den
Domschatz abzuführen. Das waren also jeweils
mehr als 56 000 Silberpfennige! -

Das Verfahren des Erzbischofs Wichmann
machte sehr bald Schule; schon prägten auch
die Bischöfe von Halberstadt und Hildesheim
solrhe Münzen, die Askanier und die Welfen,
die Landgrafen von Thüringen, - zu jener Zeit,
als die Wartburg erbaut wurde - und zahlreiche
Abteien und Städte. Zu den schönsten Prägun-
gen der damaligen Zeit zählen die Halberstädter
Stephans-Pfennige, die sicherlich nicht wenig
zur Finanzierung der im 12. Jahrhundert ent-
standenen berühmten Chorschranken in der Hal-
berstädter Liebfrauenkirche beigetragen haben.
Auch die Kaiserlichen Münzstätten Barbarossas
prägten solche "Brakteaten", wie man diese dün-
nen, leicht zu brechenden und zu teilenden Mün-
zen allerdings erst in der Folgezeit nannte. (*)

In den Brandenburgischen Landen war es nach
Luschin von Ebengreuth (Grundriß der Münz-
kunde, S. 62) üblich, den Abschlag auf die Lauf-
zeit der Münze zu verteilen, um ihn nicht allzu
fühlbar werden zu lassen. So wurden im ersten
Vierteljahr 12 Pfennige auf den Schilling ge-
rechnet, im zweiten Vierteljahr 13 Pfennige, im
dritten Vierteljahr 14 Pfennige, dann 15 Pfen-
nige und nach dem Ablauf des vierten Viertel-
jahres erfolgte die Verrufung des alten Pfennigs,
von dem nun 16 Stück auf den Schilling abge-
führt werden mußten. Der neue Pfennig aber
kam wieder zu 12 Stück auf den Schilling in
Umlauf, also zum alten Wert.

Über den materiellen Nutzen, den der Schlag-
schatz den Münzherren einbrachte, gehen die
Ansichten der Forscher auseinander. Er mag
eben durchaus unterschiedlich gewesen sein, da es
auch von der Geschicklichkeit der Münzer ab-
hing, aus einem gegebenen Metallbestand nach
dem Umschmelzen und unter Einhaltung be-
stimmter Mindestgewichte der Münzen möglichst
viel herauszuholen. Luschin von Ebengreuth er-
wähnt (a. a. O. S. 62) das Kloster Melk, das
nach seinen Aufzeichnungen durch die Münz-
verrufung in einem Jahr allein soviel eingebüßt
habe, daß der Verlust etwa dem zehnten Teil
des Münznutzens entsprochen habe, den der
Herzog aus dem ganzen Lande zog. Das wäre
ein hoher Verlust, beziehungsweise für den
Münzherrn ein sehr bescheidener Gewinn gewe-
sen. Erzbischof Wichmann von Magdeburg hat
in dieser Hinsicht offenbar mehr Gewinn her-
ausgeholt, obwohl auch in Magdeburg die Aus-
prägung "al marco" stattfand, d. h. ein Pfund
Pfennige (= 20 Schilling zu je 12 Pfennigen)
mußten das Gewicht einer Mark haben.

Während technisch gut ausgeführte und durch
ihre Prägungen auch kunstgeschichtlich wert-
volle Brakteaten vornehmlich aus den Münz-
stätten Magdeburg, Halle, Erfurt, Halberstadt,
Goslar wie auch aus den Münzstätten von
Friedrich Barbarossa, Heinrich dem Löwen und
dem wendischen Fürsten Jaczo von Köpenick
herrührten und bis in die Mitte des 14. Jahr-
kunderts reichten, wurden kleinere Brakteaten
mehr in Niedersachsen, dort aber bis in die
Hälfte des 16. Jahrhunderts geprägt.

Eine Besonderheit stellten die Pfennige aus
dem Nürnberger Münzgebiet dar. Sie waren
kleiner als die mitteldeutschen Brakteaten und
zeigten beidseitige Prägung, wobei die Prägung
der einen Seite allerdings in der Regel ziemlich
starke Zerstörungen aufwies. Es liegt hier auch
der Gedanke nahe, daß es sich bei diesen Mün-
zen vielleicht jeweils um Umprägungen der vor-
her gängigen Pfennige gehandelt haben könnte,
so daß die vermeintliche Rückseitenprägung
eigentlich nur die gelöschte frühere Prägung dar-
stellte. Der große Hersbrucker Brakteatenfund,
der sich im Hirtenmuseum in Hersbruck befin-
det, weist ausschließlich solche Münzen auf, ver-
mutlich aus den Prägestätten Nürnberg, Regens-
burg, Donaueschingen und Ingolstadt. Es sind
vorzüglich herausgearbeitete Münzbilder, aber
die Ränder sind offensichtlich von Hand be-
schnitten, was bei dem dickeren Material müh-
seliger war als bei den dünner ausgeprägten
mitteldeutschen Brakteaten.

Eine zu den Brakteaten gehörende Münze
stellen auch die "Schüssel-Pfennige" dar, die
wegen der schüsselförmigen Gestalt der Schröt-
linge so genannt wurden und die vornehmlich
im Westen, im Rheinland, Niedersachsen, Braun-
schweig und Lüneburg zu Hause waren. Das
eigentliche Verbreitungsgebiet der Brakteaten
reichte in Norddeutschland im Westen bis an die
Weser, im Norden bis an die Nord- und Ostsee;
den Kern bildete, wie gesagt, die Magdeburger
Gegend, Thüringen, der Harz, die Mark Bran-
denburg, die Mark Meißen; daran schlossen sich
die Oberlausitz, Schlesien und weiter östlich und
südöstlich noch Polen und Böhmen an.

Ein zweites Verbreitungsgebiet, das sich - wie
Prof. Suhle in seinem bereits zitierten Buch über
"Die deutschen Münzen des Mittelalters" her-
vorhebt - im Stil der Prägungen von dem erst-
genannten Bereich merklich abzeichnete, begann
südlich des Mains, umfaßte Schwaben, Würt-
temberg, die Bodenseegegend mit dem Zentrum
Konstanz und den Schweizer Städten Basel,
Bern, St. Gallen u. a. und reichte nach anderen
Quellen bis nach Österreich, wo in Wien eine
regelmäßige Münzerneuerung geübt wurde. - So
mag es wohl richtig sein, was Corragioni in sei-
ner "Münzgeschichte der Schweiz", Genf 1896,
schrieb: "Brakteaten waren die einzige Geld-
sorte, die vom 12. bis 15. Jahrhundert bei uns
Geltung hatte."

In der landläufigen Geschichtsbetrachtung
scheint es über diese Epoche des Münzwesens
eine ziemlich feststehende Ansicht zu geben: die
Mannigfaltigkeit und der ständige Wechsel der
Prägungen werden sehr abschätzig beurteilt und
gelten als Zeichen einer völligen Zerrüttung der
Geldordnung, eines "heillosen Münzenwirr-
warrs", wie beispielsweise Johannes Scherr sich
in seinem Werk "Deutsche Kultur- und Sitten-
geschichte" ausdrückt. (s. a. a. O. S. 246).

Dieser Wertung geschichtlicher Tatbestände
liegt aber offensichtlich eine im Mittelalter unbe-
kannte, erst in der neueren Zeit aufgekommene
Überbewertung der Uniformität, der Gleichheit,
Gleichmäßigkeit, Einheitlichkeit, Einigkeit und
Einheit in allen Dingen zugrunde. Auf den Sinn
der Sache bezogen stellen indessen diese Äußer-
lichkeiten keinesfalls die entscheidenden Werte
dar, und es ist ebenso oberflächlich wie töricht,
danach urteilen zu wollen. Dem Mittelalter kam
es darauf an, im übersehbaren Raum Ordnung
zu haben; und dem Fahrenden, der in die Frem-
de kam, war hinreichend damit gedient, wenn
die Ordnung draußen grundsätzlich gleichartig
war, wenn sie also von den gleichen Prinzipien
getragen wurde und danach ablief.

Im übrigen könnte man fast sagen, daß das
Mittelalter rein intuitiv volkswirtschaftlich klü-
ger gehandelt hat als unsere Geschichtsforscher
mitunter einzusehen vermögen. Es dürfte näm-
lirh durchaus sinnvoll gewesen sein, die Einwoh-
ner in den neuen Kolonisationsgebieten des
Ostens von der primitiven Schatzbildung abzu-
bringen und sie zum richtigen Gebrauch des Gel-
des als Zirkulationsmittel zu erziehen. Dazu
bedurfte es wohl nachhaltiger, ständig wieder-
kehrender Impulse, die durch die regelmäßig
erfolgende Geldverrufung auch tatsächlich wirk-
sam wurden.

In den Gebieten der entwickelteren Kultur
des Westens, wo Handel und Handwerk, Kunst
und Gelehrsamkeit schon weiter fortgeschritten
waren, genügte ganz offensichtlich die einfache
Regelung der "Renovatio monetarum", die eine
Münzerneuerung nur beim Wechsel der Herren
vorsah. Zu bemerken bleibt allerdings, daß sich
auch hier die gekrönten Häupter nicht allezeit
an diese Regel hielten. In Frankreich war es
Philipp der Schöne (1285 -1314), der sich mit
wiederholter Münzverrufung ziemlich einträg-
liche Finanzquellen erschloß.

Da es sich im Westen um ein entwickelteres
Geldwesen, um eine größere Mannigfaltigkeit
von Silber- und Goldmünzen handelte, wurde
die Willkür von Münzverrufung allgemein als
schädlich empfunden. Es war auch allzu offen-
sichtlich, daß es den Münz-Herren nur noch auf
den Gewinn aus der Verschlechterung des Me-
tallgehaltes ankam, ein Motiv, das ursprünglich
bei den Brakteaten nicht vorlag.

Im allgemeinen aber wurde die Regel der
"Renovatio monetarum" ziemlich streng einge-
halten. Nur beim Wechsel der Herren war eine
Münzerneuerung erlaubt, zwischenzeitlich war
sie allenfalls vor dem Antritt eines Kreuzzuges
statthaft.

Daraus ist zu ersehen, daß zwischen den Ge-
bräuchen des fortgeschritteneren Westens und
dem eigentlichen Brakteaten-Geldwesen nur ge-
wisse Gradunterschiede bestanden. Tatsächlich
hat die "Renovatio monetarum" bis weit über
die Grenzen des eigentlichen Brakteatengebietes
hinaus ihre Gültigkeit und Wirkung gehabt.
So weiß z. B. auch Fritz Schwarz in seiner Schrift
"Vorwärts zur festen Kaufkraft des Geldes" zu
berichten, daß selbst in England eine derartige
Geldsteuer erhoben wurde (s. a. a. O. S. 54).

Bei Beurteilung dieser Dinge darf man sich
also nicht davon beeindrucken lassen, daß es fast
aussichtslos ist, die Fülle der Prägungen und die
innerhalb eines großen Wirtschaftsraumes wäh-
rend einer Zeit von 300 Jahren zustandegekom-
menen Unterschiedlichkeiten fein säuberlich zu
rubrizieren. Wesentlich ist allein die ungeheuer-
liche volkswirtschaftliche Auswirkung, die durch
die überall gleichartig gehandhabte "perma-
nente Geld-Erneuerung" zustandekam. Die un-
ter solchen Verhältnissen unmöglich gewordene
Hortung und Schatzbildung wurde ständig um-
gewandelt in pulsierende Nachfrage nach den
Erzeugnissen des Gewerbefleißes.

Niemand im weiten Raum der mittelalterli-
chen Welt wäre so einfältig gewesen, dieses Brak-
teaten-Geld oder auch die sonstigen, der zeit-
weiligen Erneuerung unterworfenen Handels-
münzen, die morgen oder in einigen Wochen
vom Bischof oder Landesherrn aufgerufen und
gegen Abzug eines Schlagschatzes gegen neues
Geld eingezogen werden konnten, länger als
verkehrsnotwendig zu behalten oder gar mit
Bedacht zu horten.

In diesem Umstand liegt, soweit von ökono-
mischen Zusammenhängen die Rede sein kann,
die logische Wurzel für jene gewaltige Dynamik,
aus der die gesamten Leistungen der gotischen
Epoche entstanden sind. Es liegt in dieser Ent-
wicklung eine zwingende Folgerichtigkeit. Die
schon mit der Münzordnung Karls d. Gr. be-
gonnene Auflösung der frühmittelalterlichen
Schatzbildung, die Einschmelzung der Prunk-
stücke, die Edelmetall-Zufuhr aus dem wieder-
aufgenommenen Silbererz-Bergbau haben den
Anfang eines kulturfördernden Geldverkehrs
ermöglicht; und die nun um die Mitte des 12.
Jahrhunderts um sich greifende fortlaufende
Münz-Erneuerung verhinderte jetzt auf volle
drei Jahrhunderte hinaus ein erneutes Horten,
Konzentrieren und Erstarren des Geldes! -

Alle kaufmännische Tüchtigkeit, aller Fleiß,
alle handwerkliche Kunstfertigkeit und Erfin-
dungsgabe, durch gegenseitige Befruchtung ge-
fördert, konnte nur in den Erzeugnissen und re-
alen Gestaltungen des Gewerbefleißes selbst
Wohlhabenheit und Reichtum schaffen. So ist es
für diese Zeit richtig, daß die Kapitalbildung,
insofern das Kapital aus Münzgeld bestand, da-
durch unmöglich wurde, daß das Geld einzig
als Tauschmittel und nicht gleichzeitig als Schatz-
mittel verwendbar war (s. L. v. Ebengreuth;
"Allgemeine Münzkunde und Geldgeschichte des
Mittelalters" 1926). Demgegenüber hat sich aber
die Kapitalbildung in anderer Form um so groß-
artiger entwickelt. -

Da indessen ein jedes Ding zwei Seiten hat -
weil nun einmal dem "einen sin Uhl" dem "an-
dern sin Nachtigall" ist -, gibt es begreiflicher-
weise auch Klagen über diese periodisch wieder-
kehrende Münzverrufung. So findet der böhmi-
sche Chronist Cosmas die Wirkung dieser Ein-
richtung "ärger denn Pest, verheerender als
Feindeseinfall, Hungersnot und andere Land-
plagen", denn in seiner Vorstellung war die mo-
netäre Schatzbildung wichtiger als die wertschaf-
fende Zirkulation. -


(*) Soweit man unter Brakteaten numismatisch lediglich die
einseitig geprägten Münzen versteht, sind diese natürlich nicht
die Erfindung des Erzbischofs Wichmann. Wichmann hat jedoch
die halbjährliche Münzerneuerung eingeführt. Dies bezeugt auch
die Magdeburger Schöppenchronik: "He leit ok erst twie in dem
jare penninge slan, des vore nue was: men sloh to voren pen-
ninge to eines Bischops live." Danach geht die Verrufung in
Magdeburg auf Erzbischof Wichmann persönlich zurück, da sie
vorher nicht bestand. (s. A. Suhle: Das Münzwesen Magde-
burgs . . . S. 4)
Dieser Text wurde ins Netz gebracht von: W. Roehrig. Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.
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