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Ein Kapitel aus:
Karl Walker: Das Geld in der Geschichte
Rudolf Zitzmann Verlag; Lauf bei Nürnberg; 1959

FAZIT

Oswald Spengler wirft irgendwo in seinem
Werk "Der Untergang des Abendlandes" die
Frage auf: "Darf man irgendeine Gruppe von
Tatsachen sozialer, religiöser, physiologischer,
ethischer Natur als Ursache einer anderen set-
zen?" - Wir glauben, daß man das darf - denn die
Verneinung führt einfach zum Nihilismus. Au-
ßerdem wird derartiges auch stets mit dem Vor-
behalt der Bestätigung durch weitere Erfahrung
geschehen müssen. Wenn auch weiterhin auf
gleichartige Ursachen die erwarteten Vorgänge
folgen, liegen keine Gründe vor, an dem kau-
salen Zusammenhang zu zweifeln.

In unseren vorliegenden Betrachtungen haben
wir unser Augenmerk zunächst auf die Zusam-
menhänge zwischen Geldwesen und Kulturent-
wicklung gerichtet. Wir wollen die Entwicklung
des Geldwesens zwar nicht allzu eng als aus-
schließliche "Ursache" für Blüte oder Nieder-
gang der Kulturen ansehen, wohl aber als im-
merhin mitentscheidende Vorbedingung. In der
innigen Verwobenheit des Ganzen hat auch die
Entfaltung der Geldwirtschaft ihre Vorbedin-
gungen, wiederum nicht eine einzelne und ein-
zige Ursache, sondern vielleicht ein ganzes Bün-
del davon.

Vor einiger Zeit hat die soziologische Abtei-
lung der Harvard-Universität eine eingehende
geschichtliche Untersuchung darüber angestellt,
welches die harmonischste und glücklichste Epoche
der Menschheit gewesen sein mag. Die Unter-
suchung erbrachte das Ergebnis: das frühe Mit-
telalter, das 13. Jahrhundert, das Zeitalter der
Gotik! - Und diese Untersuchung stellt nicht nur
Tatsachen fest, sondern sie geht mit wissenschaft-
licher Strenge den kausalen Zusammenhängen
nach und kommt auch in dieser Frage zu dem
Ergebnis, daß die Wirtschaftsblüte des Mittel-
alters durch die eigenartige Münzordnung dieser
Jahrhunderte, durch die "Renovatio moneta-
rum" zustandegekommen sei.

Nun mag es freilich bei flüchtigem Rückblick
auf die Geschichte und auf die Wirtschafts-
geschichte naheliegen, die Frage aufzuwerfen, ob
es denn überhaupt etwas besonders Staunens-
wertes und Anerkennungswürdiges zu bedeuten
hat, wenn es im Mittelalter eine Periode der
Wirtschaftsblüte gab. Erstens, so könnte man
argumentieren, gab es damals noch nicht so viele
Menschen, und zweitens gab es keine industrielle
Produktion mit Maschinenkraft und Motoren.

Eine solche Betrachtung trifft aber nicht den
Kern der Sache. Wirtschaftsblüte und Volkswohl-
stand sind keineswegs von geringerer Menschen-
zahl und unentwickelter Technik abhängig.
12 Jahrhunderte früher als unsere mittelalter-
liche Konjunktur war die Zahl der Menschen
im ganzen noch weit geringer und die Technik
noch weniger entwickelt; und dennoch hatte das
alte Rom unter Cäsar und dem Kaiser Augustus
320 000 Proletarier zu speisen und mit öffent-
lichen Spielen zu ergötzen, damit kein Aufruhr
ausbreche. -

Wenn die Beschäftigung mit der Geschichte
einen Sinn hat, so ist es zweifellos der: aus der
Geschichte zu lernen, aus den Erfahrungen der
Vergangenheit im Positiven wie im Negativen
die Folgerungen für unser eigenes Handeln zu
ziehen. Aus dem Abstand von Jahrhunderten
gesehen wird gewiß manches wesenlos, was in
Wirklichkeit von Gewicht war; und anderes er-
scheint in einer Verklärung oder Finsternis, die
der Sache vielleicht nicht zukäme. Verkennen
wir also nicht: die Erde war noch nie ein Para-
dies, die Menschen haben zu allen Zeiten in
Unzulänglichkeiten und Leidenschaften, in
Wahn und Fanatismus wider den Sinn ihres
Daseins gesündigt - und sie haben zu allen Zei-
ten in Größe und Begeisterungsfähigkeit, in
Glaubensstärke und Edelmut Beispielhaftes voll-
bracht! -

Wir können also im Buch der Geschichte diese
oder jene Seite aufschlagen; wir können Posi-
tives oder Negatives zusammentragen und kön-
nen aus dem einen wie aus dem anderen Resul-
tat unsere Schlüsse ziehen. Besser ist es indessen,
die Dinge mit Licht- und Schattenseiten zu be-
trachten, denn dies erst ergibt ja doch die wahre
Wirklichkeit. Die Wirklichkeit so zu sehen, wie
sie ist, oder wie sie war, das ergibt schließlich
auch die Grundlagen verläßlicher Einsichten.

Nehmen wir an, unsere hier gewonnenen Ein-
sichten seien auch nur in groben Umrissen rich-
tig, nehmen wir an, die Funktionen des Geldes
seien in der Tat eine wesentliche Vorbedingung
für die Entwicklung der Kulturen, so wesent-
lich, daß Blüte und Verfall davon bestimmt
werden, dann sind damit sehr bedeutungsvolle
und nicht nur für die Geschichtsbetrachtung
wichtige Zusammenhänge offenkundig gewor-
den. Daß wir von diesen Erkenntnissen aus -
auf der Ebene praktischer Folgerungen weiter-
gedacht - zu einer modernen "Renovatio mone-
tarum" kommen müßten, braucht hier nicht wei-
ter verfolgt zu werden; das ist eine Sache der
Volkswirtschaftler und im übrigen eine Kon-
zeption, die selber bereits ihre Geschichte hat. -

Eine weitere Lehre, die wir aus dem Rück-
blick auf die Geschichte ziehen könnten, betrifft
das Verhältnis des Individuums zur Gesellschaft.
Während sich die moderne Zeit außerordentlich
tief in den Wahn hineingebohrt hat, jegliche
Wandlung, Neuerung und Besserung in den ge-
genseitigen Beziehungen der Menschen unter-
einander bedürfe vorausgehender politischer
Willensentscheidungen - die indessen an der
Vielfalt der Meinungen, Bestrebungen und In-
teressen in der Regel zu scheitern pflegen oder
nur verstümmelt über diese Hürde kommen -
hat der Mensch in früheren Zeiten im Rahmen
der gegebenen Zustände seine Angelegenheiten
mit natürlicher Selbstverständlichkeit in die ei-
gene Hand genommen. Der freie Zusammen-
schluß der fahrenden Kaufleute und ihre eigene
Organisationskunst - nicht der Appell an die
Obrigkeit, solche Regelungen anzuordnen! - hat
die Hanse zu Größe und Weltgeltung geführt.
Sicherlich wäre es auch heute noch leichter, aus
mancher Verfahrenheit unserer sozialen Pro-
bleme herauszukommen, wenn der Mensch, an-
statt sich in fruchtlosen Forderungen an die All-
gemeinheit zu ergehen, die eigene Sache mit
etwas Selbstvertrauen zur eigenen Kraft selber
oder in freiwilliger Gemeinschaft in die eigene
Hand nähme. Es wäre vermutlich nicht einmal
so schwierig, wie es im 13. Jahrhundert gewe-
sein sein mag. -

Zuletzt freilich wollen wir uns auch dessen
bewußt bleiben, daß eine echte Kultur eine gei-
stige Wurzel hat. Die soziale Gesundung wird
zur Kultur der Zukunft gehören, ohne sie gibt
es keine Kultur. Dennoch dürften die äußer-
lichen Dinge nicht allesbeherrschend im Vorder-
grund stehen. Die Angelegenheiten von Ernäh-
rung, Kleidung, Wohnung, Wirtschaft, Geld,
Technik, Kunst usw. sind gewiß wichtig, aber
sie sind nicht einzig, und wir dürfen sie nicht
überschätzen und keines ohne den Blick auf das
Ganze in seinen Zusammenhang einordnen. Die
richtige Haltung dem Ganzen gegenüber führt
mit fast natürlicher Folgerichtigkeit auch zu den
richtigen Entscheidungen im besonderen, in den
Teilfragen. Der Mensch der Gotik, der völlig in
der Ordnung des Ganzen lebte, hat buchstäblich
erfahren, daß ihm "alles andere hinzugegeben
wurde".

Doch wo geistige Klärungen und vielleicht
Wandlungen notwendig sind, da bedarf es der
Zeit des Besinnens und Reifens, da gibt es keine
schlagartigen Wendungen, die die Zustände
spontan verändern. Was echt und zukunftsträch-
tig ist, kann nur nach dem Gesetz organischen
Werdens wachsen und sich ausbreiten; in dieser
Hinsicht ist unsere Welt vermutlich nicht an-
ders als die Welt unserer Ahnen. Und wenn es
den heute Lebenden und Wirkenden nur noch
gelingen sollte, in der Verworrenheit unseres
Daseins Inseln der Ordnung zu schaffen, so wäre
damit schon genug getan. Das Zusammenwach-
sen zu einem großen Ganzen ergibt sich von
selbst, wenn der einende Geist das Werdende
von Anfang an bestimmt und führt.


Dieser Text wurde am 6.7.1997 ins Netz gebracht von: W. Roehrig. Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.
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