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Als Mirabeau d. Ältere einige Jahrzehnte vor
der französischen Revolution mit Francois Ques-
nay über den Weg zum Reichtum debattierte
und dabei die Bevölkerungsvermehrung an den
Anfang aller Politik stellen wollte, weil der
Reichtum nämlich von der Arbeit komme und
die Arbeit vieler Hände bedürfe, forderte ihn
sein geistvoller Gesprächspartner auf, doch zu-
nächst einmal den Menschen die gleiche Ehre an-
zutun wie den Schafen: um diese zu vermehren,
beginne man nämlich mit der Schaffung der
Weideplätze. Genau so müsse auch für den Men-
schen erst die Versorgung mit den notwendigen
Lebensgütern da sein oder geschaffen werden. -
Hierin liegt wohl in der Tat das Geheimnis
der außerordentlichen Bevölkerungsvermehrung
in Europa. Der seit der Entdeckung Amerikas
anhaltende Geldzufluß hat die nachhaltige Ent-
faltung der Arbeitsteilung bis zur industriellen
Produktion der Neuzeit bewirkt. Diese Förde-
rung von Handel und Gewerbe aber hat die Er-
giebigkeit der Arbeit gesteigert und damit den
Lebensraum der Versorgungsmöglichkeiten auf
der unveränderten Bodenfläche Europas erwei-
tert. Der Mensch lebt ja nicht vom Brot allein
und die Erzeugungsmöglichkeiten von Brot und
Nahrung sind in Europa heute noch nicht ein-
mal ausgeschöpft, geschweige denn, daß sie es je
einmal waren.
Was die Arbeitsteilung und die Geldwirt-
schaft anbelangt, ist der Ablauf der Dinge in der
Gesetzlichkeit von Ursache und Wirkung frei-
lich auch jetzt noch so wie zu den Zeiten der
Römer. Die antike Welt blühte auf an ihren
Edelmetallzufuhren und sie geriet in die Krise
ihrer Existenz beim Abfluß des Geldes. An die-
sem Punkt blieb denn auch die Welt der Neuzeit
gefährdet. Zunächst freilich war der Goldzufluß
aus Amerika noch keineswegs erschöpft. Aber
er kam unregelmäßig; und in den Zeiten des
Rückganges oder der Stagnation entstanden
Krisen. Die Schrumpfung des Absatzes zwang
dazu, die Erzeugung einzuschränken und nun
waren die Menschen, die den Reichtum schaffen
und doch auch verbrauchen könnten, plötzlich
überflüssig. Malthus entwickelte seine Theorie
von der drohenden Übervölkerung. Die Natur
habe nicht für alle ein Gedeck an der Tafel des
Lebens aufgelegt. - Mit der Zunahme der über-
seeischen Goldfunde besserte sich aber die Wirt-
schaftslage wieder und die Angst vor der Über-
völkerung wurde wieder gegenstandslos, der
Alpdruck schwand. -
Inzwischen hatten sich die nordamerikani-
schen Kolonien, während die europäischen Groß-
mächte sich noch gegenseitig Kriege lieferten,
selbständig gemacht.
Frankreich war nach dem Zusammenbruch
der Assignatenwirtschaft finanziell in erklärli-
cher Bedrängnis. Es kehrte dann aber wieder
zum Metallgeld zurück, was nach Macleod durch
das Wiedererscheinen versteckten Bargeldes un-
terstützt wurde. Die große Erholung allerdings
kam ähnlich zustande wie einst bei den Römern:
die napoleonischen Kriege brachten viel Geld
als Beute ein.
In seinem Werk "Das Zeitalter der Revolu-
tion, des Kaiserreichs und der Befreiungskriege"
zitiert Oncken aus den Briefen Napoleons:
"Zwei Millionen in Gold sind mit der Post
unterwegs nach Paris; gebt Befehl, sie von Lyon
aus geleiten zu lassen. Der Finanzminister kann
für 4 oder 5 Millionen Wechsel ziehen, die
pünktlich bezahlt werden sollen. . ." (s. a. a. O.
S. 793 ff)
". . . in Tortona lasse ich alles Silberzeug und
die Juwelen sammeln, die ich Euch über Cham-
bery nach Paris senden werde; ich hoffe, daß
diese Sendung allein 5-6 Millionen Livres ab-
werfen wird. Ich werde im gleichen Betrag ge-
münztes Geld hinzufügen und unmittelbar alles
folgen lassen, was man zusammenbringen kann.
Außer dem Hanf, der schon abgegangen ist,
wird solcher weiterhin im Wert einer Million
folgen, den ich auf die zwei Millionen von Bo-
logna und auf die drei Millionen von Ferrara
eingefordert habe. Von den 5 500 000.- Livres,
die uns der Papst geben soll, lasse ich vier Milli-
onen dem Minister der Marine. Die Kunstkom-
missare, die Ihr mir geschickt habt, führen sich
gut auf und sind fleißig im Geschäft. Sie haben
weggeführt: 15 Gemälde in Parma, 20 in Mo-
dena, 25 in Mailand, 40 in Bologna, 10 in Fer-
rara, zusammen 110 Gemälde. Diese Gelehrten
haben außerdem in Pavia eine überreiche Ernte
gemacht." (s. a. a. O. S. 710)
Hier sehen wir, daß in der neueren Zeit zwar
auch schon Rohstoffe und Kunstschätze zur
Kriegsbeute gehörten, die Edelmetalle Gold und
Silber als Währungsmetall aber immer noch das
Wichtigste waren, was der Eroberer außer dem
Landgewinn und dem Machtzuwachs begehrte. -
Nach den napoleonischen Kriegen und den
Befreiungskriegen verlegt sich die Welt etwas
mehr von der Eroberungspolitik auf die Han-
delspolitik. Aber Kampf um das Gold ist auch
diese Handelspolitik, dieser Handelskrieg im-
mer noch. Die überlegenen Handelsvölker he-
ben freilich die Idee des Freihandels auf den
Schild; die anderen aber, die dabei zu kurz
kommen, entwickeln demgegenüber die Idee
und die Praxis des Schutzzolles, vornehmlich in
der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Immer
scheint das Gesetz des Handelns vom Gelde her
diktiert zu sein. In Amerika, der "reichsten
Schatzkammer der Welt", wie Lincoln die Uni-
on nannte, stiegen nach dem Rückgang der Gold-
funde, die im Durchschnitt der Jahre 1810/20
nur noch auf 11 500 kg gekommen waren, die
Funde im fünften Jahrzehnt auf fast 55 000 kg -
und im sechsten Jahrzehnt auf 200 000 kg! -
Neue Goldfelder in Kalifornien stellten alles
bisher Dagewesene in den Schatten und die gold-
hungrige Welt bekam wieder ihren Auftrieb.
Von 1850 bis 1860 förderte Amerika fast soviel
Gold wie die vorausgegangenen 250 Jahre von
1600 bis 1850 zusammen erbracht hatten. Doch
von 1870 bis 1890 trat wieder eine Erschöpfung
mit der dazugehörigen Krise ein; und wenn
Moltke damals sagte, es sei nicht mehr der Ehr-
geiz der Fürsten, sondern "das Unbehagen über
einen Zustand", das in der neueren Zeit den
Frieden gefährde, so kann dieses Wort nur so
verstanden werden, daß die Krisen der Wirt-
schaft von innen her die Daseinsbedingungen
der Völker zerrütten und damit den Kampf ums
Dasein, der sich normalerweise im friedlichen
Wettbewerb abspielt, in die Härten blutiger
Auseinandersetzungen hineinzwingen. - Noch
einmal bessert sich die Lage zu Anfang des 20.
Jahrhunderts: Transvaal gelangt an die Spitze
der Goldproduzenten. Seine Erträge lagen im
Jahre 1916 um 70 v. H. höher als die vormali-
gen Förderungen von Kalifornien.
Es mag sein und liegt in der Natur der Sache,
daß die Wirkungen, die vom Gelde ausgehen,
seien sie nun Fluch oder Segen, nicht von jeder-
mann wahrgenommen werden - jedenfalls nicht
als Auswirkungen des Geldwesens. Zu riesenhaft
ist der Bogen, der über unsere Häupter hinweg
die kausalen Zusammenhänge herstellt. Und ob-
wohl auch unsere Welt noch immer mitten drin
steht in der Alternative "Eroberung oder Han-
del", nehmen wir die Dinge, so wie sie sind,
immer erst aus der Ferne eines sehr weiten Ab-
standes wahr.