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Ein Kapitel aus:
Karl Walker: Das Geld in der Geschichte
Rudolf Zitzmann Verlag; Lauf bei Nürnberg; 1959

EROBERUNG ODER HANDEL

Aber in diesem 16. Jahrhundert begann nun
schließlich die Bildung größerer absolutistischer
Nationalstaaten: Spanien, Portugal, Frankreich,
England - bis herunter zu den Territorial-Für-
stentümern in Deutschland, die immerhin um
1500 die beachtliche Zahl von 1786 politischen
Gemeinwesen darstellten. Jetzt bahnen die Be-
dürfnisse der Krone oder des Staates - zwei ver-
schiedene Dinge, die jedoch auf lange Zeit hin-
aus fast miteinander identisch waren - dem geld-
wirtschaftlichen Denken in der nationalstaatli-
chen Politik den Weg. Man fängt an, Methoden
zu studieren, wie man das Geld ins Land brin-
gen, den Wohlstand und damit die Steuerkraft
der Untertanen heben könne. Nicht alle Völker
sind so hervorragende Seefahrer wie die Hol-
länder und die Angelsachsen; aber auch die an-
deren wollen Gold und Silber haben, weil diese
Metalle Geld sind, und so bahnt sich allmählich
der Weg an, den John Locke später mit der
Feststellung absteckte: "In einem Lande ohne
Bergwerke gibt es zum Reichtum nur zwei Wege:
Eroberung oder Handel."

Im sogenannten "Merkantilismus" beginnt
sich jetzt ein wohlbedachtes System geldwirt-
schaftlicher Politik durchzusetzen. In Frankreich
hat Ludwig XIV. das Glück, in Jean Baptiste
Colbert den hervorragendsten Kopf zum Gene-
ralkontrolleur der Finanzen zu gewinnen. Col-
bert löst die liederliche Finanzwirtschaft Fou-
quets ab, beginnt mit planvoller Gewerbeförde-
rung. Die verfeinerte Methode des auswärtigen
Handels soll jetzt das Geld ins Land bringen,
das man vordem nur mit Raub und Beutezügen
erlangen konnte. Die Ausfuhr von Gold hinge-
gen wurde von Colbert mit drakonischen Mit-
teln verhindert; Gold außer Landes zu bringen,
kostete in diesen Zeiten den Kopf. Das ganze
Bemühen Colberts lief darauf hinaus, "das Geld
im Königreich zu halten, dasjenige, welches hin-
ausgeht, wieder hereinzubringen und die frem-
den Staaten immer in dem Geldmangel zu er-
halten, darinnen sie sind." -

Mit den Methoden dieser Politik und mit den
Erleichterungen und der Förderung jeglicher Ge-
werbetätigkeit im Königreich brachte Colbert
eine außerordentliche Wirtschaftsblüte zustande.
Unternehmer und Arbeiter wurden aus aller
Herren Länder nach Frankreich gezogen: Me-
tallarbeiter aus Nürnberg, Strumpfwirker aus
England, Spiegelarbeiter aus Venedig. Und da
alle Hände beschäftigt waren, durften Arbeiter
und Gewerbetreibende aus Frankreich nicht aus-
wandern. Nach glaubwürdigen Berichten sollen
Spitäler und Siechenhäuser nach arbeitsfähigen
Menschen abgesucht worden sein, und in der
Armenpflege mußten an Stelle von Geld, Speise
und Trank auf obrigkeitliche Anordnung Wolle
und Arbeitsmittel gegeben werden, damit die
allgemeine produktive Tätigkeit zunehme. Der
Bedarf an tätigen Menschen war so groß, daß
der persönlich sehr sittenstrenge Colbert Einfälle
in die barbarischen Länder anordnete, um Ar-
beitssklaven für die Ruderbänke der französi-
schen Schiffe zu bekommen. Nicht zuletzt war
allerdings der Menschenbedarf auch durch die
vielen Kriege Ludwigs XIV. gesteigert worden.

Das System Colberts und das Gelingen seines
Werkes ist der erste große Beweis der Neuzeit
dafür, daß der Mensch mit der Macht des Wis-
sens das Geld lenken kann. Aber Colbert war
ja nur der Minister; und da sein Souverän kein
Verständnis für das sachlich Notwendige und
für die Beschränkung seiner Ansprüche an die
Steuerkraft des Volkes aufbrachte, vermochte
sein System doch nicht die königlichen Anforde-
rungen zu decken. Und auch mancherlei Neben-
wirkungen der absolutistischen königlichen Po-
litik haben an den Erfolgen Colberts gezehrt,
ohne daß er dies deutlich machen konnte. In
einer Zeit, in der es dem fähigsten Staatsmann
darauf ankam, die Wohlfahrt des Landes zu he-
ben, verlor Frankreich durch die Verfolgung der
Hugenotten über eine Million der intelligente-
sten und wohlhabendsten Menschen.

Ähnlich verfahren war die Politik des Abso-
lutismus gegenüber der Landwirtschaft. Die
Grund- und Personalsteuer ruhte fast ganz auf
den Schultern der Bauern. Diese Steuer und die
Salzsteuer brachten zusammen 80 Prozent der
Einnahmen des französischen Staates ein. Das
war vor der Zeit Colberts; viele Bauern hatten
das Land verlassen. Große Landstriche waren
verödet. Da die Grund- und Personalsteuer
(Taille) vornehmlich die Kosten der Kriegsfüh-
rung decken mußte, vermochte Colbert für die
Bauern nur die gröbsten Überforderungen ab-
zustellen. Doch seine Klugheit ließ ihn dafür
andere Steuerquellen finden. Die gesamte Be-
lebung der gewerblichen Tätigkeit, die er mit
seiner Geld-, Steuer- und Handelspolitik zu-
standebrachte, trug schließlich ein Vielfaches
von dem ein, was vorher aus einem von Steuer-
pächtern ausgequetschten Landvolk herausge-
holt werden konnte. Colbert hat die schon ver-
schleuderten königlichen Domänen dem Staat
zurückerworben, Colbert hat die französische
Handelsflotte mächtig gefördert. Die franzö-
sischen Kolonialerwerbungen nahmen rasch zu.
Beim Tode Ludwigs XIV. war der Kolonial-
besitz Frankreichs zweieinhalbmal größer als
Frankreich - und das wollte etwas heißen in
einem Zeitalter, in dem es darauf ankam, "das
Gold im Königreich zu halten" - und die
Kraft der eigenen Volkswirtschaft dennoch
über Länder und Meere hinweg auszudehnen.

Geschichte ist nicht wiederholbar; und so sagt
es sich leicht hin, daß es müßig sei, sich einen
anderen Ablauf zu denken. Wer aber kann sich
vorstellen, wie anders die Geschichte verlaufen
wäre, wenn das Geld - und wenn der Kopf, der
das Geld zu lenken verstand - dem Sonnenkö-
nig nicht zur Verfügung gestanden hätte? - Die-
ser Ludwig XIV. hatte doch die Vorstellung
"Alles, was sich im Umfang unserer Staaten be-
findet, gehört UNS!" - Was hätte ihm aber ge-
hört, wenn die 64 000 Arbeiter, die allein in der
Wollweberei tätig waren, als plündernde Ban-
den wie einstmals die Armagnaken durch das Land
gezogen wären? Und was hätte ihm gehört, wenn
die 50 000 Webstühle, die durch Colberts kluge
Maßnahmen in Tätigkeit gesetzt waren, nicht
für Frankreich gearbeitet hätten? - War nicht
die Jahresproduktion der französischen Seiden-
fabriken unter Colberts Förderung auf 50 Mil-
lionen Livres gestiegen? Und die Herstellung
von Spitzen beschäftigte auch bereits 17 000
Menschen. Frankreich war der bedeutendste Ex-
portstaat der neuen Zeit geworden und dieser
Vorgang gründete sich doch wohl nicht auf den
Glanz, den die Üppigkeit und Verschwendung
des Sonnenkönigs an seinem Hof entfaltete, son-
dern auf die Klugheit und auf die Geschicklich-
keit des großen Zauberers, der die Ströme des
Geldes zu lenken verstand.


Dieser Text wurde am 6.7.1997 ins Netz gebracht von: W. Roehrig. Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.
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