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Ein Kapitel aus:
Karl Walker: Das Geld in der Geschichte
Rudolf Zitzmann Verlag; Lauf bei Nürnberg; 1959

BEFRUCHTUNG DER NATIONALWIRTSCHAFTEN

Wie der Mensch in der Frühzeit seiner bäuer-
lichen Entwicklung in den Tälern des Nil und
des Euphrat die Beobachtung gemacht haben
mag, daß die regelmäßig wiederkehrenden Über-
schwemmungen dem Boden gut tun und die
Fruchtbarkeit des Ackerlandes steigern, so lernte
der Mensch einer späteren Epoche auch ganz all-
mählich begreifen, daß die Überschwemmungen
mit Geld den Acker der gewerblichen Wirtschaft
düngen und daß diese Wirtschaft immer dann,
wenn solche Flutwellen über das Land gegangen
sind, reichere Erzeugnisse aller Art aus dem Ge-
werbefleiß der Bürger herauswachsen läßt. Und
genau so, wie man aus der Beobachtung und Er-
fahrung im Ackerbau zu wohlüberlegter Aus-
nützung der Vorgänge, zu einer bedachtsamen
Nachhilfe durch die Anlage von Bewässerungs-
Kanälen und Eindämmungen gelangte, genau so
begann man sich vom 16. zum 17. Jahrhundert
mit Überlegungen zu beschäftigen, wie man die
offensichtlich segenbringende Flut des Geldes am
besten heranlenken und zum bleibenden Nutzen
auch halten könnte.

Mit diesen Überlegungen begann so etwas wie
bewußtes und methodisches volkswirtschaftliches
Denken, wohingegen der Mensch des frühen
Mittelalters und auch der griechisch-römischen
Kultur - mit Ausnahmen - noch keinen deutli-
chen Begriff von den Auswirkungen allgemein
auftretender Abläufe dieser Art haben konnte,
obwohl Vermehrung und Verminderung des
Geldes mit allen dazugehörigen Folgen auch in
diesen Zeiten schon deutlich genug auftraten.
Nur wenige sahen die eigentlichen Zusammen-
hänge. Jetzt aber, nachdem der Strom von Gold
und Silber nach der Entdeckung Amerikas die
Regsamkeit und Tatkraft der alten Welt neu
befruchtete, wurde dieser Vorgang mit seinen
Vorbedingungen in Zusammenhang gebracht.
Der Übergang vom gläubigen oder naiv-unbe-
kümmerten Hinnehmen der Ereignisse zur ver-
standesmäßigen Betrachtung der Zusammenhän-
ge breitete sich in diesem Zeitalter auf allen Ge-
bieten aus. Um 1577 ist Jean Bodin einer der
ersten, der die Abhängigkeit des Volkswohlstan-
des vom Geldzufluß erkennt und erklärt: "Das
Geld ist das Blut der Volkswirtschaft." Durch
die Erfindung Gutenbergs wird die Verbreitung
neuer Ansichten und Einsichten mächtig geför-
dert. Andere erhalten Anregungen zum Weiter-
denken und Beobachten, und so findet sich ein
Mosaiksteinchen zum anderen für das große Bild
der Wirklichkeit, das der kleine Mensch nicht
auf einmal übersehen kann. Antonio Serra aus
Neapel gibt 1613 bereits eine Schrift heraus mit
dem Titel: "Kurzer Traktat von den Ursachen,
welche den Ländern, die eigene Bergwerke nicht
besitzen, eine reichliche Versorgung mit Gold
und Silber ermöglichen."

Der Strom des Goldes geht indessen zunächst
seinen natürlichen Weg. Die Ausbeute an Gold
und Silber kommt auf Schiffen über den Atlan-
tik und wird angezogen von den Hafenstädten
der alten Welt. Lissabon, Sevilla sind die ersten
Städte, in denen sich der Reichtum niederschlägt;
London und Amsterdam folgen. Wieder begin-
nen sich Handelszentren und Handelsstraßen
zu verschieben. Und während es im Kernland
Europas wirtschaftlich stiller wird - Religions-
kriege, Dreißigjähriger Krieg und Pest haben
hier Volksarmut und Verödung hinterlassen -
breitet sich das neue Leben zum Vorstoß in eine
andere Zeit in den Küstengebieten am Atlantik
und Kanal aus.

Die zunehmende Deutlichkeit, mit welcher die
Auswirkungen der Goldzuflüsse begriffen wur-
den, brachte natürlich auch die in den angeführ-
ten Schriften und Überlegungen empfohlenen Maß-
nahmen in Fluß. Ebenso trug aber auch auf der
anderen Seite die Ahnungslosigkeit, mit der man
den neuen Reichtum empfing und durch die Fin-
ger rinnen ließ, nicht wenig zu einer raschen
Umschichtung bei. Das kleine Portugal war mit
dem Besitz von Brasilien, Afrika und Indien
"Königin dreier Erdteile" geworden. Es soll in
seinen besten Zeiten allein aus Indien jährlich
800 Millionen Goldmark eingenommen haben.
Dieser Reichtum führte zu üppigem Luxus, der
vom Königshaus ausging und tief ins Volk hin-
ein demoralisierend wirkte. Der Rausch des
Abenteuers ließ die Bauern die Landbestellung
aufgeben und nach den Goldländern auswan-
dern. Das Heimatland verödete und wurde
Schafweide. Ohne Sorge um die Zukunft kaufte
das reiche Portugal sein Korn von den Fremden.
Aber in der Verwaltung des riesenhaften Kolo-
nialreiches kam es bald zu bedenklicher Korrup-
tion; dazu brachte die zunehmende Bedrückung
der kolonialen Bevölkerung auch Aufstände mit
sich, und schließlich ist es der Fluch des Goldes,
daß es die Habgier der Umwelt weckt. In diesen
Zeiten der frühen Kolonialpolitik galt nur die
nackte Rücksichtslosigkeit. Holländer, Englän-
der und Franzosen fielen in die portugiesischen
Kolonien ein, und die Kolonialbevölkerung
stellte sich - von den Portugiesen schlecht be-
handelt - auf die Seite der Eindringlinge.

Eine fast gleichartige Entwicklung nahm das
reiche Spanien, das Land, "in dem die Sonne nie
unterging". Auch dort bedenkenlose Verschwen-
dung, nicht zuletzt durch die Kriege der spani-
schen Krone, ebenso wie vordem in Portugal,
das 1580 der spanischen Eroberung anheimge-
fallen war. Auswanderung der Bauern, Ver-
ödung des Landes, Latifundienbildung, Verar-
mung des Volkes und Zerrüttung von unten bis
oben - das Geld bleibt nicht, wo Müßigang und
Verschwendung regieren. - Spanien hatte selbst
in seinen reichsten Zeiten keine Förderung der
einheimischen Gewerbestände zustandegebracht;
der Goldstrom ging ganz andere Wege, die
kümmerlichen Umsätze des niederen Volkes
wurden mit Kupfermünzen bewältigt. So war
der reiche Gewinn nicht der einheimischen Volks-
wirtschaft zugute gekommen, sondern er war
vertan. Ein Jahrhundert nach der Entdeckung
Amerikas hatten die Niederlande, die sich 1581
auch von der spanischen Krone losgelöst hatten,
ebenso Frankreich und England bereits mehr
Gold und Silber als Spanien, das Land, von dem
der Reichtum herkam! -

In diesen letzten Jahrzehnten des 16. Jahr-
hunderts bis weit in das 17. Jahrhundert hinein
wurde der Kampf um die Schätze aus den über-
seeischen Gebieten in der Art staatlich privile-
gierter Seeräuberei geführt. Aus keinem anderen
Grunde als um der Silberschätze willen haben
die Engländer 1595-96 den spanischen Haupt-
hafen Gadix überfallen, haben die dort ver-
ankerte Silberflotte geraubt und sind danach
in die spanische Kolonie eingedrungen. Und um
nichts anderes hat die Niederländisch-Westin-
dische Handelsgesellschaft in den Jahren von
1621 bis 1636 nicht weniger als 547 spanische
und portugiesische Schiffe gekapert, darunter
einmal eine Flotte, die allein für 14 Millionen
Gulden Silber an Bord hatte. Immer wieder sind
Raub, Verbrechen und Kampf die nächstliegen-
den Handlungen, zu denen der Mensch in der
Nähe der blinkenden Metalle seine Zuflucht
nimmt. -


Dieser Text wurde am 6.7.1997 ins Netz gebracht von: W. Roehrig. Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.
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