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Ein Kapitel aus:
Karl Walker: Das Geld in der Geschichte
Rudolf Zitzmann Verlag; Lauf bei Nürnberg; 1959

VERSIEGENDE NACHFRAGE - BÖSE FOLGEN

In den tieferen Zusammenhängen gesehen,
war das alles aber doch ein Abfluß des Geldes
aus der Wirtschaft heraus zur Finanzierung der
zerstörenden Händel und Kriegszüge der Gro-
ßen. Handel und Gewerbe indessen kamen zum
Erliegen; im Volke nahm die Not und die wirt-
schaftliche Bedrängnis zu. Der Mensch, der seit
Generationen gewohnt war, mit fleißiger Arbeit
sein Brot zu verdienen, fand plötzlich, daß die
anderen seine Arbeit nicht mehr abnehmen woll-
ten; es war keine ausreichende Nachfrage mehr
da. -

Alle Berichte über die Erstarrung des Zunft-
wesens, die aus dem sorgenvollen Kampf um
den Platz an der Tafel des Lebens hervorging,
datieren aus der Zeit nach der Aufhebung der
"Renovatio monetarum". Noch einmal können
wir auch bei Adolf Damaschke eindringliche Be-
stätigungen hierzu finden: "In der altberühm-
ten Goldschmiedezunft von Augsburg war jeder
willkommen gewesen, der sein Meisterwerk lei-
stete, 1549 aber wurde bestimmt, daß jährlich
nur 12 Bewerber, 1582, daß nur noch 6 Bewer-
ber zugelassen werden sollten. Dadurch wurde
für die Handwerksgesellen die Aussicht, jemals
selbständig zu werden, zerstört und es begann
sich in scharfer Trennung von den Meistern ein
neuer Stand der Lohnarbeiter in den Städten
zu bilden."

In Nürnberg wurde 1572 einem Meister des
Fingerhuthandwerks, der ein "sonderes neues
Drehrad, ihm und seiner Arbeit zum Vorteil,
aber anderen Meistern zu Schaden erfunden und
gebraucht hatte", auf Antrag seiner Zunftgenos-
sen jeder weitere Gebrauch unter "starker Stra-
fe" untersagt.

Ein Nadlermeister, der ein Reibzeug erfun-
den hatte, erhielt 1585 unter Androhung von
50 Gulden Strafe den Befehl, "dasselbe alsbald
wegzutun, nicht mehr zu gebrauchen, viel weni-
ger hier oder auswärts in dem Gebrauch dessel-
ben zu unterweisen" (s. a. a. O., S. 86/87).

Der italienische Abbé Lancellotti erzählte in
einer 1636 erschienenen Schrift, daß vor fünfzig
Jahren, also anno 1586, ein Mann in Danzig
eine "sehr künstliche Maschine" erfunden habe,
die 4 bis 6 Gewebe auf einmal verfertigte. Der
Rat habe aber die Erfindung unterdrückt und
den Erfinder heimlich ersticken oder ersäufen
lassen. Dieselbe Maschine sei später in Leyden
und in Köln wieder aufgetaucht und abermals
verboten worden; in Hamburg habe man sie
öffentlich verbrannt. Es handelte sich dabei um
den Vorläufer der Spinn- und Webemaschinen,
die nachher die industrielle Revolution des
18. Jahrhunderts mitbestimmten (s. Karl Marx:
Das Kapital Bd. I, S. 450/51).

In Lübeck mußte bereits anno 1475 Hinrich
Hengelke sein neues Unternehmen einer Kup-
ferhütte wieder abbrechen, weil die Schmiede-
zunft als Grund oder Vorwand angab, es sei zu
befürchten, daß durch den Betrieb der Hütte
die Kohlen teurer würden. So verfügte der Rat
dieser vordem so unternehmungsfreudigen Stadt,
"dat gemene beste betrachtend", die Ausmer-
zung des Wettbewerbers (s. Fr. Rörig: "Vom
Wesen der Hanse", S.110).

Es ließen sich der Beispiele noch viele anfüh-
ren und sie würden sich alle zu dem uns bekann-
ten Gesamtbild runden, daß das Zunftwesen in
einer Weise starr und lebensfeindlich wurde, die
ihm für alle spätere Zeiten den Stempel auf-
prägte. Dieser Eindruck von der mittelalter-
lichen Gewerbeordnung ist also haften geblie-
ben.

Der Druck, der das bewirkte, ist aber im übri-
gen nicht nur in solchen kleinen Einzelvorgän-
gen zu erkennen. In England, wo die Geldsteuer
gleichfalls aufgehoben und durch die Herdsteuer
ersetzt worden war, machte sich mit dem Aus-
gang des 15. Jahrhunderts eine zunehmende
Feindseligkeit gegen die hansischen Kaufleute
bemerkbar. Hansische Schiffe wurden im Ärmel-
kanal, auch direkt im Hafen von Boston, über-
fallen und ausgeplündert. Kämpfe zur See, Ka-
perkriege, langwierige Auseinandersetzungen
mit politischen Intrigen hemmten den Handel.
Was wir schon in kleinen Beispielen sahen, sollte
sich hier auch im Großen abspielen: der Platz
an der Tafel des Welthandels war ebenfalls en-
ger geworden; der Engländer wollte den Wett-
bewerb des deutschen Kaufmannes ausmerzen.
Um 1493 kam es zu einem organisierten Sturm
auf den Stalhof in London - die berühmte han-
sische Niederlassung. Die deutschen Kaufleute
durften sich nicht mehr auf der Straße zeigen.
Ein gleicher Aufstand brach 1517 wieder aus.
Jetzt wurden die Hansen widerrechtlich gefan-
gengesetzt. 1557 wurden die Zollvorrechte der
Stalhofskaufleute aufgehoben; 1597 setzten die
Hansen ihrerseits durch, daß die Engländer vom
deutschen Reichsboden verwiesen wurden; und
1598 wurde dafür der Stalhof in London auf
Befehl der Königin Elisabeth geschlossen, die
Hansen vertrieben oder als Geiseln zurückbehal-
ten. -

So ist auch der Niedergang der Hanse eine
unmittelbare Folge der Krisenentwicklung in
der mittelalterlichen Weltwirtschaft. Eine innere
Kraft, wie sie einstmals im Zusammenschluß der
Hansestädte bestanden hatte, war nicht mehr da
- nachdem die Wirtschaftskraft zerfallen war.
Deutschland war inzwischen in die Wirren der
Religionszwistigkeiten, Bauernkriege, Hexen-
verbrennungen und dergleichen hineingeraten.
Die Bauernkriege waren das Ergebnis der Be-
drückung, die vom Adel und von den Stadtvog-
teien auf die Schultern der Bauern geladen wor-
den war. Die Rechtsauffassungen jener Zeit -
fußend auf dem römischen Recht - haben dazu
geführt, daß die landesherrlichen Rechte über
die Menschen mit dem Verkauf von Reichsgrund
an private Käufer, an Adlige und Geldleute,
an die Kirche und an Städte auf die Käufer
überging. Mit dem Kauf des Bodens, mitunter
ganzer Dörfer, wurde zugleich das Recht ge-
kauft, die Abgaben der Landbewohner zu kas-
sieren und ihre Frondienste in Anspruch zu neh-
men. So wurden diese Abgaben und Dienste, die
der Bauer zu leisten hatte, mit der Kommer-
zialisierung des Bodens ständig drückender.
Gemeindebesitz an Wald und Weide wurde den
Bauern genommen und nur gegen entsprechende
Abgaben zur Nutzung überlassen. Die Maßlosig-
keit, mit der der Bauer gepeinigt wurde, kannte
keine Grenzen. So wird berichtet, daß sie nachts
die Teiche und Tümpel peitschen mußten, damit
die Frösche schweigen sollten und nicht mit
ihrem Konzert den Schlaf der Herren störten;
und beim Morgengrauen begann dann beim
Bauern wieder die Fronarbeit des Tages. - Bei
den dem Bauern auferlegten Geld-Abgaben
mußte er im Falle von Säumigkeit Zinsen zah-
len, und zwar nach dem sogenannten "Rutscher-
zins" für jeden Tag des Verzuges den verdop-
pelten Zinssatz, so daß er mit mathematischer
Gewißheit nicht mehr aus der Schuld heraus-
kam (s. G. Ruhland: "System d. Pol. Ökono-
mie", S. 774).

Eine Flucht vom Lande in die Stadt gab es
nicht mehr, denn die Gewerbetreibenden der
Stadt konnten keinen Zulauf mehr brauchen.
Sie sperrten die Zünfte gegen fremden Zuzug
und überwachten auch eifersüchtig, daß auf den
Märkten und in den umliegenden Orten keine
nicht aus den zünftigen Werkstätten stam-
mende Ware verkauft würde. Den Wettbewerb
der Nichtzünftigen, der "Bönhasen", zu verhin-
dern, wurden eigene Späher von den Hand-
werkszünften ausgesandt. Neid und Mißgunst
waren in der Atmosphäre der Not geil empor-
geschossen. Was blieb den Bauern anderes übrig,
als sich zum Landsknecht herzugeben oder sich
gegen die Bedrücker zu erheben! - Gustav Ruh-
land schreibt hierzu: "Dem Proletariat in den
Städten folgte das Proletariat auf dem Lande.
Aus beiden Reservearmeen rekrutierte sich haupt-
sächlich das Angebot auf dem deutschen Söld-
nermarkt, der in den Städten sichtbar gewor-
dene Reichtum reizte die Eroberungssucht der
kapitalistisch gewordenen Fürsten. Die Über-
nahme und Vermittlung von Staatsanleihen ge-
hörte bald bei den Großkapitalisten zu den be-
liebtesten Geschäften. Und so trieb der rasch an-
gesammelte Reichtum in wenigen Händen, die
zunehmende Unzufriedenheit in den Volksmas-
sen, die Anstauung eines Proletariats in Stadt
und Land, die wachsende Leichtigkeit in der Be-
schaffung großer Söldnerheere wie in der Auf-
nahme neuer Staatsschulden die Fürsten in fast
endlose Kriege hinein, die von 1557 bis 1620
fast allgemein zu Staatsbankrotten führten,
welche auch die Millionen der oberdeutschen
Handelshäuser auf Nimmerwiedersehen ver-
schlungen haben" (s. a. a. O., S. 772/73).

Die mörderisch-grausame Rache aber, die die
Bauern in ihren Aufständen unter Florian Geyer,
Thomas Münzer, Götz v. Berlichingen und an-
deren Anführern an den in ihre Gewalt gerate-
nen Bedrückern übten - bis sie endlich doch der
Obermacht der waffenkundigen Adligen erlagen
und zu Zehntausenden erschlagen wurden - ge-
hört mit auf das Konto der wirtschaftlichen Zer-
rüttung, für deren Ursprung niemand eine Er-
klärung wußte. -

Die heiße Empörung gegen das Unrecht der
Zeit hatte damals auch Tilman Riemenschneider
- neben dem in Nürnberg und Krakau tätigen
Veit Stoß wohl der bedeutendste Meister der
deutschen spätgotischen Kunst - in den Bauern-
kriegen auf die Seite der aufständischen Bauern
gebracht. Heute noch zeugen seine herrlichen
Werke, der Creglinger Altar, der Abendmahl-
Altar in Rothenburg, seine Grabplatten in
Würzburg, das Kaisergrab im Bamberger Dom
u. a. m. von einer unerhörten Gestaltungskraft
- doch nach der Niederwerfung des Bauernauf-
standes haben ihm die bischöflichen Schergen in
der Folter die Hände gebrochen. -

Was die Verirrung in die Wahnvorstellungen
von religiösem Fanatismus, von Hexenglauben
und dergleichen anbelangt, so wird man berück-
sichtigen müssen, daß der Mensch dieser Zeiten
für die über ihn hereingebrochene allgemeine
Not keine verstandesmäßige Erklärung finden
konnte. Es war nicht anders denkbar, als daß er
in allem, was sich zeigte, das Walten böser, dä-
monischer Mächte oder die Geißel Gottes glaubte
sehen zu müssen. Solange es Arbeit gab und die
gewerbliche Regsamkeit den Wohlstand för-
derte, stand es um Religion und Mystik noch
anders.

Um das Jahr 1230 wollte der fanatische Prä-
monstratenser Konrad von Marburg die Inquisi-
tion in Deutschland einführen; doch das lebens-
frohe Volk wollte von diesen finsteren Bräuchen
nichts wissen - der Eiferer wurde nach kurzer Tä-
tigkeit auf offener Landstraße erschlagen. Um
das Jahr 1484 aber, als mit der Not und Existenz-
bedrohung auch die geistige Finsternis sich über
das Land legte, begannen in Deutschland die
Hexenprozesse, die sich danach über zweiein-
halb Jahrhunderte hinzogen. 1489 haben die
beiden Professoren der Theologie Institor und
Sprenger ihren "Hexenhammer" geschrieben,
das Gesetzbuch der Hexenverfolgung. Etwas
Unsinnigeres, Sadistischeres, Grausameres und
Schamloseres über das Vorhandensein eines Teu-
fels und seinen geschlechtlichen Verkehr mit den
Hexen, über deren Treiben und über die Mittel
und Methoden, sie zu "Geständnissen" zu brin-
gen, konnte menschliche Phantasie wohl kaum
ersinnen.

Von 1595 bis 1666 lebte Benedikt Carpzow,
der sich selbst der Hinrichtung von 3000 Hexen
rühmte, wobei außerdem noch 17 000 ge-
wöhnliche Verbrecher kraft seiner Autorität in
der Rechtspflege zum Tode verurteilt wurden.
Überall lohten die Scheiterhaufen und der Wahn-
sinn feierte seine fürchterlichsten Orgien.

Die Religionszwistigkeiten - hervorgegangen
aus der Entartung des Christentums, von Refor-
mern bekämpft, die ihrerseits in neue Verwor-
renheiten und Entartungen verfielen - nahmen
den breitesten Raum in den allgemeinen Aus-
einandersetzungen ein. Daß die Lehre Luthers
erst die Bauern-Aufstände begünstigte und daß
Luther danach eine Schwenkung vornahm und
mit flammenden Worten forderte: ". . . es soll
zerschmeißen, würgen und stechen, heimlich oder
öffentlich, wer da kann, und gedenken, daß
nichts Giftigeres, Teuflischeres sein kann, denn
ein aufrührerischer Mensch. . .", war beides
symptomatisch für den Verlust von Maß und
Mitte. -

Daß ferner auch die Reformatoren das Blut
der Andersdenkenden fordern konnten und den
Scheiterhaufen als ultima ratio nicht verschmäh-
ten, zeigte sich in dem unglücklichen Ende von
Michael Servet, der auf Betreiben von Calvin
dem Glaubensgericht ausgeliefert und auch mit
Billigung von Melanchthon anno 1553 in Genf
verbrannt wurde.

Die wild aufgepeitschte Zeit vermochte nur
noch in Extremen zu denken. Die geistige Ver-
wirrung des aus seiner Bahn von Arbeit, Gläubig-
keit und Lebensfreude herausgeworfenen Men-
schen setzte sich immer mehr in Zerstörung und
Auflösung um. Schließlich waren die Meinungs-
verschiedenheiten in Glaubenssachen in der Brei-
tenwirkung nur noch ideologische Verbrämun-
gen für den Kampf um Macht, Besitz, Freiheit,
Brot und verlorenes Lebensglück.

So waren die Lehren der Wiedertäufer, die sich
insbesondere um 1532 bis 1535 in Münster zu
einem grausigen Taumel von religiös verbräm-
ter Zügellosigkeit, von Raub, Mord, Plünde-
rung und Ausschweifung auswuchsen, ein typi-
sches Zeichen der Zeit. Daß der Schneider Bockl-
son den verwegensten Wahnsinn predigen, aus
Münster sein "Königreich Sion" machen, seine
"Gerechten" zum Mord durch die Straßen sen-
den, die Vielehe einführen und seine eigenen
Frauen, deren er eine erkleckliche Anzahl hielt,
eigenhändig hinrichten konnte, das ist gewiß
etwas aus den finstersten Tagen der deutschen
Geschichte; aber es ist erst möglich geworden,
nachdem die Ordnung verloren war, in welcher
sich das Leben, Handel und Wandel des Volkes
jahrhundertelang geborgen fühlen durfte.


Dieser Text wurde am 6.7.1997 ins Netz gebracht von: W. Roehrig. Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.
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