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Ein Kapitel aus:
Karl Walker: Das Geld in der Geschichte
Rudolf Zitzmann Verlag; Lauf bei Nürnberg; 1959

DAS VERLORENE MASS

Es scheint einem unseligen Hang des Men-
schen zu entsprechen, die Vollkommenheit in der
Steigerung zu suchen. Wenn es ihm gut geht,
will er es noch besser haben; wenn er reich ist,
will er noch reicher werden; wenn er satt ist,
will er im Überfluß schwelgen; wenn er helfen-
de Brüder hat, will er Diener und wenn er Die-
ner hat, verlangt er Sklaven. Immer treibt ihn
der Wahn, daß der Weg, der bis zur Höhe des
Erreichten geführt hat, gradlinig weiterführe zu
noch größeren Höhen und noch herrlicheren Zu-
ständen.

In Wirklichkeit liegt aber das Bestmögliche,
das, was der Natur des Menschen gemäß ist, nie
an diesem oder jenem denkbaren Pol der Mög-
lichkeiten, sondern es liegt in der goldenen Mit-
te, in wohlabgewogenem Abstand von den in
beiden Richtungen zu denkenden Gegensätzen.
So wie Kälte und Wärme zwei polare Katego-
rien sind, von denen unserer menschlichen Na-
tur immer nur diejenige als Ideal erscheint, von
der wir im gegebenen Augenblick weiter ent-
fernt sind, die wir also entbehren und der wir
uns nähern wollen, so sind in unserem ganzen
Leben und auch in der sozialen Ordnung alle
Dinge nur solange oder bis zu der Grenze ideal
und erstrebenswert, solange wir noch nicht das
rechte Maß davon erreicht haben. Harmonie,
betreffe sie nun ein Werk oder ein Wesen, be-
treffe sie die Gesundheit und das Wohlbefinden
des Leibes oder die Gesundheit und Ordnung
von Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur, ist nie-
mals eine Angelegenheit der Gipfelhöhe, son-
dern sie ist stets eine Angelegenheit des rechten
Maßes.

Der Mensch, der in seinem Streben und Han-
deln das rechte Maß verloren hat, wird haltlos
und gleitet ab; es ist gleichgültig, nach welcher
Richtung. Ein Abgleiten ist es genau so gut,
wenn er zum vollendeten Roboter wird, wie es
ein Abgleiten ist, dem Gegenpol des vollkomme-
nen Müßigangs zuzutreiben. Jedes Ausschreiten
von einem als unvollkommen empfundenen Zu-
stand in Richtung zu seinem Gegenpol ist nur
solange gut und förderlich, bis wir im rechten
Abstand zwischen den abstrakten Idealen ste-
hen. Darüber hinaus schlägt jedes Plus wieder
in ein Minus um und das Ideal steht plötzlich in
unserem Rücken. Es ist übrigens eine uralte
Weisheit, daß "Zuviel des Guten von Übel" ist.

Daß die Welt des Mittelalters in der Hoch-
blüte ihrer Kultur das Maßhalten verloren hat,
daß die Auswüchse in den Sitten, im Essen, Trin-
ken, Kleiden, selbst in der Religion und in kirch-
lichen Gebräuchen, in den Angelegenheiten von
Macht und Recht im Laufe der Zeit Dissonanzen
ergaben, läßt sich nicht leugnen. In summa sum-
marum haben sich aber die Vorgänge und Er-
scheinungen aus dem zu Ende gehenden Mittel-
alter und der mit der Turbulenz der Religions-
wirren beginnenden Neuzeit in der landläufigen
Betrachtungsweise - sehr zu Unrecht - als
schlechthin das Mittelalter charakterisierend ein-
geprägt. So spricht man immer nur abschätzig
vom "finsteren Mittelalter", weil sein auf der
Grenzscheide des Übergangs zur Neuzeit lie-
gender Untergang sich in einer Finsternis religi-
öser und sozialer Wirren vollzog, hinter welcher
der schnellfertige Gegenwartsmensch kaum noch
etwas Lichtes und Helles sucht.

Wir haben uns zu Beginn mit der Ordnung
des Münzwesens befaßt; wir haben den Zeitab-
schnitt der gotischen Kultur und ihrer Wirt-
schaftsblüte von 1150 bis 1450 als die Epoche
einer von den Geschichtsforschern bis heute noch
nicht sonderlich beachteten Geldwirtschaft iden-
tifiziert. Es ist nach allen Quellen der Geschichte
keine Übertreibung zu sagen, daß die Blütezeit
der Gotik mit den Brakteaten kam und mit dem
Verschwinden der Brakteaten unterging. Zu die-
sem Verschwinden aber kam es, weil die "Reno-
vatio monetarum", die, mit kluger Mäßigung
gehandhabt, eine Wohltat war, in den Händen
der Maßlosen zur Plage wurde.

Immer häufiger wurden Münzverrufungen
vorgenommen, immer schlechter wurden die Prä-
gungen und minderwertiger der Feingehalt des
Silbers. Dies alles hatte schließlich, wie Prof.
Polenske in seiner Schrift "Die Geldreform"
darlegt, den Erfolg, daß diejenigen Fürsten und
Münzherren, die die "Renovatio monetarum"
mit Mäßigung handhabten, einen stärkeren Zu-
fluß von Geld aus den Nachbargebieten erhiel-
ten. Das Geld ergriff die Flucht vor allzu großer
Beschneidung. In den verlassenen Gebieten muß-
te nun aber durch den Ausfall der Geldzirkula-
tion eine Verarmung, eine Stockung des Absat-
zes und eine Bedrängnis der Gewerbetätigkeit
auftreten, wohingegen im Gebiet des Geldzu-
flusses Handel und Wandel gedeihen konnten.
Aus diesen Zuständen mußte der Anschein ent-
stehen, als ob der hohe und häufige Schlagschatz,
den die Münzherren erhoben, die direkte Ur-
sache der Verarmung sei, während die seltene
Verrufung der Münzen in anderen Gebieten
eine segenbringende Schonung von Handel und
Gewerbe darstelle. Auf dieser Linie von Über-
legungen und Folgerungen wurde dann schließ-
lich die Forderung nach dem "ewigen Pfennig"
erhoben. Aus naheliegenden Gründen haben
auch die großen Kaufherren die Forderung nach
"schweren Münzen", nach dauerhaftem Geld
kräftig unterstützt. Das Augsburg der Fugger
gehörte mit zu den ersten Plätzen, an denen die
Münzverrufung auf vier Jahre hinausgeschoben
wurde.

Für unsere heutigen Begriffe bleibt dabei aber
doch noch erstaunlich, daß die scheinbar so ein-
leuchtende Forderung nach dem "ewigen Pfen-
nig" keinesfalls allgemeine Zustimmung fand.
Ebengreuth berichtet in seinem schon zitierten
Werk "Allgemeine Münzkunde und Geldge-
schichte des Mittelalters", daß sich alle Städte
Österreichs gegen die Ausgabe von schweren
Münzen erklärt hätten und sie als eine Maß-
nahme beklagten, die für Land und Leute "kein
gemayner nuoz nicht mug gesein, sunder ein ur-
sach verderblicher schäden mennichglich." Diese
erstaunliche Einsicht ist in der Folgezeit freilich
nicht ganz bis in unsere Gegenwart herüberge-
rettet worden.

Der "Ewige Pfennig" war im Gegensatz zu
den periodisch aufgerufenen Brakteaten eine
dickere und beidseitig geprägte Münze. Die Än-
derung im Münzwesen spielte sich indessen nicht
so ab, daß zu einer bestimmten Zeit keine Brak-
teaten mehr und nur noch Dickpfennige geprägt
worden wären, sondern sie bahnte sich im Ne-
beneinander der beiden Münzarten an. Der erste
"ewige Pfennig" soll schon anno 1295 in Kon-
stanz geschlagen wörden sein. Manche Münzher-
ren haben sowohl Brakteaten wie auch Dick-
pfennige zu gleicher Zeit schon geprägt. So hat
die Landgräfin Sophie von Hessen in Marburg
Brakteaten schlagen lassen und in den Münz-
stätten Grünberg und Frankenberg an der Eder
zweiseitige Pfennige. Auch von Friedrich Bar-
barossa weiß man, daß er in den thüringischen
Münzstätten, in Altenburg, Saalfeld, Mühlhau-
sen u. a., Brakteaten prägen ließ, während an
den kaiserlichen Münzstätten des Westens, wie
z. B. an der glänzendsten kaiserlichen Pfalz
Hagenau im Unterelsaß, an der sich Barbarossa
oft und gerne aufhielt; zweiseitig geprägte Dick-
pfennige geschlagen wurden.

In diesem Zusammenhang ist das Nebenein-
anderbestehen schwerer doppelseitig geprägter
Münzen einerseits, die nicht mehr zur Aufru-
fung gelangen sollten, und leichter, einseitig ge-
prägter und der periodischen Verrufung ausge-
setzter Brakteaten andererseits sicherlich schon
ein kleines volkswirtschaftliches Problem gewe-
sen - denn nach einem sehr viel später erst ent-
deckten Gesetz, das die Nationalökonomen als
"Gresham-Gesetz" kennen, wird das "bessere"
Geld stets vom "schlechteren" Geld verdrängt.
Wie beim Aschenputtelmärchen die guten Erb-
sen ins Töpfchen und die schlechten ins Kröpf-
chen gehen, so gehen in der Volkswirtschaft die
guten Pfennige auf die hohe Kante und die
schlechten - in den Verkehr. In diesem Fall hat
das aber ausnahmsweise sein Gutes, denn jetzt
war ja dem allgemeinen Handel und Wandel
noch hinreichend gedient, solange ein ausreichen-
der Kreislauf von Geld im ständigen Umlauf
den Markt der Verbrauchsgüter räumte. Die
Umsätze der großen Kaufherren, die schließ-
lich mit großem und schwerem Geld bezahlt
werden mußten, kamen ja nicht zum Stocken,
solange der letzte kleine Markt die Güter noch
abnehmen konnte.

Die eigentliche und unwiderrufliche Stagna-
tion setzte erst mit dem völligen Verschwinden
der Brakteaten ein, genauer gesagt, mit dem En-
de der "Renovatio monetarum"; denn die Reno-
vatio monetarum hatte in der gewissen Ab-
schwächung, daß die Münzverrufung beim
Wechsel des Landesherrn oder bei Antritt eines
Kreuzzuges erfolgen durfte, auch bei beidseitig
geprägten Münzen, wie sie im Westen üblich
waren, lange Zeit ihre Gültigkeit. Bei der Eigen-
art der mittelalterlichen Welt stellt der Wechsel
vom alten Brauch auf die Neuerung, wie schon
angedeutet, natürlich nicht ein Ereignis dar, wel-
ches auf ein bestimmtes geschichtliches Datum
fixiert werden könnte; der Wechsel vollzog sich
vielmehr in einer allmählichen Entwicklung.
Aus diesem Umstand erklärt es sich auch, daß
wir in manchen Gegenden noch in der zweiten
Hälfte des 15. Jahrhunderts Merkmale der ge-
schilderten Wirtschaftsblüte finden, also in einer
Zeit, zu der in weiten Kreisen der abendländi-
schen Kulturwelt bereits dunkle Schatten über
dem Leben lagerten.

In Österreich wurde die Einführung des "ewi-
gen Pfennigs" - der ja nun dem Münzherrn kei-
nen regelmäßigen Schlagschatz mehr aus dem
Münzregal einbrachte - dadurch verzuckert, daß
für den Verzicht auf die Verrufung des Pfennigs
ein sog. "Ungeld" gewährt wurde. Dieses Un-
geld stellte Einkünfte aus einer Art Getränke-
steuer dar; es war der Zehnte aus allen in öster-
reichischen Landen zum Ausschank gebrachten
Getränken. Die Neuregelung vermochte jedoch
nicht zu verhindern, daß die nunmehr ewigen
Pfennige mehr und mehr und in unkontrollier-
baren Mengen minderwertig ausgeprägt wurden.
Man begründete dies mit dem veränderlichen
Silberpreis; die Pfennige wurden schwarz und
andere Ausgaben blechfarben grau - und der
Schaden, den das Volk am Ende zu tragen hatte,
war viel größer als der Schlagschatz bei den
Brakteaten jemals gewesen war.

Diese Art Münzverschlechterung, die es seit
dem Niedergang Roms nicht mehr gegeben hatte
und an der der Kaiser selbst sein gerütteltes Maß
Schuld trug, blieb jedoch auf den Süden, auf
Österreich, Bayern, Tirol, auf die Steiermark
und auf Ungarn beschränkt. Hier hatte Kaiser
Friedrich III. die Rechte der Münzprägung zur
rigorosen finanziellen Ausnutzung an zahlreiche
Münzherren gegen erhebliche Beteiligungen ver-
pachtet. In anderen Fällen hatte er, um der
Schuldenrückzahlung zu entgehen, seinen Gläu-
bigern einfach das Recht eingeräumt, selber Pfen-
nige und Kreuzer zu prägen. Das Volk nannte
diese Münzen, mit denen es um 1458 bis 1460
überschwemmt wurde, "Schinderlinge".

Es liegt auf der Hand, daß die kleinen Ge-
werbetreibenden, Bauern und Handwerker der
Entwicklung in ohnmächtiger Verzweiflung ge-
genüberstanden. In der Augsburger Chronik
schreibt Burkhard Zink: "Aber auf das letst, das
war auf das 1460 jar, da ward die müntz über-
all in allen landen verschludert und verspilt und
verspotten und ward so unwert, daß sie niemand
mer wolt nemen und gab man 10 pfennig für ain
guldin. Allmechtiger Gott, wie gar gütig bist,
daß du sovil ungerechtigkait und poshait und
schalkhait übersiehst, daß je ainer den andern
leicht (= betrügt) und verderbt und umb das
seine pringt, als hie mit der pösen müntz ge-
schehen ist." (s. C. Hegel, Die Chronik der deut-
schen Städte, Bd. V. pag.112)

Von dieser räumlich und zeitlich begrenzten
Abweichung aus solcher allgemeinen Entwick-
lung des Geldwesens abgesehen, ging die Ten-
denz des Münzwesens in dieser Epoche nun aber
doch überwiegend auf die Ausprägung gewichti-
ger Silber- und Goldmünzen hin.

Wenn wir uns erinnern, daß der Anfang der
Wirtschaftsblüte 300 Jahre zuvor mit der Ver-
wandlung von Edelmetallschätzen in immer-
während zirkulierendes Geld in Erscheinung
trat, so zeigt sich jetzt der umgekehrte Vorgang
in dem Erstarren der Geldvorräte des Landes in
der neuen Schatzbildung. Diese war jetzt ermög-
licht und geradezu herausgefordert dadurch,
daß keine Geldverrufung mehr eintrat. Auch
zu diesen Vorgängen gibt es aufschlußreiche ge-
schichtliche Berichte.

Als ob man überhaupt noch keinen Begriff
von der volkswirtschaftlichen Notwendigkeit
der Geldzirkulation gehabt hätte, schuf man im
16. Jahrhundert erstaunlicherweise auch noch
Münzen, die eigens zum Verschatzen bestimmt
waren. Luschin von Ebengreuth nennt hier die
sogenannten "Lösertaler", die von den braun-
schweigischen Herzögen Heinrich und Julius in
den Jahren 1574-1588 und 1609 in verschiede-
nen Größen, und zwar bis zu 16 Talern schwer,
geprägt wurden. Diese Münzen mußten von den
herzoglichen Untertanen, die nach ihrem Ver-
mögen eingeschätzt wurden, vom Landesherren
käuflich erworben werden, durften aber nicht in
den Umlauf kommen, sondern waren als Schatz
aufzubewahren. Der Landesherr wollte damit
erreichen, daß ein Silbervorrat im Lande blieb,
auf den er in Notzeiten zurückgreifen konnte. Aus
ähnlichen Überlegungen wurden auch Goldab-
schläge von Silberstempeln hergestellt und als
Schatzmünzen ausgegeben. Ebenso waren Ge-
denkmünzen, Erinnerungsmünzen an einen Frie-
densschluß, "Hochzeitstaler", "Taufgroschen",
"Kommuniontaler" u. a. in der Regel Münzprä-
gungen, die weniger dem Umlauf als vielmehr
der Schatzbildung dienten und in diesem Sinne
den volkswirtschaftlichen Leistungsaustausch
nicht gerade förderten.

Die Schatzbildung nahm aber in diesem Jahr-
hundert überall zu. Da waren die - nicht nur
von den braunschweigischen Herzögen, sondern
auch noch von vielen anderen Münzherren ge-
prägten - "Lösertaler" gerade das gesuchte Geld.

Gustav Freytag zitiert in Band II seines Wer-
kes "Bilder aus Deutscher Vergangenheit" aus
der Biographie des Hans von Schweinichen, der
als Haushofmeister des Herzogs Heinrich von
Liegnitz anno 1575 bei Herrn Marcus Fugger in
Augsburg zu Gaste war:

"Der Herr Fugger führte seine Fürstlichen
Gnaden im Hause spazieren, einem gewaltig
großen Hause, so daß der römische Kaiser auf
dem Reichstage mit seinem ganzen Hofe darin
Raum gehabt hat. Herr Fugger hat in einem
Türmelein Seiner Fürstlichen Gnaden einen
Schatz von Ketten, Kleinodien und Edelsteinen
gewiesen, auch von seltsamer Münze und Stük-
ken Goldes, die köpfegroß waren, so daß er sel-
ber sagte, er wäre über eine Million Gold wert.
Danach schloß er einen Kasten auf, der lag bis
zum Rande voll von lauter Dukaten und Kronen.
Die gab er auf zweimal-hunderttausend Gulden
an, welche er dem König von Spanien durch
Wechsel übermacht habe. Darauf führte er Seine
Fürstlichen Gnaden auf dasselbe Türmelein, wel-
ches von der Spitze an bis zur Hälfte hinunter
mit lauter guten Talern gedeckt war. Er sagte;
es wären ohngefähr siebzehntausend Taler. Da-
durch erwies er Seiner Fürstlichen Gnaden große
Ehre und daneben auch seine Macht und sein
Vermögen. Man sagte, daß der Herr Fugger so
viel hätte, ein Kaisertum zu bezahlen. . . Gerade
damals versagte der Fugger einem Grafen seine
Tochter, und man erzählte, daß er ihr außer
dem Schmuck zweimal-hunderttausend Taler
mitgäbe" (s. a. a. O., S. 30/31).

Es wird verständlich sein, daß die Fugger im
Volksbewußtsein um diese Zeit längst schon als
Geldwucherer galten. "Fuggerei" zu betreiben,
war die Bezeichnung für das Wuchergesrhäft des
Geldverleihens. Dem schwelenden Zorn des Vol-
kes gegenüber mußte freilich auch einmal eine
freundliche Tat ein gewisses Gegengewicht schaf-
fen; diesem Umstand ist es zu danken, daß
Augsburg heute noch seine Fuggerstiftung - die
"Fuggerei" - aufweisen kann, eine Wohnsied-
lung, die Jakob Fugger "der Reiche" für die
Armen seiner Vaterstadt gebaut hatte und in der
die Wohnung damals wie heute einen einzigen
rheinischen Gulden Jahresmiete kostet. Heute
beträgt die Jahresmiete, umgerechnet auf unsere
jetzige Währung, 1,72 DM. - So ist doch auch
etwas Gutes übrig geblieben.

Böses Blut hat es aber damals gemacht, daß
ein Beauftragter aus dem Hause Fugger den
Ablaßkasten des Tetzel begleitet hatte, um die
Eingänge aus dem Ablaßhandel zu überwachen.
Das Haus Fugger hatte der Kurie nämlich Vor-
schüsse auf das ärgerniserregende Geschäft ge-
währt. Beiläufig bemerkt, sehen wir auch im
Ablaßhandel der Kurie den steilen Verfall zur
Maßlosigkeit; der einstmals fromme Brauch, mit
einer freiwilligen Gabe für einen guten Zweck,
für den Bau eines Gotteshauses oder eines Spi-
tals dem Herrgott ein Opfer zu bringen, damit
er die Verfehlungen und Sünden des Opferwil-
ligen vergeben möge, wird in den Händen hem-
mungsloser Geldschinder zu einem einträglichen
Handel mit der Gnade Gottes. Und die Geld-
wucherer verdienen noch ihre Prozente daran.
Doch wie gesagt, diese Vorgänge fallen nicht
mehr in die hohe Blütezeit des gotischen Mittel-
alters, sondern in den Anfang der Neuzeit.

Selbstverständlich waren die Fugger nicht
die einzigen Geldmänner dieser Zeit. Da sind
auch die Welser und Höchstätter in Augsburg;
Jörg Thurzo, der sich vom Geschäft zurückgezo-
gen und seinen Handelsgenossen Fugger aufge-
fordert hatte, auch vom weiteren Gelderwerb
abzulassen, schien eine Ausnahme zu sein. Jakob
Fugger antwortete ihm, er hätte viel einen an-
deren Sinn, wollte gewinnen, dieweil er könnte!
(s. G. Ruhland "System d. pol. Ökonomie", S.
769/70). In Nürnberg waren die Imhof, Ebner
und Volkmar, in Ulm das Geschlecht der Ru-
land und in anderen Städten noch viele andere.

Mit welchen Gewinnspannen in diesen Krei-
sen gearbeitet wurde, ging aus einem Prozeß
hervor, den ein Mitbeteiligter gegen Ambrosius
Höchstätter angestrengt hatte. Durch diesen
Prozeß war in Augsburg bekannt geworden,
daß eine Geldeinlage von 900 Gulden inner-
halb von 6 Jahren 30 000 Gulden brachte. Der
Kläger hatte 33 000 Gulden verlangt; das Ge-
richt hat ihm aber "nur" 30 000 Gulden zuge-
standen. Die Zustände waren anno 1521 bereits
so empörend, daß der Wormser Reichstag einen
Untersuchungs-Ausschuß einsetzte, dessen Vor-
schläge dann aber, wie es vorzukommen pflegt,
an den Bestechungsgeldern der bedrohten Ge-
sellschaften kläglich Schiffbruch erlitten (s. G.
Ruhland a. a. O., S. 770/71).

So wie in Augsburg hatten sich also auch in
anderen Städten und Gegenden aus den reich-
sten der Kaufleute beim Niedergang von Han-
del und Gewerbe Bankiers entwickelt. Die über-
all nur in wenigen Händen zusammenströmen-
den Kapitalien drängten nicht mehr im alten
Stil nach Warenumsatz. Jetzt traten andere Ge-
winnmöglichkeiten in Erscheinung; ,es kam nur
darauf an, warten zu können und dann die Be-
dingungen zu diktieren. Kaiser und Könige,
Adel und Kirche bemühten sich um die Gunst
der Geldfürsten; und so nahm das Geld - wäh-
rend das Strombett der Wirtschaft mitsamt der
geschäftigen Emsigkeit der kleinen Bürger mehr
und mehr versandete und ausdörrte - seinen
Weg in die Politik. Die Finanzkraft der Fugger
hat eine Kaiserwahl entschieden; und wenn auch
der Kaufmann Jakob Fugger den Schuldschein
über 1 Million Goldtaler, den ihm Karl V. un-
terschrieben hatte, seinem Kaiser mit einer groß-
zügigen Geste zu Weihnachten 1522 auf den
Gabentisch legte, so ist er doch bei diesem Ge-
schäft nicht zu kurz gekommen. Gegenüber der
historischen Zuverlässigkeit des großmütigen
Geschenks an den Kaiser bestehen einige Zwei-
fel; doch wie dem nun gewesen sein mag, bleibt
doch beachtenswert genug, daß das Verhältnis
zwischen dem Kaufmann Jakob Fugger und dem
Kaiser sich in dieser wirklichen oder erdichteten
Szene so trefflich wiederspiegelt. Der Bankier
des Kaisers hatte inzwischen auch Niederlassun-
gen seines Hauses in Spanien eingerichtet, eben
zu der Zeit, da nach der Entdeckungsfahrt des
Kolumbus das Gold und Silber aus den über-
seeischen Besitzungen Spaniens nach Europa kam.

Aber auch anderen Geldfürsten war der Kai-
ser verpflichtet. Die Welser waren kraft ihres
Geldes unter Karl V. die regierenden Herren
des der Krone unterstehenden Staates Vene-
zuela geworden, eines Gebiets, fast doppelt so
groß wie das Deutsche Reich vor dem ersten
Weltkrieg. Das Verleihen von Geld an Kaiser
und Könige, an den Hochadel und an die Kir-
chenfürsten mag oft genug einträglicher gewesen
sein als der Handel, da es Ländereien, Pfründe
und Privilegien brachte, die mühelos noch grö-
ßere Gewinne lieferten.


Dieser Text wurde am 6.7.1997 ins Netz gebracht von: W. Roehrig. Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.
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