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Westlich des Rheins war aber auch die in
Norddeutschland, in der Mark, in Polen und
Böhmen, in Österreich, in der Schweiz und im
Schwäbischen wie in Bayern geübte Brakteaten-
prägung nie zur Geltung gekommen. Man hielt
sich hier streng an die Regel der "Renovatio
monetarum", daß die Erneuerung der Münzen
nur beim Herrschaftswechsel und beim Antritt
eines Kreuzzuges gestattet war: Damit entfiel im
Westen zweifellos jener besondere Impuls, den
die kurzfristige und regelmäßige Gelderneue-
rung in den Umlaufsgebieten der Brakteaten für
die wirtschaftliche Betätigung bedeutet haben
muß. In Frankreich mag aber der letzte Druck,
den die Geld-Erneuerung während der Zeit der
Kreuzzüge noch hinter die wirtschaftliche Reg-
samkeit setzte, lange Zeit ausreichend gewesen
sei. Andererseits haben die Kreuzzüge nicht nur
Blutopfer, sondern auch bares Geld gekostet, das
in anhaltendem Strom nach Italien rollte. Und
wenn es nun gewiß nicht immer so ist, daß das
Geld in der Geschichte deutlich im Vordergrund
steht, so wird man doch nicht übersehen dürfen,
daß es auch an zweiter oder dritter Stelle in der
Reihe der mitbestimmenden Dinge noch eine
Rolle spielt.
Frankreich war zur Zeit seines hundertjäh-
rigen Krieges, mit dem es den Anspruch Eng-
lands auf den französischen Königsthron ab-
wehrte und den schließlich die Jungfrau von Or-
leans entschied, schon ein vollkommen verarm-
tes Land. Als die Engländer mit dem Sieg von
Maupertuis den König vön Frankreich, Jo-
hann II, gefangen hatten, forderten sie ein
Lösegeld von drei Millionen Goldtaler; das war
ein Betrag, den Frankreich erst im Laufe von
vier Jahren aufbringen konnte. Da das Geld in
Frankreich ungewöhnlich knapp geworden war,
lag auch das Gewerbe darnieder, und in der Zer-
rüttung der allgemeinen Existenzbedingungen
waren aus den Resten aufgelöster Söldnerheere
raubende und plündernde Banden geworden.
Auf Burgen und Schlössern saß ein durch die
Roheiten des Kriegshandwerks demoralisierter
Adel, der mit seinen verwilderten Söldnern Bür-
ger und Bauern überfiel, Lösegelder erpreßte,
das Vieh raubte, Kornfelder und Weinberge zer-
störte und die Entvölkerung der Dörfer ver-
schuldete. Lähmende Angst lastete auf dem
Lande. Landbau und gewerbliche Tätigkeit
stockten; in den Kirchen betete man um Befrei-
ung von der Landplage, und Karl V. aus dem
Hause Valois wußte sich keinen anderen Rat,
als 1365 den wildesten Haufen von 40 000 Rei-
tern über die Grenze nach dem Oberrhein zu
entsenden, wobei es also erstmalig zum Einfall
in die Rheinlande kam. Später schickte der Kö-
nig diese Truppen, um sie endgültig loszuwer-
den, über die Pyrenäen nach Spanien. Eine
gleiche Geißel des Landes waren aber auch die
Armagnaken, die verwilderten Söldner des Gra-
fen Armagnac. Die ältesten Menschen konnten
sich keiner Friedenszeit mehr erinnern. Das
Land war entvölkert und nach dem Tagebuch
von Paris berichtete Jakob Burckhardt, daß die
Wölfe bis in die Städte vordrangen und im Sep-
tember 1438 zwischen Montmartre und der
Porte S. Antoine in Paris vierzehn Menschen
von ihnen zerrissen wurden. Eines dieser Tiere
war auf Grund einer Verstümmelung geradezu
bekannt und wurde auch am meisten gefürchtet;
als es endlich von seinem Schicksal ereilt wurde,
lief halb Paris herbei, um die erschlagene Bestie
zu sehen. Doch schrecklicher als die wilden Tiere
waren die Menschen. In diese Zeit fallen auch
die entsetzlichen Handlungen des Gille de Retz,
eines bretonischen Adligen, der in finsterer,
abergläubischer Verworrenheit, um von den Dä-
monen "Gold, Weisheit und Macht" zu erlan-
gen, das Blut von 140 unschuldigen Kindern
opferte. Aberglaube, Grausamkeit, verzweifeltes
Machtstreben, Durst nach Gold, Verwilderung
aller Sitten sind nun einmal die Begleiterschei-
nungen der allgemeinen Existenzgefährdung.
Die Entblößung des Landes von seinen Geld-
mitteln und die in engstem Zusammenhang da-
mit stehende Zerstörung der gewerblichen Tä-
tigkeit war unvorstellbar. Von Karl VII. ist be-
kannt, daß er zeitweise nicht satt zu essen hatte
und daß die königliche Kasse einmal nur noch
4 Taler enthielt. Seine Gemahlin Maria von
Anjou mußte, um eine kleine Summe geliehen
zu bekommen, ihre Bibel verpfänden. Nach dem
wunderbaren Sieg der Jeanne d'Arc ließ dann
dieses seltsame Mädchen Karl VII. in Reims
zum König krönen; aber die Geschichte berichtet,
daß der Hof lange Zeit ärmlich und sparsam
wirtschaften mußte und unsägliche Mühe nötig
war, die Zerstörungen und Verwilderungen wie-
der zu beheben. Es ist außerordentlich auf-
schlußreich, daß eine königliche Ordonnanz aus
dem Jahre 1439 den eigenen Truppen vorschrei-
ben mußte: "Es soll nicht gestattet sein, zu plün-
dern und zu bestehlen Geistliche, Adlige, Kauf-
leute, Bauern noch sonst irgendjemanden, weder
in ihren Wohnungen noch auf der Landstraße.
Auch soll niemand mehr mutwilliger Weise ge-
fangen und zur Auslösung gezwungen werden.
Man soll den Bauern ihre Rinder, Pferde und
andere Haustiere nicht mehr wegtreiben, Korn-
felder und Weinberge nicht mehr verheeren,
kein Korn mehr ins Wasser schütten, kein jun-
ges Getreide zum Pferdefutter abmähen usw.
Auch soll man nicht mehr den Bauern ihre Häu-
ser, Scheunen, Heuschober und Weinkeltern an-
zünden, noch Hütten niederreißen, um sich an
dem Holz zu wärmen." (s. Jakob Burckhardt:
Kulturgeschichtl. Vorträge. S. 8) Armes Land,
das solche Verordnungen brauchte! -
Und doch blühte um dieselbe Zeit, da diese
tiefsten Schatten über Frankreich lagen, in dem
von dorther mit der gleichen Kultur befruchte-
ten Deutschland noch ein machtvolles Leben.
Hier war die Organisation der Kaufmannschaft,
die deutsche Hanse, ohne die Hilfe von Kaiser
und Reich stark genug, der gleichartigen Plage
des Seeräuber-Unwesens und der Bedrohung
durch den Dänenkönig Waldemar aus eigener
- nicht zuletzt finanziell fundierter - Kraft Herr
zu werden; hier war aber auch den Bedürfnissen
des Daseins mit den Möglichkeiten von Arbeit
und Leistungs-Austausch noch in vollem Um-
fang entsprochen, so daß die allgemeine Ent-
wicklung um diese Zeit noch in anderen Bahnen
verlaufen konnte als in Frankreich. -