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Ein Kapitel aus:
Karl Walker: Das Geld in der Geschichte
Rudolf Zitzmann Verlag; Lauf bei Nürnberg; 1959

ARBEIT UND EINKOMMEN

Unter dem Eindruck der großartigen Leistun-
gen, die das Zeitalter der Gotik aus seiner uner-
schöpflichen Tatkraft für kommende Jahrhun-
derte geschaffen hat, drängt sich nun aber doch
die Frage auf, wie das alles möglich gewesen
sein kann, welches Maß von Arbeit der Mensch
auf sich genommen haben muß und in welchem
Umfang er wohl seine eigenen Lebensbedürfnis-
se zugunsten solcher in die Zukunft reichender
Werke zurückgedrängt haben mag.

Volkswirtschaftliche Grundgesetze sind über-
all und zu allen Zeiten dieselben. Jede Erstel-
lung von Anlagen, seien es Häuser oder Burgen,
Brücken oder Kathedralen, Gildehallen oder
Rathäuser, Stadtmauern oder Straßen, die der
Zukunft dienen, kann immer nur durch eine Ab-
zweigung aus den Produktionsleistungen der
Gesamtheit zustandekommen. Es muß sich also
auch damals um denselben Vorgang gehandelt
haben, der uns heute unter den Begriffen "Spa-
ren" und "Investieren" geläufig ist. Keine
Volkswirtschaft kann etwas in Investitionen
umwandeln, in Häuser, Brücken, Verkehrs- und
Produktionsanlagen oder auch in öffentliche und
Kulturbauten, ohne daß sie in gleichem Umfang
den Verbrauch, den Lebensstandard der jewei-
ligen Gegenwart einschränkt. Das sind reale Er-
fordernisse, die auch mit den modernen Pfiffig-
keiten von "Kreditschöpfung" nicht aus der
Welt zu schaffen sind. Diese Kreditschöpfungen
- heute zum Beispiel mit Vorliebe für jeweilige
Kriegsfinanzierungen eingesetzt - stellen stets nur
einen nicht sonderlich frommen Betrug dar. Aber
von Kreditschöpfung hatte ja der Mensch der
Gotik überhaupt noch keine Ahnung, so daß die
Überlegung, es könnte vielleicht solcherart zu-
standegekommen sein, selbst dann gegenstands-
los wäre, wenn jemand den Widersinn einer sol-
chen Annahme nicht durchschauen und die Mög-
lichkeit allen Ernstes bejahen würde.

In der Tat ist also alles, was diese drei Jahr-
hunderte von der Mitte des 12. bis zur Mitte des
15. Jahrhunderts vollbrachten und der Nach-
welt hinterließen, aus einer Produktivkraft her-
aus geschaffen worden, die sich nicht in der Her-
stellung aller derjenigen Güter zu erschöpfen
brauchte, welche für den Lebensunterhalt und
Lebensgenuß jener Menschen auf alle Fälle be-
nötigt wurden. Es muß also ein Überschuß von
Leistungskraft dagewesen sein, der, volkswirt-
schaftlich betrachtet, eine "Spar-Quote" darstell-
te und sich in die "Investitionen" der betrachte-
ten Art verwandelte. Hieraus ergibt sich im
Hinblick auf das achtunggebietende Resultat
jener Investitionstätigkeit, daß sich diese Zeit
entweder eine außerordentliche Sparsamkeit
auferlegt haben muß oder daß die Menschen
fast bis zur Erschöpfung gearbeitet haben müs-
sen - zumal ihnen die höhere Produktivität der
modernen Technik noch nicht zur Verfügung
stand - oder daß das Einkommen aus irgend-
welchen Gründen nach unseren heutigen Begrif-
fen ungewöhnlich hoch gewesen sein muß. - Die-
sen Fragen werden wir im einzelnen nachgehen
müssen.

Was die Arbeitszeit anbelangt, ist zunächst
daran zu erinnern, daß das christliche Mittelal-
ter neben den Sonntagen sehr viele kirchliche
Feiertage hatte; Adolf Damaschke schreibt in sei-
nem Werk "Geschichte der Nationalökonomie",
daß von den Handwerksgesellen vielfach noch
die Freigabe des blauen Montags verlangt und
erreicht wurde. "In Amberg setzten die Zünfte
den ,allgemeinen guten Montag` auf alle 14 Tage
fest." (s. a. a. O. S. 48/49)

"Wer an Sonnabenden oder an Vorabenden
hoher Feste nach dem Vesper-Läuten noch arbei-
tete oder arbeiten ließ, wurde in Strafe genom-
men. Da die Zahl der streng eingehaltenen Fei-
ertage mindestens 90 betrug, so brauchten die
Handwerksgesellen, wenn sie auch noch die Frei-
heit des Montags erkämpft hatten, in der Woche
durchschnittlich nur v i e r volle Tage zu arbei-
ten, und auch an diesen Tagen war für geregelte
Arbeit gesorgt." (s. a. a. O. S. 49)

Als bemerkenswert - und als Zeichen dafür,
daß der blaue Montag nicht nur in vereinzelten
Fällen durchgesetzt wurde - verdient hervorge-
haben zu werden, daß die Handwerksgesellen
in den mittelalterlichen Städten diesen Tag viel-
fach forderten, um am Badeleben teilnehmen zu
können. "In Meißen mußten jedem Maurerge-
sellen wöchentlich 5 Groschen Badegeld gegeben
werden, in einer Zeit, in der ein ganzer Scheffel
Korn nur 6 Groschen und 5 Pfennige kostete."
Der sächsische Scheffel faßte 103,8 Liter! -

Noch am Ausgang dieses Zeitalters, um 1450,
konnte Erzbischof Antonin von Florenz in sei-
ner Summa sacrae Theologiae es als selbstver-
ständlich bezeichnen, daß für die Gewinnung
des notwendigen Lebensunterhaltes eine kurze
Arbeitszeit genüge und daß nur derjenige lange
und viel arbeiten müsse, der nach Reichtum und
Überfluß strebe. (s. a. a. O. S. 50)

Und 1465, als sich die große Zeit ihrem Ende
zu neigte, wollten die Herzöge von Sachsen die
Schicht ihrer Bergwerksknappen in Freiburg
i. S. von 6 Stunden - was bis dahin die gültige
Arbeitszeit war! - auf 8 Stunden erhöhen. Die
Bergknappen widersetzten sich jedoch und for-
derten eine Lohnerhöhung; die Einigung dar-
über erfolgte indessen erst nach 14 Jahren, anno
1479 und betraf eine Neufestsetzung der Ar-
beitszeit auf 7 Stunden bei gleichzeitiger Lohn-
erhöhung. (s. a. a. O. S. 49)

Wir werden an zahlreichen sonstigen Berich-
ten und Schilderungen vom Leben und Treiben
dieser Zeit noch feststellen können, daß von
einer Menschenplagerei im Handwerk und städ-
tischen Gewerbe, von einer drückenden Inan-
spruchnahme der Arbeitskraft, durch welche sich
spätere Zeiten bis auf die Gegenwart auszeich-
neten und noch auszeichnen, damals nirgends
die Rede sein konnte. Besonderen Anforderun-
gen in diesem Sinne waren allenfalls die Land-
bewohner ausgesetzt, die den Grundherren ne-
ben der Abgabe des Zehnten auch Frondienste
zu leisten hatten; die außer dem Land, das sie
selbst bestellten, auch die Felder des Burgherrn
bestellen mußten, seine Wege bauen und sein
Holz fällen und dergleichen mehr. Aber auch
diese Möglichkeiten der Überspannung von An-
forderungen an die Arbeitskraft der Landbe-
wohner hatten jahrhundertelang ein Ventil in
der Ausweichmöglichkeit nach der Stadt. Der
Landbewohner, der das Land verließ und in die
Stadt zog, um sich einem Gewerbe zu widmen,
war fortan ein freier Mann, der über den Ertrag
seiner Arbeit ohne Einschränkungen verfügen
konnte. Dieser Umstand allein bewirkte, daß
die Willkür und Maßlosigkeit des Landadels ge-
zügelt wurde; und die Geschichte zeigt schließ-
lich auch, daß die Bauernschinderei erst im 16.
Jahrhundert, ein Jahrhundert nach dem Versin-
ken der gotischen Wirtschaftsblüte, jene Formen
annahm, die zu den Bauernkriegen führten. Die
Logik dieser Entwicklung ist völlig klar, denn
mit dem Ende der Wirtschaftsblüte verschärfte
sich der Daseinskampf in den Städten; die Stag-
nation des Absatzes, das Versiegen der Nach-
frage, auf dessen Ursache wir noch zurückkom-
men werden, brachte die Zünfte in starre Ab-
wehr gegen zuziehenden Wettbewerb. Dadurch
war den Landbewohnern der Ausweg nach der
Stadt gesperrt, so daß sie der übermütig wer-
denden Gewalt ihrer Fronherren bedingungslos
ausgeliefert waren.

Dies alles gehört, wie gesagt, in das 16. Jahr-
hundert, in die Zeit des Niedergangs, die ihren
grauenhaften Tiefstand im 30jährigen Krieg
erreichen sollte. Zur Zeit der Gotik indessen
hatte auch der Bauer noch seinen Anteil an der
Wohlfahrt des Ganzen, ohne daß seine Arbeits-
kraft in dieser rigorosen Brutalität ausgebeutet
worden wäre.

Unter Berücksichtigung dessen, daß der Land-
bau aus Gründen der Naturgegebenheiten, Lage,
Klima, Bodenbeschaffenheit und anderen Um-
ständen nicht überall gleich ergiebig sein konnte,
ist es auch nicht verwunderlich, wenn die vorlie-
genden Berichte aus jener Zeit, nach denen es
Landstriche gab, in denen die Bauern goldene
Knöpfe am festlichen Wams trugen und silberne
Schnallen an den Schuhen, nach denen unglaub-
liche Gelage anläßlich von Hochzeiten und Kir-
mesfeiern von erstaunlichem Wohlstand zeug-
ten, nicht für den ganzen Bereich der damaligen
Welt gelten.

Wo immer wir aber der Geschichte nachgehen,
finden wir, daß der Mensch dieser Zeitläufte
nicht lebte, um zu arbeiten - wie in späteren
Zeiten Millionen von sich sagen mußten, ohne
daß sie jemals über die Sicherung einer dürf-
tigen Existenz zu einem wahrhaften und sorg-
losen Genuß des Daseins kommen konnten! -
sondern daß er arbeitete, um zu leben und sich
des Lebens bei aller Religiosität und Jenseits-
gläubigkeit doch noch herzhaft zu freuen.

Haben wir nun gesehen, daß der Aufwand
an Leistung und Arbeit gegenüber der moder-
nen Zeit, die doch so stolz ist auf ihre techni-
schen Fortschritte, mit denen eine viel höhere
Ergiebigkeit allen produktiven Schaffens gewähr-
leistet wäre, damals geringer war als heute -
und haben wir weiter berücksichtigt, daß es
überdies eine viel geringere Menschenzahl war,
die diese großartigen Leistungen aus der Voll-
kraft ihrer Zusammenarbeit schufen - so däm-
mert uns vielleicht schon eine Ahnung davon
auf, was es heißt, jahrhundertelang ohne die so-
ziale Belastung erzwungener Arbeitslosigkeit
und ohne die Übersetzungen eines unproduk-
tiven, rein reglementierenden Verwaltungsappa-
rates des Gemeinwesens, wie ihn unsere Zeit
entwickelt hat, arbeiten und schaffen zu können.

Die soziale Fürsorge für Gebrechliche, für Alte
und Kranke äußerte sich im Geiste des Christen-
tums in freiwilligen Stiftungen von Spitälern,
wie auch in direkter Liebestätigkeit. In den rei-
chen Städten war es Brauch, daß die Vermögen-
den und mit Glücksgütern Gesegneten in ihren
Häusern in Erdgeschoß-Wohnungen sogenannte
"Haus-Arme" aufnahmen, für deren Lebens-
unterhalt, Kleidung und täglich Brot der Haus-
herr sorgte. Daß so etwas möglich war, zeugt
freilich nicht nur vom Geiste echter Caritas, son-
dern es zeugt auch davon, daß die Anforderun-
gen an solche Opferwilligkeit im Rahmen des
Erträglichen geblieben sein müssen. Die heutige
Zeit würde für solche direkte Fürsorge keinen
Raum mehr haben. Sie ist mit sozialen Anfor-
derungen überlastet, die nicht von naturbeding-
ter menschlicher Not, sondern vom krankhaften
Zustand unserer Gesellschaft verschuldet sind.

Um aber im einzelnen noch genauer feststel-
len zu können, was der Handwerker, der Ge-
werbetreibende, der Kaufmann von seiner Ar-
beit hatte, ist es notwendig, Arbeitslöhne und
Einkünfte einerseits wie auch Preise und Lebens-
bedingungen andererseits unter die Lupe zu
nehmen.

Wiederum darf hier vornehmlich auf die ver-
dienstvollen Zusammenstellungen von Adolf
Damaschke in dem bereits mehrfach erwähnten
Werk "Geschichte der Nationalökonomie" ver-
wiesen werden. Wenn im Gebiet von Aachen
um 1300 ein Tagelöhner beinahe den Preis von
2 Gänsen verdiente, und wenn um 1480 am Nie-
derrhein sich ein Tagelöhner bei freier Kost für
den Lohn eines Arbeitstages 2,5 Liter Roggen,
2 Pfund Kalbfleisch, eine große Kanne Milch
kaufen und außerdem noch soviel Geld übrig
behalten konnte, daß er in der Lage war, in 4
bis 5 Wochen ein Paar Schuhe und 6 Ellen Lei-
newand nebst einer gewöhnlichen Arbeitsjacke
anzuschaffen (s. a. a. O., S. 41/42), so er-
sehen wir daraus, daß der Reallohn doch wohl
außerordentlich hoch gewesen sein muß. Da-
maschke führt an derselben Stelle noch weiter
an, daß um die gleiche Zeit in Sachsen ein ge-
wöhnlicher Tagelöhner 6-8 Groschen in der
Woche verdiente - der "Groschen" war der
große Silberpfennig, der in diesem Falle einen
Wert von 12 einfachen Silberpfennigen oder
24 Hellern hatte; - da in dieser Zeit ein Schaf
4 Groschen, ein Paar Schuhe 2 Groschen kostete,
kann man sich den Reallohn leicht auf die heu-
tigen Verhältnisse umrechnen.

In Augsburg verdiente ein Tagelöhner täglich
soviel, wie 5 bis 6 Pfund des besten Fleisches ko-
steten. In der Schweiz war der Tagelohn eines
Handlangers um das Jahr 1400 neben freier
Kost - die ja in der patriarchalischen Ordnung
jener Zeit fast überall vom Meister gewährt
wurde - 4 bis 5 Franken nach dem heutigen Geld.
(s. a. a. O., S. 42).

Das waren nun aber nur die Einkünfte der
niedrigsten Volksschichten, der ungelernten Tage-
löhner, also der Menschen, die vielleicht gerade
erst vom Land in die Stadt gezogen waren. Für
die Lohnbedingungen der zünftigen Handwerks-
gesellen ist für den Ausgang jener glücklichen
Zeit auch noch so etwas wie eine "Tariford-
nung" überliefert. So bestimmten die Herzöge
Ernst und Albert von Sachsen im Jahre 1482 in
ihrer Landesordnung als Höchstlohn für einen
Handarbeiter mit Kost wöchentlich 9 neue Gro-
schen - um diese Zeit muß also die Renovatio
monetarum in dieser Gegend noch bestanden
haben, da die Zahlung ausdrücklich in neuen
Groschen ausbedungen war, eine Bestimmung,
die sich nach der Aufhebung der Münzerneue-
rung später erübrigte -; den Werkleuten sollte
außerdem "zu ihrem Mittag- und Abendmahle
nur 4 Essen, an einem Fleischtag eine Suppe,
zwei Fleisch und ein Gemüse" gegeben werden;
". . . auf einen Freitag und einen anderen Tag,
da man nicht Fleisch isset, eine Suppe, ein Essen
grüne und dörre Fische," oder, sofern man nicht
fasten müsse: "fünf Essen, eine Suppe, zweierlei
Fisch und zwei Zugemüse." Da es damals noch
keine Kartoffeln gab, bestanden also die Haupt-
mahlzeiten wesentlich aus Fleisch, Fisch und Ge-
müsen; die Suppen mögen Getreidesuppen,
Graupen, Hirse und ähnliches gewesen sein,
außerdem mag auch Brot als Zukost auf den
Tisch gekommen sein. Dazu sollten die gelernten
Werkleute 18 Groschen wöchentlich Lohn, die
gemeinen Werkleute 14 Groschen, erhalten.
". . . so aber dieselben Werkleute bei eigener
Kost arbeiten, so solle man dem "Pollierer" über
27 Groschen und dem gemeinen Maurer über 23
Groschen nicht geben," (s. a. a. O. S. 47/48).
Hieraus ersehen wir, daß die aufgeführte Kost
mit einem Gegenwert von 7 bis 9 Groschen wö-
chentlich bewertet wurde.

Über die Preise wichtiger Lebensmittel und
anderer Gebrauchsgüter gibt es zahlreiche Fest-
stellungen, die wir heute noch nachprüfen kön-
nen. An der Katharinenkirche in Oppenheim
ist an einem der südlichen Strebepfeiler einge-
meißelt: "Do daz brod vir haller galt, do
wart diese cappelle ane gehoben. Ano Dni
MCCCXVII". Das war also der Brotpreis um
das Jahr 1317: 4 Heller = 2 Pfennige.

Interessante Einzelheiten bringt auch Johan-
nes Scherr in seinem bekannten Werk "Deutsche
Kultur- und Sittengeschichte". Scherr ist jedoch
in der Münzkunde nicht zuverlässig und nennt
auch mitunter Preise, die vollkommen aus dem
natürlichen Verhältnis zu den übrigen Preisen
der gleichen Zeit herausfallen. Immerhin dürfte
es aber glaubwürdig sein und stimmt auch mit
Berichten aus anderen Quellen überein, wenn er
angibt: "Der Tagelohn eines Handwerkers be-
trug hier außer der Verköstigung sechs Pfennige,
anderwärts 10 bis 15 Pfennige. Ein Erfurter
Student bezahlte 1483 dem Schneider für Hose,
Wams und Mantel 18 Groschen Macherlohn und
gab dem Schneiderknecht 3 Pfennige Trinkgeld;
für ein Paar Schuhe zahlte er 8 Groschen."

Zu Basel waren 1355 mehrere Häuser zu je
3 Pfund verkauft worden - das Pfund müssen
wir nach der karolingischen Münzordnung immer
noch mit 240 Silberpfennigen in unsere Rech-
nung einsetzen. - Wenn von Pfennigen die Rede
ist, ist immer der alte "Denar", die kleinste und
gängigste Silber-Münze gemeint. 3 Pfund für
ein Haus stellten also einen Preis von 720 Sil-
berpfennigen dar. Zwischen 1400 und 1430 gab
es in Basel aber bereits Häuser, die 60 Pfund
kosteten.

Zu Konstanz galten während des Konzils von
1414-1418, das Hus zum Tode verurteilt und
dem Scheiterhaufen überantwortet hatte, im
übrigen aber die Spaltung in Papsttum und
Kirche beheben und notwendige kirchliche Re-
formen einleiten sollte, folgende Preise: 1 Pfund
Rindfleisch 3 Pfg., 1 Pfund Lammfleisch 7 Pfg.,
1 Ei kostete 1 Heller, ein Hering 1 Pfennig (s.
a. a. O., S. 242 ff).

Für das Jahr 1450 gibt Scherr Preise aus
Bayreuth an: das Maß Korn 20 Pfennige,
Gerste 18, Hafer 13 Pfennige; 1 Pfund Rind-
fleisch 3 bis 5 Pfennige, Schweinefleisch 5 Pfg.,
Kalbfleisch 2 Pfg., 1 Pfund Schmalz 6 Pfg., das
Lot (17 Gramm) Safran 32 Pfg.; 4 Schweine
kaufte man um 6 Pfund und 20 Pfennige, einen
Ochsen um 12 Pfund.

Zu Schweinfurt galt eine Gans um 1488 noch
8 Pfennige, 3 Pfund Pfeffer 1 Gulden - der Gul-
den hatte 18 Groschen -; 1 Butte Äpfel kostete
1 Pfund und 4 Pfennige, 1 Maß Branntwein
5 Pfennige (s. a. a. O., S. 247).

Um den realen Wert des Geldes, seine Kauf-
kraft zu veranschaulichen, berichtet Ernst He-
ring in seinem Werk "Die Deutsche Hanse", wie
2 Rheinschiffer, Dietrich von Andernach und
Hanckin von Breisich, mit 18 Schiffsleuten und
40 Gesellen den König von England mit seinem
vornehmen Gefolge, dazu vier rheinische Ritter
und eine 66 Mann starke Leibwache, also minde-
stens 100 Personen, für 20 englische Pfund von
Bonn bis Koblenz rheinaufwärts beförderten
(s. a. a. O., S. 90). Da es sich beim englischen
Pfd. sehr wahrscheinlich um das Troypfund von
12 Unzen = 372 g gehandelt haben wird, ent-
sprach dieses Pfund etwa einem Betrag von 510
Hellern, den Heller als kleinste Silbermünze mit
0,7 g gerechnet. Größere Zahlungen wurden übri-
gens in der Regel gewogen und das Troypfund
war das Pfund für Edelmetalle und Medika-
mente. Die im vorstehenden Fall genannten 20
Pfund würden demgemäß mehr als 10 000 Hel-
ler dargestellt haben, wofür die Schiffer also
10 000 Eier hätten kaufen können, wenn wir
den sogar zu späterer Zeit noch gültigen Eier-
preis zugrunde legen wollten. Man kann leicht
ausrechnen, daß das für heutige Begriffe ein an-
sehnlicher Verdienst gewesen sein muß. Dennoch
lag aber dieser Verdienst für die damaligen Ver-
hältnisse noch unter dem Durchschnitt.

Auch Hering stimmt mit den Feststellungen
anderer Geschichtsforscher darin überein, daß
man, um ein rechtes Verständnis für die Größe
der in solchen Aufzeichnungen genannten Be-
träge zu bekommen, die Summen mit 20 mul-
tiplizieren müsse (s. a. a. O., S. 90).

Nun ist in diesen Preisen, Arbeits- und Lohn-
verhältnissen zwar die Grundlage der gesamt-
wirtschaftlichen Situation einigermaßen aufge-
zeigt; was aber aus den gegebenen Verhältnissen
für den wagemutigen Kaufmann und Unterneh-
mer herausgeholt werden konnte, übersteigt
denn doch unsere Begriffe von erfolgreichem
Wirtschaften sehr beträchtlich. Andererseits aller-
dings lernen wir den Aufwand und die Groß-
zügigkeit dieser Patrizier begreifen, wenn wir
sehen, über welche Mittel sie verfügen konnten.

Ein Konsortium von 13 westdeutschen Kauf-
leuten war anno 1340 in der Lage, dem eng-
lischen König Eduard III. eine Anleihe von
18100 Pfund zur Verfügung zu stellen und von
Brüssel aus sofort weitere 6300 Pfund zu ge-
währen. Dafür erhielten die hansischen Kauf-
leute Ausfuhrlizenzen für 3386 Sack Wolle und
das Recht auf Erhebung eines Wollzolles in
15 Häfen bis zum 27. Mai 1341. Kurze Zeit
darauf borgten sie ihm weitere 6500 Pfund und
lösten ihm die an den Erzbischof von Trier ver-
pfändete Königskrone mit mehr als 8000 Pfund
und zwei kleinere Kronen von Kölner Geld-
gebern mit etwa 800 Pfund ein (siehe Hering:
Deutsche Hanse, S. 89).

Tidemann von Limburg gewährte dem König
jahrelang Kredite und erhielt dann anno 1347
einen Vertrag, der ihm die Ausbeutung der Zinn-
bergwerke des ganzen Herzogtums Cornwall
für die Dauer von dreieinviertel Jahren ver-
pfändete. Und beim gleichen Verfasser lesen wir
noch: "Wir begreifen die finanzielle Stärke der
deutschen Kaufherren vom Stalhof in London
erst recht, wenn wir hören, daß die hohen Sold-
summen, die Eduard III. an die deutschen Für-
sten zahlte, durchweg auf hansische Wechsel ge-
zogen waren. Das Rechnungsbuch vom Jahre
1341 enthält eine stattliche Liste über ausge-
zahlte Gelder: an den Kaiser 8227 Pfund, an
den Markgrafen von Jülich 8962 Pfund, an den
Grafen Reinald von Geldern 4612 Pfund, an
Herrn Dietrich von Falkenberg 3864 Pfund, an
den Grafen von Hennegau 3150 Pfund, an den
Herzog von Brabant 600, an den Erzbischof
von Trier 506 Pfund und an andere noch viele,
aber meist geringere Summen" (s. a.a.O., S. 89/
90).

Erinnern wir uns noch einmal daran, daß diese
Summen mit 20 multipliziert werden müßten,
wenn es darum ginge, unter heutigen Verhält-
nissen gleichwertige Beträge aufzubringen.

Fritz Rörig schreibt in seinem Werk "Vom
Wesen und Werden der Hanse" über die Ent-
wicklung des Reichtums in Lübeck zu diesem
gleichen Thema: "Die Nachfahren jener Män-
ner, die sich erfolgreich am Gründungsvorgang
der Stadt beteiligt hatten, erfuhren sehr bald,
daß das Vermögen, womit sie ein Rentnerleben
führen zu können glaubten, eine Bagatelle war
gegenüber dem, was die Männer des neuen kauf-
männischen Stils an Reichtümern ansammelten;
ihnen allen voran Bertram Mornewech . . . mit
seinem 1286 erfolgten Tode flossen große Be-
träge aus seinem Geschäfsbetrieb zurück und
fanden Anlage auf dem sich eben damals in grö-
ßerem Umfang bildenden Lübecker Renten-
markt." Nach den weiteren Feststellungen Rö-
rigs beeinflußten diese Kapitalien den Renten-
markt so stark, daß der Zinsfuß von 10 auf 6,5
Prozent herunter ging. Die Witwe Mornewech
habe von 1286 bis 1301 rund 14 500 Lübecker
Mark, auf deutsche Vorkriegswerte umgerech-
net 1500 000.- Goldmark, angelegt. - Und
dies in einer Stadt, die erst 150 Jahre zuvor ge-
gründet worden war (s. a. a. O. S.102/3).

So sehen wir also, daß die erstaunlichen Lei-
stungen, die dieses Zeitalter vollbracht hat, viel
weniger aus den Quellen unverdrossener Spar-
samkeit und Genügsamkeit - wie man heutzu-
tage anzunehmen geneigt wäre - als vielmehr
aus der Beständigkeit einer unerhörten Wirt-
schaftsblüte hervorgegangen waren.


Dieser Text wurde am 6.7.1997 ins Netz gebracht von: W. Roehrig. Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.
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