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Inhalt: Vix Pervenit

 


 

 

Vorwort

 

Die Zinsenzyklika «Vix pervenit» sollte dem Gedächtnis nicht entrissen werden. Werner Sombart erklärt, «daß das Zinsverbot den stärksten Ansatz zur Entwicklung des kapitalistischen Geistes enthielt». (1) Sombart verstand unter kapitalistischem Geist nicht wie wir heute die Gewinnsucht, möglichst viel Geld zu machen, sondern den Geist des Unternehmers, der etwas leisten will im Hinblick auf die Erhöhung des allgemeinen Lebensstandards. Der Unternehmer legt sein Geld nicht auf die Bank, damit es dort Zinsen einbringt, sondern investiert es in der Produktion von Gütern. Das Geld sollte von der Produktion nicht getrennt gewertet werden. Zutiefst beschäftigte der Zins die mittelalterlichen Theologen wegen der Trennung von Geld und wirtschaftlicher Realität. Diese Sorge bewegte auch Viktor Pfluger zur deutschen Übersetzung der Enzyklika und zum Vorschlag eines zinslosen Geldverkehrs. Man mag darüber denken, wie man will. Das Problem bleibt uns aufgegeben. Das Geld kann sich, wie wir an unserem Kreditwesen feststellen, von der wirtschaftlichen Güterwelt in beängstigender Weise vollständig trennen. Was heißt es z.B., wenn Amerika den Russen einige Milliarden Dollar zur Verfügung stellt, wo es selbst mit 145 Milliarden Schulden belastet ist? Es wird gedacht, daß die Anleihen in der Produktion investiert werden, um dann in einiger Zeit Früchte abzuwerfen, womit nicht nur die Zinsen bezahlt, sondern auch das Darlehen amortisiert werden kann. Wo aber steht geschrieben, daß dies so geschehen wird? Die Zeit des Boom ist vorbei. De facto bewirkt die Investition nicht nur eine Erhöhung der Arbeitsproduktivität, sondern auch die Zahl der Arbeitslosen. Pfluger wollte den Staat einschalten. In der Tat kommen wir ohne einen Eingriff des Staates in die Finanzwirtschaft nicht aus. Wir stehen also wie Pfluger vor der Frage: Welchen Staatseingriff kann man vorsehen, ohne die Marktwirtschaft als Ganzes in Frage zu stellen? Pfluger hat gespührt, daß man irgendwie das Geldwesen in den Griff bekommen muß. Prof. Claus Köhler, Mitglied des Direktoriums der Deutschen Bank, hat einen beachtenswerten Vorschlag gemacht, der sich auf die Geld- und Währungspolitik bezieht im Hinblick auf die Dämpfung der Arbeitslosigkeit. (2)

 

Um Mißverständnisse gegenüber der Lehre der Kirche über den Zins vorzubeugen, möchte ich hier noch eine kurze ethische Analyse des Kredites bzw. des Zinses anbringen:

 

Das Wort Kredit stammt aus dem lateinischen creditum und bezeichnet das Anvertraute. Im Bereich der materiellen Güter ist der Kredit die Übertragung eines Gutes oder einer Wertsumme von einer Person auf eine andere gegen Zusicherung späterer Zurückerstattung. Der Kredit entspricht also dem, was man Darlehen nennt, wie immer der Kredit konkret handelsrechtlich formuliert sein mag.

 

Der Ethiker kann das Problem des Kredits nicht unmittelbar vom modernen Begriff aus angehen. Dieser hängt wesentlich mit der arbeitsteiligen und geldrechenhaften, dynamischen, d.h. auf Wachstum angelegten Sozialwirtschaft zusammen. Der Ethiker muß zunächst die primitive Form des Darlehens analysieren, wie es im einfachen gesellschaftlichen Leben an der Tagesordnung war. Kredit ist hier ein Darlehen in Form einer Konsumware (z.B. eines Brotes) oder eines Gegenstandes zum persönlichen Gebrauch (z.B. einer Säge), wobei bei letzterem vorausgesetzt wird, daß der Eigentümer für die Zeit des Darlehens die Säge nicht braucht und mit einem Verschleiß nicht zu rechnen ist. In diesen Fällen besteht das Darlehen in der auf dem Vertrauen (= Kredit) gründenden Übergabe eines Objekts, daß der Darlehensnehmer es wertunvermindert zu dem vereinbarten Zeitpunkt zurückgibt. Weitere geschäftliche Abmachungen können dabei nicht stattfinden. Eine Berechnung des Darlehens ist moralisch nicht zu verantworten, da alle Güter, auch die mit eigener Arbeit gefertigten, grundsätzlich dem Wohl aller dienen müssen, wenn sie beim Eigentümer brachliegen würden. In diesem Sinn hat die Scholastik im Anschluß an Aristoteles die Forderung eines Preises für das Darlehen, d.h. den Zins, als Wucher bezeichnet. Sie hat für den Fall, daß aus dem Darlehen für den Darlehensgeber ein Verlust entstehen würde (etwa für den Fall, daß der Eigentümer der Säge diese selbst gebraucht hätte und darum während der Laufzeit des Darlehens ein primitiveres Instrument für seine Zwecke benutzen und somit einen höheren Zeitaufwand für seine Arbeit in Kauf nehmen müßte), den Darlehensgeber für berechtigt erklärt, sich für den Verlust entschädigen zu lassen. Die Scholastiker verwandten hierfür den Titel „damnum emergens“ (mit dem Darlehen verbundener Schaden). Sie sprachen in dieser Beziehung von einem externen Rechtfertigungsgrund des Zinses. Als externer Titel wurde auch der «entgangene Gewinn» (lucrum cessans) angesehen (z.B. wenn der Darlehensgeber wegen des Darlehens auf eine Investition in einem Handelsunternehmen verzichtet). Als weitere externe Zinstitel kannte die Scholastik noch die Risikoprämie (periculum sortis) und die vereinbarte Entschädigung für verspätete Rückzahlung (poena conventionalis).

 

Anders liegt der Fall bei Unternehmensbeteiligung. Die Scholastiker waren sich darin einig, daß jemand sein Geld in einem fremden Unternehmen investieren kann, um dafür am Ertrag beteiligt zu sein. Dieses Geschäft wurde aber nicht als Zinsgeschäft, sondern als normale Unternehmensbeteiligung verstanden, was es in Wirklichkeit auch ist und wie wir es in der modernen Wirtschaft im Aktiengeschäft kennen. Der Zins ist nicht mit der Rendite zu verwechseln. Man kann ihn bei Beteiligung an der Investition höchstens als Teil der Rendite auffassen und in diesem Sinn den Begriff des Zinses ausweiten. Den reinen Zins aus dem Unternehmensertrag herauszudestillieren, ist schwierig, wenn nicht überhaupt unmöglich, weil der Ertrag mit zahlreichen Komponenten des sozialwirtschaftlichen Prozesses zusammenhängt.

 

In der Frage nach der Berechtigung des Zinses für ein Gelddarlehen ist die Unterscheidung zwischen Darlehen zu Produktivzwecken und zu Konsumzwecken zu beachten. Zur Zeit des kanonischen Zinsverbots ging es lediglich um das Darlehen zu Konsumzwecken. Selbst das Gelddarlehen, das ohne Beteiligung am Unternehmen zu Produktionszwecken gegeben wurde, konnte von dem Gelddarlehen zu Konsumzwecken nicht unterschieden werden, solange es sich um eine stationäre Wirtschaft handelte. Das Geld behielt im gesellschaftlichen Raum seine primäre Funktion als reines Tauschmittel ohne den Charakter des Kapitals. In der modernen, expansiven, Wirtschaft ist jeder Geldbetrag ein Mittel zur Kapitalbeschaffung im sozialwirtschaftlichen Prozeß, auch dann, wenn er zu reinen Konsumzwecken benützt wird, z.B. zur Anschaffung eines Autos zu Privatzwecken, eines privaten Wohnhauses usw. Dadurch ändern sich die Voraussetzungen für die Beurteilung des Zinses. (3)

 

Wir würden uns irren mit der Meinung, wir hätten heute das Zinsproblem, das damals die Enzyklika «Vix pervenit» in seiner einfachsten Erscheinung aufgegriffen hat, aus der Welt geschafft. Man muß nur einmal auf die Börse schauen, wo sich so manche einfinden, denen es nicht auf die wirtschaftliche Entwicklung, sondern nur auf den persönlichen Gewinn ankommt, so daß durch die Börse eine psychische Situation geschaffen wird, aus der sich verfehlte Prognosen für die Realwirtschaft ergeben. Der Geldmarkt ist das bevorzugte Feld für Gewinnsüchtige. Wir müssen aber darauf bedacht sein, daß sich das Geld nicht von der Realwirtschaft trennt. Das war just das Anliegen von « Vix pervenit».

 

Villars-sur-Glane, Dezember 1998      Prof. Dr. Arthur F. Utz

 

 

1) Werner Sombart, Der Bourgeois, Zur Geistesgeschichte des modernen Wirtschaftsmenschen, München/Leipzig 1913, 19. Kapitel: Der Katholizismus, Seite 319.

 

2) Claus Köhler, Beschäftigung erhöhen, Arbeitslosigkeit verringern. Geld- und Währungspolitik vor dem Hintergrund der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. In: Arthur F. Utz, Hrsg., Die massive Arbeitslosigkeit und die Wirtschaftsordnung, Duncker & Humbolt, Berlin 1998, Sozialpolitische Schriften, Heft 74, Seite 85-104.

 

3) Arthur F. Utz, Sozialethik: Mit internationaler Bibliographie, IV. Teil Wirtschaftsethik / unter Mitarbeit von Brigitta Gräfin von Galen, Sammlung Politeia, Band X/4, Scientia-Humana-Institut, Bonn 1994, Seite 192-194.