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Anhang
Bittschrift vom Erzbischof von Otranto zur Frage
des Wuchers an das I. Vatikanische Konzil
Heiliger Vater!
Auf dem Vatikanischen Konzil
sollen nicht nur Themen behandelt werden, die sich mit dem Schutz des Glaubens
und der Verwerfung neuer Irrlehren befassen; es geht auch um Fragen des
sittlichen Verhaltens der Christen. Der Erzbischof von Otranto... möchte Ew.
Heiligkeit, dem glücklich vorstehenden Oberhaupt der Ehrwürdigen Väter dieses
Konzils, untertänigst und ehrerbietig einige Vorschläge zur Erneuerung der
Sitten in Kürze unterbreiten.
Unter den zahllosen sittlichen
Schäden, die sich im christlichen Gemeinwesen festgesetzt haben, dürfte der
Wucher den nicht geringsten Platz eingenommen haben, obgleich er durch die
Zeugnisse der Heiligen Schrift verboten und immer wieder durch kirchliche
Gesetze, Erlasse und Erklärungen untersagt worden ist. In ihrem Sinne hat
Benedikt XIV. sel. Andenkens im Apostolischen Schreiben Vix Pervenit vom Jahre 1745 an die Bischöfe Italiens ausführlich
die katholische Lehre dargelegt. Er lehrt:
1. Der Wucher hat seinen
ursprünglichen Platz im Leihgeschäft, sei es, daß er seine Unmoral offen zeigt,
oder sein Gift unter dem Deckmantel anderer Rechtsgeschäfte verhüllt.
2. Das Darlehen aber ist ein
Rechtsgeschäft, das seiner Natur nach die Gleichheit von Gabe und Rückgabe
fordert und daher als unentgeltliches Rechtsgeschäft zu bezeichnen ist, der
Darlehensgeber also aufgrund des Darlehens selbst nichts erwarten kann.
3. Wer zuwiderhandelt, sündigt
gegen die kommutative (Tausch-) Gerechtigkeit und ist mithin zur Restitution
verpflichtet. Diese katholische Lehre haben die Schulen und die Lehrer
einhellig und ohne Wanken vorgetragen. So haben denn die Seelsorger und
Prediger niemals abgelassen, die Herzen der Gläubigen, besonders der
gewinnsüchtigen, mit dieser Lehre vertraut zu machen, um alle von der Sünde des
Wuchers abzuschrecken. Denn wie der Wucher das häusliche Gut des
Darlehennehmers vernichtet, so nimmt auch die Seele des Gebers Schaden und
meist dazu noch sein Besitz.
Nun
können aber nach der Erklärung des genannten Papstes einige Rechtstitel von
außen hinzutreten und das Rechtsgeschäft begleiten, so der Gewinnverlust, der
entstehende Schaden, die Gefahr des Leihkapitalverlustes usw. In diesem Falle,
wenn also der Gesichtspunkt des Ausgleichs es verlangt, dann haben die Lehrer
wie die Hirten bei der Unterweisung des christlichen Volkes keine Einwände
gegen eine Einnahme im Rahmen gerechter Forderung zu erheben gewagt; denn der
Zuschlag zum Leihkapital wird nicht aufgrund des Darlehens selbst, sondern auf
einen gänzlich außerhalb liegenden Rechtstitel angenommen.
Seit mehreren Jahren aber haben
bekanntlich einige katholische Lehrer eine wohl neue These verteidigt und
gelehrt: „Die staatliche Obrigkeit kann zur möglichst besten Sicherung des
Staatswohls, vor allem zur Förderung des Handels, aufgrund ihres souveränen
Rechtes die Darlehensnehmer mit einem gewissen Zuschlag zugunsten des
Darlehensgebers, einer Art Prämie, belasten.“ Demnach wäre neben den bekannten
äußeren Rechtstiteln - Gewinnverlust, entstehender Schaden, Gefahr des Leihkapitalverlustes
- ein weiterer äußerer Rechtstitel zuzulassen: das Gesetz der weltlichen
Obrigkeit.
Während indessen die Theologen
das Für und Wider dieses neu eingeführten Titels erörtern, ist an die Heilige
Pönitentiarie eine Anfrage ergangen: «Ist ein Pönitent zur Restitution
anzuhalten, der ohne weiteren äußeren Titel, nur auf das Staatsgesetz hin, bei
einem Darlehen einen Aufschlag von 4% genommen hat?» Der Kardinalpönitentiar
hat beschieden: «Der genannte Pönitent ist nicht zu behelligen, wenn er nur
guten Glaubens war und sich dem Urteil des Heiligen Stuhls unterwirft.» Dieser
Bescheid wurde zweifellos nicht als endgültige Richtlinie erteilt. Denn der
Kardinalpönitentiar weiß einerseits genau, wie viele Erlasse und Erklärungen
gegen den Wucher bestehen, andererseits wagt er es nicht, die Auffassung der
katholischen Lehrer zu verurteilen, die in Zweifelsfällen auf Seiten des
Besitzrechtes stehen, bis der unbestreitbare Eigentumsanspruch gegen den
(faktischen) Besitz steht. Für den vorliegenden Fall hat er also nur eine
einstweilige Regelung geben wollen, bis vom Papst eine höchste Entscheidung
ergeht.
Auf den genannten Bescheid hin,
der anscheinend der neueren theologischen Richtung sich zuneigt, ergreifen nun
manche die Gelegenheit, sei es in böser Absicht, sei es in schuldhafter
Unbesonnenheit oder Schwachheit, zu sündigen oder in der Sünde zu verharren.
Abgesehen sei davon, daß manche überzeugt sind, die Heilige Pönitentiarie dulde
generell den Wucher in jeder Höhe. (So hat ein notorischer Wucherer, der nicht
bloß die gesetzlichen 4%, sondern mehr als 10% Zuschlag fordert, dem
bittstellenden Bischof, der ihn zur Buße mahnen wollte, erklärt, der Papst habe
ja nun verboten, die Pönitenten in dieser Angelegenheit zu beunruhigen.)
Gemeinhin werden vielmehr diejenigen, die die Regelung der Heiligen
Pönitentiarie richtig als vorläufig verstehen, mögen sie sich auch jetzt vor
dem Beichtvater zur Restitution bereiterklären, wenn diese vom Heiligen Stuhle
gefordert wird, diese Verpflichtung dennoch gar nicht mehr einlösen können,
weder sie selber noch ihre Erben, falls die Zeit zu lange wird, die die Kirche,
d. h. der Papst, ihr Urteil hinzieht.
Aus diesem Grunde dürfte der
höchste Entscheid nicht mehr länger zurückgehalten werden. Es handelt sich ja
nicht etwa um Zeremonien, die mit dem Wesen der Liturgie nichts zu tun haben.
In solch einem Falle können Entscheidungen - wenn Glaubens- und Sittenlehre
nicht betroffen ist - auch lange hinausgezögert werden. Es geht vielmehr um die
kommutative Gerechtigkeit, deren Verletzung die Pflicht der Restitution nach
sich zieht, und ihr muß man möglichst bald genügen. Ferner können langem
Verzuge - wie eben dargelegt - weder die Darlehensgeber noch ihre Erben, wenn
die Verpflichtung einmal eintritt, die Restitution tatsächlich leisten.
Nach dieser kurzen Darlegung
ruft der bittstellende Erzbischof das Heilige Vatikanische Konzil, also die
ganze versammelte Kirche, demütig an und erwartet eine höchste Entscheidung zu
der Angelegenheit. Die Kirche wird vom Geist der Wahrheit gelenkt und ist Säule
und Grundfeste der Wahrheit, so ist auch nur ein Urteil im Sinne der
katholischen Wahrheit zu erwarten.
Dem bittstellenden Erzbischof
bleibt nur noch, niederknieend Ew. Heiligkeit die Füße zu küssen und zu
bekennen, daß er auf Dich, den Felsen, jeden Vorzug der Kirche zurückführt. Da
einst Dir in der Person des Petrus von Christus gesagt worden ist: „Ich habe
für dich gebetet, daß dein Glaube nicht wanke“, so erhofft er mit der ganzen
Kirche von Dir vor allem die letzte Entscheidung, in der vorgelegten Sache wie
in jeder Frage des Glaubens. Und mit der Kirche anerkennt und bekundet er
beglückt, «daß du keine Täuschung kennst», und er schließt mit seiner demütigen
Unterschrift.
Otranto, den 28. Januar 1870
+ Vincentius Andreas
Erzbischof von Otranto
Wortlaut des Schreibens weiterer 20 Erzbischöfe und Bischöfe an die Väter des I. Vatikanischen Konzils vom 25.
März 1870
Bittschrift zur Frage des
Wuchers
Eminenzen und Hochwürdigste
Väter!
Die unterzeichneten Bischöfe
halten es in der Sorge um das Erfordernis der Gesamtkirche für ihre Pflicht,
gemäß dem Apostolischen Brief «Multiplices inter» § 2 unseres Heiligen Vaters
Ew. Eminenzen und Paternitäten folgende dringende Bitte vorzulegen: Es möge dem
Vatikanischen Konzil ein Schema über Zins und Wucher zur Definition vorgelegt
werden. Dieselben erachten ein solches für angebracht, ja für notwendig zur
Beruhigung der Gewissen der Gläubigen ebenso wie zur Erläuterung und
Bestätigung von zahlreichen Bescheiden des Apostolischen Stuhles, die bisher
keine definitive Lehre enthalten, sondern der Zukunft vorbehalten haben.
Einigen Konzilsvätern sind
Exemplare eines sehr sachverständigen Votums zugegangen, in dem die beiden
schwierigen Fragen nach dem Gewinn im Darlehensverkehr, unter den Verhältnissen
der heutigen Gesellschaft wie nach dem Kraft bürgerlichen Gesetzes
festgesetzten Gewinns, erhellend dargelegt und gründlich gelöst wird. Die
Unterzeichneten bitten Ew. Eminenzen und Paternitäten zutiefst, das Votum
verteilen und die vorgenannten Fragen vom Ökumenischen Konzil klären zu lassen.
Rom, heute am 25. März 1870