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Inhaltsverzeichnis: Optimale
Liquidität
§ 7 Volkswirtschaftliche Folgen
Man kann das monetäre Maß-, Liquiditäts- und
Verrechnungssystem als eines der zentralen Informationssysteme der
Volkswirtschaft betrachten. Wenn ein so zentrales System der Volkswirtschaft
mit derart gravierenden Mängeln behaftet ist, wie sie sich im Verlaufe der
bisherigen Überlegungen gezeigt haben, dann ist zu vermuten, daß es zu ganz
erheblichen Fehlinformationen und dadurch dann zu praktischen Schwierigkeiten
in der Volkswirtschaft kommt. Weiter ist zu vermuten, daß die tatsächlichen
Schwierigkeiten, die in der Volkswirtschaft auftreten, zu einem großen Teil mit
den schwerwiegenden Mängeln zusammenhängen, die dem zentralen monetären Meß-,
Liquiditäts- und Verrechnungssystem anhaften.
I. Arbeitslosigkeit
1. Anknüpfungspunkte
Um Problemen der Arbeitslosigkeit beizukommen, empfiehlt
es sich, in Erinnerung zu rufen: Die Wirtschaft ist an der möglichst
nachhaltigen und möglichst unaufwendigen Befriedigung menschlicher Bedürfnisse
ausgerichtet, oder sie sollte zumindest daran ausgerichtet sein. Dabei geht es
unter anderem darum, das an sich knappe Gut "menschliche
Arbeitskraft" möglichst optimal einzusetzen. Soweit es um die Produktion
von Gütern durch menschliche Arbeitskraft und ihren Konsum geht, ist an sich
ein hochstabiles Gleichgewicht deshalb zu erwarten, weil menschliche Arbeit mit
einem rigide ansteigendem Grenzaufwand verbunden ist, während ihre Erträge nur
einen sinkenden Grenznutzen vermitteln. Bei dem Problem
"Arbeitslosigkeit" hat man es genau mit diesem knappen Gut der
menschlichen Arbeitskraft und mit der Nachfrage nach diesem Gut zu tun.
Ebenfalls hatte sich gezeigt, daß das Problem von
menschlicher Leistung und menschlicher Bedürfnisbefriedigung ökonomisch auf
charakteristische Kreislaufprozesse hinausläuft: Sowohl in der autarken
Einzelwirtschaft, als auch in der Tauschwirtschaft, als auch in der
monetisierten Wirtschaft geht es darum, daß der einzelne produziert, um zu
konsumieren, daß er also auf direktem Wege oder auf Umwegen Leistungen an sich
selbst erbringt. In der autarken Einzelwirtschaft ist dieser Vorgang der
"Leistung an sich selbst" nicht abhängig von anderen. In der
Tauschwirtschaft werden die Tauschpartner voneinander abhängig: Jeder
produziert für den anderen, damit aus dieser "Leistung für andere" im
Gegenzuge eine vermittelte "Leistung an sich selbst" werde. In der
monetisierten Wirtschaft jedoch gelingt der Prozeß, Leistungen auf dem Umwege
über andere an sich selbst zu erbringen, nur, wenn und soweit dafür Geld zur
Verfügung steht. Kann sich der potentielle "Produzent-und-Konsument"
das Geld nicht leisten, weil er den Preis für die Liquidität, nämlich den Zins,
nicht aufbringen kann, ist er gehindert, Leistungen an sich selbst zu
erbringen. Also bleibt er arbeitslos oder wird arbeitslos, wenn er als
Unternehmer oder zusammen mit seinem Arbeitgeber diesen Preis nicht
erwirtschaften kann.
2. Symptome
Der realwirtschaftliche Prozeß ist heute gekennzeichnet
einerseits durch chronische Arbeitslosigkeit, andererseits durch boomartige
Entwicklungen im monetären Bereich und im Bankensektor. Das sind Erscheinungen,
die recht gut in das Bild der Erwartungen passen, die sich aus den bisherigen
liquiditätstheoretischen Überlegungen ergeben: Anschwellen der Zu- und Abströme
bei "Anlegerkassen" und ihren Finanzintermediären sowie verbunden mit
diesem scheinbaren Überfluß an Liquidität ein fast paradoxer Liquiditätsmangel
im realwirtschaftlichen Bereich dort, wo Unternehmer, Arbeiter und Angestellte
miteinander und füreinander etwas produzieren wollen, um ihre Bedürfnisse zu
befriedigen, es aber nicht können, weil das Transaktionssystem zu teuer ist.
Zu den Symptomen unserer Wirtschaft gehört auch eine Art
Wachstumsmagik: Wir bräuchten Wirtschaftswachstum, heißt es, um Arbeitsplätze
zu schaffen. Sogar kraft Gesetzes ist unsere Wirtschaft auf "stetiges und
angemessenes Wachstum" vorprogrammiert. Man kann sich offenbar eine
ausgeglichene Wirtschaft mit Vollbeschäftigung nicht vorstellen ohne ständiges
und nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Und wiederum läßt sich
liquiditätstheoretisch sehr gut erläutern, warum Praktiker und Theoretiker der
Wirtschaft sich eine gesunde Wirtschaft nur als eine fast explodierende
Wirtschaft vorstellen können: Soweit die strukturellen Weichen des ökonomischen
Prozesses durch die Liquiditäts- und Kredittechnik so gestellt werden, daß ein
ständiger monetärer Gegenstrom aus den Transaktionskassen in die Anlegerkassen
fliegt, - und solange sich daraus ein Recyclingproblem ergibt, bei dessen
Lösung sich dieser monetäre Gegenstrom tendenziell verstärkt, - genau so lange
geht die volkswirtschaftliche Liquiditätsrechnung nur auf, wenn die reale
Wirtschaft derart wächst, daß die Kosten des Recycling aus rentablen
Investitionen finanziert werden können.
3. „Teure Arbeit“
Für die hohe Arbeitslosigkeit wird vielfach und mit
gewissem Recht die Tatsache verantwortlich gemacht, daß die Löhne durch
Kollektivverträge künstlich hochgehalten werden, so daß "menschliche
Arbeitskraft" so teuer wird, daß ein Teil des Angebotes an Arbeitskraft
nicht abgerufen wird. Doch bevor man sich mit diesem Argument zufrieden gibt,
gilt es Folgendes zu bedenken.
Die kollektiven Machtgebilde, die denjenigen
Arbeitnehmern, die noch in bezahlter Stellung arbeiten, zu womöglich
"überhöhten" Löhnen verhelfen, haben sich gebildet als
Selbsthilfemaßnahme von Arbeitnehmern, deren Löhne chronisch zu niedrig waren
im Verhältnis zu den Gewinnen, die auf seiten von Kapitaleigentümern entstanden
sind. Die Vormachtstellung von Kapitalgebern und ihren Möglichkeiten, daraus
Profit zu schlagen, hängt jedoch selbst wiederum damit zusammen, daß im
Wirtschaftsverkehr derjenige am längeren Hebel sitzt; der über den monetären
Joker verfügt. Und wer kann über den monetären Joker verfügen? Antwort: Wer
seine Bedürfnisse und damit auch seinen Transaktionsbedarf soweit befriedigt
hat, daß er weitere Mittel, die in seine Transaktionskasse fließen, dem
Transaktionszweck entwidmen und seiner Anlegerkasse zuführen kann. Das waren
und sind gerade nicht junge Unternehmer und andere Produzenten, die als
Arbeiter oder Angestellte produzieren wollen, um konsumieren zu können, sondern
eben die "Kapitalgeber".
Wenn und soweit kollektive gewerkschaftliche Machtgebilde
zu problematischen, womöglich zu hohen und unflexiblen Preisen für
"menschliche Arbeitskraft" beigetragen haben und beitragen, gilt es
mithin zu bedenken, daß hier ebenfalls Gegenkräfte am Wirken waren und sind,
die in den Horizont der Erwartungen hineinpassen, der sich bei der
liquiditätstheoretischen Analyse ergibt. Der Einwand also, die hohe Arbeitslosigkeit
sei auf künstlich hochgehaltene Löhne zurückzuführen, nicht oder jedenfalls
nicht nur auf Strukturen und Prozesse, die im Bereiche von Liquidität und
Kredit ihre Ursache haben, kehrt sich letztlich gegen denjenigen, der ihn
vorbringt, nämlich insofern, als die gewerkschaftliche Solidarität und Macht
selbst mit provoziert worden ist durch Vorteile von Kapitalgebern im
ökonomischen Prozeß, die auf die Nutzen-Kosten-Struktur herkömmlicher monetärer
Liquidität zurückzuführen sind.
4. Automatisierung und Roboterisierung
Angesichts des scheinbar handfesten
Anschauungsunterrichtes, den uns die Wirtschaft im Punkte der
"Wegrationalisierung" und "Wegroboterisierung" von
Arbeitsplätzen erteilt, erscheint es abwegig und geradezu esoterisch, Ursachen
für die derzeitige Arbeitslosigkeit in Bereichen zu suchen, in die einzudringen
man erst einer geheimwissenschaftlichen Schulung in Liquiditätstheorie bedarf.
Und doch zeigt sich bei genauerem Hinsehen schnell und in einer auch für Laien
erkennbaren Anschaulichkeit, daß die Beschäftigungsprobleme, die mit der
Automatisierung und Roboterisierung einhergehen, ihre eigentliche Brisanz aus
einer Tatsache beziehen, die wieder auf die Nutzen-Kosten-Struktur der
herkömmlichen Liquidität zurückzuführen ist: Die Automatisierung und
Roboterisierung wäre relativ harmlos, ja in Bezug auf Arbeit, Einkommen und
Beschäftigung durchaus segensreich, würden nicht bei der Automatisierung und
Roboterisierung die Löhne von Arbeitnehmern durch Renditen bei Kapitalgebern
verdrängt.
In die Roboterrenditen nämlich teilen sich gerade nicht
die realwirtschaftlich tätigen Produzenten, nicht die Unternehmer und
Arbeitnehmer, selbst wenn auch sie davon mehr oder weniger profitieren. Die
Roboterrenditen fließen vielmehr in die Taschen eines Dritten im Bunde: nämlich
in die Taschen des Kapitalgebers. Der Kapitalgeber aber ist wiederum jenes
monetäre Subjekt, das über eine volle Kasse, aber nicht mehr über eigenen
realwirtschaftlichen Transaktionsbedarf verfügt.
Das eigentliche Problem der Rationalisierung,
Automatisierung und Roboterisierung in Bezug auf die Arbeitslosigkeit liegt
also durchaus nicht darin, daß im Unternehmen mit weniger Arbeit mehr
produziert wird. Es liegt vielmehr darin, daß, wo vorher die Löhne für
geleistete Arbeit an Beschäftigte gezahlt wurden, später Roboterrenditen an
Kapitalgeber fliegen, - wobei die Beschäftigten in der Regel noch nennenswerten
Bedarf haben, für den sie Leistung zu erbringen bereit sind, während die
Kapitalgeber ihr Geld in Automatisierungs- und Roboterisierungsinvestitionen
anlegen konnten, weil sie mangels eigenen weiteren Transaktionsbedarfs bereits
Liquidität übrighatten.
Man hat es also auch dort, wo Roboterrenditen die
Arbeitslöhne verdrängen und Arbeitslosigkeit erzeugen, mit dem gleichen Befund
zu tun. Monetäre Liquidität von Zinsen und Renditen fließt insofern in die
falschen Kassen, als prämiert wird, wer seine monetäre Liquidität nicht
funktionsgerecht für die Abwicklung realwirtschaftlicher Transaktionen
verwendet, sondern vermarktet und dabei einen "Preis" kassiert, der
sich als Belastung volkswirtschaftlicher Transaktionen und als Belastung sowohl
des Konsums wie auch der Investitionen auswirkt.
Es scheint also nur so, als verdrängten die Roboter die
Arbeitnehmer; das eigentliche Problem liegt darin, daß die Roboterrenditen an
die Stelle der Arbeitslöhne treten. Aber zunächst hält man sich ans Symptom, an
den Schein: Zu offenkundig ist es, daß mancher Arbeitsplatz als solcher
entfällt, wo hinterher ein Roboter "funktioniert". Also scheint auch
die Forderung nach einer Besteuerung von Automaten und Robotern zunächst
plausibel: Wenn schon Automaten und Roboter für die Erzeugung von
Arbeitslosigkeit allem Anschein nach ursächlich sind, so sollen sie auch
beitragen zu den volkswirtschaftlichen Kosten, die dadurch entstehen,
insbesondere zur Finanzierung der Arbeitslosenunterstützung.
Tatsächlich jedoch handelt es sich bei der
Automatensteuer nur um eine Reaktion aufs Symptom, die an der Oberfläche eine
scheinbar plausible und gerechte Lösung verspricht, in ihren tatsächlichen
Auswirkungen jedoch Folgeprobleme mit sich führt, die, je länger, desto mehr
die oberflächlich erwarteten Vorteile mehr als zunichtemachen.
II. Künstlich überhöhter Rentabilitätsdruck
Die Tatsache, daß die Kosten der Fremdliquidität beim
Unternehmer als Kosten von Fremdkapital hängenbleiben, hat zur Folge, daß nur
solche Investitionen eine marktwirtschaftliche Chance auf Realisierung haben,
bei denen erwartet werden kann, daß ihre voraussichtlichen Erträge es
gestatten, die Verzinsung des Fremdkapitals aufzubringen und darüberhinaus
einen Gewinn zu erwirtschaften. Sogar Unternehmen mit hoher Eigenliquidität
werden heute dazu verleitet, auf unternehmerische Investitionen zu verzichten,
wenn zu erwarten ist, daß die Erträge solcher Investitionen geringer sind als
die etwaigen Zinseinnahmen, sofern das Geld in Geldvermögenstiteln angelegt
wird. So stehen alle Investoren geldordnungsbedingt unter einem relativ hohen,
zinsabhängigen Rentabilitätsdruck, der sich bei näherer Betrachtung als
volkswirtschaftlich irrational erweist.
1. Beispiel "Solarenergie"
Ein Hauseigentümer überlegt, ob, er auf seinem Dach, das
ideal nach Süden geneigt und der Sonneneinstrahlung ausgesetzt ist,
Sonnenkollektoren montieren lassen soll, um Sonnenenergie einzufangen und
Energie aus dem fossilen Energieträger Öl einzusparen. Aber er ist kein grüner
Träumer, sondern überlegt ganz nüchtern, ob es sich für ihn ökonomisch
rentieren würde, die Solartechnik zu nutzen.
Der Hauseigentümer verfügt auch gerade über hinreichend
Realkasse ("Eigenliquidität"), so daß er ganz konkret vor der Frage
steht: Solarinvestition oder anderweitige Geldanlage? Als anderweitige
Verwendung seines Geldes bieten sich ihm auf dem Kapitalmarkt
Anlagemöglichkeiten, aus denen er eine bestimmte Rendite in Form von Zinsen
erwarten kann.
Er rechnet mithin jetzt durch, welchen ökonomischen
Nutzen ihm die Investition seines Geldes in Solarenergie dadurch bringt, daß er
Aufwendungen für Heizöl einspart. Ergibt sich danach, daß die Rendite, die aus
der Solarinvestition in Gestalt ersparter Heizölkosten zu erwarten ist,
zurückbleibt hinter den Zinsen, die auf dem Kapitalmarkt winken, dann erweist
sich die Solarinvestition zwar (absolut betrachtet) als "rentabel"
insofern, als sie kein Zuschußgeschäft zu werden droht, sondern durchaus eine
Rendite abwirft. Aber diese Rendite kann (relativ betrachtet) nicht
schritthalten mit der Rendite, die sich aus dem Zins als dem Marktpreis der
Liquidität ergibt. So könnte es passieren, daß er sein Geld jemandem gibt, der
es für die Erschließung einer Ölquelle braucht und erwartet, aus dem Ertrag
seines Ölgeschäftes die Zinsen bezahlen zu können...
So bestimmt der ökonomische Nutzen der Liquidität und ihr
Marktpreis die relative Rentabilität der Sachinvestition in Solarenergie. Weil
Liquidität teuer ist, lohnt sich die Nutzung der Sonnenenergie nicht. Was aber
hat der Nutzen und Preis monetärer Liquidität als Maßstab für die ökonomische
Rentabilität von Solarinvestitionen für einen Sinn?
Hätte der Hauseigentümer als Ertrag anderweitiger Anlagen
nur zu erwarten, daß ihm die Kaufkraft, die er heute nicht ausgibt und
investiert, nach Ablauf der Anlageperiode ohne Verlust wieder liquidisiert
wird, dann würde sich jede Investition in Solarenergie, die sich (absolut betrachtet)
rentiert, auch relativ zur anderweitigen Anlage in Geldvermögen rentieren.
Absolute und relative Rentabilität würden konvergieren und mit ihnen die
ökologische und die ökonomische Rentabilität.
An diesen Überlegungen zeigt sich: Der übermäßige Rentabilitätsdruck,
der vom Zins herrührt, sorgt dafür, daß die Rentabilitätsschwelle für die
Erschließung von Sonnenenergie hoch liegt, mit dem Ergebnis, daß es rentabler
ist, weiterhin die nicht regenerierbare Ressource "Öl" zu
verschwenden, als die regenerierbare Sonnenenergie zu nutzen.
2. Rentabilitätsdruck auf Unternehmer und Arbeitnehmer
Arbeitsplätze in Fabrikhallen und Büroräumen sind nicht
besetzt. Um jedoch heute die Arbeitslosen von der Straße zu bekommen, müssen
"neue Arbeitsplätze" geschaffen werden, und zwar dort, wo es sich in
der Volkswirtschaft noch rentiert, bezahlte Arbeit einzusetzen. Wie hoch die
Rentabilitätsschwelle ist, bestimmt der Zinssatz. Der Zinssatz bestimmt die
Höhe der Rentabilitätsschwelle für Produktivkapital.
Arbeitsplätze, die sich bei einem geringeren Zinssatz
noch rentieren würden, entstehen nicht oder, falls sie bestehen, verschwinden
mit der Zeit.
Man darf also "Rentabilität" nicht als einen
absoluten, sondern nur als einen relativen Maßstab auffassen: Bei gesamtwirtschaftlichen
Rahmenbedingungen, unter denen ein extrem niedriger Zinssatz herrscht, ist die
Rentabilitätsschwelle niedrig, so daß auch Investitionen zustande kommen, die
nur einen entsprechend geringen Ertrag erwarten lassen. Auch
Anlageentscheidungen von Investoren, die Sachgüter wie etwa Schmuck oder
Kunstwerke erwerben, fallen bei niedrigen Zinsen anders aus als bei hohen: Bei
hohem Zinssatz muß ein Kunstwerk hohe Wertsteigerungen erwarten lassen, wenn es
ökonomisch konkurrenzfähig sein soll; bei niedrigem Zinssatz mag es schon
genügen, wenn das Kunstwerk sich im Werte zu erhalten verspricht, sobald
nämlich der Anleger den ästhetischen Ertrag des Kunstwerks und die soziale
Anerkennung als Sammler oder Förderer von Kunst höher schätzt als das Vergnügen
an geringen Zinsen.
Daß die Rentabilität von Investitionsentscheidungen
derart vom Zins als dem Preis von Liquidität abhängt, ist volkswirtschaftlich
absurd. Weil aber der Zins als vorgegebenes ökonomisches Datum erscheint, macht
man sich darüber kaum Gedanken. Daher wird Unternehmern und Arbeitnehmern auch
nicht bewußt, wie sehr sie im Verhältnis zu den Herren über Liquidität
("Kapitalgebern") im gleichen Boot sitzen: Unternehmer und
Arbeitnehmer glauben, sie bräuchten für das, was sie miteinander anstellen wollen,
"Kapital", das sie gegenüber dem Kapitalgeber zu verzinsen haben.
Tatsächlich aber brauchen sie nur Liquidität, um die Transaktionen durchführen
zu können, wie sie sich beim Kauf von Investitionsgütern und bei der Abwicklung
von Arbeitsverträgen abspielen. Aber die heutige Geldordnung bietet
Unternehmern und Arbeitnehmern keine Möglichkeit, nur monetäre Liquidität in
Anspruch zu nehmen und zu bezahlen. Die Geldordnung zwingt sie vielmehr dazu,
unter dem Vorwand der Nutzung von "Kapital" jahrelang den Preis für
eine Liquidität zu bezahlen, die sie nur extrem kurzfristig in Anspruch nehmen.
Unternehmer und Arbeitnehmer müssen beide immer erst
einmal so viel erarbeiten, daß der Kapitalgeber wenigstens seinen Zins (oder
den Zinsanteil in seiner Eigenkapitalrendite) bekommt. Die eigentlichen
Produzenten können ihre erste Deutsche Mark zur Deckung ihres existentielleren
Bedarfs jeweils erst selbst verdienen, wenn sie vorher das erarbeitet haben,
was sie dem Kapitalgeber schulden.
Selbst wenn also Unternehmer und Arbeitnehmer ihren
kapitalbedingten Streß leid wären, dem sie in ihrem gemeinsamen Boot ausgesetzt
sind, und selbst wenn sie sich entschlössen, etwas weniger hektisch, dafür aber
menschlicher oder umweltfreundlicher zu arbeiten und zu wirtschaften, sie
könnten es nicht. Der Fremdkapitalgeber nämlich ist dank einer Art vorrangiger
"Festbetragsbeteiligung" an ihren Produktionsprozeß angeschlossen, so
daß für die Produzenten selbst nur eine nachrangige
"Restbetragsbeteiligung" übrigbleibt (Termini von Wolfgang Stützel
(4)). Je höher die Zinsen sind, desto höher ist dann auch der übermäßige
Rentabilitätsdruck, und desto unerbittlicher wirkt der Druck, zunächst einmal
die Festbetragsbeteiligung des Kapitalgebers zu erwirtschaften, um
darüberhinaus dann noch eine Restbetragsbeteiligung für sich selbst
herauszuwirtschaften. (Ob auch die Risikoanfälligkeit des Systems zunimmt,
hängt davon ab, wie sehr der Kapitalgeber bereit ist, statt mit Fremdkapital
mit Eigenkapital einzusteigen, und je starrer das System der Lohn- und
Lohnnebenkosten ist, desto stärker nähert sich auch dieser Anteil einer
Festbetragsbeteiligung.)
So halten die wohlhabenderen Kapitalgeber kraft ihrer
Entscheidungskompetenzen über Liquiditätsströme die Unternehmer, Arbeiter und
Angestellten auf Trab, und am Ende kommen sämtliche Kosten auf mehr oder
weniger direkten oder indirekten Wegen auf die Konsumenten zu, also am relativ
wenigsten auf die, die durch Dispositionen über periphere Liquidität die Kosten
verursachen und den Vorteil aus dem Prozeß ziehen.
Unternehmer und Arbeiter müssen nicht nur sparsam
wirtschaften. Dazu sind sie ohnehin motiviert, wenn und solange sie die Folgen
von Mißwirtschaft und Faulheit selbst zu tragen haben. Sie müssen vielmehr
übermäßig rentabel arbeiten, um nicht nur ihren existentielleren Bedarf zu
decken, sondern zuvor das periphere Renditeverlangen von Kapitalgebern zu
befriedigen.
III. Kompetenzverlagerung von der Transaktionskasse zur
Anlegerkasse
Oben war in verschiedener Hinsicht kritisiert worden, daß
die Kompetenzen aus der Liquidität sich mehr und mehr von dar Transaktionskasse
auf die Anlegerkasse verlagert haben, und zwar insofern, als der Anleger durch
seine Anlegerentscheidung Liquidität dorthin lenkt, wo, grob gesagt, wenigstens
der Zins erwirtschaftet werden kann. Dem könnte hier entgegengehalten werden,
daß sich auch bei niedrigem Zinssatz jeweils die rentabelsten
Investitionsvorhaben durchsetzen, so daß von einer - wie auch immer erzielten -
Senkung des Realzinsniveaus kaum Veränderungen in Bezug auf Lenkung und
Allokation zu erwarten seien.
Dieser Einwand ist plausibel, wenn und soweit man nur die
einzelnen Entscheidungen von Anlegern ins Auge faßt. Er läßt jedoch einen
entscheidenden Gesichtspunkt, auf den es hier ankommt, außer Betracht: Je höher
die Zinsen, insbesondere je höher der Realzins, desto größer sind die Chancen,
daß die Zu- und Abströme und die Bestände bei Anlegern anschwellen, - desto
geringer ist also die Chance, daß Konsumenten und Investoren direkt und auf
Grund von Eigenliquidität in ihren Transaktionskassen entscheiden, was sie
konsumieren und was sie im Hinblick auf ihren monetär unterfütterten Bedarf
produzieren wollen. Und umgekehrt: Je niedriger die Zinsen sind, desto mehr
Geld bleibt unmittelbar im realwirtschaftlichen Zirkulationsprozeß der
Volkswirtschaft. Je mehr Geld aber direkt im Geldkreislauf der Wirtschaft
verbleibt, ohne zwischendurch auf der Umwegschleife über den
"Anleger" zu laufen, desto mehr entscheiden direkte
Konsumentenwünsche und unmittelbare menschliche Bedürfnisse darüber, was
nachgefragt, also auch, was produziert wird. Zinsen und Renditen sorgen dafür,
daß bei Anlegern eine Art Zwischenkompetenz entsteht, kraft derer der Anleger
bestimmen kann, daß nur noch Produkte erzeugt werden, die einer doppelten Bedingung
genügen, nämlich
- erstens menschliche Bedürfnisse befriedigen und
- zweitens im Zuge ihrer Produktion und ihres Absatzes
für den "Kapitalgeber" ein leistungsloses Einkommen abwerfen.
Man darf freilich die Abhängigkeit der
Produzenten-und-Konsumenten von dem Anleger nicht persönlich zuspitzen auf den
Anleger, der für das Spiel, das er spielt, nicht verantwortlich ist. Die
Abhängigkeit vom Rentabilitätsdiktat des Anlegers ist vielmehr vorprogrammiert
im überlieferten System von Liquidität und Kredit. Die
Konsumenten-und-Produzenten müssen sich also nicht eigentlich von den Anlegern
emanzipieren, sondern Mittel und Wege finden, sich aus ihrer Abhängigkeit vom
überlieferten Liquiditätssystem als solchem zu befreien.
IV. Kapitalismus als Defekt der Marktwirtschaft
1. Identität von "Kapitalismus" und
"Marktwirtschaft"?
Meist wird, wer den "Kapitalismus" kritisiert,
auch als Gegner der Marktwirtschaft verdächtigt. Dieser Verdacht bezieht seine
uneingeschränkte Plausibilität einerseits daher, daß bisher kaum
Unvereinbarkeiten zwischen Kapitalismus und Marktwirtschaft festgestellt werden
konnten, und zum anderen daraus, daß die Kritiker des Kapitalismus, von
wenigen, kaum beachteten Ausnahmen abgesehen, auch Kritiker der Marktwirtschaft
waren und sind. Erst die liquiditätstheoretische Analyse zeigt genau, inwiefern
alles das, was man als typisch "kapitalistisch" identifizieren kann,
kein konstituierendes Merkmal der Marktwirtschaft ist, sondern, ganz im
Gegenteil, zuverlässiges Symptom für einen strukturellen, ordnungspolitischen
Mangel im monetären Liquiditäts- und Kreditsystem der Marktwirtschaft.
"Kapitalkosten" sind, liquiditätstheoretisch
betrachtet, genau jene Liquidisierungskosten, die beim Kreditnehmer
hängenbleiben, wenn er sich mit geliehenem Geld Wirtschaftsgüter besorgt.
"Kapitalerträge" sind dementsprechend diejenigen Erträge, die dank
der Nutzen-Kosten-Struktur monetärer Liquidität bei der heutigen
Vermarktungstechnik von Eigenliquidität erzielt werden können. Weil der
Grenznutzen des Geldkapitals den Rentabilitätsstandard auch für den Grenznutzen
von Realkapital setzt, färbt die Kapitaleigenschaft des Geldes auf die
Sachkapitalien ab und sieht es im übrigen so aus, als sei die
Kapitaleigenschaft des Geldes nur eine Folge der Produktivität von Sachkapital.
2. Der realwirtschaftliche "Schatten des
Geldschleiers"
In der monetisierten Wirtschaft kommt man an Güter, die
Nutzen stiften, in der Regel nur heran, wenn man sie mittels des Geldes kauft.
Wenn man sich aber den Besitz anderer nutzenstiftender Güter nur vermittels des
Geldes verschaffen kann, und wenn man Geld nur bekommt, wenn man
Zinsverpflichtungen übernimmt, dann diktiert das monetäre System die
Bedingungen, denen man sich fügen und bequemen muß, wenn man Güter braucht.
So werden die Eigenschaften des Geldes zu Eigenschaften
der Güter, die damit erworben werden. Diese Güter müssen in gleichem Umfang
Nutzen stiften, wie das Geld Zinsen bringt, und sie verursachen Kosten, so wie
das Geld Zinsen kostet.
So prägt das Mittel "Geld", ohne das die Güter
nicht zu haben sind, den Gütern seinen heutigen "kapitalistischen"
Stempel auf. Wir kennen es nicht anders. Wir sind das so gewöhnt. Uns fehlt die
Erfahrung, daß es auch anders sein könnte. Deshalb fällt es Laien und
Fachleuten so schwer, die kapitalistische "Natur" von Sachkapitalien
irgendwie anzuzweifeln oder gar als eine abhängige Eigenschaft zu begreifen:
nämlich als eine Eigenschaft, die abhängig ist von der Art und Weise, wie eine
Wirtschaft mit Liquidität und Kredit versorgt wird.
Vielleicht fehlt uns doch nicht ganz die Erinnerung an
eine Zeit, in der die Last der Kapitalkosten, die die
Produzenten-und-Konsumenten mit sich herumschleppen mußten, so gering war, daß
es noch Vergnügen bereitete, füreinander zu produzieren und einander abzunehmen,
was man füreinander produzierte. Vielleicht nämlich liefert die Zeit nach der
Währungsreform, die wir als Zeit des "Wirtschaftswunders" erlebt
haben, ein Beispiel dafür, daß es einer Wirtschaft verhältnismäßig gut geht,
solange die Kapitalkosten, die die Produzenten-und-Konsumenten mitschleppen
müssen, verhältnismäßig gering sind. Das heißt nicht, daß das
"Wirtschaftswunder" einzig und allein liquiditätstheoretisch zu
erklären sei! Aber es ist möglich, daß die relativ geringen Gesamtkapitalkosten
eine Rolle gespielt haben. Jedenfalls begann damals die Geldvermögensbildung
erst wieder Fuß zu fassen: Jene Geldvermögensbildung, die nicht eigentlich zum
Reichtum der Volkswirtschaft, sondern nur zur Vermehrung der inneren
Verschuldung der Wirtschaftssubjekte untereinander führt.
Heute dagegen sind wir wieder reich an Geldvermögen, also
auch sehr reich an den damit einhergehenden Geldschulden sowie den damit
verbundenen Zinszahlungsverpflichtungen; und jede Deutsche Mark, die in Form
von Zinsen aus Transaktionskassen in Anlegerkassen fließt, fließt nicht als
ausgegebenes Geld von einer Transaktionskasse in die nächste, sondern wird
womöglich zunächst einmal in der Anlegerkasse paralysiert. Um das in der
Anlegerkasse paralysierte Geld wieder transaktionswirksam zu machen, müssen die
betroffenen Produzenten-und-Konsumenten erst wieder neue Zinsverpflichtungen
auf sich nehmen. Nur unter dieser Bedingung "emittiert" der Anleger
seine Liquidität wieder.
Wenn die liquiditätstheoretische Analyse stimmt und man
infolgedessen darüber nachdenkt, wie man die Marktwirtschaft von ihrem
kapitalistischen Defekt befreien könnte, dann zeichnet sich jetzt wenigstens
schon die Richtung ab, in der die Lösung gesucht werden muß: Es muß eine
marktgerechte Technik für die Versorgung der Wirtschaft mit Liquidität und
Kredit gefunden werden, bei der weder die Liquidität noch der Kredit dadurch
künstlich verteuert werden, daß Liquidisierungskosten beim Kreditnehmer
hängenbleiben und als Kredit- bzw. Kapitalkosten zu Buche schlagen, die nicht nur
den Produktionsprozeß belasten, sondern schon wegen ihrer Vorwirkungen
abschreckend wirken in Bezug auf die Transaktionen von potentiellen Konsumenten
und Investoren.
3. Fehlinformationen im monetären Nachrichtensystem
Betrachtet man das Geld als eine ökonomische
Spezialsprache, dann enthält die Übertragung von Geld vielerlei Informationen:
- erstens ist der Inhaber einer (valutierten) monetären
Anwartschaft berechtigt, ein Wirtschaftsgut mit bestimmtem Tauschwert aus der
Volkswirtschaft abzurufen (Kaufkraftnennwert);
- zweitens ist er berechtigt, das Gut jetzt in der
Gegenwart in Anspruch zu nehmen, und zwar, indem er mit Hilfe des monetären
Jokers an die Märkte herantreten kann und dadurch Transaktionskosten spart
(Liquiditätswert);
- drittens wird dem Geldempfänger durch die
Opportunitätskosten der Kassehaltung auch noch signalisiert, daß er gut daran
tut, sein Geld nicht zu lange in der Kasse zu behalten;
- viertens wird der Kassehalter durch den Nutzenzustrom,
der mit dem Geld einhergeht, und durch die Prämie, die bei Vermarktung dieses
Nutzenstroms anfällt, darüber informiert und darin bestärkt, daß das Geld
gerade nicht nur ein Tauschmittel, sondern auch ein Renditeinstrument ist.
Die Information aber, daß das Geld nicht nur
Tauschmittel, sondern auch ein Renditeinstrument sei, und zwar ausgerechnet für
diejenigen, die keinen Tauschbedarf mehr haben, ist eine Falschinformation.
Aber diese Falschinformation kommt gut an. Sie wird befolgt. Ihr sitzen nicht
nur die Kassehalter gerne auf, die davon profitieren; auf sie fallen vielmehr
auch alle diejenigen Geldtheoretiker herein, die am herkömmlichen System von
Liquidität und Kredit nichts auszusetzen haben: Sie alle nennen das Geld zwar
"Tauschmittel", aber sie handhaben es auch als Renditeinstrument, als
"Kapital".
Die Fehlinformationen im monetären System lassen sich
auch so interpretieren: Allen Wirtschaftssubjekten wird durch das
Prämierungssystem "Zins" mitgeteilt: "Zukunftspräferenz ist
profitabel". Das führt dazu, daß auch solche Wirtschaftssubjekte, die gar
keinen Zukunftsbedarf mehr haben (also solche, die schon soviel Geldvermögen
besitzen, daß sie es kaum je in der Zukunft verbrauchen können), eine
künstliche Zukunftspräferenz ausbilden. Der Idealtyp dieses
Wirtschaftssubjektes mit pathologischer Zukunftspräferenz ist "der
Kapitalist".
Die Falschinformationen, die mit dem monetären
Nachrichtensystem verbunden sind, bewirken:
- erstens eine zunehmende innere Verschuldung der
Volkswirtschaft aufgrund von künstlich provozierter Zukunftspräferenz und
ebenso künstlicher Verteuerung der Gegenwartspräferenz;
- zweitens, daß dringende Gegenwartsbedürfnisse nicht
befriedigt werden, weil das System den Aufschub von Nachfrage subventioniert.
So verleitet das monetäre System in seiner heutigen
Gestalt durch Fehlinformationen den Menschen dazu, ihre wirkliche Gegenwart an
eine künstliche, fiktive Zukunft von Geldvermögen (und Geldschulden) zu
verkaufen.
Schließlich haben die Fehlinformationen des monetären
Systems noch eine verhängnisvolle weitere Täuschung zur Folge: Weil für die
zeitweilige Überlassung von Liquidität Zins gezahlt wird, entsteht der
Eindruck, als trage jemand, der einen Kredit gewährt, für die Dauer des
Kredites mit dem Produktionsfaktor "Kapital" zum Sozialprodukt bei.
Es entsteht der Eindruck, als müsse er dafür eine entsprechende, wohlverdiente
monetäre Anwartschaft aufs Sozialprodukt bekommen (Faktorentgelt). Tatsächlich
aber trägt er nichts bei, sondern gibt nur die von ihm durch Kassehaltung
paralysierte Zirkulation wieder frei. Also sind die Anwartschaften aufs
Sozialprodukt, die er in Form von Zinszahlungen erhält, letztlich nicht durch
eigene Beiträge zum Sozialprodukt valutiert. Aber er weiß das nicht, sondern
sieht es anders, und die offizielle Ökonomie bestätigt ihn in seinem Irrtum.