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Inhaltsverzeichnis: Optimale Liquidität

 


 

 

Kapitel aus: Suhr / Godschalk: Optimale Liquidität, Fritz Knapp Verlag, Frankfurt am Main, 1986, ISBN 3-7819-0349-4

 

 

 

§ 7 Volkswirtschaftliche Folgen

 

Man kann das monetäre Maß-, Liquiditäts- und Verrechnungssystem als eines der zentralen Informationssysteme der Volkswirtschaft betrachten. Wenn ein so zentrales System der Volkswirtschaft mit derart gravierenden Mängeln behaftet ist, wie sie sich im Verlaufe der bisherigen Überlegungen gezeigt haben, dann ist zu vermuten, daß es zu ganz erheblichen Fehlinformationen und dadurch dann zu praktischen Schwierigkeiten in der Volkswirtschaft kommt. Weiter ist zu vermuten, daß die tatsächlichen Schwierigkeiten, die in der Volkswirtschaft auftreten, zu einem großen Teil mit den schwerwiegenden Mängeln zusammenhängen, die dem zentralen monetären Meß-, Liquiditäts- und Verrechnungssystem anhaften.

 

 

I. Arbeitslosigkeit

 

1. Anknüpfungspunkte

 

Um Problemen der Arbeitslosigkeit beizukommen, empfiehlt es sich, in Erinnerung zu rufen: Die Wirtschaft ist an der möglichst nachhaltigen und möglichst unaufwendigen Befriedigung menschlicher Bedürfnisse ausgerichtet, oder sie sollte zumindest daran ausgerichtet sein. Dabei geht es unter anderem darum, das an sich knappe Gut "menschliche Arbeitskraft" möglichst optimal einzusetzen. Soweit es um die Produktion von Gütern durch menschliche Arbeitskraft und ihren Konsum geht, ist an sich ein hochstabiles Gleichgewicht deshalb zu erwarten, weil menschliche Arbeit mit einem rigide ansteigendem Grenzaufwand verbunden ist, während ihre Erträge nur einen sinkenden Grenznutzen vermitteln. Bei dem Problem "Arbeitslosigkeit" hat man es genau mit diesem knappen Gut der menschlichen Arbeitskraft und mit der Nachfrage nach diesem Gut zu tun.

Ebenfalls hatte sich gezeigt, daß das Problem von menschlicher Leistung und menschlicher Bedürfnisbefriedigung ökonomisch auf charakteristische Kreislaufprozesse hinausläuft: Sowohl in der autarken Einzelwirtschaft, als auch in der Tauschwirtschaft, als auch in der monetisierten Wirtschaft geht es darum, daß der einzelne produziert, um zu konsumieren, daß er also auf direktem Wege oder auf Umwegen Leistungen an sich selbst erbringt. In der autarken Einzelwirtschaft ist dieser Vorgang der "Leistung an sich selbst" nicht abhängig von anderen. In der Tauschwirtschaft werden die Tauschpartner voneinander abhängig: Jeder produziert für den anderen, damit aus dieser "Leistung für andere" im Gegenzuge eine vermittelte "Leistung an sich selbst" werde. In der monetisierten Wirtschaft jedoch gelingt der Prozeß, Leistungen auf dem Umwege über andere an sich selbst zu erbringen, nur, wenn und soweit dafür Geld zur Verfügung steht. Kann sich der potentielle "Produzent-und-Konsument" das Geld nicht leisten, weil er den Preis für die Liquidität, nämlich den Zins, nicht aufbringen kann, ist er gehindert, Leistungen an sich selbst zu erbringen. Also bleibt er arbeitslos oder wird arbeitslos, wenn er als Unternehmer oder zusammen mit seinem Arbeitgeber diesen Preis nicht erwirtschaften kann.

 

 

2. Symptome

 

Der realwirtschaftliche Prozeß ist heute gekennzeichnet einerseits durch chronische Arbeitslosigkeit, andererseits durch boomartige Entwicklungen im monetären Bereich und im Bankensektor. Das sind Erscheinungen, die recht gut in das Bild der Erwartungen passen, die sich aus den bisherigen liquiditätstheoretischen Überlegungen ergeben: Anschwellen der Zu- und Abströme bei "Anlegerkassen" und ihren Finanzintermediären sowie verbunden mit diesem scheinbaren Überfluß an Liquidität ein fast paradoxer Liquiditätsmangel im realwirtschaftlichen Bereich dort, wo Unternehmer, Arbeiter und Angestellte miteinander und füreinander etwas produzieren wollen, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen, es aber nicht können, weil das Transaktionssystem zu teuer ist.

Zu den Symptomen unserer Wirtschaft gehört auch eine Art Wachstumsmagik: Wir bräuchten Wirtschaftswachstum, heißt es, um Arbeitsplätze zu schaffen. Sogar kraft Gesetzes ist unsere Wirtschaft auf "stetiges und angemessenes Wachstum" vorprogrammiert. Man kann sich offenbar eine ausgeglichene Wirtschaft mit Vollbeschäftigung nicht vorstellen ohne ständiges und nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Und wiederum läßt sich liquiditätstheoretisch sehr gut erläutern, warum Praktiker und Theoretiker der Wirtschaft sich eine gesunde Wirtschaft nur als eine fast explodierende Wirtschaft vorstellen können: Soweit die strukturellen Weichen des ökonomischen Prozesses durch die Liquiditäts- und Kredittechnik so gestellt werden, daß ein ständiger monetärer Gegenstrom aus den Transaktionskassen in die Anlegerkassen fliegt, - und solange sich daraus ein Recyclingproblem ergibt, bei dessen Lösung sich dieser monetäre Gegenstrom tendenziell verstärkt, - genau so lange geht die volkswirtschaftliche Liquiditätsrechnung nur auf, wenn die reale Wirtschaft derart wächst, daß die Kosten des Recycling aus rentablen Investitionen finanziert werden können.

 

 

3. „Teure Arbeit“

 

Für die hohe Arbeitslosigkeit wird vielfach und mit gewissem Recht die Tatsache verantwortlich gemacht, daß die Löhne durch Kollektivverträge künstlich hochgehalten werden, so daß "menschliche Arbeitskraft" so teuer wird, daß ein Teil des Angebotes an Arbeitskraft nicht abgerufen wird. Doch bevor man sich mit diesem Argument zufrieden gibt, gilt es Folgendes zu bedenken.

Die kollektiven Machtgebilde, die denjenigen Arbeitnehmern, die noch in bezahlter Stellung arbeiten, zu womöglich "überhöhten" Löhnen verhelfen, haben sich gebildet als Selbsthilfemaßnahme von Arbeitnehmern, deren Löhne chronisch zu niedrig waren im Verhältnis zu den Gewinnen, die auf seiten von Kapitaleigentümern entstanden sind. Die Vormachtstellung von Kapitalgebern und ihren Möglichkeiten, daraus Profit zu schlagen, hängt jedoch selbst wiederum damit zusammen, daß im Wirtschaftsverkehr derjenige am längeren Hebel sitzt; der über den monetären Joker verfügt. Und wer kann über den monetären Joker verfügen? Antwort: Wer seine Bedürfnisse und damit auch seinen Transaktionsbedarf soweit befriedigt hat, daß er weitere Mittel, die in seine Transaktionskasse fließen, dem Transaktionszweck entwidmen und seiner Anlegerkasse zuführen kann. Das waren und sind gerade nicht junge Unternehmer und andere Produzenten, die als Arbeiter oder Angestellte produzieren wollen, um konsumieren zu können, sondern eben die "Kapitalgeber".

Wenn und soweit kollektive gewerkschaftliche Machtgebilde zu problematischen, womöglich zu hohen und unflexiblen Preisen für "menschliche Arbeitskraft" beigetragen haben und beitragen, gilt es mithin zu bedenken, daß hier ebenfalls Gegenkräfte am Wirken waren und sind, die in den Horizont der Erwartungen hineinpassen, der sich bei der liquiditätstheoretischen Analyse ergibt. Der Einwand also, die hohe Arbeitslosigkeit sei auf künstlich hochgehaltene Löhne zurückzuführen, nicht oder jedenfalls nicht nur auf Strukturen und Prozesse, die im Bereiche von Liquidität und Kredit ihre Ursache haben, kehrt sich letztlich gegen denjenigen, der ihn vorbringt, nämlich insofern, als die gewerkschaftliche Solidarität und Macht selbst mit provoziert worden ist durch Vorteile von Kapitalgebern im ökonomischen Prozeß, die auf die Nutzen-Kosten-Struktur herkömmlicher monetärer Liquidität zurückzuführen sind.

 

4. Automatisierung und Roboterisierung

 

Angesichts des scheinbar handfesten Anschauungsunterrichtes, den uns die Wirtschaft im Punkte der "Wegrationalisierung" und "Wegroboterisierung" von Arbeitsplätzen erteilt, erscheint es abwegig und geradezu esoterisch, Ursachen für die derzeitige Arbeitslosigkeit in Bereichen zu suchen, in die einzudringen man erst einer geheimwissenschaftlichen Schulung in Liquiditätstheorie bedarf. Und doch zeigt sich bei genauerem Hinsehen schnell und in einer auch für Laien erkennbaren Anschaulichkeit, daß die Beschäftigungsprobleme, die mit der Automatisierung und Roboterisierung einhergehen, ihre eigentliche Brisanz aus einer Tatsache beziehen, die wieder auf die Nutzen-Kosten-Struktur der herkömmlichen Liquidität zurückzuführen ist: Die Automatisierung und Roboterisierung wäre relativ harmlos, ja in Bezug auf Arbeit, Einkommen und Beschäftigung durchaus segensreich, würden nicht bei der Automatisierung und Roboterisierung die Löhne von Arbeitnehmern durch Renditen bei Kapitalgebern verdrängt.

In die Roboterrenditen nämlich teilen sich gerade nicht die realwirtschaftlich tätigen Produzenten, nicht die Unternehmer und Arbeitnehmer, selbst wenn auch sie davon mehr oder weniger profitieren. Die Roboterrenditen fließen vielmehr in die Taschen eines Dritten im Bunde: nämlich in die Taschen des Kapitalgebers. Der Kapitalgeber aber ist wiederum jenes monetäre Subjekt, das über eine volle Kasse, aber nicht mehr über eigenen realwirtschaftlichen Transaktionsbedarf verfügt.

Das eigentliche Problem der Rationalisierung, Automatisierung und Roboterisierung in Bezug auf die Arbeitslosigkeit liegt also durchaus nicht darin, daß im Unternehmen mit weniger Arbeit mehr produziert wird. Es liegt vielmehr darin, daß, wo vorher die Löhne für geleistete Arbeit an Beschäftigte gezahlt wurden, später Roboterrenditen an Kapitalgeber fliegen, - wobei die Beschäftigten in der Regel noch nennenswerten Bedarf haben, für den sie Leistung zu erbringen bereit sind, während die Kapitalgeber ihr Geld in Automatisierungs- und Roboterisierungsinvestitionen anlegen konnten, weil sie mangels eigenen weiteren Transaktionsbedarfs bereits Liquidität übrighatten.

Man hat es also auch dort, wo Roboterrenditen die Arbeitslöhne verdrängen und Arbeitslosigkeit erzeugen, mit dem gleichen Befund zu tun. Monetäre Liquidität von Zinsen und Renditen fließt insofern in die falschen Kassen, als prämiert wird, wer seine monetäre Liquidität nicht funktionsgerecht für die Abwicklung realwirtschaftlicher Transaktionen verwendet, sondern vermarktet und dabei einen "Preis" kassiert, der sich als Belastung volkswirtschaftlicher Transaktionen und als Belastung sowohl des Konsums wie auch der Investitionen auswirkt.

Es scheint also nur so, als verdrängten die Roboter die Arbeitnehmer; das eigentliche Problem liegt darin, daß die Roboterrenditen an die Stelle der Arbeitslöhne treten. Aber zunächst hält man sich ans Symptom, an den Schein: Zu offenkundig ist es, daß mancher Arbeitsplatz als solcher entfällt, wo hinterher ein Roboter "funktioniert". Also scheint auch die Forderung nach einer Besteuerung von Automaten und Robotern zunächst plausibel: Wenn schon Automaten und Roboter für die Erzeugung von Arbeitslosigkeit allem Anschein nach ursächlich sind, so sollen sie auch beitragen zu den volkswirtschaftlichen Kosten, die dadurch entstehen, insbesondere zur Finanzierung der Arbeitslosenunterstützung.

Tatsächlich jedoch handelt es sich bei der Automatensteuer nur um eine Reaktion aufs Symptom, die an der Oberfläche eine scheinbar plausible und gerechte Lösung verspricht, in ihren tatsächlichen Auswirkungen jedoch Folgeprobleme mit sich führt, die, je länger, desto mehr die oberflächlich erwarteten Vorteile mehr als zunichtemachen.

 

 

II. Künstlich überhöhter Rentabilitätsdruck

 

Die Tatsache, daß die Kosten der Fremdliquidität beim Unternehmer als Kosten von Fremdkapital hängenbleiben, hat zur Folge, daß nur solche Investitionen eine marktwirtschaftliche Chance auf Realisierung haben, bei denen erwartet werden kann, daß ihre voraussichtlichen Erträge es gestatten, die Verzinsung des Fremdkapitals aufzubringen und darüberhinaus einen Gewinn zu erwirtschaften. Sogar Unternehmen mit hoher Eigenliquidität werden heute dazu verleitet, auf unternehmerische Investitionen zu verzichten, wenn zu erwarten ist, daß die Erträge solcher Investitionen geringer sind als die etwaigen Zinseinnahmen, sofern das Geld in Geldvermögenstiteln angelegt wird. So stehen alle Investoren geldordnungsbedingt unter einem relativ hohen, zinsabhängigen Rentabilitätsdruck, der sich bei näherer Betrachtung als volkswirtschaftlich irrational erweist.

 

 

1. Beispiel "Solarenergie"

 

Ein Hauseigentümer überlegt, ob, er auf seinem Dach, das ideal nach Süden geneigt und der Sonneneinstrahlung ausgesetzt ist, Sonnenkollektoren montieren lassen soll, um Sonnenenergie einzufangen und Energie aus dem fossilen Energieträger Öl einzusparen. Aber er ist kein grüner Träumer, sondern überlegt ganz nüchtern, ob es sich für ihn ökonomisch rentieren würde, die Solartechnik zu nutzen.

Der Hauseigentümer verfügt auch gerade über hinreichend Realkasse ("Eigenliquidität"), so daß er ganz konkret vor der Frage steht: Solarinvestition oder anderweitige Geldanlage? Als anderweitige Verwendung seines Geldes bieten sich ihm auf dem Kapitalmarkt Anlagemöglichkeiten, aus denen er eine bestimmte Rendite in Form von Zinsen erwarten kann.

Er rechnet mithin jetzt durch, welchen ökonomischen Nutzen ihm die Investition seines Geldes in Solarenergie dadurch bringt, daß er Aufwendungen für Heizöl einspart. Ergibt sich danach, daß die Rendite, die aus der Solarinvestition in Gestalt ersparter Heizölkosten zu erwarten ist, zurückbleibt hinter den Zinsen, die auf dem Kapitalmarkt winken, dann erweist sich die Solarinvestition zwar (absolut betrachtet) als "rentabel" insofern, als sie kein Zuschußgeschäft zu werden droht, sondern durchaus eine Rendite abwirft. Aber diese Rendite kann (relativ betrachtet) nicht schritthalten mit der Rendite, die sich aus dem Zins als dem Marktpreis der Liquidität ergibt. So könnte es passieren, daß er sein Geld jemandem gibt, der es für die Erschließung einer Ölquelle braucht und erwartet, aus dem Ertrag seines Ölgeschäftes die Zinsen bezahlen zu können...

So bestimmt der ökonomische Nutzen der Liquidität und ihr Marktpreis die relative Rentabilität der Sachinvestition in Solarenergie. Weil Liquidität teuer ist, lohnt sich die Nutzung der Sonnenenergie nicht. Was aber hat der Nutzen und Preis monetärer Liquidität als Maßstab für die ökonomische Rentabilität von Solarinvestitionen für einen Sinn?

Hätte der Hauseigentümer als Ertrag anderweitiger Anlagen nur zu erwarten, daß ihm die Kaufkraft, die er heute nicht ausgibt und investiert, nach Ablauf der Anlageperiode ohne Verlust wieder liquidisiert wird, dann würde sich jede Investition in Solarenergie, die sich (absolut betrachtet) rentiert, auch relativ zur anderweitigen Anlage in Geldvermögen rentieren. Absolute und relative Rentabilität würden konvergieren und mit ihnen die ökologische und die ökonomische Rentabilität.

An diesen Überlegungen zeigt sich: Der übermäßige Rentabilitätsdruck, der vom Zins herrührt, sorgt dafür, daß die Rentabilitätsschwelle für die Erschließung von Sonnenenergie hoch liegt, mit dem Ergebnis, daß es rentabler ist, weiterhin die nicht regenerierbare Ressource "Öl" zu verschwenden, als die regenerierbare Sonnenenergie zu nutzen.

 

 

2. Rentabilitätsdruck auf Unternehmer und Arbeitnehmer

 

Arbeitsplätze in Fabrikhallen und Büroräumen sind nicht besetzt. Um jedoch heute die Arbeitslosen von der Straße zu bekommen, müssen "neue Arbeitsplätze" geschaffen werden, und zwar dort, wo es sich in der Volkswirtschaft noch rentiert, bezahlte Arbeit einzusetzen. Wie hoch die Rentabilitätsschwelle ist, bestimmt der Zinssatz. Der Zinssatz bestimmt die Höhe der Rentabilitätsschwelle für Produktivkapital.

Arbeitsplätze, die sich bei einem geringeren Zinssatz noch rentieren würden, entstehen nicht oder, falls sie bestehen, verschwinden mit der Zeit.

Man darf also "Rentabilität" nicht als einen absoluten, sondern nur als einen relativen Maßstab auffassen: Bei gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen ein extrem niedriger Zinssatz herrscht, ist die Rentabilitätsschwelle niedrig, so daß auch Investitionen zustande kommen, die nur einen entsprechend geringen Ertrag erwarten lassen. Auch Anlageentscheidungen von Investoren, die Sachgüter wie etwa Schmuck oder Kunstwerke erwerben, fallen bei niedrigen Zinsen anders aus als bei hohen: Bei hohem Zinssatz muß ein Kunstwerk hohe Wertsteigerungen erwarten lassen, wenn es ökonomisch konkurrenzfähig sein soll; bei niedrigem Zinssatz mag es schon genügen, wenn das Kunstwerk sich im Werte zu erhalten verspricht, sobald nämlich der Anleger den ästhetischen Ertrag des Kunstwerks und die soziale Anerkennung als Sammler oder Förderer von Kunst höher schätzt als das Vergnügen an geringen Zinsen.

Daß die Rentabilität von Investitionsentscheidungen derart vom Zins als dem Preis von Liquidität abhängt, ist volkswirtschaftlich absurd. Weil aber der Zins als vorgegebenes ökonomisches Datum erscheint, macht man sich darüber kaum Gedanken. Daher wird Unternehmern und Arbeitnehmern auch nicht bewußt, wie sehr sie im Verhältnis zu den Herren über Liquidität ("Kapitalgebern") im gleichen Boot sitzen: Unternehmer und Arbeitnehmer glauben, sie bräuchten für das, was sie miteinander anstellen wollen, "Kapital", das sie gegenüber dem Kapitalgeber zu verzinsen haben. Tatsächlich aber brauchen sie nur Liquidität, um die Transaktionen durchführen zu können, wie sie sich beim Kauf von Investitionsgütern und bei der Abwicklung von Arbeitsverträgen abspielen. Aber die heutige Geldordnung bietet Unternehmern und Arbeitnehmern keine Möglichkeit, nur monetäre Liquidität in Anspruch zu nehmen und zu bezahlen. Die Geldordnung zwingt sie vielmehr dazu, unter dem Vorwand der Nutzung von "Kapital" jahrelang den Preis für eine Liquidität zu bezahlen, die sie nur extrem kurzfristig in Anspruch nehmen.

Unternehmer und Arbeitnehmer müssen beide immer erst einmal so viel erarbeiten, daß der Kapitalgeber wenigstens seinen Zins (oder den Zinsanteil in seiner Eigenkapitalrendite) bekommt. Die eigentlichen Produzenten können ihre erste Deutsche Mark zur Deckung ihres existentielleren Bedarfs jeweils erst selbst verdienen, wenn sie vorher das erarbeitet haben, was sie dem Kapitalgeber schulden.

Selbst wenn also Unternehmer und Arbeitnehmer ihren kapitalbedingten Streß leid wären, dem sie in ihrem gemeinsamen Boot ausgesetzt sind, und selbst wenn sie sich entschlössen, etwas weniger hektisch, dafür aber menschlicher oder umweltfreundlicher zu arbeiten und zu wirtschaften, sie könnten es nicht. Der Fremdkapitalgeber nämlich ist dank einer Art vorrangiger "Festbetragsbeteiligung" an ihren Produktionsprozeß angeschlossen, so daß für die Produzenten selbst nur eine nachrangige "Restbetragsbeteiligung" übrigbleibt (Termini von Wolfgang Stützel (4)). Je höher die Zinsen sind, desto höher ist dann auch der übermäßige Rentabilitätsdruck, und desto unerbittlicher wirkt der Druck, zunächst einmal die Festbetragsbeteiligung des Kapitalgebers zu erwirtschaften, um darüberhinaus dann noch eine Restbetragsbeteiligung für sich selbst herauszuwirtschaften. (Ob auch die Risikoanfälligkeit des Systems zunimmt, hängt davon ab, wie sehr der Kapitalgeber bereit ist, statt mit Fremdkapital mit Eigenkapital einzusteigen, und je starrer das System der Lohn- und Lohnnebenkosten ist, desto stärker nähert sich auch dieser Anteil einer Festbetragsbeteiligung.)

So halten die wohlhabenderen Kapitalgeber kraft ihrer Entscheidungskompetenzen über Liquiditätsströme die Unternehmer, Arbeiter und Angestellten auf Trab, und am Ende kommen sämtliche Kosten auf mehr oder weniger direkten oder indirekten Wegen auf die Konsumenten zu, also am relativ wenigsten auf die, die durch Dispositionen über periphere Liquidität die Kosten verursachen und den Vorteil aus dem Prozeß ziehen.

Unternehmer und Arbeiter müssen nicht nur sparsam wirtschaften. Dazu sind sie ohnehin motiviert, wenn und solange sie die Folgen von Mißwirtschaft und Faulheit selbst zu tragen haben. Sie müssen vielmehr übermäßig rentabel arbeiten, um nicht nur ihren existentielleren Bedarf zu decken, sondern zuvor das periphere Renditeverlangen von Kapitalgebern zu befriedigen.

 

 

III. Kompetenzverlagerung von der Transaktionskasse zur Anlegerkasse

 

Oben war in verschiedener Hinsicht kritisiert worden, daß die Kompetenzen aus der Liquidität sich mehr und mehr von dar Transaktionskasse auf die Anlegerkasse verlagert haben, und zwar insofern, als der Anleger durch seine Anlegerentscheidung Liquidität dorthin lenkt, wo, grob gesagt, wenigstens der Zins erwirtschaftet werden kann. Dem könnte hier entgegengehalten werden, daß sich auch bei niedrigem Zinssatz jeweils die rentabelsten Investitionsvorhaben durchsetzen, so daß von einer - wie auch immer erzielten - Senkung des Realzinsniveaus kaum Veränderungen in Bezug auf Lenkung und Allokation zu erwarten seien.

Dieser Einwand ist plausibel, wenn und soweit man nur die einzelnen Entscheidungen von Anlegern ins Auge faßt. Er läßt jedoch einen entscheidenden Gesichtspunkt, auf den es hier ankommt, außer Betracht: Je höher die Zinsen, insbesondere je höher der Realzins, desto größer sind die Chancen, daß die Zu- und Abströme und die Bestände bei Anlegern anschwellen, - desto geringer ist also die Chance, daß Konsumenten und Investoren direkt und auf Grund von Eigenliquidität in ihren Transaktionskassen entscheiden, was sie konsumieren und was sie im Hinblick auf ihren monetär unterfütterten Bedarf produzieren wollen. Und umgekehrt: Je niedriger die Zinsen sind, desto mehr Geld bleibt unmittelbar im realwirtschaftlichen Zirkulationsprozeß der Volkswirtschaft. Je mehr Geld aber direkt im Geldkreislauf der Wirtschaft verbleibt, ohne zwischendurch auf der Umwegschleife über den "Anleger" zu laufen, desto mehr entscheiden direkte Konsumentenwünsche und unmittelbare menschliche Bedürfnisse darüber, was nachgefragt, also auch, was produziert wird. Zinsen und Renditen sorgen dafür, daß bei Anlegern eine Art Zwischenkompetenz entsteht, kraft derer der Anleger bestimmen kann, daß nur noch Produkte erzeugt werden, die einer doppelten Bedingung genügen, nämlich

- erstens menschliche Bedürfnisse befriedigen und

- zweitens im Zuge ihrer Produktion und ihres Absatzes für den "Kapitalgeber" ein leistungsloses Einkommen abwerfen.

Man darf freilich die Abhängigkeit der Produzenten-und-Konsumenten von dem Anleger nicht persönlich zuspitzen auf den Anleger, der für das Spiel, das er spielt, nicht verantwortlich ist. Die Abhängigkeit vom Rentabilitätsdiktat des Anlegers ist vielmehr vorprogrammiert im überlieferten System von Liquidität und Kredit. Die Konsumenten-und-Produzenten müssen sich also nicht eigentlich von den Anlegern emanzipieren, sondern Mittel und Wege finden, sich aus ihrer Abhängigkeit vom überlieferten Liquiditätssystem als solchem zu befreien.

 

 

IV. Kapitalismus als Defekt der Marktwirtschaft

 

1. Identität von "Kapitalismus" und "Marktwirtschaft"?

 

Meist wird, wer den "Kapitalismus" kritisiert, auch als Gegner der Marktwirtschaft verdächtigt. Dieser Verdacht bezieht seine uneingeschränkte Plausibilität einerseits daher, daß bisher kaum Unvereinbarkeiten zwischen Kapitalismus und Marktwirtschaft festgestellt werden konnten, und zum anderen daraus, daß die Kritiker des Kapitalismus, von wenigen, kaum beachteten Ausnahmen abgesehen, auch Kritiker der Marktwirtschaft waren und sind. Erst die liquiditätstheoretische Analyse zeigt genau, inwiefern alles das, was man als typisch "kapitalistisch" identifizieren kann, kein konstituierendes Merkmal der Marktwirtschaft ist, sondern, ganz im Gegenteil, zuverlässiges Symptom für einen strukturellen, ordnungspolitischen Mangel im monetären Liquiditäts- und Kreditsystem der Marktwirtschaft.

"Kapitalkosten" sind, liquiditätstheoretisch betrachtet, genau jene Liquidisierungskosten, die beim Kreditnehmer hängenbleiben, wenn er sich mit geliehenem Geld Wirtschaftsgüter besorgt. "Kapitalerträge" sind dementsprechend diejenigen Erträge, die dank der Nutzen-Kosten-Struktur monetärer Liquidität bei der heutigen Vermarktungstechnik von Eigenliquidität erzielt werden können. Weil der Grenznutzen des Geldkapitals den Rentabilitätsstandard auch für den Grenznutzen von Realkapital setzt, färbt die Kapitaleigenschaft des Geldes auf die Sachkapitalien ab und sieht es im übrigen so aus, als sei die Kapitaleigenschaft des Geldes nur eine Folge der Produktivität von Sachkapital.

 

2. Der realwirtschaftliche "Schatten des Geldschleiers"

 

In der monetisierten Wirtschaft kommt man an Güter, die Nutzen stiften, in der Regel nur heran, wenn man sie mittels des Geldes kauft. Wenn man sich aber den Besitz anderer nutzenstiftender Güter nur vermittels des Geldes verschaffen kann, und wenn man Geld nur bekommt, wenn man Zinsverpflichtungen übernimmt, dann diktiert das monetäre System die Bedingungen, denen man sich fügen und bequemen muß, wenn man Güter braucht.

So werden die Eigenschaften des Geldes zu Eigenschaften der Güter, die damit erworben werden. Diese Güter müssen in gleichem Umfang Nutzen stiften, wie das Geld Zinsen bringt, und sie verursachen Kosten, so wie das Geld Zinsen kostet.

So prägt das Mittel "Geld", ohne das die Güter nicht zu haben sind, den Gütern seinen heutigen "kapitalistischen" Stempel auf. Wir kennen es nicht anders. Wir sind das so gewöhnt. Uns fehlt die Erfahrung, daß es auch anders sein könnte. Deshalb fällt es Laien und Fachleuten so schwer, die kapitalistische "Natur" von Sachkapitalien irgendwie anzuzweifeln oder gar als eine abhängige Eigenschaft zu begreifen: nämlich als eine Eigenschaft, die abhängig ist von der Art und Weise, wie eine Wirtschaft mit Liquidität und Kredit versorgt wird.

Vielleicht fehlt uns doch nicht ganz die Erinnerung an eine Zeit, in der die Last der Kapitalkosten, die die Produzenten-und-Konsumenten mit sich herumschleppen mußten, so gering war, daß es noch Vergnügen bereitete, füreinander zu produzieren und einander abzunehmen, was man füreinander produzierte. Vielleicht nämlich liefert die Zeit nach der Währungsreform, die wir als Zeit des "Wirtschaftswunders" erlebt haben, ein Beispiel dafür, daß es einer Wirtschaft verhältnismäßig gut geht, solange die Kapitalkosten, die die Produzenten-und-Konsumenten mitschleppen müssen, verhältnismäßig gering sind. Das heißt nicht, daß das "Wirtschaftswunder" einzig und allein liquiditätstheoretisch zu erklären sei! Aber es ist möglich, daß die relativ geringen Gesamtkapitalkosten eine Rolle gespielt haben. Jedenfalls begann damals die Geldvermögensbildung erst wieder Fuß zu fassen: Jene Geldvermögensbildung, die nicht eigentlich zum Reichtum der Volkswirtschaft, sondern nur zur Vermehrung der inneren Verschuldung der Wirtschaftssubjekte untereinander führt.

Heute dagegen sind wir wieder reich an Geldvermögen, also auch sehr reich an den damit einhergehenden Geldschulden sowie den damit verbundenen Zinszahlungsverpflichtungen; und jede Deutsche Mark, die in Form von Zinsen aus Transaktionskassen in Anlegerkassen fließt, fließt nicht als ausgegebenes Geld von einer Transaktionskasse in die nächste, sondern wird womöglich zunächst einmal in der Anlegerkasse paralysiert. Um das in der Anlegerkasse paralysierte Geld wieder transaktionswirksam zu machen, müssen die betroffenen Produzenten-und-Konsumenten erst wieder neue Zinsverpflichtungen auf sich nehmen. Nur unter dieser Bedingung "emittiert" der Anleger seine Liquidität wieder.

Wenn die liquiditätstheoretische Analyse stimmt und man infolgedessen darüber nachdenkt, wie man die Marktwirtschaft von ihrem kapitalistischen Defekt befreien könnte, dann zeichnet sich jetzt wenigstens schon die Richtung ab, in der die Lösung gesucht werden muß: Es muß eine marktgerechte Technik für die Versorgung der Wirtschaft mit Liquidität und Kredit gefunden werden, bei der weder die Liquidität noch der Kredit dadurch künstlich verteuert werden, daß Liquidisierungskosten beim Kreditnehmer hängenbleiben und als Kredit- bzw. Kapitalkosten zu Buche schlagen, die nicht nur den Produktionsprozeß belasten, sondern schon wegen ihrer Vorwirkungen abschreckend wirken in Bezug auf die Transaktionen von potentiellen Konsumenten und Investoren.

 

3. Fehlinformationen im monetären Nachrichtensystem

 

Betrachtet man das Geld als eine ökonomische Spezialsprache, dann enthält die Übertragung von Geld vielerlei Informationen:

 

- erstens ist der Inhaber einer (valutierten) monetären Anwartschaft berechtigt, ein Wirtschaftsgut mit bestimmtem Tauschwert aus der Volkswirtschaft abzurufen (Kaufkraftnennwert);

- zweitens ist er berechtigt, das Gut jetzt in der Gegenwart in Anspruch zu nehmen, und zwar, indem er mit Hilfe des monetären Jokers an die Märkte herantreten kann und dadurch Transaktionskosten spart (Liquiditätswert);

- drittens wird dem Geldempfänger durch die Opportunitätskosten der Kassehaltung auch noch signalisiert, daß er gut daran tut, sein Geld nicht zu lange in der Kasse zu behalten;

- viertens wird der Kassehalter durch den Nutzenzustrom, der mit dem Geld einhergeht, und durch die Prämie, die bei Vermarktung dieses Nutzenstroms anfällt, darüber informiert und darin bestärkt, daß das Geld gerade nicht nur ein Tauschmittel, sondern auch ein Renditeinstrument ist.

 

Die Information aber, daß das Geld nicht nur Tauschmittel, sondern auch ein Renditeinstrument sei, und zwar ausgerechnet für diejenigen, die keinen Tauschbedarf mehr haben, ist eine Falschinformation. Aber diese Falschinformation kommt gut an. Sie wird befolgt. Ihr sitzen nicht nur die Kassehalter gerne auf, die davon profitieren; auf sie fallen vielmehr auch alle diejenigen Geldtheoretiker herein, die am herkömmlichen System von Liquidität und Kredit nichts auszusetzen haben: Sie alle nennen das Geld zwar "Tauschmittel", aber sie handhaben es auch als Renditeinstrument, als "Kapital".

Die Fehlinformationen im monetären System lassen sich auch so interpretieren: Allen Wirtschaftssubjekten wird durch das Prämierungssystem "Zins" mitgeteilt: "Zukunftspräferenz ist profitabel". Das führt dazu, daß auch solche Wirtschaftssubjekte, die gar keinen Zukunftsbedarf mehr haben (also solche, die schon soviel Geldvermögen besitzen, daß sie es kaum je in der Zukunft verbrauchen können), eine künstliche Zukunftspräferenz ausbilden. Der Idealtyp dieses Wirtschaftssubjektes mit pathologischer Zukunftspräferenz ist "der Kapitalist".

Die Falschinformationen, die mit dem monetären Nachrichtensystem verbunden sind, bewirken:

 

- erstens eine zunehmende innere Verschuldung der Volkswirtschaft aufgrund von künstlich provozierter Zukunftspräferenz und ebenso künstlicher Verteuerung der Gegenwartspräferenz;

- zweitens, daß dringende Gegenwartsbedürfnisse nicht befriedigt werden, weil das System den Aufschub von Nachfrage subventioniert.

 

So verleitet das monetäre System in seiner heutigen Gestalt durch Fehlinformationen den Menschen dazu, ihre wirkliche Gegenwart an eine künstliche, fiktive Zukunft von Geldvermögen (und Geldschulden) zu verkaufen.

Schließlich haben die Fehlinformationen des monetären Systems noch eine verhängnisvolle weitere Täuschung zur Folge: Weil für die zeitweilige Überlassung von Liquidität Zins gezahlt wird, entsteht der Eindruck, als trage jemand, der einen Kredit gewährt, für die Dauer des Kredites mit dem Produktionsfaktor "Kapital" zum Sozialprodukt bei. Es entsteht der Eindruck, als müsse er dafür eine entsprechende, wohlverdiente monetäre Anwartschaft aufs Sozialprodukt bekommen (Faktorentgelt). Tatsächlich aber trägt er nichts bei, sondern gibt nur die von ihm durch Kassehaltung paralysierte Zirkulation wieder frei. Also sind die Anwartschaften aufs Sozialprodukt, die er in Form von Zinszahlungen erhält, letztlich nicht durch eigene Beiträge zum Sozialprodukt valutiert. Aber er weiß das nicht, sondern sieht es anders, und die offizielle Ökonomie bestätigt ihn in seinem Irrtum.