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Inhaltsverzeichnis: Optimale Liquidität

 


 

 

Kapitel aus: Suhr / Godschalk: Optimale Liquidität, Fritz Knapp Verlag, Frankfurt am Main, 1986, ISBN 3-7819-0349-4

 

 

 

§ 2 Liquiditätsnutzen

 

I. "Liquidität"

 

1. Tauschbarkeit von Wirtschaftsobjekten

 

Spätestens seit Aristoteles kennt man bei den Sachen, die die Menschen nutzen, den Unterschied zwischen Gebrauch und Tausch, zwischen Gebrauchswert und Tauschwert. Beim "Gebrauch" wird die Sache selbst als solche genutzt, beim Tausch kommt es eher darauf an, daß die Sache einem anderen nutzt, so daß er sie begehrt und bereit ist, dafür etwas herzugeben, was man selbst verwenden kann.

a) .Zum Tausch aber taugen Gegenstände nur, wenn sie überhaupt tauschbar sind. Ihre Tauschbarkeit für den, der sie gerade besitzt, hängt von vielerlei Faktoren ab: Je mehr der Besitzer einer Sache sie selbst nötig hat oder sonst dazu neigt, sie zu behalten, desto weniger tauschbar ist sie für ihn. Je eher er sie entbehren kann, etwa, weil er genug davon hat, desto eher ist sie für ihn tauschbar. Je weniger er jemanden findet, der die Sache verwenden kann, desto schwerer wird es für ihn, sie in Tausch zu geben. Auch faktische Unbeweglichkeit eines Gegenstandes oder gesetzliche Veräußerungs- oder Erwerbsverbote können Gegenstände um ihre Tauschbarkeit bringen.

b) Die Tauschbarkeit als solche ähnelt der Brauchbarkeit einer Sache, nämlich insofern, als die Chancen der Tauschbarkeit ihrem Besitzer zugutekommen, solange er die Sache noch besitzt, und verschwinden, sobald er sie weggibt oder verliert. Die Tauschbarkeit einer Sache unterscheidet sich jedoch von ihrer Brauchbarkeit (im Sinne des klassischen Gebrauchswertes), weil die Tauschbarkeit, anders als die Nützlichkeit der Sache für den eigenen Gebrauch, in erster Linie davon abhängt, wie sehr und wie viele andere Menschen sie brauchen können.

c) Insofern ist die Tauschbarkeit auch mit dem Tauschwert von Gegenständen verwandt, aber auch mit ihm ist sie nicht identisch; denn in dem Augenblick, in dem der Besitzer einer Sache den Tauschwert durch Tausch realisiert, verliert er sowohl ihren Gebrauchswert als auch ihre Tauschbarkeit. Mit dem Tausch wird die Tauschbarkeit verbraucht. Die Tauschbarkeit einer Sache ist also vergleichbar mit den Möglichkeiten und Chancen, die beim Kartenspiel eine gute Karte bietet, solange man sie noch in der Hand hat.

Außer ihrem klassischen Gebrauchswert und ihrem ebenso klassischen Tauschwert besitzen Wirtschaftsgüter also noch eine Eigenschaft, die gewissermaßen an der Grenze zwischen Gebrauchswert und Tauschwert angesiedelt ist: Brauchbarkeit zum Tausch, Tauschbarkeit, "Tauschbarkeitswert". Die Nützlichkeit von tauschbaren Gegenständen besteht in der Tauschbereitschaft, die sie ihrem Besitzer vermitteln.

d) In der Fachsprache wird das, was hier als "Tauschbarkeit" beschrieben worden ist, spätestens seit John Maynard Keynes als Liquidität bezeichnet: Wirtschaftsgüter haben verschiedene Grade von Liquidität, und das Geld ist im idealtypischen Falle das Wirtschaftsgut mit perfekter Liquidität. Es ist jedoch zweckmäßig, sich die Eigenschaft, um die es geht, anschaulich als Tauschbarkeit oder Tauschbereitschaft vorzustellen und in einer Reihe mit den klassischen Funktionen von Gegenständen zum Gebrauch und zum Tausch zu nennen, um deutlich zu machen, daß man es mit einer spezifischen, dritten Eigenschaft zu tun hat, die für die tatsächliche Abwicklung von ökonomischen Transaktionen so wichtig ist, daß sie einer besonderen liquiditätstheoretischen Untersuchung wert ist. So ergeben die vorstehenden Überlegungen zur Tauschbarkeit oder Liquidität von Wirtschaftsgütern, daß man auch und gerade beim Geld, das eines klassischen "Gebrauchswertes" entbehrt, sehr genau unterscheiden muß zwischen den beiden verbleibenden Werten des Geldes, nämlich seinem Tauschwert (Nennwert) einerseits und seinem Liquiditätswert andererseits.

 

 

2. Die Liquidität der im Geld verkörperten Tauschkraft

 

Tauschbare Wirtschaftsobjekte haben einen "Tauschwert". Insbesondere das Geld als auf den Tausch hin spezialisiertes Tauschobjekt besitzt Tauschwert in Höhe seines Nennwertes. Aber der im Geld verkörperte Tauschwert unterscheidet sich von dem, den andere Wirtschaftsobjekte repräsentieren, durch den hohen Grad seiner Liquidität: durch seine allseitige, jederzeitige und ubiquitäre Tauschbarkeit im Sinne von Liquidität.

Geld ist also Tauschwert zuzüglich perfektionierter Liquidität. Also ist Geld für seinen Besitzer auch mehr wert als der bloße Tauschwert-Nennbetrag, den das Geld verkörpert: Geld ist um die Vorteile seiner besonderen Liquidität mehr wert (1), als es seinem Nennbetrags nach scheint.

Wie tauschbare Gegenstände in einer Tauschwirtschaft Tauschbereitschaft verschaffen, so vermittelt in der monetisierten Wirtschaft das Geld Transaktionsbereitschaft, und zwar letztlich nicht kraft der im Geld verbrieften Kaufkraft, sondern dank seiner Liquidität. Gerade der Blick auf die Tauschwirtschaft und der Vergleich der darin ausgetauschten Objekte zeigt, daß die Tauschbereitschaft nicht aus dem Besitz von wertvollen Wirtschaftsobjekten (allein) herrührt, sondern aus der Eignung dieser Objekte zum Tausch. So ist es auch beim Geld: Die Transaktionsbereitschaft hängt nicht (nur) davon ab, daß man etwas anzubieten hat, was andere wertschätzen, sondern von der Liquidität dessen, was man anbietet.

Es kommt also, konkret gesprochen, für die Transaktionsbereitschaft nicht darauf an, daß man Äpfel oder Edelsteine, Kartoffeln oder Maschinen, Risikobereitschaft oder Dienstleistungen, Kunstwerke oder Arbeitskraft bietet, sondern wirtschaftlichen Wert in liquider Form: Geld. In die Reihe der konkreten Leistungen, die als solche nicht ohne weiteres Transaktionsbereitschaft vermitteln, gehören auch alle Leistungen "per Termin", also solche, die von ihren Abnehmern nicht schon heute, sondern für die Zukunft gewünscht, und die von ihren Bietern daher auch per Zukunftstermin angeboten werden müssen, wenn Angebot und Bedarf einander treffen sollen. Man darf insbesondere nicht ohne weiteres davon ausgehen, daß Leistungen per Termin weniger begehrt sind als Leistungen heute (Gegenwartspräferenz). Vielmehr muß man sich dafür offenhalten, daß es mit dem Liquidisierungsproblem in einer monetisierten Wirtschaft zusammenhängen könnte, daß man heute für den Aufschub einer Nachfrage in die Zukunft mit Zinserträgen prämiert und für die Liquidisierung einer zukünftigen Leistung mit Zinskosten gewissermaßen bestraft wird.

Auch in einer (hypothetischen) Tauschwirtschaft fragen einige Wirtschaftssubjekte Leistungen per Termin nach und bieten dafür Leistung heute, während zugleich andere Leistung heute nachfragen und per Termin bieten. Je nachdem, ob die Nachfrage nach Leistung per Termin oder die Nachfrage nach Leistung in der Gegenwart überwiegt, ergibt sich dann eine höhere oder niedrigere Einschätzung der zukünftigen oder der gegenwärtigen Leistung. Unterstellt, die Einführung von Geld in die Tauschwirtschaft wirke "neutral" in Bezug auf die Preisbildung, dann ist zu erwarten, daß sich das Marktgleichgewicht bei Termingeschäften über die Preise als solche reguliert, nicht ohne weiteres über Bestandhaltepreise und Bestandhaltekosten (Zinsen, Diskontierungsvorteile und Diskontierungsnachteile), die ganz offenbar wenig mit den ausgetauschten Leistungen, aber sehr viel mit Eigenschaften des Geldes zu tun haben.

Nach unseren Alltagsvorstellungen allerdings sind die Zinsen nicht so sehr "Preis für Liquidität", als vielmehr die Kosten für die Verlegung der Nachfrage nach einem Investitions- oder Konsumgut aus der Zukunft in die Gegenwart. Diese Alltagsvorstellung wird auch durch die millionenfache tägliche Erfahrung und Buchungspraxis scheinbar bestätigt. Sie kann aber, und um diese Denkmöglichkeit geht es hier, auf einer Täuschung beruhen, die ihrerseits auf Effekte eines gerade nicht "neutralen" Geldes zurückzuführen ist und in diesem Falle umso dringender liquiditätstheoretisch "hinterfragt" werden muß.

Daß nur tauschen kann, wer etwas zu tauschen hat, daß also im Tausch schon begrifflich das eigene Tauschobjekt mit seinem Tauschwert vorausgesetzt wird, versteht sich von selbst. Entscheidend aber ist, daß das betroffene Tauschobjekt auch hinreichend liquide ist. Auch wer über wertvolle Tauschgegenstände verfügt, muß, bevor er kaufen kann, eine Liquidisierungsschwelle überwinden: Er muß seine noch nicht hinreichend liquiden Tauschgegenstände in liquide Kaufkraft umsetzen, sei es, indem er seine wertvollen Gegenstände verkauft, sei es, indem er sie verpfändet, um Sicherheiten zu schaffen für die zukünftige Leistung, die er im Tausch gegen gegenwärtige Leistung bietet.

 

 

 

3. Kassenbestand und Strom von Opportunitätsnutzen

 

Bei "Kassehaltung" denkt man - jedenfalls innerhalb geldtheoretischer Überlegungen - zunächst an den Bestand in der Kasse (stock), nicht an einen Strom von Liquiditätsvorteilen oder gar Liquiditätskosten (flow).

Tatsächlich jedoch ist die monetäre Liquidität des Geldes - anders als die im Geld verkörperte Kaufkraft - eine Eigenschaft "im Ablaufe der Zeit": Man muß "Kasse halten" im Sinne eines in der Zeit andauernden Vorganges, um die Möglichkeiten und Chancen nutzen zu können, die sich in Gestalt des Opportunitätsnutzens von monetärer Liquidität bieten. Man muß gewissermaßen die Zeitpunkte auf sich zukommen und vorbeiziehen lassen, in denen sich die Chancen und Möglichkeiten bieten, die man wahrnehmen möchte oder in denen sich die Risiken realisieren, auf die man schnell mit Zahlungen reagieren muß.

Dementsprechend muß der Liquiditätsnutzen als "Nutzen pro Zeit" begriffen werden. Es handelt sich um "Bestandhaltevorteile", für die dann auch ein "Bestandhaltepreis“ gezahlt werden muß, nämlich in Gestalt des Zinses, wenn man sich die Annehmlichkeiten der Liquidität von jemand anderem für eine gewisse Zeit borgt. Die Kaufkraft dagegen, die im Geld verkörpert ist, ist absolute Kaufkraft, nicht "Kaufkraft pro Zeiteinheit".

Man hat es also bei der Kaufkraft einerseits, die im Geld verkörpert ist, und bei der monetären Liquidität andererseits, kraft derer die Kaufkraft im Geld überhaupt erst zu Geld wird, mit Größen zu tun, die in verschiedenen Maßeinheiten gemessen werden: z.B. "DM" für die Kaufkraft, und "DM/Zeiteinheit" für die Liquidität und ihren Nutzen. Kaufkraft und Liquidität unterscheiden sich insofern wie Wegstrecke und Geschwindigkeit, wie "km" und "km/h".

Dieser Unterschied der Maßgrößen wurde schon vorausgesetzt, als ganz zu Beginn, bei der Erläuterung des liquiditätstheoretischen Ansatzes, die Rede war von den "Nutzen- und Kostenströmen", die mit Kassehaltung verbunden sind. Insofern handelt es sich bei der Erkenntnis, daß die spezifische Liquidität der im Geld verbrieften Kaufkraft als Stromgröße begriffen werden muß, um einen Kernpunkt der liquiditätstheoretischen Analyse überhaupt. Der gesamte direkte und abgeleitete Bestandhaltenutzen, der mit Liquidität und Geldanlagen zusammenhängt, beruht auf dem "Nutzen pro Zeiteinheit", den die monetäre Liquidität vermittelt. So führt auch die Spur von Sachkapitalrenditen letzten Endes zu diesem Kernpunkt der Liquidität als des generalisierten Mediums für Transaktionsbereitschaft hin.

 

 

4. Neigung zur Liquidität und Neigung zur 'Geldanlage'

 

Der Opportunitätsnutzen monetärer Liquidität kann grundsätzlich auf zweierlei Art genutzt werden: Entweder der Geldbesitzer hält selbst Kasse. Dann nutzt er die Möglichkeit und Chancen seiner Liquidität als solche: "in Natur". Oder er selbst hat für diese Möglichkeiten und Chancen als solche gar keine sinnvollen Verwendungsmöglichkeiten, weil er weder Güter kaufen, noch spekulieren, noch aus Vorsichtsgründen Kasse halten will. In diesem Falle ist Sein Transaktionsbedarf so gering, daß er keine Transaktionen mehr durchführen will: Sein Transaktionsbedarf schwindet so weit, daß seine "Neigung zur Transaktionsliquidität" anderen Neigungen Platz macht. Hat der Kassehalter seine Liquidität in dem soeben beschriebenen Sinne übrig, dann bietet sich ihm nämlich immer noch die Möglichkeit, die Tauschbarkeitsvorteile seiner Liquidität als solche Jemand anderem zur Verfügung zu stellen, der noch Transaktionsbedarf hat und daher bereit ist, für die zeitweilige Überlassung monetärer Liquidität einen Preis zu zahlen.

Beim Geldverleih also wird der Liquiditätsnutzen des Geldes vermarktet. Deshalb sollte man eigentlich nicht von "Geldverleih" sprechen; denn die "Leihe" ist an sich diejenige juristische Figur, die die kostenlose Überlassung einer Sache bezeichnet. Die Liquidität des Geldes wird jedoch gerade nicht kostenlos zur Verfügung gestellt, sondern gegen Zins. Statt "Geldverleih" müßte es also treffender heißen "Verpachtung der Tauschbarkeit von Geld" oder "Verpachtung des Nutzens monetärer Liquidität".

Der Substanzwert verbleibt beim Geldverleih in Gestalt des Rückzahlungsanspruches aus dem Darlehen beim Kreditgeber, und zwar deutlich sichtbar als Aktivum in seinen Büchern. So wie der Verpächter Eigentümer der Pachtsache, so bleibt der Geldverleiher Inhaber des Vermögenswertes, den das verliehene Geld darstellte, den der Verleiher z.B. in Form von Schuldscheinen in seinem Geldschrank aufbewahrt und den er sich bei einem zweifelhaften Schuldner noch durch Pfänder oder Bürgschaften zu sichern pflegt. Wird Geld verliehen, so findet hinsichtlich der Bestandsgrößen beim Verleiher nur ein Aktivtausch statt, und beim Entleiher wird der Geldzustrom sofort kompensiert durch die Belastung mit der Rückzahlungsschuld. Die Summen der beiden Bestände bleiben also zunächst gleich. Was sich ändert, sind nur die Ströme: Beim Verleiher tritt an die Stelle des Liquiditätsnutzens, den er nur "in Natur" genoß und der in dieser Gestalt nicht in seinen Büchern erschien, der Zinszustrom, und beim Entleiher setzt der Zinsabstrom ein. Die Tilgungsvorgänge sind dann wieder, wie die Darlehensvergabe, neutral in Bezug auf die Bestände.

 

 

 

II. Jokertheorie der monetären Liquidität

 

Wie läßt sich der spezifische Nutzen der Liquidität theoretisch möglichst scharf erfassen und abbilden? Wahrscheinlich liefert die allgemeine Theorie der Spiele (2) den angemessensten theoretischen Rahmen, um die Struktur der Sache, um die es geht, so abbildungsscharf wie möglich in formalere Modelle zu übertragen. Dabei geht es nicht so sehr um diejenigen Teile der Spieltheorie, die es vorwiegend mit Strategie und Taktik von Spielern in Nullsummen- und anderen Spielen zu tun haben (Spielerperspektive), sondern um die Ansätze der Spieltheorie, die sich mit Spielen insgesamt und ihren Spielregeln befassen (Perspektive der Spiele und der Spielverfassungen). Ergänzt man dann die spieltheoretischen Instrumente noch um systemtheoretische Erkenntnisse (über lebensnotwendige negative und selbstzerstörerische positive Rückkopplungszusammenhänge) im Prämierungs- und Strafensystem des Spiels, darf erwartet werden, daß man einigermaßen zufriedenstellende Einsichten in die Auswirkungen von Spielregeln des monetären Teilsystems auf das sozio-ökonomische Gesamtsystem gewinnt. Ein solches Programm aber sprengt die Möglichkeiten, die hier für die Analyse und Rekonstruktion zur Verfügung stehen. Immerhin kann umgangssprachlich angedeutet werden, in welcher Richtung mit spieltheoretischen Fragen angesetzt und zu strengeren Untersuchungen fortgeschritten werden könnte.

 

 

1. Geld als monetärer Joker unter den Tauschobjekten

 

Das Geld ist unter den Tauschobjekten, was der Joker ist unter den Karten in einem Kartenspiel, in dem der Joker für jede andere Karte eingesetzt werden kann. Es ist das für Transaktionszwecke spezialisierte und generalisierte Medium. Für bestimmte Arbeitsleistungen, Waren, Risikobereitschaften oder sonstige Güter braucht man als Anbieter jeweils Abnehmer, die genau das brauchen, was man bietet. Wer jedoch Geld in der Hand hat, hat, wie ein Spieler mit dem Joker, größere Wahl- und Entscheidungsfreiheiten. Der monetäre Joker verschafft Entscheidungsfreiheiten in der Sachdimension, in der Zeitdimension, in der Raumdimension und vor allem in der Sozialdimension ökonomischen Verhaltens. Was er bietet, kann jedermann gebrauchen, also kann er es auch gegenüber jedermann, zu jeder Zeit und an jedem Ort für jede Sache einsetzen. So gesehen besteht der Opportunitätsnutzen monetärer Liquidität in Spielvorteilen, so daß hier auch von "Opportunitätsvorteilen" die Rede sein darf.

Wer Geld hat, der also kann im Wirtschaftsspiel den Joker ausspielen; und wenn er keine Lust mehr hat, das übliche Spiel von Produktion, Transaktion und Konsum mitzuspielen, etwa, weil er die Anstrengungen, die mit wirtschaftlicher Leistung verbunden sind, scheut, andererseits aber genügend Vermögen besitzt, um nicht zu verhungern, dann kann er sich aus dem Spiel weitgehend zurückziehen und sich das Vergnügen bereiten, den anderen Spielern seine überzähligen Joker anzubieten, weil diese anderen Spieler ihr Spiel (das ökonomischer Ernst ist) ohne monetäre Joker nur mit zusätzlichen Informationskosten weiterspielen können und daher bereit sind, für monetäre Liquidität Zins zu zahlen.

 

 

 

2. Chancengleichheit bei Tausch und Kauf

 

a) In der Tauschwirtschaft haben beide Tauschpartner typischerweise die gleichen Schwierigkeiten, einander zum Tausch zu finden. Hinzu kommen Schwierigkeiten bei der Taxierung der Tauschgegenstände. Aber diese Taxierungsschwierigkeiten sollen hier einmal außer Betracht bleiben, weil es nicht so sehr um Probleme des Kaufkraft-Messens, sondern um Fragen der Abwicklung von Transaktionen mit Hilfe der Liquidität von monetär verkörperter Kaufkraft geht. Die jeweiligen Informationskosten von Tauschpartnern und damit auch ihre Transaktionskosten sind von gleicher Struktur und Größe. Also sind auch die Chancen dafür, einen guten, einen schlechten oder überhaupt einen Tausch zu machen, unter die Partner gleichmäßig verteilt. Insofern ist das Tauschspiel symmetrisch. Es ist ein faires Spiel.

Dabei wird hier, wo es um die allgemeine Tauschgleichheit und ums Geld geht, vernachlässigt, daß sich Asymmetrien insbesondere daraus ergeben können, daß die Ausgangsausstattung der Spieler mit knappen, nicht vermehrbaren Gütern oder persönlichen Ressourcen unterschiedlich ist.

Wird Geld in die soeben erwogene Tauschwirtschaft eingeführt, so erleichtert das die Transaktionen. Nach Erkenntnissen der Geldtheorie werden Informationskosten und Transaktionskosten eingespart. Bei diesen Einsichten wird jetzt angeknüpft, auch wenn wiederum ein Vorbehalt angebracht ist: Bei den einschlägigen geldtheoretischen Überlegungen. wird stets stillschweigend angenommen, daß die betroffenen Wirtschaftssubjekte bereits über Geld verfügen, und es wird außer Betracht gelassen, daß neue Kosten anfallen, wenn und soweit Wirtschaftssubjekte sich für Transaktionszwecke Liquidität erst beschaffen müssen. Es wird nicht bedacht, welche Kosten es für die Wirtschaftssubjekte mit sich bringt, wenn sie sich in jenen schönen Zustand monetärer Transaktionsbereitschaft versetzen wollen, den die Geldtheoretiker zugrundelegen und von dem aus dann in der Tat Transaktionskosten und Informationskosten eingespart werden. Hier aber geht es noch nicht um solche Kosten, die mit der Beschaffung von Liquidität verbunden sind, sondern um die spezifischen sachlichen Eigenschaften und Wirkungen eben des Geldes, von dem vorbehaltlos angenommen wird, es erspare Informations- und Transaktionskosten. Wir dürfen also noch irrealerweise annehmen, das Geld gelange aus dem Friedmanschen Hubschrauber unter die Leute.

Dann bleibt immer noch die Frage, ob das Geld allen Beteiligten in gleichem Umfange Nutzen durch ersparte Informationskosten bringt: Wenn nämlich die Tauschpartner, die in der Tauschwirtschaft ein symmetrisches Spiel spielen, nach Einführung des Geldes in andere, verschiedene Rollen als Verkäufer und Käufer schlüpfen, taucht die Frage auf, ob, wie vorher der Tausch, nachher auch der Kauf ein symmetrisches, also faires Spiel darstellt.

b) Wer also kommt in den Genuß der Opportunitätsvorteile von Liquidität und in welchem Umfang: der Verkäufer oder der Käufer? Und falls sich Asymmetrien bei einem einzelnen Kauf ergeben, fragt sich weiter: Wie sind die Liquiditätsvorteile verteilt, wenn man nicht nur einen Verkauf (der gleichzeitig Kauf für einen anderen ist) betrachtet, sondern das Doppelgeschäft aus Verkauf (Gut gegen Geld) und nachfolgendem Kauf (Geld gegen Gut), das ein Wirtschaftssubjekt abwickeln muß, wenn es so weit kommen will wie bei einem Direkttausch, nämlich in den Besitz eines begehrten Gutes?

Angenommen, jeder Teilnehmer des bisherigen Tauschsystems erhält einen gleichen Geldbetrag (Kopfgeld) als Ausgangsausstattung für den Übergang zur monetisierten Wirtschaft. Dann beginnt das Spiel als Fortsetzung des bisherigen Tauschspiels: Jeder produziert, um nicht nur für sich sondern auch für andere etwas zu schaffen, wofür er dann von den anderen auch etwas für sich eintauschen kann.

Jeder also erwartet auf Grund der bisherigen Gepflogenheiten, die jetzt durch Geld nur modifiziert werden, daß der andere etwas produziert und verkauft, um selbst etwas kaufen zu können. Und jeder, der etwas kauft, sorgt zugleich dafür, daß der jeweilige Verkäufer etwas verkaufen und sich dann etwas kaufen kann, also in seinen Erwartungen nicht enttäuscht wird.

Geht man von symmetrischen Ausgangsbedingungen aus, wie sie durch die Kopfgeldannahme hergestellt werden, so kann zwar nach dem Übergang zur Geldwirtschaft jeder sowohl als Käufer als auch als Verkäufer auftreten. Ob aber beide Rollen gleich vorteilhaft sind, ist noch offen, auch, welches Rollenverhalten und damit welche Auswirkungen nach Einführung des Geldes zu erwarten sind.

c) Um die Spielchancen des Käufers und des Verkäufers zu vergleichen, muß man untersuchen, wie sie jeweils von der Einführung des Geldes profitieren. Dabei wird unterstellt, daß die Erleichterungen, die durch die Einführung der Währung als Maßsystem eintreten, beiden gleichermaßen zugutekommen. Es geht wiederum nur um die Auswirkungen des Geldes auf die Transaktionsbereitschaft der Wirtschaftssubjekte.

Der Käufer hat ein doppeltes Problem: Er muß, wie bisher, einen Partner finden, der das bietet, was er sucht und kaufen will. Der Käufer muß außerdem, wie bisher, jemanden finden, der nicht nur das hat, was der Käufer kaufen will, sondern auch das braucht, was der Käufer dafür bietet. Der Käufer bietet Geld: das generalisierte Tauschmittel. Dieses Geld kann jedermann gebrauchen; denn man kann damit bei jedermann zahlen. Also kann der Käufer sein bisheriges Problem, einen bereitwilligen Abnehmer für sein Angebot zu finden, praktisch vergessen. Sein Geld kann jedermann gebrauchen und ist daher allgemein gesucht. Genau darin liegt der Hauptanteil der Aufwandsersparnis, den der Käufer von der Einführung des Geldes hat: Er muß nur noch jemanden finden, der bietet, was er kaufen will. Dann kann der Käufer ohne weiteres davon ausgehen, daß sein potentieller Verkäufer das Geld, das er als Käufer bietet, auch brauchen kann, nachfragt und im Tausch (als Verkäufer) annimmt.

Auch der Verkäufer hat wie bisher beim Tausch ein doppeltes Problem: Er muß einen Partner finden, der das braucht, was er bietet und verkaufen will. Und er muß außerdem jemanden finden, der das hat und bietet, was er als Verkäufer braucht, nachfragt und erhalten will: das generalisierte Tauschmittel "Geld". Und hier zeigt sich eine Ungleichheit der Rollen von Käufer und Verkäufer im Hinblick darauf, welchen Nutzen sie aus der Einführung von Geld haben: Zwar ist das Geld das generalisierte Tauschmittel, das jeder, also sowohl Käufer als auch Verkäufer, braucht und verwendet. Aber während der Käufer zuverlässig erwarten kann, daß jeder für ihn in Betracht kommende potentielle Verkäufer das Geld gebrauchen kann, das er als Käufer bietet, kann der Verkäufer gerade nicht zuverlässig erwarten, daß jeder für ihn in Betracht kommende potentielle Abnehmer seines Angebotes auch schon liquide ist, also über Geld verfügt.

Und selbst wenn, gemäß den Ausgangsbedingungen beim Übergang zur Geldwirtschaft, jedermann über Geld verfügt, bleibt eine entscheidende Frage: Während der Käufer zuverlässig erwarten kann, daß sein potentieller Verkäufer Geld sucht und akzeptiert, kann der Verkäufer nicht ebenso zuverlässig erwarten, daß sein potentieller Käufer, selbst wenn er über Geld verfügt, auch geneigt ist, sein Geld auszugeben. Weil nämlich Geld die Opportunitätsvorteile der Liquidität bietet, steht jeder potentielle Käufer vor der Frage, ob er wirklich kaufen soll, was er kaufen wollte, oder ob nicht die Opportunitätsvorteile des Geldes, das er besitzt, mehr Vergnügen bereiten als der Nutzen des Gegenstandes, den zu kaufen er in Betracht zog. Während also der Käufer durchweg damit rechnen kann, daß der potentielle Verkäufer sein Geld unbedingt haben will, bekommt der Verkäufer es mit der Schwierigkeit zu tun, daß sein potentieller Käufer vom Kauf der Sache womöglich absieht, weil seine "Neigung zur Liquidität" überwiegt (oder weil er Möglichkeiten sieht, seine Liquidität als solche zu vermarkten, und die daraus erwirtschaftbaren Erträge höher schätzt als den Nutzen der Kaufsache und als Liquidität in der Kasse). Es stehen einander gegenüber: gewisse Geldnachfrage und ungewisses Geldangebot.

d) Vergleicht man jetzt die Rollen, so ergibt sich: Der Aufwand, einen Interessenten für das zu finden, was man als Verkäufer bietet, kann ungefähr äquivalent erachtet werden dem Aufwand beim Käufer, einen Anbieter für das zu finden, was er sucht. Insofern haben beide etwa gleichen Suchaufwand. Während es aber verhältnismäßig leicht für den Käufer ist, einen geeigneten Verkäufer zu finden, der Geld unbedingt nachfragt, hat der Verkäufer mit der zusätzlichen Schwierigkeit zu kämpfen, einen Abnehmer zu finden, der erstens Geld hat und der zweitens bereit ist, trotz der Neigung zur Liquidität und trotz der Verlockungen ihrer Vermarktung sein Geld für die Kaufsache auszugeben. So bietet die Käuferrolle Vorteile gegenüber der Verkäuferrolle. Der Kauf ist wegen der Liquiditätseigenschaften des Geldes kein symmetrisches Spiel.

Der Verkäufer muß gewissermaßen den Käufer dazu überreden, nicht nur Kaufkraft zu einem bestimmten Wert, sondern obendrein Liquidität zu opfern. Die Liquidität des Geldes ist eine Art Zugabe oder Aufgeld zum Nennwert des Geldes, das als Kaufpreis bezahlt wird.

Ein Käufer wird zur Aufgabe seiner Liquidität und damit zum Abschluß eines Kaufvertrages umso weniger geneigt sein, je weniger er auf das Angebot des Verkäufers angewiesen ist, insbesondere also, je wohlhabender er ist und seine Bedürfnisse schon weitgehend befriedigt hat. Desto eher also wird er geneigt sein, die Transaktionshoffnungen des Verkäufers zu enttäuschen. Umgekehrt ist der Verkäufer umso dringender auf Durchführung seiner geplanten Verkaufs-Transaktion angewiesen, je dringender er Geld braucht, um seine Bedürfnisse zu befriedigen; also je ärmer er ist. Die Asymmetrien in den Rollen von Verkäufer und Käufer, nämlich die Spielvorteile des Käufers und die Spielnachteile des Verkäufers, wachsen also an in dem Maße, wie typische Verkäufer noch existenziellen Bedarf haben und typische Käufer ihre Bedürfnisse weitgehend gedeckt haben. Je stärker eine Gesellschaft in ärmere Anbieter und reichere Anleger zerfällt, desto nachhaltiger werden die Transaktionserwartungen der Anbieter enttäuscht, desto stärker wirkt sich die unfaire Struktur das Verkäufer-Käufer-Spiels aus.

Ein Wirtschaftssubjekt, das noch Bedürfnisse hat und dafür Leistung erbringt, profitiert von der Jokerfunktion des Geldes genau in dem Umfang, wie es das Geld verwendet, um seine Transaktionen abzuwickeln, die es zu den Gütern hinführen, mit denen es seine Bedürfnisse befriedigen kann. Ein wohlhabendes Wirtschaftssubjekt dagegen steht unter weniger Druck seiner Bedürfnisse. Es kommt alsbald an den Punkt, von dem an es mehr Gefallen findet an den direkten oder indirekten Vorteilen der Liquidität als am weiteren Geldausgeben.

Wohlhabendere Wirtschaftssubjekte also, die ihr Geld nicht ausgeben, sondern bereithalten oder anlegen, kommen in den Genuß der isolierten Opportunitätsvorteile von Liquidität immer gerade dann, wenn sie selbst keine Transaktionen mehr durchführen wollen und deshalb für die im Geld verkörperte Transaktionsbereitschaft keine Verwendung mehr haben. Dann verhält sich der Spieler, der hier zunächst in der Rolle des potentiellen Käufers ins Blickfeld kam, gar nicht mehr als Käufer, sondern als Kassehalter oder als Anleger. Das Geld, das in der Wirtschaft eingeführt wurde, um Informationskosten und Transaktionskosten bei den Produzenten und Konsumenten zu senken, wird jetzt von Anlegern, die gar keine Transaktionen durchführen, als Renditeinstrument genutzt und verursacht dabei Kosten für die anderen, denen es Kosten ersparen sollte.

e) Die Einführung von Geld bringt mithin nicht nur die Rollen des Käufers und Verkäufers, sondern insbesondere auch die Rolle des Anlegers von Geld in die Wirtschaft hinein. Potentielle Käufer haben jetzt die Chance und Möglichkeit, aus dem bisherigen Spiel von Produktion, Transaktion und Konsum auszuscheren, auf Transaktion und Konsum zu verzichten und aus der Vermarktung der Opportunitätsvorteile von Liquidität Kapital zu schlagen. Die spezifischen Vorteile aus der Liquidität, die über deren Vermarktung in Gestalt von Renditen erwirtschaftet werden können, haben also damit zu tun, daß das Transaktionsmedium Geld gar nicht mehr zu Transaktionszwecken, andern zu "Anlagezwecken" verwendet wird.

In einer monetisierten Wirtschaft haben potentielle Käufer die Möglichkeit, keine konkrete Leistung selbst vom Markt abzurufen und zu bezahlen, sondern den Transaktionsbedarf anderer und damit auch deren Liquiditätsbedarf auszunutzen durch Vermarktung der Vorteile ihrer eigenen Liquidität. Diese Möglichkeit aber, selbst keine Leistung für das Geld abzurufen, das man von anderen für den Abruf einer Leistung erhalten hat, ist zugleich eine Art Abnahmeverzug gegenüber einem potentiellen Verkäufer: In der Tauschwirtschaft wurde Zug um Zug getauscht. Auch "Investitionsgüter" mußten ertauscht werden und erzielten dabei einen entsprechenden "Preis". Jetzt wird in einem gestuften Transaktionsverfahren verkauft und gekauft, um ans Ziel zu kommen. Fällt in diesem Zwei-Phasen-Transaktionsverfahren die zweite Phase aus, weil ein ehemaliger Verkäufer, der Geld erhalten hat, nicht als Käufer auftritt, dann kommt irgend ein anderer Verkäufer nicht voran, weil er nicht einmal in die erste Phase des Transaktionsverfahrens einsteigen kann.

f) So gesehen ist, wer Geld, das er erhalten hat, nicht ausgibt, gemessen an den Transaktionserwartungen der Spieler, eine Art Spielverderber. Indem er die zweite Phase des gestuften Transaktionsverfahrens sabotiert, stört er das Spiel. Er könnte sich eigentlich nur aus der Affäre ziehen, indem er einen Ersatzmann beschafft, der für ihn einspringt und als Käufer auftritt.

Tatsächlich sucht der Geldanleger auch so eine Art Ersatzmann, wenn er seine Liquidität vermarktet: Er sucht jemanden, der heute liquide sein will, um heute Nachfrage zu tätigen. Aber der Ersatzmann ist kein vollgültiger Ersatzmann, denn er muß an den "Spielverderber" Zinsen zahlen, hat also Transaktionskosten, die der "Spielverderber", wenn er selbst weiterspielt, nicht hat. Kosten aber bremsen den Unternehmens- und Transaktionsgeist: Der Ersatzmann, der für den "Spielverderber" einspringen soll, kann also auf die von ihm geplante Transaktion nur "mit angezogener Kostenbremse" zufahren. Ein vollgültiger Ersatzmann, der für den Anleger die Rolle des Käufers übernehmen könnte, müßte zu gleich günstigen Bedingungen kaufen können wie der Anleger.

Alles in allem: Monetäre Liquidität bringt dank der Jokereigenschaften des Geldes Opportunitätsvorteile mit sich, die zu asymmetrischen Strukturen in den Transaktionsverfahren der Marktwirtschaft führen und Kassehaltern Entscheidungskompetenzen in die Hand spielen, die es ihnen ermöglichen, als Spielverderber im Spiel der monetisierten Marktwirtschaft aufzutreten. Die Situation gleicht der des Gefangenen-Dilemmas: Aus Verletzung der Spielregeln zieht der Spielverderber zu Lasten anderer einen Gewinn und vermindert damit (vermutlich) den Nutzen, den die Spieler insgesamt haben würden, hielten sie sich alle an die Regeln.

 

 

 

III. Vorbehalte zur Jokertheorie der monetären Liquidität

 

1. Münzen und Banknoten als dingliche Residuen des Warengeldes

 

So suggestiv und lehrreich die Deutung des Geldes als monetärer Joker auch sein mag: Sie ist letztlich zu "dinglich" und im Hinblick auf Probleme moderner Meß-, Liquiditäts- und Verrechnungssysteme wohl schon im Augenblick ihrer Formulierung veraltet. Sie knüpft nämlich an bei den Banknoten und Münzen, die sich zwar recht gut mit Spielkarten vergleichen lassen, die aber selbst noch sehr nah verwandt sind mit dem Warengeld. In dieser Nähe zu überlieferten und gewohnten Erscheinungsformen von Liquidität liegt die didaktische Stärke der Jokertheorie monetärer Liquidität, aber auch ihre theoretische Schwäche und begrenzte Ergiebigkeit. In modernen Zahlungsverkehrssystemen fungieren immer weniger die Wirtschaftssubjekte als diejenigen, die Kaufkraft durch Übereignung von Papier- und Metallstückchen gleich selbst verrechnen.

Die Kaufkrafttransfers werden nicht mehr vergleichbar dem Austausch von Spielkarten vollzogen und verrechnet, sondern durch Buchungsvorgänge innerhalb des Zahlungsverkehrssystems. Liquidität hat man nicht mehr nur in der Kasse oder auf dem Konto, sondern sie erscheint in besonderen Dienstleistungen wie Überziehungsspielräumen oder Bereitstellungstechniken. Also trifft auch die Joker-Metapher nicht mehr recht zu. Es ist vielmehr eine Art von umfassend informiertem monetärem "Big Brother", der den Wirtschaftssubjekten in Gestalt des Zahlungsverkehrssystems gegenübersteht und von dessen Verbindungen sie profitieren: Diesem System sind praktisch alle Wirtschaftssubjekte bekannt. Es steht mit allen in Verbindung. Und es verrechnet monetäre Transfers zwischen allen. Es verwaltet die monetären Anwartschaften auf das Sozialprodukt, indem es sie von Konto zu Konto bucht, und es ist im idealtypischen Falle so unentbehrlich wie vormals das altmodische Geld und unsere manuellen Verfahren der Übertragung und Verrechnung von Kaufkraft. Die Joker-Metapher bringt nur die Spielvorteile von Münz- und Banknotenliquidität zur Anschauung, aber sie verdeckt z.B. die ungeheuren Monopolgefahren, die ein einheitliches Zahlungsverkehrssystem birgt, bei dem man nicht mehr privat von Hand zu Hand zahlen kann.

Soweit das abschätzbar ist, bleiben die liquiditätstheoretischen Einsichten, die mit Hilfe der Joker-Metapher veranschaulicht wurden, jedoch richtig, auch wenn man sie auf die angedeuteten neuen Liquiditätstechniken überträgt und sie entsprechend adaptiert. Je weniger z.B. Liquidität im herkömmlichen Geld verkörpert ist und je stärker sie sich in Gestalt von Liquiditätsdiensten insbesondere der Geschäftsbanken manifestiert, desto absurder erscheint es, daß ein Nutzenanteil aus den Vorteilen der Liquiditätsdienste privatisiert und insbesondere in Gestalt von Erträgen aus der Vermarktung von Liquidität in privates Einkommen verwandelt werden kann.

 

 

2. Ein monetäres perpetuum mobile?

 

Vertraut man sich - trotz des obigen Vorbehaltes - noch einmal der Jokertheorie des Geldes an, bleibt eine Art Rätsel zu lösen: Das Geld in seiner Jokerfunktion vermittelt den Kassehaltern und Geldanlegern ihren willkommenen und hochgeschätzten Nutzenstrom. Woher aber kommt dieser Strom? Wo entspringt er? Ähnliche Fragen stellen sich übrigens auch dann, wenn man sich von den zu dinglichen Vorstellungen der Banknoten, der Münzen und des monetären Jokers löst und auf die Liquiditätsdienste des Bankensektors schaut: Woher kommt der eigenartige Nutzenstrom der monetären Liquidität?

Wenn jeder Buchung eine Gegenbuchung entspricht, wenn ein Zustrom nicht denkbar ist ohne Abstrom, - bei wem strömen die Vorteile ab, die beim Kassehalter zuströmen? - Oder aber haben wir es hier mit einem ökonomischen perpetuum mobile zu tun? Einige Elemente zu des Rätsels Lösung haben sich oben, im Zusammenhang mit der Figur des "Spielverderbers", schon vage abgezeichnet: Die spieltheoretischen Andeutungen legen die Vermutung nahe, daß mit den Opportunitätsvorteilen der Liquidität, die der Kassehalter und Anleger genießen kann, Nachteile bei den anderen Spielern einhergehen. Diese Vermutung verdichtet sich, wenn man bedenkt, daß andere Spieler ganz handgreiflich in Gestalt von Zinsen einen Abstrom verbuchen und die Vorteile bezahlen, die bei Anlegern zuströmen.

Fragt man aus der mikroökonomischen, subjektiven Sicht von Wirtschaftssubjekten nach den Produzenten von Liquidität, so denkt man zunächst an die Zentralbank und an die Geschäftsbanken als Emittenten des Geldes. Weil die Vorteile der Liquidität einhergehen mit dem Geld in der Kasse oder auf dem Giro-Konto, hat es allen Anschein, als produzierten jeweils diejenigen mit der Liquidität auch die Liquiditätsvorteile, die Geld emittieren. Aber die Opportunitätsvorteile, die das Geld vermittelt, stehen offenbar in keinem auch nur annähernd äquivalenten Verhältnis zu den Aufwand, den die Zentralbank und den die Geschäftsbanken als Emittenten von Geld bei diesem Geschäft haben. Insbesondere kann man nicht sagen, der Nutzenstrom, den der Kassehalter oder Vermarkter von Liquiditätsvorteilen einstreicht, habe seinen Ursprung bei der Zentralbank und den Geschäftsbanken. Dort nämlich wird kein entsprechender Abstrom gebucht, und es fallen dort auch keine sozialen Kosten an, die als der hinzugehörige Abstrom aufgefaßt werden könnten. Wenn überhaupt der Nutzenstrom der Liquiditätsvorteile kein monetäres perpetuum mobile ist, dann also müssen irgendwo andere nicht honorierte Produktionsleistungen zur Liquidität nachweisbar sein; oder es entstehen andererorts soziale Kosten im sozio-ökonomischen System, die den Quell des Abstroms markieren, dessen anderes Ende als Zustrom bei den Kassehaltern und Anlegern ankommt.

Tatsächlich wird sich weiter unten, im wohlfahrtsökonomischen Zusammenhang, ergeben, daß es unentbehrliche Mitproduzenten der Liquidität gibt, die einstweilen noch hinter dem Horizont der mikroökonomischen Kassehalterperspektive verborgen bleiben. Man muß schon- wie soeben - von der Spieler- zur Spielregelperspektive und von der Kassehalter- zur gesamtwirtschaftlichen Sicht übergehen, um ins Blickfeld zu bekommen, woher der Hauptstrom des Nutzens stammt, der bei Kassehaltern und Anlegern eintrifft.

 

 

 

IV. Deflationsvorteile und Risikoprämie

 

 

Aus der liquiditätstheoretischen Diskussion scheiden einige Erscheinungen aus, die zunächst mit Liquidität verbunden zu sein scheinen, aber liquiditätstheoretisch allenfalls von sekundärem Interesse sind: Zum Beispiel die Vorteile, die der Kassehalter aus einer Deflation bezieht, oder die Anteile, die im Zins außer dem "Preis" für die zeitweilige Überlassung von Liquidität auch noch enthalten zu sein pflegen, nämlich die Risikoprämie oder der Ausgleich einer erwarteten Inflation. Gerade die Tatsache, daß man scharf zwischen der im Geld verkörperten Kaufkraft einerseits und der monetären Liquidität dieser selben Kaufkraft andererseits unterscheiden muß, macht augenfällig, daß die Deflationsvorteile von Kassehaltern zwar mit veranlaßt sein mögen durch die Neigung zur Liquidität, daß aber die spezifischen Vorteile damit verbunden sind, daß die im Geld verbriefte Kaufkraft zunimmt: In diesem Punkt unterscheidet sich dann liquides Geld gerade nicht von einer Geldforderung: Und wie z.B. die Risikoprämie von dem Preis für die Liquidität zu unterscheiden ist, wird sich alsbald zeigen.