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Inhaltsverzeichnis: Optimale
Liquidität
4. Kapitel
REKONSTRUKTION VON LIQUIDITÄT UND KREDIT
§ 11 Optimale Liquidität
Die Wirtschaft wird suboptimal mit Liquidität und Kredit
versorgt. Umrisse einer Optimierungsstrategie haben sich schon abgezeichnet,
insbesondere im Zusammenhang mit den wohlfahrtstheoretischen Überlegungen.
Jetzt gilt es, der "optimalen Liquidität" systematischer und direkter
auf den Grund zu gehen.
I. Neutrale Liquidität
Mit der Forderung nach "optimaler" Liquidität
werden Pfade betreten, die bis vor kurzem eher mit dem Stichwort
"neutrales Geld" ausgeschildert waren. Dieses Stichwort zielt in
erster Linie auf ökonomische Neutralität in dem Sinne, daß das Geld die
Preisgefüge weder verfälschen noch verzerren "soll". Zugleich aber
geht es mikroökonomisch um Fragen der Gleichheit, der Äquivalenz und der
Gerechtigkeit und makroökonomisch um Probleme des gesamtwirtschaftlichen
Gleichgewichts: Nur wenn das Geld ein fairer Tauschmittler ist, der nicht schon
durch sich selbst zu ungleichen Tauschrenten führt, entstehen keine Preisverzerrungen
und Ungleichheiten; und nur wo asymmetrische Prämierungsvorgänge bei
gegenseitigen Transaktionen vermieden werden, bleiben die sonst damit
einhergehenden gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichtigkeiten aus. Auch externe
Effekte sind regelmäßig das Ergebnis einer asymmetrischen Verteilung von
Vorteilen und Nachteilen.
1. Parteilichkeit des monetären Liquiditätssystems
Geld ist mit dem Privileg des "monetären
Jokers" verbunden (oben § 2 II): Es macht aus dem vormals fairen Tausch
unfaire Verkauf-Kauf-Transaktionen, bei denen der Käufer die besseren Chancen
hat. Er kann in die Rolle des Anlegers schlüpfen und wird dabei zu einer Art
Spielverderber auf Kosten der anderen. Ein Geld mit solcher Liquidität ist kein
neutrales Geld, sondern parteiliches Geld: Es wirkt parteilich zugunsten
derjenigen, die gar keine Liquidität mehr brauchen. Das überlieferte
Liquiditäts- und Kreditsystem bewirkt eine vorprogrammierte Subventionierung
oder Alimentierung der Anleger durch die realwirtschaftlich tätigen Produzenten
und Konsumenten.
Das parteiliche Geld wirkt sich insbesondere asymmetrisch
auf Geschäfte mit asynchronen Leistungszeitpunkten aus: Es privilegiert
Zukunftspräferenz und bestraft Gegenwartspräferenz. Es verzerrt und verfälscht
eben dadurch die transtemporalen Preisgefüge. Damit verbunden sind dann
"Kapitalkosten", Ungleichgewichtigkeiten, soziale Kosten,
insbesondere Arbeitslosigkeit.
Alle diese Negativeffekte hängen zusammen mit der
"Inkongruenz von Liquiditätsnutzen und Liquiditätskosten". (oben § 1 III
4 und § 4). Sie dürften also auch weitgehend verschwinden, wenn und soweit es
gelingt, Nutzen und Kosten der Liquidität "kongruent" zu halten.
2. Kriterien unparteilicher Liquidität
Neutrale Liquidität "sollte" unparteilich sein:
Sie "sollte" insbesondere bei Kreditgeschäften zeitneutral wirken,
also weder Wirtschaftssubjekte mit Gegenwartspräferenz noch solche mit
Zukunftspräferenz prämieren oder bestrafen. Die Lenkungs- und
Allokationsdynamik muß eine Gleichgewichtsautomatik an Stelle der Ungleichgewichtsautomatik
der herkömmlichen Liquidität enthalten. Nutzen, und Kosten müssen
"kongruent" sein. Externe Effekte sind, soweit nicht von vornherein
vermeidbar, auszugleichen ("externe Effekte auf Gegenseitigkeit",
oben § 8 III 1) oder sonst zu internalisieren. Und alles das "sollte"
möglichst marktmäßig geschehen, also ohne obrigkeitliche Intervention.
II. Modellstudie "Fremdliquidität"
1. "Neutralisierung" des Liquiditätsnutzens
durch Liquiditätskosten
Auf der Suche nach der optimalen bzw. neutralen
Liquidität kann bei der Nutzen-Kosten-Struktur der "Transaktionskasse mit
Fremdliquidität" angeknüpft werden (oben § 4 II 3): Schon dort war - auf
eine naive Weise - die Rede von "neutraler Liquidität", nämlich
insofern, als dem Nutzenstrom der Liquiditätsvorteile ein Kostenstrom
gegenüberstand, der seiner Höhe nach dem ökonomischen Marktwert des Nutzens
entsprach: Die Kosten "neutralisierten" den Nutzen. Daraus
resultieren auch funktionsgerechte Antriebs- und Lenkungseffekte (oben § 6 I 2
a).
Funktionsgerecht und "neutral" wirkt die
Fremdliquidität freilich nur, wenn das geliehene Geld schon in der Kasse ist,
wenn also der Kassehalter sich durch die Liquidisierungskosten nicht von der
Aufnahme des Kredites hat abschrecken lassen (oben § 6 I 2 b). Der "funktionswidrige
Abschreckungseffekt" wiederum geht aus von jenen Liquidisierungskosten,
die beim Kreditnehmer hängenbleiben, wenn er sein Geld ausgibt. Dieser Teil der
Kosten, die im Zuge der Liquidisierung und des Kredites generiert werden, wirkt
also gerade nicht "neutralisierend"; er wirkt dysfunktional, und zwar
wegen des liquiditäts- und kredittechnischen Nutzen-Kosten-Splittings im
Augenblick der Verausgabung geliehenen Geldes.
Wenn man sich an der "Transaktionskasse mit
Fremdliquidität“ orientiert, um sich an "neutrale Liquiditität"
heranzutasten, dann kommt es nunmehr also darauf an, den Abschreckungseffekt
der „hängenbleibenden Liquidisierungskosten" zu beseitigen: letztlich
mithin dafür zu sorgen, daß diese Kosten gar nicht erst dort hängenbleiben, wo
die Liquidität gar nicht mehr ist. Es geht darum, das
"Nutzen-Kosten-Splitting" bei verausgabter Fremdliquidität zu
vermeiden.
2. Verallgemeinerung des Modells "Fremdliquidität“
Persönliche "Liquidität“ in dem Sinne, daß
vorhandene Tauschobjekte (einschließlich der Versprechen auf Zahlung per
Termin!) liquidisiert werden, ist ein Zustand, den das Wirtschaftssubjekt der
übrigen Volkswirtschaft verdankt: dem Liquiditäts-, Kredit- und Währungssystem
im allgemeinen sowie den anderen Wirtschaftssubjekten im besonderen, die durch
ihr Ausgeben und Annehmen des Geldes das von der Notenbank und den
Geschäftsbanken emittierte Geld erst zu dem machen, was es ist (oben § 8 II).
Solche persönliche „Liquidität“ geht hervor aus einem
Liquiditätsdienst, den die übrige Volkswirtschaft dem einzelnen erbringt.
Solche Liquidität ist also immer "Fremdliquidität". Der gegenteilige
Anschein entsteht nur dadurch, daß der Nutzen aus dieser anderweit im
sozio-ökonomischen Zusammenwirken produzierten Liquidität dank des herkömmlichen
Liquiditäts- und Kreditsystems durchweg "extern" und privatisiert
anfällt, als ob es sich um "Eigenliquidität" handele wie beim
"Eigenkapital". Insofern muß hier an die Vorbehalte erinnert werden,
die bei der Vereinbarung der Sprechweise von der "Eigenliquidität"
und der "Fremdliquidität" gemacht worden sind (oben § 1 III 2).
Liquidität ist kein "Eigentum", sondern Dienst der Volkswirtschaft an
ihren Mitgliedern.
3. Liquidität generell als Fremdliquidität
Liquidität ist Fremdliquidität: Das entspricht der
Tatsache, daß, wer sich liquide machen will, immer schon das Tauschobjekt
mitbringen muß, das er "verflüssigt": und sei es das bloße
Versprechen, in Zukunft etwas zu leisten. Auch ein solches Versprechen ist, es
sei wiederholt, ein gegenwärtiges Tauschobjekt. Es verschafft dem Berechtigten
schon heute die rechtlich gesicherte Erwartung einer zukünftigen Leistung. Die
Liquidisierung dieses Tauschobjektes ist eine Fremdleistung, die die übrige
Volkswirtschaft dem Betroffenen erbringt.
Man muß sich also für die Liquiditätstheorie gründlich
freimachen von den tiefsitzenden und in der Gewohnheit verwurzelten
Vorstellungen, die mit Begriffen wie "Eigenkapital" und
"Fremdkapital" verbunden sind. Wer nicht schon eigene Tauschobjekte ("Kapital")
mitbringt, bekommt auch heute kein "Fremdkapital": Er muß zumindest
seine persönliche Leistungsfähigkeit einbringen und sich schon heute zu
zukünftiger Leistung verpflichten. Diese gesicherte Erwartung muß er
mitbringen, dann wird ihm die Wohltat zuteil, daß ein Geldgeber, dem das
volkswirtschaftliche Liquiditätssystem die Befugnis dafür zuspielt, ihm sein
Versprechen zukünftiger Zahlung schon heute liquidisiert.
Auch wer heute "mit Fremdkapital" arbeitet,
arbeitet letztlich mit eigenem Kapital. "Fremd" ist nur der Herr über
Liquidität, von dem er abhängig ist, und an diesen Fremden zahlt er die
Liquidisierungskosten, die bei ihm hängenbleiben und die die Täuschung
verursachen, er habe fremdes "Kapital" erhalten, für das er
Kapitalbenutzungskosten zahle. Und alles das, obwohl der fremde "Herr über
Liquidität“ seine Macht aus seiner scheinbaren "Eigenliquidität"
selbst nur dem System von Liquidität und Kredit verdankt, das ihm einen
nützlichen Liquiditätsdienst so schenkt, daß er darüber profitabel vertfügen kann,
so, als handele es sich um sein Privateigentum.
Wenn aber Liquidität immer als ein Liquiditätsdienst
anderer: als "Fremdliquidität", als von anderen erworbene Liquidität,
angesehen werden muß, dann erscheint es liquiditätspolitisch nur als logisch,
daß, wer immer gerade solche Liquidität in Anspruch nimmt, die damit
verbundenen Kosten zu tragen hat.
Liquiditätsdienste hat zu bezahlen, wer sie abruft und
nutzt!
Man muß also die Unterscheidung zwischen Eigenliquidität
und Fremdliquidität jetzt fast regelrecht vergessen. Sie war nur eine
Hilfsvorstellung für den Einstieg in die Liquiditätstheorie für jemanden; der
aus der bisherigen monetären Welt kommt. "Optimale oder
"neutrale" Liquidität muß jetzt begriffen werden als der
Liquiditätsdienst, den die übrige Volkswirtschaft durch gewisse
Liquiditätsvermittler einem Wirtschaftssubjekt als Kassehalter erbringt. Dabei
wird stets eigene Tauschkraft des Kassehalters liquidisiert: sei es, daß er
sich einen "Kredit besorgt", indem er ein Versprechen zukünftiger
Zahlung gegen heutige Liquidität tauscht, sei es, daß er ein Gut verkauft und
dafür liquides Geld erhält und behält.
Unabhängig davon also, ob die Liquidität aus der
Liquidisierung eines terminierten Zahlungsversprechens stammt (bisher:
"Fremdkapital") oder aus der Liquidisierung anderer Wirtschaftsgüter
durch ihren Verkauf (bisher: "Eigenkapital"): stets handelt es sich
um "eigene Tauschkraft" mit "fremder Liquidität".
Es gibt also auch keinen Grund dafür, Liquidität, die aus
der Liquidisierung einer terminierten Zahlungsverpflichtung stemmt
(herkömmliches "Fremdkapital") hinsichtlich ihrer Kosten anders zu
behandeln als Liquidität, die aus dem Verkauf eines anderen Wirtschaftsgutes
herrührt (herkömmliches "eigenes Geld" oder "eigenes
Kapital"). Ob man nun eigenes oder geliehenes Geld in der Kasse hat: das
darf bei der Entscheidung, wer die Kosten des Liquiditätsdienstes trägt, keine
Rolle mehr spielen.
4. Wettbewerb der Liquiditätsdienste
Im marktwirtschaftlichen Optimalfall würden die
Geschäftsbanken als Anbieter von Liquiditätsdiensten miteinander im Wettbewerb
stehen. Sie würden dadurch gehalten, etwaige Emissionsgewinne an die
Liquiditätsnehmer weiterzugeben. Dadurch wäre dafür gesorgt, daß die
realwirtschaftlich tätigen Produzenten und Konsumenten in größtmöglichem Umfang
teilhaben an dem ökonomischen Nutzen der Liquidität, an dessen Produktion sie
durch Ausgeben und Annehmen des Geldes entscheidend mitwirken. Auf diesem Wege
würden externe Effekte minimiert und dem im Ansatz richtigen Gedanken der
Geldtheorie Rechnung getragen, daß die Wohlfahrtsgewinne aus der Einführung
volkswirtschaftlicher Liquidität an die Produzenten der Liquidität
weitergegeben werden sollen.
III. Urzins
Wird unter "Zins" der Preis begriffen, der für
den Verzicht auf den Opportunitätsnutzen von Liquidität gezahlt wird, dann ist
"Urzins" ebenfalls eine Erscheinung, die in erster Linie mit der
Überlassung von Liquidität und nur scheinbar mit der "Überlassung von
Kapital" zu tun hat. Sicher hat die Knappheit von Produktionsmitteln
Auswirkungen auf den Transaktionsbedarf von Wirtschaftssubjekten und beeinflußt
auf diesem Wege auch das Zinsniveau. Solche Zusammenhänge und Rückwirkungen
werden nicht in Abrede gestellt, sondern selbstverständlich vorausgesetzt. Wenn
aber gleichwohl der Grenznutzen von Geldkapital den Grenznutzen von Sachkapital
vorgibt, dann darf "Urzins" nicht als originäres Phänomen von
Sachkapitalien begriffen werden, sondern ist eine Erscheinung des Geldes und
seiner Liquidität.
Schaut man aus liquiditätstheoretischer Sicht auf die
klassische Urzinsdiskussion, so stellen sich andere als die üblichen Fragen:
Wenn denn der Urzins überhaupt ein "Zins" ist, dann hat er mit Geld
zu tun, mit dem Marktpreis des Transaktionsmediums "Liquidität".
Dabei muß man im überlieferten System bedenken, daß ein Teil der
Liquidisierungskosten "hängenbleibt" und dem Sachgut zugerechnet
wird, das auf Kredit erworben wurde, so daß irreführenderweise ein Junktim zu
Sachkapitalien hergestellt, ja, der Begriff "Kapital" womöglich
überhaupt erst möglich wurde.
Weiter stellt sich die Frage nach dem "Urzins"
heute weniger empirisch als zunächst einmal normativ: Wie hoch soll der
"Urzins" sein, wenn man ihn als den jeweiligen Preis für die
jeweilige Inanspruchnahme von Liquidität begreift? "Soll" der Urzins
gegen Null tendieren? - nicht im herkömmlichen System von Kredit und
Liquidität, sondern bei "neutraler" oder "optimaler"
Liquidität? Oder soll der "Urzins" die Produktionskosten der
Liquidität derart abbilden, daß durch den "Urzins" die externen
Effekte der Liquiditätsproduktion möglichst restlos bei allen Mitproduzenten
der Liquidität internalisiert werden? Und wie das?
IV. Verwirklichung neutraler Liquidität
1. Staatliche Rekonstruktion von Geld und Kredit
Wie läßt sich monetäre Liquidität organisieren, die den
Kassehaltern nicht mehr nur den Opportunitätsnutzen von Liquidität vermittelt,
sondern auch derartige Liquiditätskosten, daß der Nutzenstrom aus der
Liquidität ökonomisch "neutralisiert" wird? Gibt es dafür historische
Beispiele, theoretische Modelle oder moderne praktische Experimente?
Es gibt historische Vorbilder (7l). Es gibt theoretische
Konzepte (72). Es gibt gelungene Experimente neuerer Zeit (73). Es gibt vor
allem aber auch die Vorbehalte, die gegen die jeweiligen technische Lösungen,
die seit Ende vorigen Jahrhunderts vorgeschlagen wurden; vorgebracht worden
sind (74).
Die Rekonstruktion der monetären Liquidität muß bei den
Gestalten der Liquidität ansetzen, die heute zur Verfügung stehen: also bei der
Bargeldliquidität (Banknoten und Münzen) oder bei der Buchgeldliquidität. Sie
muß möglichst marktmäßig automatisch durchwirken auf andere, moderne
Liquiditätstechniken.
Denkbar, aber verhältnismäßig unpraktisch ist es,
Geldnoten auszugeben, deren Nennwert sich in dem Maße nominell verringert, wie
dem Geld Liquiditätskosten angeheftet werden sollen, oder deren Nennwert sich
nominell nur erhält, wenn Wertmarken aufgeklebt werden, die den vorgesehenen
Liquiditätskosten entsprechen: "Freigeld" nach dem Konzept von Silvio
Gesell, begründet mit Überlegungen zum "Umlaufzwang".
Woran und soweit den Banknoten (oder gar den Münzen)
Liquiditätskonten mit auf den Weg gegeben werden sollen dadurch, daß sie
umgestaltet werden, bekommt man es mit dem staatlichen Notenmonopol der
Zentralbank (und dem Münzregal) zu tun, ist also auf Mitwirkung des Staates
angewiesen. Er müßte die gesetzlichen und organisatorischen Voraussetzungen für
die Verwirklichung einer solchen neutralen Bargeldliquidität schaffen.
Problematisch bliebe insbesondere die Höhe der hoheitlich auferlegten
Liquiditätskosten; Ermittlung der Preise für die Liquiditätsdienste durch den
Markt selbst wäre praktisch ausgeschlossen, jedenfalls sehr schwierig.
Denkbar und schon sehr viel praktischer ist es, beim
Buchgeld der Geschäftsbanken anzusetzen. Bei diesem Buchgeld bereitet die
Belastung von Liquidität mit Liquiditätskosten nicht mehr Schwierigkeiten als
die Gutschrift von Habenzinsen oder die Belastung mit Sollzinsen. Aber auch in
diesem Falle hat es zunächst den Anschein, als komme man ohne Mithilfe des
Staates nicht aus. Denn die "neutrale Liquidität", die geldtechnisch
mit Hilfe des Buchgeldes eingerichtet werden soll, führt wegen der mit ihr
verbundenen Liquiditätskosten Nachteile mit sich, die mit der herkömmlichen
Noten- und Buchgeldliquidiät nicht verbunden sind. Die "neue neutrale
Liquidität" wird also allem Anschein nach weniger beliebt sein wie die
alte. Also, so lautet der durchaus plausible Schluß, wird niemand sie als
Zahlung auf Verbindlichkeiten akzeptieren, sondern jedermann wird auf Bezahlung
in herkömmlicher Liquidität bestehen.
Um sicherzustellen, daß die neutrale Buchgeldliquidität
bei Zahlungsvorgängen auch akzeptiert wird, müßten Zahlungen in Buchgeld
offenbar gesetzlich anerkannt werden, derart, daß Zahlungen, die in der
neuartigen Buchgeldliquidität getätigt worden, ebenso akzeptiert werden müßten
wie Banknoten, wenn der Zahlungsempfänger nicht in Verzug geraten will.
Der erste Anschein spricht also dafür, daß auch eine
Umgestaltung bloß der Buchgeldliquidität nur unter Einschaltung des
Gesetzgebers möglich ist. Im übrigen freilich könnte man sich dann auf die
Gesetzmäßigkeiten des Greshamschen Gesetzes verlassen, die dafür sorgen, daß
die Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr die für sie "schlechtere",
nämlich mit Liquiditätskosten belastete Liquidität stets zuerst für ihre
Zahlungen verwenden würden, so daß sich im Verkehr die neutrale
Buchgeldliquidität weitgehend durchsetzen würde.
2. Private Rekonstruktion durch Bankinitiative und
Wettbewerb
Schaut man genauer hin und beschäftigt sich länger mit
den Einzelheiten einer Volkswirtschaft, die mit neutraler Liquidität arbeitet,
so zeigt sich sehr bald: Neutrale Liquidität ist für Produzenten und
Konsumenten bei weitem preiswerter als das heute praktizierte monetäre Kredit-
und Liquiditätssystem. Produzenten und Konsumenten werden nämlich beide jeweils
nur während der relativ kurzen Zeitspannen mit Transaktions-, sprich
Liquiditätskosten belastet, in der sie tatsächlich Liquidität in Anspruch
nehmen. Im heutigen monetären System dagegen müssen Konsumenten und Produzenten
dafür, daß sie eine einzige Transaktion auf Kredit ausführen, während der
ganzen Laufzeit des Kredites Kapital- oder Konsumkosten zahlen. Sie tragen also
unverhältnismäßig, ja geradezu irrational hohe Transaktionskosten, gegen die
sie sich nur deshalb nicht wehren, weil sie sie gewohnheitsmäßig nicht als
Transaktionskosten begreifen, sondern als unabänderlich vorgegebene
Kapitalkosten oder Kosten ihres vorweggenommenen Konsums.
Die Produzenten und Konsumenten einer Volkswirtschaft, in
der neutrale Liquidität eingeführt wird, können also davon nur profitieren. Die
neutrale Liquidität, die wegen ihrer Liquiditätskosten eine
"schlechtere" Liquidität zu sein scheint, ist also letztlich auch die
kostenmäßig günstigere! Das aber heißt: Neutrale Liquidität ist
konkurrenzfähig! Sie hat die Chance, sich im Wettbewerb der Anbieter von
Liquiditätsdiensten bei denen durchzusetzen, die wegen ihres
Transaktionsbedarfs preiswerte Liquidität suchen.
Ein Pionier der Kreditwirtschaft, der als erster neutrale
Liquidität anbietet, verfügt, wenn ihm der Start gelingt, nach allen
theoretischen Erwartungen sogar über erhebliche Wettbewerbsvorteile bei der
Umwerbung der Konsumenten und Produzenten für die Inanspruchnahme seiner
Liquiditätsdienste.
a) Wie günstig die neutrale Liquidität ist, merkt jeder
Konsument in dem Augenblick, in dem er sich einen Wunsch erfüllen will, für
dessen Erfüllung er mit dem Versprechen zukünftiger Leistungen
"zahlen" möchte. Neutrale Liquidität erlaubt ihm im idealtypischen
Falte, sich schon heute mit verschwindend geringen Liquiditätskosten liquide zu
machen und für seine vielleicht nicht erstklassige Bonität nur die mit diesem
speziellen Risiko verbundenen Mißtrauenskosten zu zahlen.
b) Wie günstig neutrale Liquidität für ihn ist, erfährt
ein Investor in dem Augenblick, in dem er sich Liquidität zur Durchführung
einer Transaktion beschafft, mit deren Hilfe er schon heute ein
Produktionsmittel erwerben möchte, das er vorerst nur mit dem Versprechen
bezahlt, demnächst aus den Erträgen seiner Produktion Liquidität zu Verfügung
zu stellen. Auch er kann sich unter den Bedingungen einer neutralen Liquidität
mit extrem geringen Liquiditätskosten die Liquidität besorgen, die er zur
Abwicklung der von ihm geplanten Transaktion braucht. Im übrigen trägt auch er
dann keine bei ihm zurückgebliebenen Liquiditäts- bzw. Kapitalkosten mehr. Wohl
aber muß er nach wie vor "Kreditkosten" im engeren Sinne des Wortes,
nämlich jene Prämie bezahlen, die sein Kreditgeber dafür verlangt, daß der Kreditnehmer
keine erstklassigen Sicherheiten bieten kann.
Wo Produzenten mit wesentlich geringeren Kapitalkosten
produzieren, sind ihre Produkte billiger, und davon profitieren wiederum die
Konsumenten. Sie können preiswerter einkaufen und bekommen mehr fürs Geld.
c) Bei allen, die irgendwann in nennenswertem Umfang auf
Kredite angewiesen sind, wird die neutrale Liquidität mit bester Akzeptanz
rechnen können. Wie aber steht es mit Produzenten und Konsumenten, die gar
keinen Kredit mehr brauchen, sondern von den Erträgen ihrer Leistungen leben
können? Für sie erscheint neutrale Liquidität in der Tat auf den ersten Blick
schlechte Liquidität zu sein: Verhält sich diese Liquidität auf dem Konto doch
so ähnlich wie Geld unter der Bedingung einer sanften Inflation. So ist zu
erwarten, daß diejenigen Konsumenten und Produzenten, die sich neutrale
Liquidität billig auf Kredit besorgen, sie bei denjenigen, die sie damit
bezahlen wollen, nicht loswerden.
Schaut man aber genauer hin, ändert sich das Bild
wiederum: bei allen, die noch Transaktionsbedarf haben, die also bereit sind,
zusätzliche monetäre Kaufkraft nicht endgültig zu sparen und aus dem Verkehr zu
ziehen, stellt der Zustand der Liquidität nur einen Übergangszustand dar, der
relativ kurz andauert. Gemessen an den Vorteilen, die aus den Transaktionen als
solchen erwirtschaftet werden können, fallen die Liquiditätskosten einer
neutralen Liquidität praktisch nicht ins Gewicht. Ein Unternehmer etwa, der vor
der Wahl steht, ein Geschäft abzuschließen und einen Gewinn einzustreichen, der
nach Prozenten bemessen ist, wird von dem Geschäft nicht Abstand nehmen, wenn
er die Kosten neutraler Liquidität in Ansatz bringen muß, die für ihn nur
Promille ausmachen. Auch ein Arbeitnehmer, der vor der Wahl steht, seinen Arbeitsplatz
zu gefährden oder neutrale Liquidität als Zahlung zu akzeptieren, wird keine
Entscheidungsschwierigkeiten haben.
d) Weniger beliebt freilich wird neutrale Liquidität bei
allen Anlegern sein, die ihren gegenwärtigen Transaktionsbedarf befriedigt
haben und unter den Bedingungen der bisherigen Liquidität die Chance hatten,
buchstäblich "Kapital zu schlagen" aus der Tatsache, daß ihnen das
monetäre System Zirkulationsvorteile des Geldes in die Hand spielt, die nicht
sie, sondern andere dringend brauchen. Das sind die Inhaber von
"Eigenliquidität" alter Art und Güte. Diese Inhaber von
Eigenliquidität sind aber zugleich die Anbieter von Liquidität, ohne die bisher
niemand an Liquidität herankam.
e) Angenommen aber, es finden sich Anbieter von neutraler
Liquidität, die gerade daraus ein Geschäft machen wollen, daß sie den dringend
transaktionswilligen Produzenten und Konsumenten für die Abwicklung ihrer
Transaktionen das extrem preiswerte Verrechnungssystem der neutralen
Fremdliquidität anbieten. Wer zuerst mit einem solchen Angebot auf dem Markt
kommt und seine Kunden von den extrem günstigen Transaktionskosten überzeugen
kann, hätte die Chance, seine Position auf dem Kreditmarkt auszubauen, bevor
andere weniger bewegliche Liquiditätsanbieter sich anschlössen. Je stärker eine
Volkswirtschaft unter Liquiditätsmängel leidet, desto größer die Chancen eines
solchen Anbieters neutraler Liquidität.
In dem Maße, wie die Produzenten und Konsumenten sich
dann billig mit Kredit und Liquidität versorgen, sind sie auf die anderen
Anbieter von Liquidität, nämlich auf die Kapitalgeber herkömmlicher Art, immer
weniger angewiesen. Diese Kapitalgeber mit ihren Anlegerkassen haben dann
entsprechend schlechtere Chancen, ihr Geld wieder so profitabel wie bisher zu
"emittieren". Die Produzenten und Konsumenten halten sich an die
preiswerteren Liquiditätsdienste. Sie spielen ihr Wirtschaftsspiel so lange an
den herkömmlichen Kapitalgebern vorbei, wie diese nicht ebenfalls im Preis
heruntergehen. Wenn dann der Punkt erreicht wird, wo die Kapitalgeber alter
Provenienz lieber liquide bleiben als ihr Geld zu billig anzulegen, bleiben
ihre Banknoten und Guthaben in der "Liquiditätsfalle" gefangen. Da
jedoch die realwirtschaftlich tätigen Produzenten und Konsumenten sich anderweit
mit günstiger Liquidität versorgen, ist es nicht tragisch, wenn das monetäre
System auf diesem Wege einen funktionalen Spezialisten für eine Art
"ruhender persönlicher Liquiditätsreserve" hervorbringt.