Text aus: Dieter Suhr: Der Kapitalismus als monetäres Syndrom
Campus Verlag, 1988, ISBN 3-593-33999-4, Seite 5 -6
(Im August 1999 gescannt, korrekturgelesen und ins Web gestellt von W. Roehrig.)
Das Tauschwertsystem und
mehr das Geldsystem sind in
der Tat das System der Frei-
heit und Gleichheit.
Karl Marx
Vorwort
Karl Marx behandelt den Kapitalismus als ein Problem der Produktions-
verhältnisse: Die Produktionsverhältnisse werden bestimmt durch Privateigen-
tum an den Produktionsmitteln. Dieses Privateigentum an Produktionsmitteln
trennt die Arbeiter von den Bedingungen für die Verwirklichung ihrer Arbeit.
Daraus resultiert die Ausbeutung der Arbeiter durch die Kapitalisten. So war
für Marx der Kapitalismus ein Syndrom, das seinen Herd in den Strukturen
des Privateigentums an Produktionsmitteln hatte.
Die These dieser Untersuchung ist nun: Die Deutung des Kapitalismus als
Ausgeburt des Privateigentums an Produktionsmitteln ist unzutreffend. Die
Struktur des Eigentums an den Produktionsmitteln ist nicht der Grund und die
Ursache für den Kapitalismus. Vielmehr sorgen ganz bestimmte Eigenschaften
des überkommenen Geldes dafür, daß die Marktwirtschaft zur kapitalistischen
Ökonomie verformt wird. Und zu den Verformungsprodukten gehört die
einseitig-kapitalistische Organisationsstruktur der Unternehmungen. Man muß
also, will man das Problem nicht bloß vom Symptom her packen, beim
Geldsystem ansetzen.
Marx war außerdem davon überzeugt, daß der Mehrwert nur dort entstehen
könne, wo überhaupt Werte erzeugt werden: in der Produktion durch Arbeit.
Das scheint auf den ersten Blick geradezu evident zu sein. Es entspricht der
schon damals fast klassischen Arbeitswertlehre. Wer dagegen, wie Proudhon
und andere, die Strukturen und Vorgänge der Ausbeutung in den Eigen-
schaften des Geldes angelegt sah, wurde verspottet: "Albernheit der Sozia-
listen (namentlich der französischen)." Aber auch hier irrte Marx.
Marx hatte jedoch auch schon selbst sehr genau beschrieben, daß das Geld
nicht irgendeine beliebige Ware sei, sondern eine ganz besondere Rolle spiele.
Er hat auf vielerlei sehr anschauliche Art und Weise dargelegt, inwiefern das
Geld den anderen Tauschobjekten als "gesellschaftliche Macht in privater
Hand", als Ware von größter "Tauschbarkeit" und "Schlagfertigkeit" und
schließlich als geradezu "magischer" Geldkristall überlegen ist. Trotzdem
gesteht Marx nicht schon dem Geld selbst kapitalistische Eigenschaften zu. Im
Gegenteil, er betont sonst immer wieder, daß das Geld eben doch "nur" ein
Äquivalent der Waren, nämlich ihre "allgemeine Äquivalentform" sei.
Um diesen Widerspruch zwischen dem Geld einerseits als bloßem Äquiva-
lent der Ware, andererseits als einem den übrigen Waren vielfach überlegenen
Instrument geht es in dieser Untersuchung. Mit diesem einen Widerspruch
hängen andere kleinere Widersprüchlichkeiten bei Marx zusammen, etwa die,
daß der "industrielle Kapitalist" im Gegensatz zum "Geldkapitalisten" als der
eigentliche Kapitalist erscheint, obwohl er, wie Marx einräumt, den Arbeitern
ähnlicher ist als dem typischen Kapitalisten, insbesondere insofern, als er
einen Unternehmerlohn für seine unternehmerische Arbeit bezieht.
Auf die einschlägigen Fragen der marxistischen Theorie war ich schon in
früheren Studien gestoßen. Meine Diagnose in "Geld ohne Mehrwert", wie-
derholt in dem Sammelbändchen "Befreiung der Marktwirtschaft vom Kapi-
talismus", hat sich zwar inzwischen als im Kern richtig, insgesamt jedoch als
zu ungenau und oberflächlich erwiesen. Nunmehr ergab sich ein Anlaß, dem
Problem des systematischen Kapitalismus noch einmal gründlicher im Werke
von Karl Marx nachzugehen. Diesen Anlaß lieferte eine Tagung, die die Ab-
teilung für Philosophie und Soziologie der Universität Warschau vom 5. bis
10. Oktober 1987 in Rynia bei Warschau veranstaltet hat. Auf dieser Tagung
über die "Bürgerliche Gesellschaft" ging es im wesentlichen um das Verhält-
nis zwischen Staat und Gesellschaft. Mir oblag es, über die ökonomische
Struktur der bürgerlichen Gesellschaft als solcher zu sprechen, und zwar unter
dem Titel: "Der Kapitalismus als Problem nicht des Eigentums, sondern des
Geldsystems". Das vorliegende Büchlein ist die stark erweiterte Fassung des
für diese Tagung erstellten Manuskriptes.
D.S.