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Text aus: Dieter Suhr: Der Kapitalismus als monetäres Syndrom 
Campus Verlag, 1988, ISBN 3-593-33999-4, Seite 46 - 63
(Im August 1999 gescannt, korrekturgelesen und ins Web gestellt von W. Roehrig.) 

                                                                                                
3.  Kapitel
Der Mehrwert des Geldes als das "Geheimnis der Plusmacherei"


  Die  "Verwandlung  von  Geld in  Kapital"  ist weniger kompliziert und
leichter zu durchschauen, als es nach der marxschen Analyse den Anschein
hat. Das "Geheimnis der Plusmacherei" (Marx 1890, S. 189) ist gar nicht so
geheimnisvoll.  Wenn nämlich das Geld nicht nur Wert hat in Gestalt der
"allgemeinen Äquivalentform" von Ware, sondern darüber hinaus einen Ge-
brauchswert besitzt, der nur ihm als dem Geld in so vollkommener Form
zukommt, dann erscheint es geradezu als ökonomische Selbstverständlichkeit,
daß man diesen zusätzlichen Gebrauchswert von Geld als solchen gesondert
vermarkten und dafür den Preis in Gestalt von Zinsen einstreichen kann. Der
spezifische ökonomische Gebrauchswert von Geld erscheint dann selbst als die
einfache Natural-Urform des Mehrwertes, und zwar eines Mehrwertes, für
den man als Kapitalist kaum den Finger zu krümmen braucht, geschweige
denn wie Sisyphus arbeiten muß.

 

I.   Der Gebrauchswert von Geld als "Quelle von Wert"
   Die bisherigen Betrachtungen haben gezeigt: Die hypothetischen Überle-
gungen sind unzutreffend, mit denen Karl Marx sich den Gedanken abge-
schnitten hat, daß der Mehrwert schon im Kontrakt erhoben wird, den die
Repräsentanten des Kapitals mit den Anbietern der Ware "Arbeit" abschlie-
ßen. Schneidet man sich diesen Gedanken nicht ab, behält man vielmehr im
Auge, daß der typische kapitalistische Mehrwert womöglich schon im Geld
selbst angelegt ist, dann kann man versuchen, noch einmal, und wiederum mit
Karl Marx selbst, die Frage nach dem Mehrwert zu stellen.

 

 

l.  Der Gebrauchswert des Geldes
  Noch einmal: Es wird jetzt ein Gedankengang eingeschlagen, den Marx
selbst nicht nur für falsch hält, sondern sogar bekämpft:
  "Die Wertveränderung des Geldes, das sich in Kapital verwandeln soll,
  kann nicht an diesem Geld selbst vorgehen, denn als Kaufmittel und als
  Zahlungsmittel realisiert es nur den Preis der Ware, die es kauft oder
  zahlt, während es, in seiner eigenen Form verharrend, zum Petrefakt von
  gleichbleibender Wertgröße erstarrt. Ebensowenig kann die Veränderung
  aus dem zweiten Zirkulationsakt, dem Wiederverkauf der Ware, entsprin-
  gen, denn dieser Akt verwandelt die Ware bloß aus der Naturalform zu-
  rück in die Geldform." (Marx 1890, S. 181)
  Die Wertveränderung also könne sich nur ereignen bei einer Ware. Der
Mehrwert könne "nur entspringen aus ihrem Gebrauchswert als solchem, d.h.
aus ihrem Verbrauch." Und dann kommt eine entscheidende Überlegung:
  "Um aus dem Verbrauch einer Ware Wert herauszuziehen, müßte unser
  Geldbesitzer so glücklich sein, innerhalb der Zirkulationssphäre, auf dem
  Markt, eine Ware zu entdecken, deren Gebrauchswert selbst die eigen-
  tümliche Beschaffenheit besäße, Quelle von Wert zu sein, deren wirklicher
  Verbrauch  also  selbst  Vergegenständlichung  von  Arbeit  wäre,  daher
  Wertschöpfung. Und der Geldbesitzer findet auf dem Markt eine solche
  spezifische Ware vor,  -  das Arbeitsvermögen oder die Arbeitskraft."
  (S. 181)
  Marx spricht aber doch selbst auch dem Geld einen spezifischen, einen
eigenen "Gebrauchswert" gar nicht ab. Das Geld wird beschrieben als wun-
derbares Ding, als Monopol, als gesellschaftliche Macht der Privatperson, als
"Magie des Geldes", als "gesellschaftlicher Machthebel", als stets "schlag-
fertiger gesellschaftlicher Reichtum"... Alle diese Formulierungen zielen auf
die gesellschaftliche Funktion von Geld als flüssige Äquivalentform sämtlicher
übrigen Waren: auf den Gebrauchswert von Geld beim Austausch und im
Verkehr.
  Im Gedanken an das Gold heißt es ausdrücklich:
  "Der Gebrauchswert (!) der Geldware verdoppelt (!) sich. Neben (!) ihrem
  besonderen  Gebrauchswert  als  Ware,  wie  Gold  z.B.  zum  Ausstopfen
  hohler Zähne, Rohmaterial von Luxusartikeln usw. dient, erhält (!) sie
  einen formalen Gebrauchswert, der aus ihren spezifischen gesellschaftli-
  chen Funktionen entspringt." (Marx 1890, S. 104)
  Und nun können wir mit Marx ganz konkret fragen: Hat dieser eigenartige
"Gebrauchswert"  von  Geld  "selbst  die  eigentümliche  Beschaffenheit  (...),
Quelle von Wert zu sein"?
  Und wenn man einmal alle Theorie über Arbeit, Arbeitswert und Arbeits-
wertäquivalente außer acht läßt, um schlicht und einfach auf die ökonomische
Realität als die Basis aller Theorie zu schauen, dann ist der Befund offen-
kundig: Die wunderbare Ware "Geld" mit ihrem ans Magische grenzenden
Gebrauchswert  besitzt  offenbar jene  "eigentümliche  Beschaffenheit",  selb-
ständige Quelle eines ökonomischen Nutzens, also auch Quelle von Wert zu
sein. Denn jeder Geldbesitzer und jeder Betrachter, der kein ökonomisches
Brett vor dem Kopf hat, weiß und sieht, daß der Geldbesitzer Annehmlich-
keiten im Sinne der jederzeitigen "Schlagfertigkeit" besitzt. Diese monetäre
Schlagfertigkeit kann er entweder in ihrer Naturalform selbst als ökonomische
Transaktionsbereitschaft genießen. Oder aber er kann sie anderen zu Genuß
und Gebrauch leihweise gegen Zinsentgelt zur Verfügung stellen.
  Was Marx und fast alle in seiner Theorie geschulten Theoretiker daran
hindert, die mehrwertträchtigen Eigenschaften des Geldes selbst richtig wahr-
zunehmen, ist die Vorstellung, es müsse in irgendeiner Form "Vergegen-
ständlichung von Arbeit" sein, die im Zuge der Mehrwerterzeugung stattfin-
det.  "Ein Gebrauchswert oder Gut hat also nur einen Wert, weil abstrakte
menschliche Arbeit in ihm vergegenständlicht oder materialisiert ist." (Marx
1890, S. 53) Und solche Arbeit, die Werte schafft, vermögen sie beim Geld
- abgesehen von dem darin steckenden "Äquivalent" - offenbar nicht zu
sehen: Ohne Arbeit keine Wertschöpfung, ohne solche Wertschöpfung aus
Arbeit kein Wert, und ohne Wert kein Mehrwert, - das ist die gedankliche
Formel. Keine Schöpfung aus dem Nichts! (Marx 1894, S. 48)

 

2.  Die Produktion des Gebrauchswertes von Geld
  Arbeit, so scheint es bei marxistischer Betrachtung, stecke im Geld nur
insofern, als es Äquivalentform von Arbeit repräsentiert, die in Waren steckt.
Aber dieser erste Eindruck trügt. Es bedarf nämlich eines guten Stückes ge-
sellschaftlicher Arbeit, bis die Äquivalentform der Ware als Geld hervorge-
bracht wird. Und es bedarf noch einmal gesellschaftlicher Arbeit, das einmal
hervorgebrachte Geld als stabiles Meßsystem und als akzeptiertes Zahlungs-
mittel zu erhalten: "Nur die gesellschaftliche Tat kann eine bestimmte Ware
zum allgemeinen Äquivalent machen. Die gesellschaftliche Aktion aller ande-
ren Waren ..." (1890, S. 101) Marx spricht daher folgerichtig von dem Geld
als dem "notwendigen Produkt" des gesellschaftlichen Austauschprozesses.
(S. l0lf.) Es komme "aus der Zirkulation her" und sei "Produkt der Zirkula-
tion" (Marx 1857/8, S. 130). Insofern ist es die Arbeit des Austauschens, die
das Geld produziert und ständig reproduziert. (Suhr/Godschalk, S. 92ff.)
  Es mangelt also gerade nicht an dem Quantum gesellschaftlicher Arbeit ,
dessen nützliches Ergebnis und brauchbares Produkt die spezifische, allge-
meine und schlagfertige Äquivalentform aller anderen Waren ist. Ganz im
Gegenteil; es drängen sich umgekehrt die Fragen auf: Welchen Nutzen in
Gestalt von Gebrauchswert beim Geld erzeugt denn die "gesellschaftliche
Tat", die die Geldform der Ware produziert? Wer ist Nutznießer dieses Pro-
duktes?
 3. Das den Gebrauchswert des Geldes konstituierende Austauschbedürfnis
 Nutznießer des spezifischen Gebrauchswertes von Geld als Geld ist derje-
nige, dessen spezifische Bedürfnisse durch die Verwendung von Geld als Geld
befriedigt werden. Denn "die Nützlichkeit eines Dinges macht es zum Ge-
brauchswert". (Marx 1890, S. 50) Bevor man sich aber der Frage zuwendet,
welches besondere Bedürfnis die Nützlichkeit und den Wert des Geldes als
Geld im Vergleich zu anderen Wirtschaftsgegenständen bestimmt, muß man
sich vergegenwärtigen, wie es mit der Nützlichkeit und dem Wert der anderen
Waren bestellt ist.
 Die ersten zwei Sätze im "Kapital" von Marx sprechen zwar von der
Ware. Aber die Ware ist wertlos, wenn sie nicht am Ende menschliche Be-
dürfnisse befriedigt, und davon handeln die weiteren fundamentalen Ein-
gangssätze des Werkes: So gründet der Gedankengang von Marx' "Das
Kapital" mit der ersten fundamentalen Säule seiner Argumentation in den
menschlichen Bedürfnissen.
 Nicht erst in der Arbeit, sondern schon im Bedürfnis gründet die Wertlehre
und damit auch die Mehrwertlehre. Daß die marxistische Wert- und Mehr-
wertlehre am Ende fast ganz zu einer Arbeitswertlehre geworden ist und sich
von ihrem Bedürfnisfundament weitgehend abgelöst hat, hat Marx daher nur
zu einem geringen Anteil selbst verschuldet. Erst seine Leser haben weniger
Interesse für die jeweiligen menschlich-gesellschaftlichen Bedürfnisse aufge-
bracht.
 Offenbar konnten z.B. die Herausgeber der Marx-Engels-"Werke" sehr
wenig anfangen mit dem "Bedürfnis", das bei Marx der elementaren Funda-
mentierung der Wert- und Mehrwertlehre dient: Sie hatten offenbar so wenig
begriffen, worauf "Das Kapital" ökonomisch-materialistisch gegründet ist, daß
sie das Stichwort "Bedürfnis" nicht einmal in das sehr ausführliche, über 20
Seiten lange Sachregister des ersten Bandes von "Das Kapital" aufgenommen
haben. Vorangegangen ist ihnen freilich schon Friedrich Engels, der in seinem
Konspekt über "Das Kapital" (1868, S. 245f.) ebenfalls das den Wert der
Arbeit konstituierende Bedürfnis hier am Einstieg in das Werk nicht für er-
wähnenswert hält.
 Tatsächlich bleiben Marx und Engels trotz allen Bemühens, die Arbeits-
wertlehre mit Hilfe der Begriffe der "nützlichen" und der "gesellschaftlich
notwendigen" Arbeit zu verfeinern und die Preisbildung miteinzubeziehen ,
noch zu sehr befangen in der Arbeitswertlehre Ricardos. Während sie den
gemeinsamen Nenner und Maßstab in der Arbeit suchen, hatten Aristoteles
und Hegel ihn im Bedürfnis gefunden:
 "Daher muß alles, was untereinander ausgetauscht wird, gewissermaßen
 quantitativ vergleichbar sein, und dazu ist nun das Geld bestimmt, das
 sozusagen zu einer Mitte wird (...) So muß denn für alles ein Eines als
 Maß bestehen (...) Dieses Eine ist in Wahrheit das Bedürfnis, das alles
 zusammenhält." (Aristoteles 1972, S. 112)
 Hegel schreibt: "Das Geld repräsentiert alle Dinge." (1821, S. 303: Zusatz
zu § 63). Es stelle aber nicht das Bedürfnis selbst dar, sondern "nur ein Zei-
chen für dasselbe".
 Doch zurück zu Marx: Das Bedürfnis bestimmt den Gebrauchswert der
Ware und der in ihr vergegenständlichten Arbeit. Nur "der Rock ist ein Ge-
brauchswert, der ein besonderes Bedürfnis befriedigt." (Marx 1890, S. 56)
 Nur in bezug auf den Nutzen relativ zum Bedürfnis zählt die Arbeit für den
Gebrauchswert. "Die Arbeit, deren Nützlichkeit (!) sich so im Gebrauchswert
ihres Produktes (...) darstellt, (...) nennen wir kurzweg nützliche Arbeit.
Unter diesem Gesichtspunkt wird sie stets betrachtet mit Bezug auf ihren
Nutzeffekt." (S. 56) So zählt stets nur die "zweckmäßige produktive Tätigkeit
oder nützliche Arbeit". (S. 57) Denn "endlich kann kein Ding Wert sein
ohne Gebrauchsgegenstand zu sein. Ist es nutzlos, so ist auch die in ihm ent-
haltene Arbeit nutzlos, zählt nicht als Arbeit und bildet daher keinen Wert."
(S. 55)
 Marx geht noch weiter: "Die Nützlichkeit eines Dings macht es zum Ge-
brauchswert. (...) Dieser sein Charakter hängt nicht davon ab, ob die Aneig-
nung seiner Gebrauchseigenschaft den Menschen viel oder wenig Arbeit ko-
stet". (S. 50)
 Wenn man jetzt nach allem bei der Frage nach dem Wert und dem Mehr-
wert nicht hypnotisch fixiert bloß auf die Arbeit schaut, sondern auch auf das
Bedürfnis, das die Dinge erst nützlich und damit wertvoll macht, dann er-
scheint auch das Geld in etwas anderem Licht.
 Das "Geld" ist das Mittel, mit dessen Hilfe Produzenten und Konsumenten
ihre Produkte untereinander austauschen. Also liegt es auf der Hand, welchem
Bedürfnis das Geld dient, also auch, wozu es nutzt und worin sein wertvoller
Gebrauchswert besteht: Das Bedürfnis, das durch Geld befriedigt wird, ist das
Bedürfnis der Produzenten und Konsumenten zur ökonomischen Kommuni-
kation überhaupt, nämlich zum wirtschaftlichen Verkehr miteinander zwecks
Austauschs ihrer Produkte. Was dabei als nützlicher Gebrauchswert des Gel-
des erscheint, ist die "Tauschfähigkeit" überhaupt, die es vermittelt und durch
die es "das Bedürfnis des Austauschs", das "Bedürfnis für es als Geld" be-
friedigt. (1857/8, S. 114; auch S. 64f., 83, 899)
 Diesem Bedürfnis des Austauschs dient das Geld. Dabei ist es nützlich.
Dies macht seinen Gebrauchswert. Und eben diese Tatsache, daß das "Be-
dürfnis des Austauschs" praktisch nicht befriedigt werden kann ohne Geld, ist
auch die Ursache dafür, daß der Geldbesitzer allein dafür, daß er den Ge-
brauchswert des Geldes anderen überläßt, einen Preis verlangen kann: nämlich
den Zins, durch den sich sein Geldvermögen ohne Sisyphusarbeit vermehrt.
Die Arbeit, die den Nutzen des Geldes hervorbringt, diese Arbeit erbringen
nämlich schon die anderen Wirtschaftsteilnehmer, die durch ihre "gesell-
schaftliche Tat" die Geldform der Ware produzieren und laufend reproduzie-
ren.

 

4.  Widersprüchlichkeiten beim "Gebrauchswert des Geldes"
  Marx freilich sieht die Sache anders. Auch er stellt die Frage nach dem
spezifischen Gebrauchswert des Geldes und beantwortet sie wie folgt:
  "Was gibt der Geldkapitalist dem Anleiher, dem industriellen Kapitalisten?
  Was veräußert er in der Tat an ihn? (...) Was ist der Gebrauchswert (des
  Geldes), den der Geldkapitalist für die Zeit des Ausleihens veräußert und
  an  den  produktiven  Kapitalisten,  den  Borger,  abtritt?  Es  ist der Ge-
  brauchswert, den das Geld dadurch erhält, daß es in Kapital verwandelt
  werden, als Kapital fungieren kann, und daß es daher einen bestimmten
  Mehrwert, den  Durchschnittsprofit, (...) in seiner Bewegung erzeugt (...).
  Diesen  Gebrauchswert  des  Geldes  als  Kapital  -  die  Fähigkeit,  den
  Durchschnittsprofit zu erzeugen  -  veräußert der Geldkapitalist an den
  industriellen Kapitalisten." (1894, S. 363f.; Parallelstellen 1857/8, S. 224f.
  und 944)
  Hier also hat das Geld einen "Gebrauchswert", den es gar nicht selbst hat,
den vielmehr allenfalls die Güter haben, die man damit erwirbt. Der Nutzen
und Gebrauchswert des Geldes erscheint damit nicht als eine Eigenschaft des
Geldes in seiner Funktion als Zirkulationsmittel, sondern als eine Art Vor-
wirkung dessen, was man mit dem Geld an Sachgütern und Arbeit erwerben
kann.
  Mit dem Geld aber kann man nicht nur Produktionsmittel erwerben, die
sich rentieren (oder aber auch nicht!), sondern auch Konsumgüter, die im
Konsum verschwinden. Trotzdem muß der Konsument, der auf Kredit kon-
sumiert, dem Kreditgeber Zinsen zahlen. Diese Zinszahlungen sind also ganz
offenbar unabhängig davon,  was der Borger mit dem Geld anfängt. Umso
zweifelhafter erscheint der Rückschluß von der Nützlichkeit der Produktions-
güter und des wertschaffenden Vermögens der "Arbeit" auf den "Gebrauchs-
wert" des Geldes selbst.
  Dieser Rückschluß vom Sachkapital auf das Geld steht aber auch im Wi-
derspruch zu Einsichten in die Funktionen des Geldes, die Marx selbst an-
dernorts festgehalten hat: Der Gebrauchswert der Ware, sagt Marx, entfaltet
sich, wenn sie bei ihrem Nutzer zur Ruhe gekommen ist, während "rastloses
Umhertreiben" die "Funktion des Geldes" ausmacht: "Der Gebrauchswert der
Ware beginnt mit ihrem Herausfallen aus der Zirkulation, während der Ge-
brauchswert des  Geldes  als  Zirkulationsmittel  sein  Zirkulieren  selbst  ist."
(1859, S. 82)
  Auch das Kapital ist etwas, das erst zu produzieren anfängt, wenn es aus
der Zirkulation herausgefallen ist, wenn es bei jemandem stationär geworden
ist und als Kapital genutzt wird, während das dafür ausgegebene Geld längst
weiterzirkuliert. Hier erscheint der "Gebrauchswert des Geldes" darin, daß
das Geld die übrigen Güter in Bewegung versetzen kann. Wieso aber kann
Marx dann gleichzeitig behaupten, der "Gebrauchswert des Geldes", das der
Geldkapitalist dem industriellen Kapitalisten überläßt, bestehe gerade nicht in
der Bewegung von Gütern, die es ermögliche, sondern in einer Art Vorweg-
nahme des Nutzens stationär genutzter Sachkapitalien?

 

5.   Zins als Preis des auf sich selbst bezogenen Geldes
    Es gibt einen weiteren Gedanken, der im Wege steht, die Springquelle des
Mehrwertes im Geld selbst zu suchen und wahrzunehmen. Es handelt sich um
eine Art "Angst vor dem Zirkelschluß": "Geld hat dagegen keinen Preis. Um
an dieser einheitlichen relativen Wertform der anderen Waren teilzunehmen,
müßte es auf sich selbst als sein eigenes Äquivalent bezogen werden." (1890,
S. 110) Das erscheint Marx offenbar als sinnlos oder absurd: Der Preis des
Geldes in Geld.
  Schaut man dagegen auf die Praxis, so erscheint es als eine alltägliche
Selbstverständlichkeit, daß das geliehene Geld Geld kostet, und zwar unab-
hängig davon, ob man es für Produktionszwecke verwendet (Kapital), ob man
es verjubelt (Konsum) oder ob man es verschenkt, eine Schuld tilgt oder eine
Beerdigung finanziert: Geld hat einen Preis! Die ökonomische Realität zeigt
das täglich tausendfach.
  Es gibt freilich auch eine Erscheinung, in der Marx selbst Geld anerkennt,
das sich auf sich selbst bezieht:
   "Im  Wucherkapital  ist die  Form G-W-G'  abgekürzt auf die unvermit-
   telten Extreme G-G', (also auf) Geld, das sich gegen mehr Geld aus-
   tauscht,  eine  der  Natur des  Geldes  widersprechende  und daher  vom
   Standpunkt des Warenaustausches unerklärliche Form."
 Und dazu wird Aristoteles zitiert: "Der Zins aber ist Geld von Geld, so
daß von allen Erwerbszweigen dieser der Naturwidrigste." (1890, S. 179)
  Was also als die größte Selbstverständlichkeit erscheint, wenn man auf den
Gebrauchswert des Geldes für Transaktionszwecke schaut, daß nämlich dieser
Gebrauchswert seinen Preis hat, die Nutzung von Geld sich also gegen mehr
Geld austauscht, - das erscheint für Marx als eine "der Natur des Geldes
widersprechende" und "unerklärliche" Form.
  Marx hat allerdings insofern recht, als der Zins gar nicht der Preis des
baren Äquivalentes ist, das das Geld als "allgemeine Äquivalentform" auch
verkörpert: "einheitliche relative Wertform der anderen Waren". (Marx 1890
S. 110) Eine solche Beziehung des Geldes auf sich selbst wäre in der Tat eine
unsinnige Tautologie; es sei denn, es handelt sich z.B. um Devisengeschäfte,
also Geschäfte, in denen man mit einem Geld anderes Geld kauft.
  Der Zins ist vielmehr der Preis, der gezahlt wird gerade nicht für das im
Geld verkörperte Wertäquivalent; denn dieses Wertäquivalent behält der Ver-
leiher in Gestalt seines Rückzahlungsanspruches. Der Zins wird vielmehr ganz
im Gegenteil für den Gebrauchswert und die Nützlichkeit gezahlt, die das
Geld als gesellschaftliche, flüssige, schlagfertige Äquivalentform verkörpert.
Es ist nicht der Wert des Geldes, sondern seine optimale Tauschbarkeit: "die
Form (!) unmittelbarer allgemeiner Austauschbarkeit"  (Marx  1890,  S. 84),
worin das Geld beim Zins "auf sich selbst bezogen" wird. Dann wird klar
und einsichtig, was für Marx noch "unerklärlich" war.

 

6.  Geld als Liquiditäts- und Transaktionsmedium
  Wenn Marx das Geld als die  "schlagfertige"  Erscheinungsform gesell-
schaftlichen Reichtums kennzeichnet und wenn er den Gebrauchswert des
Geldes als eines Zirkulationsmittels in seinem "Zirkulieren selbst" beobachtet
so hat er zwei Eigenschaften im Auge, die auch heute noch die Grundlagen
der Geldtheorie bestimmen: Das Geld ist "schlagfertig", weil es das "liqui-
deste" unter den Tauschobjekten ist, und als Zirkulationsmittel taugt das Geld
deshalb so vorzüglich, weil es, wie es in der modernen Theorie heißt, "In-
formations- und  Transaktionskosten"  erspart.  Marx hat insoweit Charakte-
ristiken des Geldes beobachtet, die John Maynard Keynes in den dreißiger
Jahren zum liquiditätstheoretischen Ansatz der Geldtheorie weiterentwickelt
hat und die andererseits in jüngerer Zeit dem modernen "Informations- und
Transaktionskostenansatz" der Ökonomie im allgemeinen und der Geldwis-
senschaft im besonderen zugrunde liegen.
  Wo Marx allerdings den Nutzwert des verliehenen Geldes nicht in den
Tauscheigenschaften des Geldes selbst sucht, sondern in den Eigenschaften des
Kapitals, das damit erworben wird, bewegt er sich auf der Schiene einer ka-
pitaltheoretischen Deutung des Geldes, wie sie heute etwa von den Moneta-
risten und von Wolfram Engels (1981) verfolgt wird: Das Geld wird weniger
als notwendiges und unentbehrliches Transaktionsmittel gedeutet, sondern als
etwas, das nach dem Bilde von Sachkapital begriffen wird und ausgeformt
werden soll. (Dazu mehr unten im 4. Kapitel, I.2. und 3.) Hier aber geht es
um Eigenschaften, die das Geld kennzeichnen, das seine Funktion als Trans-
aktions- und Zahlungsmittel erfüllt.
  Man kann sich diese spezifischen Eigenschaften, die das bewegliche Geld
gegenüber den anderen, weniger beweglichen Waren auszeichnen und die
gleichzeitig seinen ökonomischen Nutzen und "Mehrwert" als Transaktions-
mittel konstituieren, mit Hilfe eines Bildes gut veranschaulichen: Das Geld ist
unter den Waren, was der Joker ist unter den übrigen Karten in einem Kar-
tenspiel, in dem der Joker jeder anderen Karte im Range überlegen ist. (Suhr
1983, S. 59)
  Dieses Bild veranschaulicht sehr gut, inwiefern das Geld sowohl äquivalent
als auch nicht-äquivalent zu den Waren ist: Auch der Joker ist eine "Karte"
wie die anderen Karten, und es ist durchaus üblich, daß man mit dem Joker
immer nur eine andere Karte "stechen" kann, so daß der "Tauschwert" des
Jokers im Augenblicke des "Stechens" genau einer anderen Karte "äquivalent"
ist. Aber beim Spielen und "Stechen" selbst erscheint die Überlegenheit und
Nicht-Äquivalenz des Jokers gegenüber den anderen Karten darin, daß er in
jeder Runde, gegenüber jedermann und gegenüber jeder Karte "ausgespielt"
werden kann. Die Spielchancen und -möglichkeiten, die der Joker auf diese
Art und Weise eröffnet, gleichen denen, die das Geld im Wirtschaftsspiel
vermittelt: Es sind spieltheoretisch ähnliche Eigenschaften, die die "Schlag-
fertigkeit" des Jokers und die die "Schlagfertigkeit" des Geldes ausmachen.
  Will man die spezifischen Eigenschaften des Geldes also heute möglichst
knapp und direkt auf den Begriff bringen, so kann man sagen:  Der "Ge-
brauchswert des Geldes" besteht in der Liquidität des Geldes und in der
Transaktionsbereitschaft, die es vermittelt, sowie in dem Transaktionsnutzen,
den es durch Einsparung von Informations- und Transaktionskosten erbringt.
  Was der Jokernutzen im Kartenspiel, das ist der Liquiditätsnutzen des Geldes
im Wirtschaftsspiel. Dieser Nutzen ist eine "Eigenschaft in der Zeit", ver-
gleichbar der ständigen und andauernden Nützlichkeit,  die  mir eine Haft-
pflichtversicherung dadurch vermittelt, daß sie mir die Angst vor Schadens-
ersatzansprüchen  nimmt,  die  mich belasten  könnten.  Eine solche  ständige
Annehmlichkeit ist, ökonomisch gesehen, ein "Nutzenzustrom", der in der
Regel mit einem "Abstrom" einhergeht, nämlich mit dem Preis der Versi-
cherung, also mit Kosten.
  Bei dem "Liquiditätsnutzen des Geldes" haben wir es also nicht mit einer
"Bestandsgröße" zu tun, wie sie der schlichte "Wert" oder "Tauschwert"
eines  Gegenstandes darstellt,  sondern  mit einer  "Stromgröße",  mit einem
"Nutzen pro Zeiteinheit" . Und wenn man den "Liquiditätsnutzen des Geldes"
vermarktet, wenn man also sein Geld auf Zeit leihweise anderen zur Verfü-
gung stellt, so kann man einen Ertragsstrom herauswirtschaften: den Zins-
strom .

II.   Der Kapitalismus als Folge des Geldsystems
  Schon oben war im Vorgriff formuliert worden: "Wie das Geld, so die
Güter." Damit war gemeint, daß ein kapitalistisches Geld seine Spuren in der
übrigen Wirtschaft derart hinterläßt, daß auch die Wirtschaft kapitalistisch
wird. Wer kein Geld hat und es sich leihen muß, der bezahlt Zinsen; und wer
keine Güter hat, sondern sie sich mieten oder pachten muß, bezahlt Miet- und
Pachtzins. Wer Geld übrig hat, kann es verleihen und bekommt Zinsen; und
wer andere Güter übrig hat, kann sie vermieten und verpachten und bekommt
ebenfalls Miet- oder Pachtzins.
  Und wie übertragen sich die Eigenschaften des Geldes auf die Güterwelt?
Ganz einfach: Dadurch, daß man an die anderen Güter nur vermittels des
"Mittlers" Geld herankommt. Deshalb sind die Güter nur zu dem Eintrittspreis
zu haben, den man für den Eintritt in die Zirkulationswelt des Geldes zu
entrichten hat. Je mehr Geld in einer Wirtschaft nicht mehr einfach ausgege-
ben, sondern gespart und angelegt und dann erst wieder von dem Borger
ausgegeben wird, desto mehr muß in dieser Wirtschaft durchschnittlich von
den Produzenten, Händlern und Konsumenten an die Kapitalbesitzer abgeführt
und bezahlt werden.
  Diesen Vorgang gilt es jetzt noch etwas genauer zu betrachten.

 

l.  Die gesellschaftliche Produktion des Liquiditätsnutzens von Geld
  Der im Geld verkörperte Tauschwert ist im wirtschaftlichen Verkehr nütz-
licher als der in anderen Gütern verkörperte Tauschwert, weil der Tauschwert
im Falle des Geldes zur "schlagfertigen" Kaufkraft verflüssigt ist: monetäre
Liquidität. Wie aber ist dieser Nutzen des Geldes zu erklären? Woher kommt
er?
  Bislang war der Nutzen des Geldes nur anhand des Joker-Beispiels ver-
anschaulicht worden. So konnte der Anschein aufkommen, als entstünde der
Joker-Nutzen des Geldes gewissermaßen "aus dem Nichts" einfach dadurch   ,
daß das Geld nützliche, jokerartige Eigenschaften besitzt. Doch auch der Joker
im Kartenspiel besitzt seine nützlichen Eigenschaften nur dann und nur so
lange, wie die Spielregeln den Joker im Sinne der Allverwendbarkeit definie-
ren und wenn und solange die Spieler diese Regeln befolgen und den Joker
im Sinne der Spielregeln ausspielen und akzeptieren. Das wirkliche Vergnügen
am Joker und die wirklichen Spielerfolge entstehen also nicht schon allein
daraus, daß der Joker eine besondere Karte ist, sondern dadurch, daß die
Spieler ihn im Sinne der Spielregeln praktisch verwenden.
  Mit dem Geld ist es nicht anders: Der Liquiditätsnutzen des Geldes entsteht
nur dann und nur so lange, wie die Wirtschaftsteilnehmer das betreffende
Geld als Geld ausgeben und als Geld annehmen. Es ist ihrer aller wirtschaft-
liche Tat, daß das Geld als Geld ausgegeben und angenommen und dadurch
nützliches Transaktionsmittel wird und bleibt. Auf diese Weise wird die Li-
quidität des Geldes produziert, indem das Geld ausgegeben und angenommen
wird, und auf diese gesellschaftliche Art und Weise wird auch die ökonomi-
sche Nützlichkeit des Geldes geschaffen, die jeder einzelne Teilnehmer am
Wirtschaftsverkehr etwa in Gestalt der "Schlagfertigkeit" des Geldes genießen
kann.
  Auch bei Karl Marx ist es ein gesellschaftlicher Prozeß, in dem die allge-
meine Äquivalentform von "Geld" hervorgebracht wird:
 
 "Nur die gesellschaftliche Tat kann eine bestimmte Ware zum allgemeinen
  Äquivalent  machen.  Die  gesellschaftliche  Aktion  aller  anderen  Waren
  schließt daher eine bestimmte Ware aus, worin sie allseitig ihre Werte
  darstellen. (...) So wird sie - Geld." (Marx 1890, S. 101)
  
 Zu dieser gesellschaftlichen Produktion des Liquiditätsmittels "Geld" gehört
nicht nur, daß die Wirtschaftsteilnehmer das Geld annehmen (Akzeptanz),
sondern ebensosehr, daß sie es auch ausgeben (Alienabilität), und zwar aus-
geben gegen eine Ware oder ein Gut, das sie erwerben wollen. (Suhr 1983,
S . 89)
  Wer Geld bei sich selbst festhält, wie etwa im Falle der "naiven Schatz-
bildung", der sorgt für eine Unterbrechung der Zirkulation und steuert auf
diese Art und Weise keinen positiven, sondern einen negativen Beitrag zur
gesellschaftlichen Produktion der Liquidität des Geldes bei.
  Wenn aber nun jemand die Produktion der Liquidität von Geld stört, indem
er Geld festhält,  - genau dann kommt er in den Genuß des "Liquiditäts-
nutzens" des Geldes, das man in der Kasse bereithält. Das ist nicht nur ab-
surd, sondern pervers: Ausgerechnet derjenige Teilnehmer des Wirtschafts-
spiels, der den übrigen Mitspielern ihr unentbehrliches Zikulationsmittel vor-
enthält, wird durch den Liquiditätsnutzen für seinen negativen Beitrag auch
noch prämiert! Und nicht nur, daß er den "Liquiditätsnutzen" in der Na-
turalform genießen kann, wenn er sein Geld in der Kasse bereithält, - viel-
mehr kann er diesen Liquiditätsnutzen auch noch vermarkten, indem er sein
Geld anlegt, so daß er dann Erträge einstreichen kann.
  Diese Erträge sind gewissermaßen die Lösesumme, die die anderen zahlen
müssen, damit der Geldanleger das Geld, das er festhalten könnte, wieder für
Transaktionszwecke freigibt. So zahlen am Ende alle diejenigen, die die Li-
quidität und den Liquiditätsnutzen produzieren, für eben diesen Liquiditäts-
nutzen einen Preis an denjenigen, der ihre Produktion stört!
  Dies ist das perverse "Geheimnis der Plusmacherei" . Dies ist die elemen-
tare Struktur des Kapitalismus:  Das System belohnt mit privaten Prämien
diejenigen, die die gesellschaftliche Produktion der Liquidität von Geld sabo-
tieren.

 

2.  Kapitialistische Privatisierung des Liquiditätsnutzens
  Die Liquidität des Geldes wird durch eine "gesellschaftliche Tat" aller
Produzenten und Konsumenten erzeugt, die das Geld beim Austausch ihrer
Güter als Geld ausgeben und annehmen.
  Wer immer Geld ausgibt und annimmt, - wer immer also Liquidität pro-
duziert, der kommt zugleich auch in den Genuß der Transaktionsvorteile, die
das Geld vermittelt. So haben in der Regel zunächst einmal die Produzenten
der monetären Liquidität auch den Nutzen der Liquidität.
  Doch das Bild ändert sich, sobald jemand anfängt, Geld zurückzuhalten in
der Absicht, es nicht auszugeben, sondern anzulegen: Sobald ich Geld in der
Kasse zurückhalte, störe ich zwar die gesellschaftliche Produktion der Liqui-
dität, genieße jedoch den  privaten Nutzen,  den sie mir vermittelt.  (Suhr/
Godschalk,  S. 96ff.)  Während ich diesen Geldnutzen als  "gesellschaftliche
Macht" in Gestalt der monetären "Schlagfertigkeit" genieße, sind die Produ-
zenten und Konsumenten mit ihrem Austauschbedürfnis auf Geld angewiesen.
  Das heißt zugleich:  Mein relativ entbehrliches Geld paßt vorzüglich zu
ihren relativ existentiellen Bedürfnissen. Und diese Situation kann ich aus-
nutzen dazu, den mir zugespielten Liquiditätsnutzen zu vermarkten und in eine
Rendite zu verwandeln. So spielt mir das gesellschaftliche monetäre System
einen privatisierbaren Nutzen in die Hand, den ich in mehr Geld umsetzen
kann. So spielt das Geldsystem denjenigen, die Geld übrig haben, das sie
nicht ausgeben wollen, immer wieder den Mehrwert des Geldes in die Kasse:
Entweder die Naturalform des Mehrwertes in Gestalt des Liquiditätsnutzens
(liquidity-premium;  money  services);  oder  als  pekuniäres  Äquivalent  des
Liquiditätsnutzens den Zins.
  Das gegenwärtige monetäre System hat also zur Folge, daß der gesell-
schaftlich produzierte Liquiditätsnutzen von Kapitalbesitzern privatisiert und in
eine Pfründe transformiert werden kann.
  Dabei fließen diese Gelder in der Gestalt von Zinsen dort ab, wo Geld
gebraucht wird,  und dorthin,  wo seine Liquidität schon  vorher nicht für
Transaktionszwecke benötigt wurde.  Das Geld fließt also in einem kontra-
produktiven Strom in der falschen Richtung. Dies ist der wohlfahrtsökonomi-
sche Unsinn des kapitalistischen Geldes.

 

3.   Kapitalistische Verteilung der Liquiditätskosten
    Wer die Zirkulation stört, der liefert negative Beiträge zur Produktion der
Liquidität. Das kann man auch so ausdrücken: Er verursacht gesellschaftliche
Kosten.
  Während also der Kassehalter den Nutzen der Liquidität genießt, produziert
er zugleich Kosten für die anderen, und zwar in der Gestalt, daß er ihnen das
ökonomisch erforderliche Zirkulationsmittel verknappt.  Wenn nun die ande-
ren Wirtschaftsteilnehmer Informations- und Transaktionskosten dadurch spa-
ren wollen, daß sie das Transaktionsmittel "Geld" verwenden, dessen Liqui-
dität sie selbst produzieren, so müssen sie den Geldanleger dafür bezahlen,
daß er von seiner Sabotage des Zirkulationssystems abläßt. Die Kosten, die
diese Sabotagekompetenz der Geldanleger verursacht, tragen wiederum die
Produzenten und Konsumenten, die ohne Geld nicht effektiv und "schlag-
fertig" verkaufen und kaufen können.
  Es kommt aber noch etwas hinzu: Die mit der Liquidität verbundenen
Kosten werden nicht gleichmäßig auf alle verteilt, die das Geld für ihre
Transaktionszwecke als Konsumenten und Produzenten gebrauchen. Ganz im
Gegenteil: Je wohlhabender solche Konsumenten und Produzenten schon sind,
- je weniger sie also auf kreditweise Vorfinanzierung ihrer Produktionsmittel
(Fremdkapital) oder ihres Konsums (Konsumentenkredite) angewiesen sind,
desto weniger Zinsen kommen auf sie zu. Je ärmer sie aber sind, je stärker
sie also ihre Produktion oder gar ihren Konsum auf Kredit finanzieren müs-
sen, desto mehr bekommen sie mit Krediten zu tun, desto mehr Zinsen haben
sie zu tragen.
  Aber auch damit noch nicht genug: Ein Unternehmer, der ein Darlehen für
5   Jahre  aufnimmt,  um  in  der  nächsten  Woche  die  von  ihm  erworbene
Druckmaschine zu bezahlen, der gibt sein Geld und mit dem Geld den Li-
quiditätsnutzen schon nach kurzer Zeit weiter. Aber die Kreditkosten, die er
aus Anlaß seiner geplanten Transaktion auf sich genommen hat, bleiben bei
ihm hängen. Während der gesamten Laufzeit des Darlehens, also für 5 Jahre,
bezahlt er mit den Zinsen den Preis für den Nutzen einer monetären Liquidi-
tät, die er schon nach einer Woche nicht mehr besitzt, die vielmehr von an-
deren längst wieder kostenlos in Anspruch genommen wird.
  So  gesehen  erscheinen  Kapitalkosten  als  "hängengebliebene  Liquidisie-
rungskosten" . Und genau hier schließt sich der Kreis zu einigen Überlegun-
gen, die am Anfang dieser Untersuchung gestanden haben: Weil nämlich die
Geldbeschaffungskosten beim Kreditnehmer hängenbleiben, erscheinen sie für
ihn (und für den fachökonomischen Betrachter) nicht mehr als das, was sie
wirklich sind, nämlich nicht mehr als Liquidisierungs- und Transaktionsko-
sten, sondern als Kosten des erworbenen Sachgutes, also der Druckmaschine.
So werden Sachkapitalien für die Produzenten und Konsumenten kostspielig.
So hinterläßt das kapitalistische Gnld seine kapitalistischen Kostenspuren bei
den Sachgütern. So erhebt "das Kapital" seinen "Mehrwert" von Produzenten
und am Ende von Konsumenten, auf die letztlich die Kosten über die Preise
abgewälzt werden.
  Man kann sagen: Das Geld überträgt seine kapitalistischen Eigenschaften
auf die übrigen Wirtschaftsgüter. Und so hat Silvio Gesell es auch beschrie-
ben. Unter der Überschrift "Übertragung des Urzins auf die Ware" heißt es
bei ihm:
  "Weil also das herkömmliche Geld, unser Tauschmittel, an und für sich ein
  Kapital ist, das keine Ware ohne seine Brandmarke in den Handel auf
  nimmt, findet die Ware gesetz- und regelmäßig Marktverhältnisse vor, die
  die Ware als zinserhebendes Kapital erscheinen lassen, wenigstens für den
  Verbraucher, denn dieser bezahlt den Preis, den der Erzeuger erhalten
  hat, zuzüglich Zins."  Die Ware  "nimmt dann ihre wahre Gestalt an,
  nämlich die eines einfachen Kassenboten des Geldkapitals. Sie erhebt den
  Urzins vom Verbraucher der Ware nicht für deren Erzeuger, sondern für
  den Besitzer des Geldes (Tauschmittel), - so etwa wie bei einer Nach-
  nahmesendung. Und die Waffe, womit das Geld seinen Kassenboten aus-
  rüstet, das ist die Unterbrechung der Verbindung zwischen den Warener-
  zeugern  durch  Verweigerung  des  Tauschdienstes.  Nimmt  man  dem
  Tauschvermittler das Vorrecht, den Austausch der Waren zur Erpressung
  des Urzinses untersagen zu können, wie es durch das Freigeld erreicht
  wird, so muß das Geld seine Dienste umsonst leisten, und die Waren
  werden, genau wie im Tauschhandel, ohne Zinsbelastung gegeneinander
  ausgetauscht." (Gesell 1949, S. 324)
  Und ähnlich beschreibt Gesell  unter der Überschrift  "Übertragung des
Urzinses auf das sogenannte Realkapital (Sachgut)", wie es dazu kommt, daß
nur diejenigen Realkapitalien erzeugt werden, die so viel Ertrag erwarten
lassen, wie das Geld Zins. Und dann heißt es zusammenfassend:
  "Es ist also klar: das sogenannte Realkapital muß Zinsen abwerfen, weil es
  nur durch Ausgeben von Geld zustande kommen kann, und weil dieses
  Geld Kapital ist. Das sog. Realkapital besitzt nicht, wie das Geld, eigene
  zinserpressende Machtmittel. Es handelt sich bei diesen sogenannten Re-
  alkapitalien, genau wie bei den Waren, um vom Geld eigens zu diesem
  Zweck geschaffene und erzwungene Marktverhältnisse, um eine selbsttätig
  wirkende, künstliche Beschränkung in der Erzeugung sogenannter Real-
  kapitalien, so daß deren Angebot niemals die Nachfrage decken kann.
  Gesetzmäßig  erzeugt  das  herkömmliche,  vom  Staat  abgestempelte  und
  verwaltete Geld durch erzwungene Arbeitslosigkeit die besitz- und ob-
  dachlose Menge, das Proletariat, dessen Dasein die Voraussetzung für die
  Kapitaleigenschaft der Häuser, Fabriken, Schiffe ist." (S. 226)

 

III.   Kapitalistische Eigentumsformen als Folge kapitalistischen Geldes
  Der Geldkapitalist verfügt aber nicht nur über das Mittel, sich den Mehr-
wert in Gestalt der Zinsen auszubedingen. Er sitzt auch am längeren Hebel,
wenn es darum geht, als Geldgeber mit einem Unternehmer über die Bedin-
gungen  einer  Beteiligung  zu  sprechen.  Er  kann  sich  Entscheidungsrechte
vorbehalten, die er nicht ohne weiteres durchsetzen könnte, hätten Geldgeber
nicht die Macht, dem Unternehmer das Medium der ökonomischen Kommu-
nikation zu überlassen oder eben auch vorzuenthalten. Er kann weitgehend die
Bedingungen vorschreiben, denen die anderen sich fügen müssen, bevor er
ihnen das lebensnotwendige Transaktionsmedium zur Verfügung stellt.
  Zu diesen Bedingungen, die der Kapitalist sich als Geldgeber ausbedingen
kann, gehört nicht nur, daß man Zinsen zahlen muß, wenn man sich Geld
leiht.  Dazu gehört auch, daß ein Kapitalgeber,  der sich mit Produzenten
zusammentut, um etwas zu produzieren, die besseren Karten in der Hand hat
und die Spielregeln bestimmen kann, nach denen das Spiel "Produktion" in
Unternehmen gespielt wird. Die "Spielregeln" der Produktion, - das sind die
"Produktionsverhältnisse" einschließlich der eigentumsrechtlich ausgeformten
Dispositionsbefugnisse des Kapitals im Unternehmen.
  Es überrascht also überhaupt nicht, daß unter den Bedingungen des kapi-
talistischen Geldes sich Eigentumsformen herausgebildet haben und gesetzlich
kodifiziert bzw. anerkannt wurden, bei denen der Kapitalgeber das letzte Wort
hat. So ist denn am Ende der Kapitalismus nicht auf die Eigentumsformen,
sondern die kapitalistischen Eigentumsformen sind auf das kapitalistische Geld
zurückzuführen.
  Wer also den Kapitalismus abschaffen will, indem er die Eigentumsformen
umstürzt, der beschäftigt sich nur mit dem Symptom. Wer den Kapitalismus
radikal angehen will, also nicht nur oberflächlich, sondern bei seinen Wur-
zeln, der muß beim Geld ansetzen.

 

IV .  Der Mehrwert von Kapital und die anderen Profite
  Die Kritik der politischen Ökonomie zielt zunächst auf den generellen
Mehrwert, auf den Durchschnittsprofit von Kapital. Es geht Marx dabei ge-
rade nicht um den einen oder anderen Aufschlag, der anläßlich von Verträgen
ungleicher Partner abgezweigt wird, sondern um die systematische Struktur,
aus der der Mehrwert hervorgeht. Darauf zielen auch meine Bemühungen.
  Selbstverständlich bin auch ich mir der Tatsache bewußt, daß es vielerlei
Renditen und Profite gibt! Das beginnt bei der Entlohnung einer gelungenen
Leistung, setzt sich fort über Gewinne und Verluste aus Risiko-Engagements,
über Patenterträge bis hin zu Knappheitsrenditen welcher Art auch immer.
Sind knappe Güter vermehrbar, dauert das Vergnügen freilich nicht lange,
wenn man nicht durch Syndikate oder Kartelle  für künstliche Knappheit
sorgt...
  Mit der Abschaffung des kapitalistischen Geldes verschwinden nicht die
anderen Arten von Prämien und Profiten. Sie sind auch durchaus nicht alle
ungerecht oder ökonomisch dysfunktional. Geschick, Fleiß, Ausdauer, Erfin-
dungsreichtum und  Verantwortungsbereitschaft  haben  auch  ihren  ökonomi-
schen Gegenwert. Sie sind nützlich für die Befriedigung menschlicher Be-
dürfnisse, - und diese Bedürfnisse bestimmen bekanntlich den wirtschaftli-
chen Wert der Waren und der auf sie verausgabten Arbeit.
  Auch Risiken  zu übernehmen,  hat vielfach segensreiche Abpufferungs-
funktionen in der Volkswirtschaft: Verluste werden in Kassen geleitet, deren
Inhaber damit gerechnet haben und typischerweise entbehrliches Geld einge-
setzt haben: Wer nur entbehrliches Vermögen einsetzt, den trifft der Schlag
weniger hart, als wenn Arbeiter selbst davon betroffen würden. Und wenn die
ökonomischen Risiko-Spieler beim Sachanlagen-Spiel gewinnen,  bekommen
sie mehr Geld, mit dem sie ihr nützliches Spielchen weiterspielen können.
  Der typische kapitalistische Profit aber, hinter dem keine volkswirtschaftli-
che Leistung, keine sinnvolle Lenkung und Verteilung mehr zu erkennen ist,
der hängt mit der Geldstruktur zusammen. Er läßt sich nur beseitigen, wenn
man die Geldstruktur verändert.