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Text aus: Dieter Suhr: Der Kapitalismus als monetäres Syndrom 
Campus Verlag, 1988, ISBN 3-593-33999-4, Seite 25 - 45 
(Im August 1999 gescannt, korrekturgelesen und ins Web gestellt von W. Roehrig.) 

2. Kapitel
Geld als Äquivalent und als Nicht-Äquivalent von Ware


  Für Marx ist das Geld einerseits "Äquivalentform" der Ware (unten I.).
Für Marx fungiert das Geld aber ebensosehr auch als ein "gesellschaftliches
Monopol" innerhalb der Warenwelt, wodurch "gesellschaftliche Macht (...)
zur Privatmacht" wird: also als etwas, das der Ware signifikant überlegen, das
also jedenfalls alles andere als ein der Ware in jeder Hinsicht "äquivalentes"
ökonomisches Gut ist (unten II.). Es wird zu klären sein, wie beide Beob-
achtungen miteinander verträglich bleiben (unten III.).
I.   Geld als Äquivalent von Ware
1.  Geld als allgemein-gesellschaftliche Äquivalentform der Ware
  Marx beschreibt eine Stufenfolge, auf der sich die Äquivalentformen von
Ware bis hin zum Geld entwickeln. Am Ende dieser Reihe entwickelt sich die
Ware "Gold" zum Geld: "Die spezifische Warenart nun, mit deren Natural-
form die Äquivalentform gesellschaftlich verwächst, wird zur Geldware oder
funktioniert als Geld. Es wird ihre spezifische gesellschaftliche Funktion, (...)
die Rolle des allgemeinen Äquivalentes zu spielen." (Marx 1890, S. 83)
  Dabei wird immer wieder die Äquivalenz zwischen Geld und Ware betont
und z.B. festgestellt, der Fortschritt bestehe darin, "daß die Form unmittel-
barer  allgemeiner  Austauschbarkeit"  oder  die  allgemeine  Äquivalentform
"durch gesellschaftliche Gewohnheit endgültig erreicht sei".  (S. 84) Durch
"gesellschaftliche Tat" wird auf diese Art und Weise "eine bestimmte Ware
zum allgemeinen Äquivalent" gemacht: "Der Geldkristall ist ein notwendiges
Produkt  des  Austauschprozesses,  worin  verschiedenartige  Arbeitsprodukte
einander tatsächlich gleichgesetzt und daher tatsächlich in Waren verwandelt
werden."  (S. l0lf.)  Alle  anderen  Waren  erscheinen  nur  als  "besondere
Äquivalente des Geldes", und das Geld erscheint seinerseits als "ihr allge-
meines Äquivalent". (S. 104)

 

2.  Geld als Wertmaß der Äquivalenz
  Die Äquivalenz des Geldes zu den Waren kommt in verschiedenen Funk-
tionen zur Geltung:
  Gold wird dadurch zu Geld, daß es "als allgemeines Maß der Werte"
fungiert. Es ermöglicht, "die Warenwerte als gleichnamige Größen, qualitativ
gleiche und quantitativ vergleichbare, darzustellen". (Marx 1890, S. 109) Das
Geld wird hier geradezu zum Maßstab der ökonomischen Gleichwertigkeit
("Äquivalenz"), und zwar eben dadurch, daß es selbst schlechthin "Äquiva-
lentform" der Waren ist.
 In dieser seiner Funktion als Wertmaß dient das Geld "als nur vorgestelltes
oder ideelles Geld". (S. 111 ) Heute spricht man vom Geld, soweit die mes-
sende Geldeinheit gemeint ist, präziser von der "Währungseinheit".
 In seiner Meßfunktion tritt das Geld z.B.  beim vertraglichen Kauf von
Ware (S. 150) auf: "Ihr kontraktlich festgesetzer Preis mißt die Obligation des
Käufers, d.h. die Geldsumme, die er an bestimmtem Zeittermin schuldet."
Dabei fungiert das Geld gleichzeitig, wie Marx sagt, als "ideelles Kaufmittel" :
Obgleich es sich nämlich zunächst nur um ein Geldversprechen des Käufers
handelt, noch nicht um das Geld selbst, kann es schon "den Händewechsel
der Ware" bewirken. Insofern erscheint das Geld gar nicht mehr als echtes
"Tauschmittel", sondern als Maßstab für eine Forderung. Und was den Aus-
tausch bewirkt und was in Austausch gegeben wird, ist dabei zunächst ein
rechtliches Gebilde: die rechtlich gesicherte Erwartung zukünftiger Zahlung
von Geld.
  Diese Kaufpreisforderung ist zwar erst in Zukunft fällig. Aber schon in der
Gegenwart verkörpert sie (als vorhandenes Recht auf zukünftige Zahlung) den
Wert, gegen den der andere die Ware zu leisten bereit ist. Und diese zu-
künftige Geldforderung wird in den Einheiten des Wertmaßes "Geld" (Wäh-
rung) bemessen. So entsteht ein "privatrechtlicher Titel auf Geld", der selbst
ein Wirtschaftsgut ist und den "Händewechsel der Ware" bewirken kann.

 

 

3.  Das Zahlungsmittel als äquivalente Inkarnation von Arbeit
  Das Geld fungiert freilich nicht nur als Wertmaß der Äquivalenz (Wäh-
rung), sondern auch als Instrument und Mittel zur Übertragung von Wert in
Gestalt der "allgemeinen Äquivalentform" : "Erst am  fälligen Zahlungstermin
tritt das Zahlungsmittel wirklich in Zirkulation, d.h. (es) geht aus der Hand
des Käufers in die des Verkäufers über." (Marx 1890, S. 150) Insoweit er-
scheint das Geld für Marx dann als "die individuelle Inkarnation der gesell-
schaftlichen Arbeit, selbständiges Dasein des Tauschwerts, absolute Ware."
(S. 152)

 

4.  Naive Schatzbildung und kapitalistische Akkumulation
  In Gestalt seiner allgemeinen Äquivalentform des Geldes kann der Waren-
wert festgehalten werden: "Schatzbildung".
  An sich erscheint der "flüssige Umschlag von Verkauf und Kauf (...) im
rastlosen Umlauf des Geldes oder seiner Funktion als perpetuum mobile der
Zirkulation." Sobald "der Verkauf aber nicht (mehr) durch nachfolgenden
Kauf ergänzt wird," verwandelt sich die rollende Münze in stationäres Geld,
und es "entwickelt sich die Notwendigkeit und die Leidenschaft, (...) die
verwandelte Gestalt der Ware oder ihre Goldpuppe festzuhalten. (...) das Geld
versteinert damit zum Schatz, der Warenverkäufer wird Schatzbildner." (Marx
1890, S. 144).
  Doch handelt es sich dabei nur um die erste, "naive Form der Schatzbil-
dung", bei der sich der jeweilige Überschuß an Gebrauchswerten in Gold und
Silber in einen Geldschatz verwandelt. Diese "naive" Verwendung des Gel-
des ist noch keine kapitalistische Form des Reichtums. Die bloße Nutzung des
Geldes als Schatzbildner hat den Nachteil, daß der "von Natur maßlose"
"Trieb der Schatzbildung" insofern nicht befriedigt wird, als die versteinerte
Geldsumme nicht wächst. Deshalb treibt es den Schatzbildner "stets zurück
zur Sisyphusarbeit der Akkumulation. Es geht ihm wie dem Welteroberer, der
mit jedem neuen Land nur eine neue Grenze erobert." Denn er kann der
Zirkulation "nur in Geld entziehen, was er ihr in Ware" gibt. (S. 147; auch
Marx 1857/8, S. 144)

 

5.  Offene Fragen
  An dieser Stelle wird die Darstellung von Marx undeutlich: Zunächst war
Geld die  "allgemeine  Äquivalentform"  von  Ware. In der Kasse oder im
Sparstrumpf festgehalten, versteinert es zum trägen Schatz, der nicht wächst.
  Auf der anderen Seite ist es evident, daß angelegtes Geldkapital Zinsen
bringt. Solches Geldvermögen wächst. Es vermehrt sich, - und zwar ohne
daß der Geldbesitzer dabei wie Sisyphus ewig schuften und schwitzen muß.
Deshalb treibt es das Geld auch immer wieder aus den Kassen. Dem Geld-
besitzer entgeht sonst die Chance, sein Vermögen zu vermehren.
  Schuften und schwitzen muß der Geldkapitalist nur, wenn er mit seinem
eigenen Kapital Produktionsmittel erwirbt und selbst als Unternehmer von früh
bis spät Organisations-, Dispositions- und Leitungsarbeit erbringt: und zwar
so, daß er sich dafür nicht nur einen angemessenen Unternehmerlohn ver-
dient,  sondern dabei  auch noch eine  angemessene  Kapitalrendite  für sein
Eigenkapital herauswirtschaftet. Und "rentabel" arbeitet dieser unser Eigen-
kapital-Unternehmer nur dann, wenn er zusätzlich zu seinem Unternehmer-
lohn aus seinem Geldkapital wenigstens so viel herausholt, wie er herausholen
würde, wenn er gerade nicht selbst schuftete und schwitzte, sondern sein Geld
bequem und einfach verleihen würde.
  Schuften und schwitzen also muß unser Geldanleger nur, wenn er ein
doppeltes Rollenspiel spielt, bei dem er sich in zwei verschiedenen ökonomi-
schen Funktionen betätigt: wenn er nämlich sein Geld bei sich selber als dem
Unternehmer anlegt, der damit wirtschaftet. Dann beutet er in seiner Rolle als
Kapitalist sein alter ego aus, das in der anderen Rolle als Unternehmer ar-
beitet. So klärt sich das Verhältnis zwischen dem "Geldkapitalisten" und dem
"fungierenden" oder "industriellen Kapitalisten." Dabei nötigt die kapitalisti-
sche Seele die unternehmerische Seele, unternehmerische Mehrarbeit zu er-
bringen, damit das von der kapitalistischen Seele eingesetzte Eigenkapital auch
angemessen verzinst werde. (Suhr/Godschalk 1986, S. 74f.)
  Marx  hat diese  zwei  Seelen in der Brust des  Eigenkapitalunternehmers
genau beschrieben:
  "Der Anwender des Kapitals, auch wenn er mit eigenem Kapital arbeitet,
  zerfällt in zwei Personen, den bloßen Eigentümer des Kapitals und den
  Anwender des Kapitals: sein Kapital selbst, mit Bezug auf die Kategorien
  von Profit, die es abwirft, zerfällt in Kapitaleigentum, Kapital außer dem
  Produktionsprozeß, das an sich Zins abwirft, und Kapital, das im Pro-
  duktionsprozeß prozessierend Unternehmergewinn abwirft." (Marx 1894,
  S. 388)
  Soll der Kapitaleigentümer zu seinem Ziel gelangen und den Mehrwert
erhalten, dann muß der Industrielle sich ins Zeug legen und in den Dienst des
Kapitaleigentümers treten. Er muß sich mit seinem kapitalistischen alter ego
identifizieren und wird dadurch wirklich zum "funktionierenden Kapitalisten".
  Und auch, wenn es sich beim Kapitalgeber und Unternehmer um ver-
schiedene Personen handelt, kann ein tüchtiger Mensch, der zum Unternehmer
wie geschaffen ist, diese seine Funktion unter den Bedingungen des überlie-
ferten Systems nur erfüllen, wenn er die Mehrwerterwartungen des Geldgebers
erfüllt, sich also als dessen verlängerter Arm versteht. Die Kapitaleigentümer
haben es daher in der Hand, mit Hilfe des Geldhebels die Unternehmer auf
ihre Seite zu ziehen, sie für die Rolle des "fungierenden Kapitalisten" einzu-
kaufen und eben dadurch auch in Gegensatz zu den Arbeitnehmern zu brin-
gen, die an sich originäre Verbündete wären in der Konfrontation mit den
Geldgebern.
  Zu den weiteren offenen Fragen gehört auch, daß Marx im Zusammenhang
mit der kapitalistischen Vermögensmehrung feststellt, der (kapitalistische, nicht
mehr nur "naive") Schatzbildner könne der Zirkulation "nur in Geld entziehn
was er ihr in Ware gibt." (Marx 1890, S. 147) Denn der Geldverleiher kann
in Wirklichkeit der Zirkulation durchaus Geld in Gestalt von Zinsen entziehen,
ohne ihr etwas in Gestalt von Waren zu geben: nämlich einfach dadurch, daß
er jemand anderem sein Geld vorübergehend zur Nutzung überläßt. Er be-
kommt seinen Zins schlicht für die zeitweilige Überlassung des Geldes.
  Diese Unvollständigkeit und  Ungenauigkeit bei  Marx  erklärt  sich  zwar
später dadurch, daß Marx ausdrücklich das "Handelskapital und Wucherka-
pital" zunächst unberücksichtigt läßt.  (S. 178) Aber eben deshalb stolpert
Marx an dieser Stelle wieder nicht über die entscheidenden Fragen, die sich
hier an sich unausweichlich stellen:
- Welche Eigenschaften des Geldes machen das Geld als solches ökonomisch
  so nützlich und begehrt, daß man es gegen Entgelt verleihen und daß man
  auf diese Art und Weise sein Geldvermögen vermehren kann, ohne daß
  man wie der arme Sisyphus schuften und schwitzen muß?
- Welche Eigenschaften des Geldes sind dafür verantwortlich, daß andere
  bereit sind, für den vorübergehenden Gebrauch von Geld Zinsen zu zah-
  len? Und:
- Welche Produktionsleistung wird honoriert,  wenn die zeitweilige Inan-
  spruchnahme von Geld für Konsum oder für ein Begräbnis mit Zins be-
  zahlt wird?
  Diese Fragen lassen wiederum vermuten, daß das Geld gerade nicht nur ein
schlichtes Äquivalent der Ware darstellt, sondern darüber hinaus Eigenschaften
besitzt, die selbst wiederum geldwert sind: Mehrwert-Eigenschaften! Also gilt
es, weiter nachzuforschen, ob und inwiefern Marx Beobachtungen mitteilt, die
uns diese zusätzlichen Geldeigenschaften zeigen, welche so angenehm oder
nützlich sind, daß man bereit ist, dafür einen Preis wiederum in Form von
Geld zu zahlen.

 

II.   Geld als ein der Ware überlegenes Nicht-Äquivalent
  Man muß nicht lange suchen, um bei Marx in einschlägigen Zusammen-
hängen Beschreibungen zu finden, die das Geld in einer Rolle zeigen, die es
gegenüber den Waren ökonomisch auszeichnet. Stanisic (1925, S. 6-9) hat
einige der aufschlußreichsten Formulierungen zusammengetragen. Das Mate-
rial ist aber noch etwas reichhaltiger und differenzierter.

 

l.  Geld als schlagfertige gesellschaftliche Macht in privater Hand
  Der Unterschied zwischen Ware und Geld wird zunächst sehr exakt als
unterschiedliche Brauchbarkeit im Tauschverkehr erfaßt: Die Ware ist "ge-
genüber dem  Geld ein  Tauschmittel  von  nur beschränkter Kraft".  (Marx
I857/8, S. 114) Gold und Silber hat den anderen Waren "voraus", daß mit
wenig  Metall  viel  Tauschwert  verbunden  ist:  "Dadurch  Leichtigkeit  des
Transports,  der Übertragung usw. In einem  Wort,  Leichtigkeit der realen
Zirkulation, was natürlich (die) erste Bedingung für ihre ökonomische Funk-
tion als Zirkulationsmittel (ist)." (S. 897f., 83)
  Marx erkennt selbstverständlich auch, daß das Geld typischerweise bestän-
diger ist als die meisten anderen Waren; aber er zieht daraus keine Folge-
rungen hinsichtlich einer etwaigen  Nicht-Äquivalenz  im Ablaufe der  Zeit:
"Waren sind vergängliches Geld; das Geld ist die unvergängliche  Ware".
(Marx 1857/8, S. 67). Das "Anhäufen von Gold und Silber" unterscheidet sich
vom "Anhäufen anderer Waren" auch durch deren größere "Vergänglichkeit" .
(S.144)
 Oben wurde schon zitiert, daß die Geldware die "spezifisch gesellschaft-
liche Funktion" erlangt, "innerhalb der Warenwelt die Rolle des allgemeinen
Äquivalents zu spielen."(Marx 1890, S. 83) Im gleichen Satz wird diese ge-
sellschaftliche Funktion und Rolle beschrieben als "gesellschaftliches Mono-
pol", und im nächsten Satz ist von dem "bevorzugten Platz" die Rede, den
das Geld "unter den Waren" habe. Erst in der versachlichten Form des Gel-
des "erhalten und beweisen" die Produkte und die Tätigkeit der Individuen
"ihre gesellschaftliche Macht". (Marx 1857/8, S. 76)
  Als "bevorzugte" Ware unter den Waren aber kann die Geldware schwer-
lich noch gleichwertig im Sinne eines vollkommenen Äquivalents sein. In
anderen Zusammenhängen ist die Rede vom "Privilegium dieser besonderen
Ware" (Marx 1857/8, S. 84) oder von der "Suprematie des Geldes" gegen-
über den "wirklichen Bedürfnissen der Produktion". (S. 144)
  Doch damit nicht genug. Das Geld erscheint auch als der "nervus rerum",
als "gesellschaftliches Faustpfand", und im gleichen Absatz ist die Rede von
der "Macht des Geldes, der stets schlagfertigen,  absolut gesellschaftlichen
Form des Reichtums." Und Marx zitiert dann im Gedanken an das Geld zu-
stimmend: "Gold ist ein wunderbares Ding! Wer dasselbe besitzt, ist Herr von
allem, was er wünscht. Durch Gold kann man sogar Seelen in das Paradies
gelangen lassen." (Marx 1890, S. 145) In anderem Zusammenhang wird der
Spekulationsnutzen des Geldes mit Hilfe eines Zitats beschrieben: "Der große
Vorteil, der mit dem Besitz von Gold und Silber verbunden ist, da er die
Möglichkeit gibt, die günstigsten Momente des Kaufes auszuwählen." (Msrx
1862/3, S. 525)
  Durch das Geld wird die Zirkulation zu einer großen, alchimistischen ge-
sellschaftlichen Retorte "worin alles hineinfliegt, um als Geldkristall wieder
herauszukommen." Und dieses wunderbare Geld "ist aber selbst Ware, ein
äußerlich Ding,  das  Privateigentum eines jeden werden kann.  Die gesell-
schaftliche Macht wird so zur Privatmacht der Privatperson." (Marx 1890,
S. 145/6) Und als ob die "Magie des Geldes" (S. 107; neuerdings Binswanger
1985) und die "scheinbar transzendentale Macht" (Marx 1857/8, S. 65) des
Geldes gar nicht lebendig genug geschildert werden könnten, werden noch
Shakespeare und Sophokles zu Zeugen gerufen. (Marx 1890, S. 146)
  Allen diesen Stellungnahmen zum Geld sind frühere vorhergegangen, von
denen die bemerkenswerteste wohl die in dem Artikel "Zur Judenfrage" ist.
Das Geld erscheint dabei als "weltlicher Gott" oder als "Weltmacht", und es
heißt:
   "Die Emanzipation vom Schacher und vom Geld (...) wäre die Selbst-
   emanzipation unsrer Zeit."  "Der Gott des praktischen Bedürfnisses und
   Eigennutzes ist das Geld. Das Geld ist der eifrige Gott Israels, vor wel-
   chem kein andrer Gott bestehen darf. Das Geld erniedrigt alle Götter des
   Menschen - und verwandelt sie in Ware. Das Geld ist der allgemeine,
   für sich selbst konstituierte Wert aller Dinge. Es hat daher die ganze Welt,
   die Menschenwelt wie die Natur, ihres eigentümlichen Wertes beraubt.
   Das Geld ist das dem Menschen entfremdete Wesen seiner Arbeit und
   seines Daseins, und dies fremde Wesen beherrscht ihn, er betet es an. Der
   Gott der Juden hat sich verweltlicht, ist zum Weltgott geworden." (Marx
   1844, S. 372-375)
   
 Nach allem erscheint Geld bei Marx in der Tat einerseits als bloße "Äqui-
valentform" der Ware, andererseits aber als ein geradezu magisches Instru-
ment privater gesellschaftlicher Macht, in dessen Angesicht sich alles in ihm
untergeordnete Ware verwandelt.

 

2.  Widersprüchlichkeit des Geldes
  Marx ist sich dieses Widerspruches zwischen  "Äquivalent" und  "Nicht-
Äquivalent" durchaus bewußt.  Zunächst erscheint er ihm als Widerspruch
zwischen dem ideellen Maß der Werte einerseits und dem sich verselbständi-
genden Zahlungsmittel andererseits. Dann aber kann sich die Macht des ver-
selbständigten Geldes auch ganz real und handfest zeigen:  "Dieser Wider-
spruch eklatiert in dem Moment der Produktions- und Handelskrisen, der
Geldkrise heißt." Hier schlage das Geld plötzlich und unvermittelt um aus der
nur ideellen Gestalt in "hartes Geld" :
   "Es wird unersetzlich durch profane Waren. Der Gebrauchswert der Ware
   wird wertlos, und der Wert verschwindet vor seiner eigenen Wertform.
   Eben noch erklärte der Bürger in prosperitätstrunkenem Aufklärungsdünkel
   das Geld für leeren Wahn. Nur die Ware ist Geld."
  Und im nächsten Moment gellt es jetzt über den Weltmarkt: "Nur das Geld
ist Ware!" In der Krise wird der Gegensatz zwischen der Ware und ihrer
Wertgestalt, dem Geld, bis zum absoluten Widerspruch gesteigert.  (Marx
1890, S. 152)
  Marx sieht Widersprüche am Werke, die das Geld erst zum Machtmittel
werden lassen. Voraussetzung dafür ist die Entwicklung und Versachlichung
des Geldes:
  "Das Bedürfnis des Austauschs und die Verwandlung des Produkts in rei-
  nen Tauschwert schreitet voran im selben Maße wie die Teilung der Ar-
  beit, d.h. mit dem gesellschaftlichen Charakter der Produktion. Aber in
  demselben Maße wie dieser wächst, wächst die Macht des Geldes, d.h.
  setzt sich das Tauschverhältnis als eine den Produzenten gegenüber äußere
  und von ihnen unabhängige Macht fest. In demselben Verhältnis, wie die
  Produzenten vom Austausch abhängig werden, scheint der Austausch von
  ihnen unabhängig zu werden und die Kluft zwischen dem Produkt als
  Produkt und dem Produkt als Tauschwert zu wachsen." (Marx 1857/8,
  S. 64f.)
  Das Geld ist in sich selbst "immanent"  widersprüchlich.  Durch seine
Verselbständigung verkehrt es die Verhältnisse:
  "Das Geld ist ursprünglich Repräsentant aller Werte; in der Praxis dreht
  sich die Sache um, und alle realen Produkte werden die Repräsentanten
  des Geldes. (...) Wir sehen also, wie es dem Geld immanent ist, seine
  Zwecke zu erfüllen, indem es sie zugleich negiert; sich zu verselbständi-
  gen gegen die Waren; aus einem Mittel zum Zweck zu werden; den
  Tauschwert der Waren zu realisieren, indem es sie von ihm lostrennt; den
  Austausch zu erleichtern, indem es ihn spaltet; die Schwierigkeiten des
  unmittelbaren Warenaustauschs zu überwinden, indem es sie verallgemei-
  nert; in demselben Grad, wie die Produzenten vom Austausch abhängig
  werden,  den  Austausch  gegen  die  Produzenten  zu  verselbständigen."
  (S. 67 - 69)
  
  Obwohl diese Widersprüche dem Geld "immanent" sind, so heißt es doch
auch, gerade nicht das Geld bringe die Gegensätze und Widersprüche, son-
dern die Gegensätze und Widersprüche brächten die "scheinbar transzenden-
tale Macht des Geldes" hervor. (S. 65) Wenn aber die Macht des Geldes erst
ein Produkt der Entwicklung zum Kapitalismus ist, - wieso kommt dann der
Zins des Wuchergeldes schon vorher?

 

3.   Asymmetrie von Verkauf und Kauf
    Doch nicht nur in diesem immanenten Widerspruch, und auch nicht erst in
der Krise, wo er auf die Spitze getrieben wird, zeigt sich der Widerspruch
zwischen dem Geld als der bloßen Äquivalentform der Ware einerseits und
dem Geld als einem Herrschaftsinstrument andererseits. Vielmehr läßt er sich
schon in jedem einzelnen, kleinen Geschäft mit Geld und Ware beobachten, in
dem sich der geldbesitzende Käufer und der Verkäufer eigener Ware oder
Arbeit gegenüberstehen.
  In  allen  diesen  Geschäften  zeigt  sich  eine  Asymmetrie.  (Suhr  1983,
S. 22ff.;  Suhr/Godschalk  1986,  S.28ff.)  Sie  hängt  zusammen  mit  zwei
Geldeigenschaften: Erstens mit der optimalen Tauschbarkeit des Geldes, die
von seiner allgemeinen Äquivalentform herührt, zweitens damit, daß es dem
Geldbesitzer als "Schatzbildner" freisteht, sein Geld nicht als Käufer auszu-
geben, sondern zurückzuhalten ("naive" Schatzbildung) oder Kapitalzwecken
zu widmen (kapitalistische "Schatzbildung" mit Mehrwertgenerierung). Marx
verspottet jene Ökonomen, die ein "notwendiges Gleichgewicht der Verkäufe
und Käufe" annehmen, (Marx 1890, S. 127) also voraussetzen, jeder Ver-
käufer könne eines eigenen Käufers sicher sein.
  Er zitiert als "Probe ökonomischer Apologetik" James Mil1 mit folgender
Annahme:
  "Es kann nie einen Mangel an Käufern für alle Waren geben. Wer immer
  eine Ware zum Verkauf darbietet, verlangt eine Ware im Austausch dafür
  zu erhalten, und er ist daher Käufer durch das bloße Faktum, daß er
  Verkäufer ist.  Käufer und Verkäufer aller Waren zusammengenommen
  müssen sich daher durch eine metaphysische Notwendigkeit das Gleich-
  gewicht halten." (Marx 1859, S. 78)

     Und Marx entgegnet dieser Gleichgewichts- und Symmetrieannahme mit
schneidiger Ironie:
        "Das metaphysische Gleichgewicht der Käufer und Verkäufer beschränkt
        sich darauf, daß jeder Kauf ein Verkauf und jeder Verkauf ein Kauf ist,
        was kein sonderlicher Trost (ist) für die Warenhüter, die es nicht zum
        Verkauf, also auch nicht zum Kauf bringen." (S. 78)
   
     Dem liegt folgende Ungleichheit zwischen Verkäufer und Käufer zugrun-
de: "Keiner kann verkaufen, ohne daß ein anderer kauft. Aber keiner braucht
unmittelbar zu kaufen, wenn er selbst verkauft hat." (Marx 1890, S. 127) In
der Phase G-W des Prozesses G-W-G ist der Käufer im Vorteil: "Er kann
warten," schreibt Engels (1868, S. 250), während W-G als Phase des Ver-
kaufs einschließt, "daß die Ware nutzlos ist, wenn sie nicht verkauft wird,
und ebenso, daß dieser Fall eintreten kann."
     Dadurch also, daß der schlichte Tausch in Verkauf und Kauf aufgespalten
wird und das Geld dazwischentritt, entsteht eine elementare Ungleichheit.
Marx scheut sich nicht, dafür vielfache Belege anzuführen. Und weil es auf
die Asymmetrie, die das Geld in das System des Austauschens bringt, bei der
Beurteilung der etwaigen kapitalistischen Eigenschaften des Geldes entschei-
dend ankommt, sollen die Belege für die "verschiedenen Formbestimmungen"
der Waren, auf die Marx zustimmend Bezug nimmt, (Marx 1859, S. 78f.;
1890, S. 127f.) auch hier ausführlich wiedergegeben werden:
       "Im Besitz von Geld brauchen wir nur einen Tausch zu machen, um den
        Gegenstand des Wunsches zu erlangen, während wir mit anderen Sur-
        plusprodukten zwei machen müssen, von denen der erste (Besorgung des
        Geldes) unendlich schwieriger ist als die zweite." (George Opdyke) "Die
        höhere Verkaufbarkeit von Geld ist gerade die Wirkung oder natürliche
        Konsequenz der geringeren Verkaufbarkeit von Waren." (Thomas Corbet)
        "Geld hat die Eigenschaft, immer gegen das austauschbar zu sein, was es
        mißt."  (Charles Bosanquet)  "Geld kann immer andere  Waren kaufen
        während  andere  Waren  nicht  immer  Geld  kaufen  können."  (Thomas
        Tooke)
   
   Neuerdings wird die einzigartige Tauschbarkeit, die das Geld vor anderen
Waren auszeichnet, betont z.B. von Lawrence H.  White (1987, S. 452, im
Anschluß an Leland B. Yeager, 1968, S. 45ff.): "Money's supreme salability
in comparison with all other assets."
  Die Produkte werden nicht mehr direkt ausgetauscht, weil die "vorhandene
unmittelbare Identität zwischen dem Austausch des eigenen und dem Eintausch
des fremden Arbeitsprodukts" aufgespalten ist. Das Geld tritt dazwischen:
  "Die Trennung von Verkauf und Kauf (...) macht eine Masse Scheintrans-
  aktionen vor dem definitiven Austausch (...) möglich und befähigt so eine
  Masse  Parasiten,  sich  in den Produktionsprozeß einzudrängen und die
  Scheidung auszubeuten." (Marx 1859, S. 79)
  Denn das Geld erlangt als Vermittler der Warenzirkulation die Funktion des
Zirkulationsmittels. Als solches kann es sich gegen die Zirkulation wenden,
also Krisen auslösen. (Marx 1890, S. 152) Es kann sich als Mittler der wirt-
schaftlichen Kommunikation versagen, indem Geldbesitzer es zurückhalten und
nur unter Bedingung wieder zur Verfügung stellen.
  An die Stelle des "identischen" und symmetrischen Austauschprozesses der
Tauschwirtschaft tritt die asymmetrische Struktur von Verkauf und Kauf: Der
Käufer kann kaufen wann er will, und er braucht nicht unmittelbar zu kaufen,
wenn er selbst verkauft hat. Der Verkäufer aber bleibt auf seiner Arbeits-
kraft oder Ware sitzen, wenn und solange es dem Geldbesitzer beliebt, nicht
oder noch nicht zu kaufen.
  Wer aber seine Arbeit oder Ware nicht loswird, weil er dabei vom Kauf
willen der Geldbesitzer abhängt,  -  wer insbesondere seine eigene Arbeit
nicht als Ware verkaufen kann, der kann anschließend auch nicht als Käufer
auftreten: der kann sich nicht die Lebensmittel und Produktionsmittel besor-
gen, deren er bedarf, um zu leben, zu arbeiten, zu produzieren und zu kon-
sumieren. Noch einmal:
  "Das metaphysische Gleichgewicht der Käufer und Verkäufer beschränkt
  sich darauf, daß jeder Kauf ein Verkauf und jeder Verkauf ein Kauf ist,
  was kein sonderlicher Trost (ist) für die Warenhüter, die es nicht zum
  Verkauf, also auch nicht zum Kauf bringen." (Marx 1859, S. 78)
  So beginnt die Abhängigkeit des Arbeiters als eines Verkäufers von Arbeit,
bevor er ins Geschäft kommt; und so wiederholt sich seine Abhängigkeit je-
desmal, wenn er wieder von vorn anfängt und seine Arbeit anbietet.
  Der Besitzer des Zirkulationsmittels hat es in der Hand, ihm den Eintritt in
die Zirkulation zu versagen. "Die Wucherer verwandeln sich (...) in Beherr-
scher des Zirkulationsmittels (... und) damit in Beherrscher der Produktion."
(Engels 1894, S. 284) Diese Macht geht nicht aus der Arbeit hervor, deren
Wert im Geld steckt, sondern daraus, daß das Austauschbedürfnis ausgebeutet
wird:
 "Das Bedürfnis des Austauschs und die Verwandlung des Produkts in rei-
 nen Tauschwert schreitet voran im selben Maß wie die Teilung der Arbeit,
 d.h. mit dem gesellschaftlichen Charakter der Produktion. Aber in dem-
 selben Maß wie dieser wächst, wächst die Macht des Geldes." (Marx
 1857/8, S. 64)
 Diese Macht des Geldes ist nicht die Macht des Verkäufers, der unbeweg-
liche Ware oder Arbeit bietet, sondern die des Käufers, der das bewegliche
Geld in der Hand hat. Und sie ist die Macht des Geldgebers, der mit dem
Geld über die Macht verfügt, andere zu Käufern zu machen.
  Wer innerhalb der Gesellschaft reich ist, der kann sich typischerweise in
die Rolle des Geldbesitzers und Käufers begeben. Wer dagegen sieht sich
typischerweise immer wieder auf die Rolle des Verkäufers verwiesen? Die
Antwort ist einfach: Wer von seiner Arbeit leben muß, der muß seine Arbeit
als Ware verkaufen, hat also die schlechtere Waren-Karte des Wirtschafts-
spiels in der Hand. Wer dagegen irgendwelche seiner Güter nicht selbst ge-
brauchen muß, der kann sie versilbern und zu Geld machen: Dann hat er
Anteil am "gesellschaftlichen Monopol" des "allgemeinen Äquivalents" Geld ,
vermittels dessen die "gesellschaftliche Macht" "Privatmacht" wird.
  Wenn es richtig ist, daß keiner verkaufen kann, ohne daß einer kauft, aber
keiner kaufen muß, nur weil er schon verkauft hat: dann sitzt der Käufer mit
seinem Geld in der Tat am längeren Hebel, - dann ist denkbar, daß er die
Situation ausnutzen kann, um mehr als ein Äquivalent herauszuschlagen, -
dann ist denkbar, daß der Verkäufer der Ware "Arbeitskraft" weniger als ein
Äquivalent bekommt. Denn wer am längeren Hebel sitzt, kann mehr Druck
ausüben. Er hat die größere Verhandlungsmacht, während der andere unter
Verhandlungsdruck gerät. So kommt ein ungleiches Geschäft zustande, bei
dem der Geldbesitzer einen Preis heraushandeln kann, der den Preis unter
Gleichgewichtsbedingungen übersteigt.
 Und in der Tat: Marx beschreibt den kapitalistischen Produktionsprozeß als
einen Vorgang, in dessen Verlaufe der Kapitalist am Ende weniger Arbeit
bezahlt, als er bekommt, so daß auch der Arbeiter weniger Geld bekommt, als
er an Arbeit leistet. Also kann der Kapitalist bequem Surplus-Arbeit schlicht
einkaufen. So einfach scheint die Sache mit dem Mehrwert zu sein.
 Aber Marx selbst will den Vorgang des Verkaufs und Kaufs von Arbeit
und die Entstehung des Mehrwertes dann doch auch wieder gerade nicht als
"surcharge" (Aufpreis beim Vertragsabschluß) gedeutet wissen. (Marx 1862/3,
S. 512) Es ist, als wäre ihm das zu einfach. Es ist, als wolle Marx größere
und schwierigere Geheimnisse aufklären: Er fordert den Leser auf, die ge-
räuschvolle Sphäre der Zirkulation und des Austauschs zu verlassen, um mit
ihm in die "verborgene Stätte der Produktion" einzudringen. Dort werde sich
zeigen, nicht nur wie das Kapital produziert, sondern auch wie man es selbst
produziert; und jetzt wird der Vorgang geradezu paradox: "Dieser ganze
Verlauf, die Verwandlung eines Geldes in Kapital, geht in der Zirkulations-
sphäre vor und geht nicht in ihr vor." (Marx 1890, S. 209) Ein späterer
Kritiker sieht das ganz anders:
 "Der Verbraucher, von persönlichen Bedürfnissen getrieben, kann nicht
 warten, obschon sein Geld es ihm erlauben würde; der Warenerzeuger
 kann auch nicht warten, obschon seine persönlichen Bedürfnisse es ihm in
 manchen Fällen wohl gestatten würden; aber der als Kaufmann auftretende
 Geldbesitzer, der Eigentümer des allgemeinen, unentbehrlichen Tausch-
 mittels, der kann warten, der kann Warenerzeuger und -verbraucher re-
 gelmäßig dadurch in Verlegenheit bringen, daß er mit dem Tauschmittel
 (Geld) zurückhält. Und die Verlegenheiten des einen sind ja im Handel
 das Kapital des anderen." (Gesell 1949, S. 316f.)

 

4. Neutralisierung der Asymmetrie durch Rollentausch?
 Ich kann und will hier nicht auf die subtilen Mehrwerterklärungen einge-
hen, bei denen insbesondere sorgfältig zwischen Arbeitswert, Gebrauchswert
und Tauschwert unterschieden wird. Vielmehr möchte ich mich mit einer
einfacheren Vorüberlegung auseinandersetzen, mit der Marx sich und seine
Leser davon überzeugt, daß der Mehrwert trotz Überlegenheit des Geldes
gegenüber der Ware im allgemeinen und gegenüber der Arbeit im besonderen
nicht schon bei Gelegenheit des Verkaufs und Kaufes von Ware oder Arbeit
einfach als "surcharge" (Aufpreis) entsteht:
 Zunächst wird bei Marx, wo es um den Mehrwert geht, der eklatante Un-
terschied zwischen Ware und Geld, der andernorts als geradezu magisch be-
schrieben wird, sowie der Unterschied zwischen Verkauf und Kauf, der an-
dernorts mit großem Zitataufwand belegt wird, rhetorisch bis zur Irrelevanz
heruntergespielt, - als ob Marx sich selbst davon überzeugen müsse, daß es
diesen eklatanten Unterschied gar nicht gibt:
 "Jedenfalls steht auf dem Warenmarkt nur (!) der Warenbesitzer dem
 Warenbesitzer gegenüber, und die Macht, die diese Personen über einan-
 der ausüben, ist nur (!) die Macht ihrer Waren. Die stoffliche Verschie-
 denheit der Waren ist das stoffliche Motiv des Austausches und macht die
 Warenbesitzer wechselseitig voneinander abhängig, indem keiner von
 ihnen den Gegenstand seines eigenen Bedürfnisses und jeder von ihnen
 den Gegenstand des Bedürfnisses des anderen in seiner Hand hält. Außer
 dieser stofflichen Verschiedenheit ihrer Gebrauchswerte besteht nur (!)
 noch ein Unterschied unter den Waren, der Unterschied zwischen ihrer
 Naturalform und ihrer verwandelten Form, zwischen Ware und Geld. Und
 so unterscheiden sich die Warenbesitzer nur (!) als Verkäufer, Besitzer von
 Ware, und als Käufer, Besitzer von Geld." (Marx 1890, S. 174f.)
 Nachdem so praktisch kein Unterschied mehr zwischen Ware und Geld,
zwischen Verkäufer und Käufer sichtbar ist bis auf den kleinen zwischen
Naturalform und Geldform, spielt Marx zwei (für ihn rein hypothetische) Fälle
vollkommen abstrakt durch, nämlich die, daß entweder der Käufer oder der
Verkäufer eine ausgezeichnete, bessere Position habe. Einerseits:
 "Gesetzt nun, es sei durch irgend ein unerklärliches Privilegium dem Ver-
 käufer gegeben, die Ware über ihrem Werte zu verkaufen, zu 110, wenn
 sie 100 wert ist, also mit einem nominellen Preisaufschlag von 10 % . Der
 Verkäufer kassiert also einen Mehrwert von 10 ein. Aber nachdem er
 Verkäufer war, wird er Käufer. Ein dritter Warenbesitzer begegnet ihm
 jetzt als Verkäufer und genießt seinerseits das Privilegium, die Ware 10 %
 teurer zu verkaufen. Und unser Mann hat als Verkäufer 10 gewonnen, um
 als Käufer 10 zu verlieren. (...)" (S. 175)
Andererseits:
  "Unterstellen wir umgekehrt, es sei das Privilegium des Käufers, die Ware
  unter ihrem Wert zu kaufen. Hier ist es nicht einmal nötig zu erinnern,
  daß der Käufer wieder Verkäufer wird. Er war Verkäufer bevor er Käufer
  war. Er hat bereits  10 %  als Verkäufer verloren, bevor er 10 % als
  Käufer  gewinnt.  Alles  bleibt  wieder  beim  alten."  "Die  Bildung  von
  Mehrwert und daher die  Verwandlung von  Geld in Kapital kann also
  weder dadurch erklärt werden, daß die Verkäufer die Waren über ihrem
  Werte verkaufen, noch dadurch, daß die Käufer sie unter ihrem Werte
  kaufen." (S. 175)
  Diese hypothetischen und hochabstrakten Gedankenspiele sind scheinbar
überzeugend und unwiderlegbar; wird doch der etwaige Vorteil des Käufers
sofort kompensiert durch den Nachteil, den er anschließend als Verkäufer hat.
Auf die gleiche Art und Weise scheint sich der Nachteil, den der Mensch in
der Rolle als Verkäufer seiner Arbeit hat, alsbald auszugleichen durch den
Vorteil, den er in der Rolle des Käufers seiner Lebensmittel genießt. Doch
der Schein dieser formalen Symmetrie trügt, und Marx, der Theoretiker des
historischen Materialismus, läßt sich durch die ideale Gleichheit in der Ab-
wechslung der Rollenspiele als Verkäufer und Käufer täuschen.
  Marx nämlich vergißt, vernachlässigt, ja verdrängt hier geradezu genau
diejenige fundamentale Polarisation zwischen Kapital und Arbeit, die sonst den
historischen Ausgangspunkt und die materialistische Grundlage seiner Kritik
der politischen Ökonomie konstituiert: Die hypothetischen und hochabstrakten
Gedankenspiele von Marx zur Rolle von Verkäufer und Käufer setzen einfach
die Symmetrie wirtschaftlich voraus, die Marx andernorts bestreitet und die
dann scheinbar bewiesen wird. In seinen Gedankenspielen behandelt Marx
nämlich abstrakt und formal den Arbeiter, der seine Arbeit verkaufen und
Lebensmittel erwerben muß, um leben zu können, nicht anders als den Kapi-
talisten, der Arbeit kauft oder Waren kauft, weil er schon leben kann und dar-
überhinaus Profite machen möchte.
  Marx setzt unausgesprochen reale symmetrische Bedingungen voraus: daß
alle Beteiligten an dem Spiel von Verkauf und Kauf zu Beginn gleichermaßen
reich, gleichermaßen dringend auf den Erwerb von Lebensmitteln angewiesen
und auf die Dauer gleichermaßen sparwillig und sparfähig sind. Denn nur
unter dieser ökonomisch irrealen Annahme geht die Kompensationsrechnung
auf, die Marx vorführt. Genau diese Annahme aber ist nicht erfüllt, wenn
man mit Marx die historische Trennung von Kapital und Arbeit voraussetzt.
Dann muß man von Arbeitern ausgehen, die verkaufen und kaufen müssen,
um zu leben, und von Vermögenden, die anderer Leute Arbeit kaufen kön-
nea, aber nicht müssen.
  So beginnt das Spiel mit einer Art "Kurvenvorgabe" für den Geldbesitzer
und mit Nachteilen für den Verkäufer von Arbeit: "Keiner kann verkaufen"
(auch kein Arbeiter), "wenn keiner kauft" (nämlich der Kapitalist die Arbeit),
sagt Marx. (Marx 1890; S. 127) Der Käufer kann den Verkäufer zappeln
lassen.
  Hat der Kapitalist den Arbeiter genug zappeln lassen, um den gewünschten
Aufpreis zu erzielen (surcharge), dann bekommt der Arbeiter seinen Lohn und
der Kapitalist produziert mit der unterbezahlten Arbeit  Waren.  Daraufhin
tauschen sie zwar nicht ihre Rollen als Kapitalist und Nichtkapitalist, wohl
aber ihre Rollen als Käufer und Verkäufer: Jetzt, meint Marx, kann der Ar-
beiter als Konsument dem Kapitalisten den etwaigen Aufschlag wieder ab-
nehmen, den der Kapitalist beim Arbeitsvertrag durchgesetzt hat:  "Unser
Mann", der Arbeiter,  "hat bereits 10 %  als Verkäufer verloren, bevor er
10 %  als Käufer", als Konsument, wieder "gewinnt".  "Alles bleibt wieder
beim alten". (S . 175)
  Es stehen sich aber nach wie vor gegenüber ein wohlhabender Kapitalist,
der warten kann, auch wenn er dabei seinen Profit verringert, und ein Ar-
beiter und Konsument, der seine Arbeit verkaufen will, weil er Milch, Brot
und Wohnung kaufen muß. Jenem geht es in jeder Runde um Profit am
Rande seines bereits großen Vermögens. Diesem geht es in jeder Runde um
seine Existenz, und der Geldbesitzer hat ihn am Gängelband des von Marx
selbst betonten "Vorschusses".
  Davon, daß der Arbeiter in der Rolle des Konsumenten sich als Käufer
zurückholen könne,  was er als  Verkäufer von Arbeit an Mehrarbeit hat
draufgeben müssen, kann nicht die Rede sein. Viel eher besteht die Möglich-
keit, ihn ein zweites Mal auszubeuten, und sei es mit den Zinsen für einen
Konsumentenkredit.
  Und wenn der Arbeiter als Konsument sein Geld für die Befriedigung sei-
ner Bedürfnisse ausgegeben und der Kapitalist seine Waren an den Mann
gebracht hat, stehen sie sich wieder in der ersten, ungleichen Runde gegen-
über, aber so, daß der Kapitalist jetzt noch etwas besser, der Arbeiter also
noch etwas schlechter ausgestattet in die Verhandlungen geht. Und weil der
Kapitalist nicht nur über die Produktionsmittel verfügt, sondern auch über das
Zirkulationsmittel, können die Arbeiter auch nicht einfach selbst miteinander
ins Geschäft kommen, eine Produktion ohne die Vermögenden aufbauen und
sich von den Herrn über die Zirkulation emanzipieren.
  Denn  für den Arbeiter gilt,  solange die typische  "Polarisation"  anhält,
gerade nicht allgemein: "Keiner braucht unmittelbar zu kaufen, weil er selbst
verkauft hat." (S. 127) Denn der Arbeiter verkauft seine Arbeit, um alsbald
etwas zu kaufen. Es sind die gleichen existentiellen Bedürfnisse, die ihn zu-
nächst nötigen, seine Arbeitskraft zu verkaufen, und dann, das verdiente Geld
anzubieten gegen Lebensmittel. Der Druck, unter dem er beim Kaufen steht,
gleicht dem, unter dem er schon beim Verkauf seiner Arbeit stand.

III.   Deutung der Äquivalenz-und-Nicht-Äquivalenz
  Geld ist ein Äquivalent der Ware (oben I.). Geld ist auch ein Nicht-
Äquivalent der Ware (oben II.). Wie kann man dieses Paradoxon verstehen?
  Geld ist ein Äquivalent der Ware im Augenblick des Vertragsabschlusses.
Dabei fungiert das Geld als Vergleichsmaßstab. Und bei Zahlung des Kauf-
preises wird die so bestimmte Summe bezahlt. Dabei geht es um den Nenn-
wert des Geldes im Sinne seines Tauschwertes.
  Geld ist der Ware dagegen im Verkehr überlegen, soweit es den Austausch
der trägen Waren durch Verflüssigung ihres Wertes erleichtert. Insoweit haben
wir es nicht mit dem Wertäquivalent im Geld zu tun, sondern mit der mo-
netären Liquidität eben dieses Äquivalentes,  die  den  Gebrauchsnutzen  des
Geldes selbst ausmacht. Dabei geht es nicht mehr um den Nennwert des
Geldes, sondern um seinen Tauschbarkeitswert: um die nützliche (kostenspa-
rende) Überlegenheit des Geldes bei der Abwicklung von Austauschgeschäften
und einfachen Kaufkraft-Transfers.
  Dadurch also, daß das Wertäquivalent, wie es in jeder Ware steckt, bei der
Ware  "Geld"  kraft  seiner  "Schlagfertigkeit" einen zusätzlichen Gebrauchs-
wert bekommt, wird das Geld zu einer Komposition aus einem Warenäqui-
valent (Nennwert) einerseits und der besonderen, selbst nützlichen allgemeinen
Äquivalentform dieses Wertes (Tauschbarkeitswert) andererseits.
  Solange die Waren als Waren fungieren (und noch nicht als Güter), inter-
essiert nicht ihr Gebrauchswert, sondern ihr Verkaufswert. Für den typischen
Warenbesitzer und -händler ist der Gebrauchswert der Waren verschwindend,
ihr Warenwert jedoch erheblich. Geld dagegen ist für den Warenbesitzer und
-händler nicht nur als einfaches Äquivalent von Ware nützlich, sondern vor
allem in seiner Schlagfertigkeit: Ware und Geld sind beide zum Austausch
bestimmt. Aber das Geld besitzt die bessere Austauschbarkeit. Genau darin
steckt die Überlegenheit der allgemeinen Äquivalentform der Geldware über
die anderen Äquivalente, die in trägen Waren stecken. Die Ware ist "gegen-
über dem  Geld  ein  Tauschschmittel  von  nur  beschränkter  Kraft" .  (Marx
1857/8, S. 114) Diese größere Austauschbarkeit des Geldes ist zugleich der
Urzins in seiner Naturalform: die elementare Quellform des Mehrwertes.
  An dieser Stelle muß jenes Kritikers von Karl Marx gedacht werden, der
den entscheidenden Dreh- und Angelpunkt des Mehrwertproblems im Geld-
system identifiziert hat und dem auch ich letztlich die maßgebenden Anre-
gungen verdanke. Gemeint ist Silvio Gesell, der hier am besten selbst zu
Worte kommt:
  "Merkwürdigerweise beginnt übrigens Marx mit seinen Untersuchungen
  über den Zins gleichfalls beim Geld. Ihm widerfuhr jedoch das Mißge-
  schick, daß er (trotz der Warnung Proudhons) am entscheidenden Ort mit
  einer falschen Voraussetzung begann und genau wie die gewöhnlichen
  kapitalfreundlichen Zinsforscher Geld und  Ware als vollkommene Äqui-
  valente behandelte (...) Noch merkwürdiger aber ist es, daß Marx in der
  von ihm selbst als Regel bezeichneten Abwicklung des Tausches (G.W.G'
  = Geld, Ware, Mehrgeld) wohl einen Widerspruch mit dem behaupteten
  Äquivalent findet, die Lösung dieses Widerspruches jedoch anderswo, und
  zwar in einer langen Kette von Mittelgliedern nachzuweisen verspricht.
  Diese 'lange Kette' ist der Produktionsprozeß, und zwar beginnt und endet
  diese Kette in der Fabrik. Der Unternehmer ist nicht ein Ausbeuter unter
  vielen, sondern ist der Ausbeuter. Die Ausbeutung geschieht restlos an der
  Lohnkasse. Um den von Marx in der Formel G.W.G' aufgedeckten Wi-
  derspruch glatt zu lösen, werde ich keine solche Kette von Mittelgliedern
  nötig haben. Ich werde dem Zins die Angel vor das Maul werfen und ihn
  geradewegs aus seinem Elemente ziehen, für jeden erkennbar. Die Kraft,
  die zur Tauschformel G.W.G' gehört, werde ich unmittelbar im Tausch-
  vorgang enthüllen. Ich werde zeigen, daß das Geld in der Gestalt, in der
  wir es von den Alten unbesehen übernommen haben, kein 'Äquivalent' ist
  und daß es nicht anders als nach der Formel G.W.G' umlaufen kann."
  (Gesell 1949, S . 314f. )
  
 Gesell erkannte wie Marx die Unentbehrlichkeit des Geldes für die Ar-
beitsteilung. Er aber entdeckte außerdem, daß es die Möglichkeit ist, Geld
ohne nennenswerten Kostenaufwand zurückzuhalten, die zum Zins und zum
Mehrwert führt, und zwar weil die anderen, um kostengünstig zu tauschen,
auf das Geld als die preiswerteste Straße der ökonomischen Kommunikation
angewiesen sind.
  Auch vor Gesell haben sich Politökonomen mit der Überlegenheit des
Geldes befaßt und sich bemüht, die Ware liquider zu machen, also durch
Zirkulationsverbesserungen (z.B. "Arbeitsgeld") den Nachteil der Ware ge-
genüber dem Geld aufzuheben (während Gesell umgekehrt das Geld durch
Geldkosten den Waren angleichen möchte). Aber Marx war sich seiner Sache
sicher. Er hielt weder die theoretischen Ansätze noch die praktischen Vor-
schläge für aufschlußreich oder hilfreich. Seine Entgegnung war am Ende nur
Spott:
    "Die 'organische' Konstruktion von 'Arbeitsgeld' und 'Nationalbank' und
   'Warendocks'  ist nur Traumgebild.  (...) Was bei Gray versteckt und
   namentlich ihm selbst verheimlicht bleibt, nämlich, daß das Arbeitsgeld
   eine ökonomisch klingende Phrase ist für den frommen Wunsch, das Geld,
   mit dem Geld den Tauschwert, mit dem Tauschwert die Ware, und mit
   der Ware die bürgerliche Form der Produktion loszuwerden, wird gera-
   dezu herausgesagt von einigen englischen Sozialisten, die teils vor, teils
   nach Gray schrieben. Herrn Proudhon aber und seiner Schule blieb es
   vorbehalen, die Degradation des Geldes und die Himmelfahrt der Ware
   ernsthaft als Kern des Sozialismus zu predigen und damit den Sozialismus
   in ein elementares Mißverständnis über den notwendigen Zusammenhang
   zwischen Ware und Geld aufzulösen." (Marx 1859, S. 68/69)
   Friedrich Engels (1885, S. 175-182) skizziert rückblickend und in Ausein-
andersetzung  mit Rodbertus noch einmal die  sozialistischen  Versuche,  die
Arbeitswertlehre Ricardos (1817) in direkte reformerische Praxis umzusetzen.
An den Utopien des Arbeitsgeldes läßt er kein gutes Haar.
    Im folgenden aber geht es weiter darum aufzuzeigen, inwiefern trotz allem
Marx selbst schon viele weitere Erkenntnisbausteine zu der Einsicht zusam-
mengetragen hat, daß das Geld eine noch entscheidendere Rolle als die spielt,
die er ihm als Tauschmittler ohnehin zuerkannt hat.