Inhaltsverzeichnis: „Geld ohne Mehrwert“
Berge
von Büchern hätte ich studieren müssen, hätte ich meinen Gegenstand nach den
Regeln der Kunst behandeln und alle angemessenen bedenken wollen, die schon zur
Sache beigetragen und mir den Weg bereitet haben. Wo ich mir bewußt war, durch
andere angeregt worden zu sein oder von anderen gelernt zu haben, habe ich mich
um genaue Nachweise bemüht. Diese Nachweise haben jedoch eine Lücke: Hätten
nicht Außenseiter in unermüdlicher Geduld und mit unerschütterlicher
Beharrlichkeit das Erbe Silvio Gesells gepflegt und wachgehalten, dann wäre
schon der Anstoß unterblieben, der mich dazu getrieben hat, mich wieder einmal,
und diesmal gründlicher, mit dem Geld zu befassen. Also gilt mein Dank hier dem
Seminar für freiheitliche Ordnung, Boll, und anderen, die in Publikationen und
Veranstaltungen Gesells „Freigeld"-Idee weitergetragen haben. Zwar
beschreibe ich die Sache anders und setze andere Schwerpunkte als Gesell und
seine Schüler: Im Zentrum steht die Abschöpfung des Mehrwertes. Die Umlaufsicherung
und andere Folgen sind nur willkommene Nebeneffekte einer allgemeineren
ordnungspolitischen Maßnahme. Aber die Grundidee stammt von Silvio Gesell.
Danken
muß ich auch den Herren Dr. Alfred Bosch vom Walter Eucken Institut, Freiburg,
und Prof. Dr. Joachim Starbatty von der Ruhr‑Universität Bochum, jetzt in
Tübingen, für ihren kritischen Widerstand gegenüber den Gedanken, die ich im
Sommer 1981 in Herrsching vorgetragen hatte. Ohne die Vorarbeiten von Prof. Dr.
Wolfgang Stützel, Saarbrücken, wäre ich nicht weit gekommen, und ohne seine
kritische Bestärkung anläßlich jener ersten öffentlichen Vorstellung meiner
Überlegungen in Herrsching hätte ich mich nicht so schnell und nicht so weit
vorgewagt wie in diesem Buch. Geholfen haben mir auch die Teilnehmer an meinen
Seminaren hier in Augsburg 1981 und 1982 durch ihre Referate und ihre bohrenden
Fragen. Viele kritische und nützliche Anmerkungen erhielt ich von einigen, die
das Manuskript zum vorliegenden Buch gelesen haben. Hätten darüberhinaus die
zahlreichen Fachökonomen und Praktiker des Geldwesens, denen ich das Manuskript
geschickt oder gegeben hatte, sich zu einer Kritik oder gar Stellungnahme
bereitgefunden, so hätte ich sicher manchen kleinen oder größeren Fehler
berichtigen und manche in den Augen der Volkswirtschaftslehre unbeholfene
Formulierung verbessern können.
Jobst
von Heynitz schließlich gab mir vor noch gar nicht langer Zeit
Nachhilfeunterricht in Sachen Geld. Er hat den damals abwehrend skeptischen
Anfänger gleich zu Beginn der Sitzung auf diejenigen Aussichten einer
Geldreform hingewiesen, mit denen dieses Buch schließt: auf die Aufwertung der
Kultur gegenüber dem Kapital.
Einer
ganzen Reihe von Hinweisen und vielen Fragen, die mit meinem Thema
zusammenhängen, bin ich noch nicht im einzelnen nachgegangen. Vier Punkte aber
müssen hier noch kurz angesprochen werden.
Erstens
gibt es in der Geschichte des Geldwesens wenigstens eine Epoche, die ein Feld
für sehr aufschlußreiche Modellstudien sowohl zum Thema „Durchhaltekosten für
Liquidität" als auch für das Nebeneinander verschiedener Geldarten abgibt,
weil ihr Münzwesen entsprechend ausgestaltet war. Es handelt sich um die Zeit
der Brakteaten (12.‑15. Jh). Die Brakteaten waren Kleingeldmünzen, über
die man sich vielfältig beklagte, weil sie ein wahrhaft schlechtes Geld für
seine Besitzer waren. Allem Anschein nach aber haben sich die Brakteaten auf
die Volkswirtschaft und auf die Kultur außerordentlich segensreich ausgewirkt.
Man müßte den Auswirkungen dieser Münzordnung bis hinein in die Bedingungen von
Rechtsgeschäften, von Darlehensverträgen und von sonstigen Institutionen wie
Zünften und Vereinigungen oder Gesellschaften einmal gründlich nachgehen. Auch
Irving Fisher hielt die Brakteaten für aufschlußreich und erwähnenswert im
Zusammenhang mit der Frage nach einer Stabilisierung des Geldwertes:
„Das
Hauptmerkmal dieses Brechgeldes war jedoch ihre von Zeit zu Zeit stattfindende
Umprägung. Durchschnittlich rief der Münzherr alle umlaufenden Münzen zwei- bis
dreimal im Jahre zum Umtausch auf und erhob ca. 25% Schlagschatz (. . .) Ein
Vorteil des Brechgeldes war, daß es zum ersten Male in der Geschichte
Mitteleuropas ein Tauschmittel von kleiner Stückelung darstellte. Die
umlaufenden Gold‑ und Silbermünzen besaßen zu großen Wert, um dem
allgemeinen Umlauf dienen zu können. Deshalb ermöglichte das Brechgeld größere
Arbeitsteilung.
Diese
eigenartige Besteuerung durch Schlagschatzerhebung hatte aber eine andere
wichtige Bedeutung. Da das Brechgeld der Umprägung und einem 25%igen
Schlagschatz nach etwa 5 Monaten unterlag, entstand ein Verlust von einem
Viertel des Münzwertes; dieser Verlust verteilte sich über die ganzen 5 Monate
(. . .) Niemand mochte Münzen mit einem monatlichen Verlust von 5%
durchschnittlich behalten. Man bevorzugte es, die Münzen sogleich in Ware
umzusetzen. Man sagt, daß dies eine Zeit des Bargeldverkehrs war und daß
Handel, Gewerbe und Künste einen Auftrieb vom Bestreben der Menschen erhielten,
ihr Geld loszuwerden. Doch weist man darauf hin, daß irgend eine größere
Inflation der Warenpreise vermieden wurde. (86)"
Karl
Walker sieht die Auswirkungen der Münzordnung, bei der die Münzen jeweils
zurückgerufen wurden (renovatio monetarum, revocationes, innovationes,
mutationes monetae) noch günstiger:
„Von
der Mitte des 12. Jahrhunderts bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts herrschte
eine fast ununterbrochene Zeit der Wirtschaftsblüte. Wohl gab es in diesen drei
Jahrhunderten auch Krieg und Wirrnis; in diese Epoche fiel die kaiserlose Zeit,
das Faustrecht der Raubritter, die Herrschaft der Feme, und der Schwarze Tod
zog über Europa. Aber gerade deshalb ist es um so höher zu bewerten, was
Gewerbefleiß, Künste und Kultur aus der unerschöpflichen Schaffenskraft der
Menschen heraus in dieser Epoche gestaltet haben. In diesen Zeiten entstanden
die Stadtsiedlungen von Dinkelsbühl, Hildesheim, Nördlingen und viele andere,
die wir heute noch bewundern; in diesen Zeiten wuchsen die Dome der Gotik in
den Himmel; in diesen Zeiten hatte man Geld und gab es auch aus für den Bau
wundervoller Kathedralen, Rathäuser, Patrizierpaläste, Gildehallen, Brücken und
Brunnen. Und in diesen Zeiten wurde auch die gewaltige Leistung der Entwicklung
und Neugründung von Städten östlich der Elbe und an der Küste der Ostsee
vollbracht. Berlin, Breslau, Oppeln, Marienburg, Memel, Thora, Kulm, Riga ‑
das alles waren unerhörte „Investitionen", wie die Nationalökonomen heute
sagen würden. Aber finanziert wurden diese Investitionen aus dem rastlosen
Zirkulieren eines Geldes, das sich nirgends zur Ruhe und Untätigkeit
niederschlagen und als gewichtiger Schatz die Zeiten überdauern konnte.
(87)"
Walker
berichtet auch von einer Studie der soziologischen Abteilung der Harvard‑Universität,
in welcher das frühe Mittelalter als eine der harmonischsten und glücklichsten
Epochen der Menschheit bezeichnet und die Wirtschaftsblüte mit der eigenartigen
Münzordnung in Zusammenhang gebracht wird. Ihr Ende fand diese Blütezeit, wenn
die mir vorliegenden Hinweise zutreffen, mit der Einführung des „ewigen
Pfennigs", also eines für den Inhaber wieder „besseren" Geldes, das
zur Schatzbildung taugte, wieder „Mehrwert" erzeugte und damit dem
Zinswesen und ‑unwesen Tür und Tor öffnete.
Zweitens
wurde Geld, wie Gesell es vorgeschlagen hatte, schon im kleineren Rahmen
erprobt:
„Hans
Timm war der erste Anhänger Gesells, der Stempelgeld als privates
Ersatzzahlungsmittel zur praktischen Verwendung brachte. Dies war in
Deutschland in der kleinen Bergarbeitergemeinde Schwanenkirchen, in den Jahren
1930 bis 1931, wo der Besitzer eines Kohlenbergwerks namens Hebecker es mit Hilfe
von Stempelgeld, („Wära" genannt) nicht nur fertig brachte, sein Bergwerk
wieder zu eröffnen, sondern es auch trotz fortschreitender Deflation von 1931
an in Betrieb hielt. Dieser Versuch erregte großes Aufsehen, und die
österreichische Stadt Wörgl begann im Jahre 1932 ähnliches Stempelnotgeld
auszugeben, um die Arbeitslosigkeit zu lindern und öffentliche Arbeiten zu
fördern. In Deutschland wurde die Ausgabe der Wära durch die Regierung Brüning
untersagt, und später wurde ein ähnliches Verbot in Österreich auf Betreiben
der Österreichischen Nationalbank verordnet. Trotzdem waren beide Versuche von
Erfolg gekrönt gewesen. (89)"
Auch
in den Vereinigten Staaten gab es in den dreißiger Jahren eine Welle von
Versuchen und Experimenten, die Irving Fisher angeregt hat und über die er uns
berichtet (90).
Drittens
verdient neben Silvio Gesell auch noch N.A.L.J. Johannsen erwähnt zu werden. Er
hat ähnliche Ideen verfolgt und veröffentlicht (91). Auch Johannsen fand kaum
ein Echo in der Fachwelt. Neben ein paar weniger Bedeutenden war wiederum nur
Keynes aufgeschlossen genug zur Aufnahme auch dieser fruchtbaren Anregungen von
außerhalb der professionellen Ökonomie (92). Bei uns hat Johannsen erst durch
Erich Schneider und Hans W. Schnack eine späte Würdigung erfahren (93), die
jedoch auch wiederum nicht dazu geführt hat, daß die Fachwelt Johannsens Idee
einer „Steuer der Zukunft" auf Geldbesitz aufgegriffen hätte.
Viertens
und letztens hat man mich wiederholt gefragt, ob das Ziel einer stabilen
Währung einerseits und eines inflationierten Tausch‑ und Zahlungsmittels
andererseits nicht auch auf dem Wege erreichbar sei, daß man unsere Inflation
im wesentlichen weiterlaufen läßt, wie sie läuft, zur Stabilisierung von
Geldforderungen jedoch eine gesetzliche Indexbindung einführt, die dafür sorgt,
daß Darlehen ihre Kaufkraft behalten.
Selbst
wenn alle wirtschaftlichen Folgen, die mit einem „Geld ohne Mehrwert"
erzielt werden können, auch auf die soeben angedeutete Weise einer lückenlosen
Indexbindung für Geldforderungen ausgelöst werden könnten, was ich bezweifle,
bleiben wenigstens zwei durchschlagende Einwände:
Zunächst
fragt sich, warum die geldtechnisch und rechtlich sehr viel kompliziertere
Lösung einer einfacheren und klareren vorgezogen werden soll. Bisher wurde das Nominalwertprinzip
bei uns unter sehr viel widerlichereren Bedingungen der Inflation verteidigt, ‑
angesichts der Aussicht jedoch, endlich Mittel in die Hand zu bekommen, die
Währung zu stabilisieren, wird erwogen, es aufzugeben. Einfachheit und
Klarheit, Offenkundigkeit und kalkulatorische Praktikabilität sprechen
eindeutig für das „Geld ohne Mehrwert", also für eine stabile
Währungseinheit bei gleichzeitiger Verwendung eines monetären
Verrechnungsmittels, das auf dieselbe stabile Währungseinheit lautet, aber mit
Durchhaltekosten belastet ist. Dabei spielt auch der psychologische Effekt eine
Rolle: Dank der expliziten Durchhaltekosten beim „Geld ohne Mehrwert"
trägt dieses Geld seinen Charakter als monetärer Spezialist für die Zirkulation
auf der Stirn. Es erscheint auch äußerlich als das, was es nach den
geldtheoretischen Erkenntnissen und nach den Grundsätzen von Recht und
Gerechtigkeit sein soll. Die Indexbindung von Forderungen bei gleichzeitiger
allgemeiner Inflation dagegen ist geradezu die Verkörperung der monetären
Flickschusterei, zu der diese „Lösung" des Problems zwingt.
Außerdem
steht bei dem „Geld ohne Mehrwert" der Zentralbank ein währungspolitischer
Aktionsparameter zur Verfügung, auf den sie sonst verzichten müßte: der
Parameter der präzise dosierbaren Durchhaltekosten auf Liquidität. Will man
dagegen, bei gesetzlicher Indexsicherung für Geldforderungen, die Wirtschaft
und ihre Konjunkturen über eine allgemeine Inflation steuern, die auch die
Währungseinheit erfaßt, dann versagt die Währungseinheit als Maßstab für
transtemporale Kaufkraftmessungen und Kalkulationen, und zur direkten Steuerung
der gewollten Inflation steht nur die Manipulation der Geldmenge zur Verfügung.
Mit den Durchhaltekosten jedoch läßt sich die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes
und damit der Geldstrom als solcher direkter beeinflussen und das Repertoir
währungspolitischer Maßnahmen kann dank größerer Differenziertheit flexibler
gehandhabt werden.
Die
Währung ist ein Maßstab für Kaufkraft und Tauschvermögen, so wie der Meter ein
Maßstab für Längen, das Kilogramm ein Maßstab für Massen und der Liter ein Maß
für Rauminhalte sind. Die gleichen Gründe, die für einheitliche und zeitstabile
Längen‑, Massen‑ und Raummaßeinheiten sprechen, gelten auch für ein
einheitliches und zeitstabiles Maß für Tauschvermögen. Die Geldordnungs‑
und Geldpolitik muß daher alles daran setzen, die Währungseinheit zu
stabilisieren. Das gelingt nur, wenn das Tauschmittel so mit der Maßeinheit der
Währung verknüpft wird, daß eine Entwertung des Tauschmittels durch welche
Ursachen auch immer nicht auf die Währungseinheit durchschlägt. Wenn also ‑
zur Vermeidung monetärer Schereneffekte und ihrer Auswirkungen ‑ die
Entwertung des Zahlungsmittels unvermeidbar ist, dann muß sie
geldordnungspolitisch miteingeplant und geldtechnisch eingerichtet werden:
durch Vorgabe einer stabilen Währungseinheit und durch Ausgabe von
Zahlungsmitteln mit Durchhaltekosten, wobei die Durchhaltekosten
währungspolitisch so zu dosieren sind, daß sie zur Stabilisierung der
Währungseinheit beitragen.