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Inhaltsverzeichnis: „Geld ohne Mehrwert“

 


 

 

8. Kapitel

 

Die Entwertung der Liquidität als Aufwertung der Kultur

 

Der kleine, unscheinbare, harmlose, monetäre Trick mit der Ausgleichsabgabe auf Liquidität hat weitreichende Folgen. Die Kosten, die diese Abgabe verursachen würde, sind zunächst schlichte Buchungs‑ und Rechnungsposten in der Kalkulation. Das Geld im übrigen wäre liquide wie eh und je; und mit dem Mehrwert würde auch der Geldkapitalismus von den Konten abgebucht. Die Kosten beeinflussen jedoch darüber hinaus noch die wirtschaftlichen Überlegungen und Entscheidungen. Und auf diesem Weg einer Beeinflussung der Motive hat die Ausgleichsabgabe auf Liquidität noch eine Reihe von bemerkenswerten Auswirkungen, die über das hinausführen, was bis zu dieser Stelle schon angedeutet worden ist.

Die Ausgleichsabgabe auf Liquidität hat zur Folge, daß die Liquidität entwertet wird:

Was heißt: „Entwertung von Liquidität"? ‑ Soweit die wirtschaftlichen Vorteile aus der Liquidität schon durch die Ausgleichsabgabe abgeschöpft werden, kann der Anbieter von Liquidität sie nicht mehr vom Nachfrager nach Geld vergütet verlangen. Die Abwertung der Liquidität am Geldmarkt läuft also auf eine Abwertung des Geldes als eines Investitionsmediums überhaupt hinaus. Weil die Grenzleistungsfähigkeit von Geldkapital die Grenzleistungsfähigkeit der Realkapitalien nach unten begrenzt, würden von der Abwertung der Geldkapitalien auch die Realkapitalien betroffen. Kurz: Die Verwandlung von Geld in Geld‑ oder Realkapitalien wird uninteressanter, weil sie sich weniger rentieren oder weil vielleicht sogar Negativrenditen in Kauf genommen werden müssen.

Die Abwertung der Liquidität durch die Ausgleichsabgabe hat daher wegen der Interdependenz der Märkte den Effekt, daß Investitionssurrogate aufgewertet werden. Die Abwertung der Liquidität bewirkt eine Aufwertung alles dessen, was auf den übrigen Märkten außerhalb des Kapitalmarktes angeboten wird, und zwar, bevorzugt Substitute für die relativ uninteressant werdenden Geld‑ und Realkapitalien. Für den Geldanleger wird die Obligation immer langweiliger, wertvolle andere Güter um so interessanter. Kann er gelegentlich seiner Geldanlage den Mehrwert nicht mehr fordern, fragt er um so eher wertvolle Güter (Kostbarkeiten) nach, in die er seine Kaufkraft stillegen kann, bis er sie wieder braucht.

Erinnern wir uns wieder der Vermächtnisse, die Max und Moritz zugefallen waren: Zwar war das Testament wort‑ und sinngerecht ausgeführt und an Max genau so viel Bargeld ausgezahlt worden, wie die Originalmöbel, Manuskripte, Zeichnungen und Skizzen wert waren, die Moritz bekommen hatte. Und doch hatte Max mehr bekommen als Moritz: nämlich zunächst den Wert der Erbstücke von Moritz in Form geldlicher Kaufkraft, außerdem jedoch den Wert der Liquidität. Die Folgen dieser Ungleichheit zeigten sich. Wenn jedoch die Liquidität, die Max erbt, mit einer Ausgleichsabgabe belegt ist, so daß ihr Vorteil abgeschöpft wird, dann sinkt der Mehrwert, den Max gegenüber Moritz besaß, entsprechend und verschwindet womöglich ganz. Nur unter dieser Bedingung können die Vermächtnisse an Max und Moritz vollzogen werden mit der Wirkung, daß sie wirklich gleich viel bekommen. Dann endlich sind die Originale: ‑ die Möbel, Manuskripte, Zeichnungen und Skizzen nicht mehr „weniger wert" als der „schnöde" Geldbetrag, der ihrem Tauschwert entspricht. Unsere Geschichte zeigt also: Die Abwertung der Liquidität ist zugleich und unmittelbar eine Aufwertung z. B. von Möbeln, Manuskripten, Zeichnungen und Skizzen. Wer Liquidität abwertet, wertet Sammlerstücke und Kunstwerke auf! Das ist die Umwertung der Werte, von der in der Überschrift dieses Kapitels die Rede ist.

Für Geld kann man fast alles bekommen. Deshalb sind von der Abwertung der Liquidität auch alle Waren und Dienstleistungen betroffen, die, bei gleichzeitiger Nachfrage nach Geld, am Markt angeboten werden. Wer dann etwas bieten kann, was dem enttäuschten und frustrierten ehemaligen Geldkapitalisten als annehmbarer Ersatz für die unrentierlich gewordenen Geldanlagen tauglich erscheint, ist jedoch besonders gut heraus: z. B. wer aus beständigen Materialien zeitlos schöne und/oder nützliche Gegenstände herstellt, seien es gediegene und ansprechende Gebrauchsgegenstände, seien es solide und besonders schöne Häuser, seien es Werke der bildenden Künste, Juwelen und dergleichen mehr.

Bislang müssen solche besonders gediegenen Gegenstände, wenn sie die Konkurrenz mit Geldkapitalanlagen bestehen sollen, sich durch Aussicht auf Wertzuwachs „rentieren". Wird der Mehrwert des Geldes jedoch durch die Ausgleichsabgabe abgeschöpft, dann genügt auch bei den anderen Gegenständen ihre voraussichtliche Wertbeständigkeit, um als Anlagesubstitut in Betracht zu kommen. Wenn dann Wertbeständigkeit nur noch mit Wertbeständigkeit konkurriert, dann mag die Überlegung hinzutreten, daß das schöne Bild an der Wand mehr Nutzen und Freude bietet als die abstrakte Obligation im Geldschrank, im Schließfach oder im Depot.

Die Abwertung der Liquidität bewirkt also die Aufwertung aller anderen Lebensgüter, die am Markt zu haben sind oder auch nur mit ökonomischem Aufwand gepflegt und erhalten werden müssen. Mit der Aufwertung dieser Güter am Markt steigt aber auch ihre gesellschaftliche Wertschätzung gegenüber dem Geld, und im gleichen Umfang sinkt die gesellschaftliche Wertschätzung des Geldes. Unsere übrigen Zivilisations‑ und Kulturgüter, vor allem die gediegenen, beständigen und nicht nur modischen unter ihnen, erfahren im Verhältnis zum Geld eine Aufwertung. Sie werden nachgefragt. Sie werden durch die Nachfrage hervorgerufen. Sie werden wegen der Nachfrage produziert und sie vermehren sich durch die Nachfrage stärker als heute. So führt die Abwertung der Liquidität zu einer Vermehrung der durch Gediegenheit und Zeitlosigkeit kostbaren und begehrten Kulturgüter: Wird mit dem Mehrwert der Kapitalismus von den Konten abgebucht, rückt an seine Stelle die Kultur in die Lücke vor, die er im übrigen Leben hinterläßt.

Der heutige Geldkapitalist verlangt für sein überschüssiges Geld, das er anlegen will, nicht gediegene und wertvolle Waren am Warenmarkt, sondern möglichst satte Zinsen am Kapitalmarkt. Wie aber kann heute der Unternehmer die Zinsen am besten erwirtschaften, die er an den Geldkapitalisten (und sei er es selbst) abführen muß? Sicher auch, indem er gute, gediegene Waren produziert, die ihm abgekauft werden und mit denen er Gewinn macht. Halten die Waren aber zu lange, dann ist der Markt bald verstopft. Damit sich die Investitionen rentieren, muß, wenn sich keine neuen Märkte mehr erschließen lassen, für Verschleiß und Wertschwund gesorgt werden: z. B. durch hektischen modischen Wandel, durch Produktion von Verschleißgütern, durch Zerstörung im Krieg. Je kurzlebiger die Güter, desto rentabler die Kapitalien. So gehen der Geldkapitalismus und die Verschleißgesellschaft Hand in Hand.

Wer dagegen nicht Konsum‑ und Verschleißgüter bietet, sondern Waren, die eher Anlageobjekte sind, findet heute kaum Abnehmer. Eine Geldanlage rentiert sich meist doch noch besser als die kostbarste, gediegendste und beständigste Ware, sobald die Ware keinen zusätzlichen Spekulationsgewinn erhoffen läßt. Die Kaufkraft, die aus marginalen Vermögenszonen stammt und den notwendigen Bedarf übersteigt, fließt also heute über den Sog und Druck des Geldmarktes in eine Richtung, die die Produktion von Verschleißgütern vorprogrammiert.

Das liegt schlicht daran, daß das Geld auf dem Geldmarkt mehr wert ist als auf den anderen Märkten, so daß es dorthin abgesogen wird. Hat es aber erst einmal seinen Weg zum investierten Kapital gefunden, beeinflußt es von seiner Eigengesetzlichkeit her die Angebotsseite des Warenmarktes in Richtung auf die Verschwendungs‑ und Verschleißgesellschaft.

Kann aber der Geldkapitalist keine satten Zinsen am Geldmarkt mehr erhoffen, verwandelt er sich notgedrungen in einen Anleger, der auf den Warenmarkt auszuweichen geneigt ist und dort zunehmend Anlagesurrogate nachfragt: Ersatzgüter für die vormals rentierlichen Geldforderungen, die auf möglichst kleinem Raum möglichst viel und möglichst beständigen Wert verkörpern. Wie kann man auf möglichst kleinem Raum möglichst beständigen Wert unterbringen? Da bieten sich zunächst seltene Güter wie Edelmetalle und kostbare Steine an. Aber Kostbarkeit läßt sich auch dadurch erreichen, daß in einzelne Gegenstände möglichst viel menschliche Arbeit und Könnerschaft hineingesteckt wird. Dann steigt gewissermaßen der „spezifische Wert" dieser Gegenstände im Sinne der angedeuteten Verdichtung von ökonomischem Wert auf kleinstem Volumen. So tritt an die Stelle der Nachfrage nach dem imaginären Reichtum, der in Form von bloßen juristischen Kunstgebilden wie Darlehensforderungen existiert und sich durch Zinsen und Zinseszinsen gespenstisch aufblähen kann, die Nachfrage nach wirklichen Werten und wirklichem Reichtum. Der wirkliche Reichtum einer solchen Marktgesellschaft zeigt sich dann nicht auf den Konten und in den Depots, sondern in Form von Werken und Gütern, die ihren Wert in sich tragen in Form von gediegensten Materialien, die in anspruchsvollster und vollendetster menschlicher Könnerschaft und Kunstfertigkeit verarbeitet sind und die auf diese Weise von der Kunst des Menschen zeugen. Die Abwertung der Liquidität ist eine Aufwertung der Kunst.

Keynes hatte befürchtet und gegen Gesells Stempelgeld eingewendet: In die Fußstapfen des Geldes würde eine lange Reihe von Ersatzmitteln treten, z. B. Juwelen, Edelmetalle und dergleichen. Das sind jedoch keine Liquiditätssurrogate, sondern Anlagesurrogate. Keynes hat selbstverständlich recht:

Nach Ersatzmitteln für rentierliche Geldforderungen, Aktien und dergleichen würde man sich durchaus umsehen und dabei neben schlichten (kaum noch rentierlichen) Geldforderungen alles schätzen lernen, was wegen seiner Seltenheit oder wegen seiner Schönheit, Brauchbarkeit und Gediegenheit bei gleichzeitiger Beständigkeit die menschliche Wertschätzung genießt. Was Keynes befürchtete, das ist also höchst willkommen; wir sollten es erhoffen (84).

Gesell und Proudhon erhofften sich jeder auf seine Art noch eine Entfesselung der Produktivkräfte überhaupt. Auch nach konjunkturtheoretischen Einsichten müßte die Zinssenkung, die mit der Besteuerung von Liquidität einhergeht, „entfesselnd" wirken. Ist also zu befürchten, daß unsere Welt dann endgültig unter die Räder einer entfesselten Industrie gerät? ‑ unter die Räder einer durch ihre endgültige Befreiung fürchterlichen menschlichen Produktivität? Ist zu befürchten, daß die Umwelt durch noch mehr Industrie, durch noch mehr Kraftwerke, Straßen und Beton ebenso endgültig und fürchterlich zerstört wird? ‑ Der erste Anschein spricht fast dafür: Nach wie vor würden tüchtige Unternehmer auf Profit aus sein, und zwar mit mehr Vergnügen als bisher, weil der Tüchtige weniger gebremst würde durch die Abhängigkeit von zinsforderndem Kapital. Weniger abhängig vom Geldkapital wären aber auch alle, die billiges Geld brauchen, das sich nicht gleich rentieren muß, sondern z. B. „nur" für den Umweltschutz gebraucht wird. Und wer heute kein Geld locker macht für bloße „Erhaltung", weil er jede Investition an der traumhaften „zinsschaffenden Kraft" seines Geldes mißt, der würde sich auch eher zu bloß erhaltenden Investitionen entschließen, wenn das als Kredit vergebene Geld sich ohnehin nicht rentieren würde, sondern nur erhalten. Die Umwelt hätte dabei wohl bessere Chancen als heute; denn sie wäre ja auch mitbegünstigt von der Umwertung der Werte. Auch sie gewänne an Wertschätzung im Verhältnis zum Geld; denn sie ist oder kann wenigstens sein etwas vom Schönsten, Nützlichsten, Beständigsten, das die Menschen besitzen.

Suchen und finden die Gelder, die die Vermögenden übrig haben (marginale Gelder), weniger als bisher Profit und Mehrwert, dafür aber stärker wirklichen Reichtum, dann läuft das auf eine entsprechende Umorientierung der Anbieter und der Märkte hinaus: hinweg von der extensiven Profitwirtschaft samt ihrer vorprogrammierten Tendenz zu Verschleißgütern hin in Richtung auf intensive Wertschöpfungsprozesse mit vorprogrammierter Tendenz zur Erzeugung arbeitsintensiver Kostbarkeiten. –

 Das Geld unterscheidet sich nicht nur dem Grade nach von anderen einfachen Waren und Dienstleistungen, die am Markt zu haben sind, sondern es stellt eine andere Qualität von „Angebot" und „Nachfrage" dar. Proudhon sprach vom „König" Geld, Gesell beschrieb seine Vorzüge. Marx und andere haben es mit Gott verglichen. Hier in diesem Buche wurde seine Jokereigenschaft gepriesen, die am Geldmarkt mit Zins honoriert wird.

Die nicht nur andere Quantität, sondern Qualität des Geldes liegt darin, daß es die Eigenschaft hat, nur durch Überlassung der Liquidität, ohne Verlust der „Valuta", also ohne Einsatz eigener Leistung, wiederum Geld einzubringen, mit dem der Geldkapitalist dann sehr wohl an den wirklichen Leistungen anderer teilhaben kann. Dabei gilt für die Nachfrage nach dem Mehrwert nicht das Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen: Mehrwert macht nicht immer satter, sondern Mehrwert macht eher süchtig nach mehr Mehrwert. Also fehlt auf diesem Markt ein wichtiger Dämpfungs‑ und Begrenzungsfaktor.

Da sich also das „Geld mit Mehrwert" vom „Geld ohne Mehrwert" nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ unterscheidet, bringt der Übergang vom kapitalistischen zum nicht‑kapitalistischen Geld auch nicht nur eine graduelle, sondern eine qualitative Veränderung mit sich: Es verschwinden nicht nur ein paar Prozent Zinsen vom Markt, sondern es verschwindet die suchtbildende Lebenshaltung, zu der das alte Geld erzieht: jene Haltung, bei der es als selbstverständliches und honoriges Bestreben gilt, so viel Vermögen anzusammeln, daß man nicht nur von den Erträgen leben kann, sondern es sich noch „von selbst" vermehrt. Es verschwindet ein gespenstisch wirklich gewordener Traum vom Schlaraffenland, in dem man nichts mehr zu tun braucht, sondern nur noch auf Kosten anderer konsumieren kann. Deshalb greift die Umwertung der Werte, die mit der Abschaffung des Mehrwertes verbunden ist, voraussichtlich sehr viel tiefer, als es der harmlose monetäre Trick erwarten läßt, mit dem die Umwertung in Gang gesetzt wird.

Die Umwertung der Werte durch die Liquiditätsabgabe läßt sich auf eine kurze treffende Formel bringen: Wir stoßen den Götzen Mammon vom Sockel. Wir machen unseren Götzen Mammon zu unserem gehorsamen Diener: Mammon, den Götzen, dem wir dadurch verfallen, daß er uns durch seine fast alles andere ausstechenden Jokerkräfte und die ihnen entspringende zinsschaffende Kraft süchtig macht nach immer mehr Mammon. Mit der Ausgleichsabgabe auf die Liquidität würde auch sein verführerisches Götzentum vom Konto abgebucht: sanft, leise und unauffällig, aber mit der ganzen Konsequenz und Macht des Marktes. Einmal vom Thron geholt, dient er uns im wirtschaftlichen Kreislauf, ohne uns länger zur Asozialität zu verführen: Umlaufen muß er; er wird auf Trab gehalten. Wer ihn hat, maß zusehen, daß er ihn ohne Verlust wieder los wird: ein Diener, der uns am liebsten ist, wenn wir ihn wieder gegen ein anderes Gut getauscht und dem nächsten in die Tasche gesteckt haben, ‑ ein wendiger und emsiger Knecht aller unser anderen Zwecke und Werte; nicht mehr länger der Götze, dem wir alle unsere anderen Zwecke und Werte auf dem Altar seines Mehrwertes opfern.

Sicher bringt die Entthronung Mammons nicht das Paradies auf Erden. Jede Vision, die eine bestimmte Sache betrifft, schießt über die mögliche Wirklichkeit hinaus, denn sie wird noch nicht gebremst durch die in der Zukunft schlummernden Probleme, die sich erst noch zeigen müssen. Mit dem „Geld ohne Mehrwert" verschwände nur das „Geld mit Mehrwert" vom Markt, nicht aber alle anderen Monopole oder monopolartigen Güter, die entsprechende Marktpositionen vermitteln. Aber so viel ist doch schon sicher: Mammons Entgötzung wird an uns nicht spurlos vorübergehen.