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Inhaltsverzeichnis: „Geld ohne Mehrwert“

 


 

III. Teil: Kritik und Rekonstruktion der Geldordnung

 

6. Kapitel

 

Ordnungspolitische Kritik der Geldordnung

 

Um den ordnungspolitischen Konstruktionsfehler der monetären Ordnung genau zu erfassen (76), empfiehlt es sich, den Typ von Krisen in Erinnerung zu rufen, mit dem Gesell es zu tun hatte und im Hinblick auf die er sein „Freigeld" als Stempelgeld erfunden hatte; denn offenbar zeigt sich der gesuchte ordnungspolitische Konstruktionsfehler in solchen Krisen mit stabilem oder deflationärem Geld und niedrigen Zinsen besonders deutlich: Mit der Goldwährung ging die volkswirtschaftliche Gefahr einher, daß das Geld sich der Zirkulation entzog und damit die Nachfrage zusammenbrach.

Die Volkswirtschaft ging also bei der Goldwährung schwanger mit einem Risiko der Hortung und Enthortung von Geld. Über den Schaden, den die Verwirklichung dieses Risikos mit sich brachte, braucht man hier kein Wort zu verlieren. Diesen Schaden von Wirtschaftskrisen hat die gesamte Volkswirtschaft, hat das gesamte Gemeinwesen zu tragen, und einige mag es dabei besonders hart treffen, am wenigsten aber jene, die genügend Geld hatten, es zu horten, und die durch ihr Horten die Krise ausgelöst und dann beschleunigt haben.

Hortbares Geld birgt also unter bestimmten Bedingungen ein volkswirtschaftliches Risiko, dessen Folgen nicht der trägt, der es verkörpert und auslöst, sondern ‑ etwas vereinfacht ausgedrückt ‑ die Volkswirtschaft.

Ordnungspolitisch ergibt sich daraus: Entweder man beseitigt das Risiko oder man versucht, demjenigen den Schaden aufzubürden, der es verkörpert oder der vielleicht sogar noch seinen Nutzen aus denjenigen Eigenschaften des Geldes zieht, die für das Risiko verantwortlich sind.

Der erste Weg ist verschlossen: Das Risiko, daß Geld zurückgehalten wird, resultiert aus seiner Liquidität; und die Liquidität ist unverzichtbare Eigenschaft von Geld. Geld muß „Joker" unter den Waren bleiben und „jederzeit" einsetzbar sein, wenn es seine Funktionen im volkswirtschaftlichen Kreislauf optimal erfüllen soll. Mit der Liquidität aber ist untrennbar verbunden die Gefahr, daß Geld zurückgehalten und daß zurückgehaltenes Geld plötzlich ausgegeben wird.

Also scheint nur der zweite Weg zu bleiben. Wer den Nutzen aus der Liquidität hat, muß auch mit den Kosten belastet werden, die damit einhergehen. Diese Kosten sind aber zunächst nur in der Gestalt von Krisen der Volkswirtschaft faßbar und können als solche schlecht jemandem aufgebürdet werden. Da wir jedoch schon Gesells Vorschlag kennen, scheint es einen dritten ordnungspolitischen Ausweg zu geben: „Durchhalte‑" oder „Bestandhaltekosten" für geldliche Liquidität. Dabei wird dem Geld seine volle Liquidität belassen. Kostspieligkeit dieser Liquidität sorgt jedoch mit der Unerbittlichkeit des ökonomischen Kalküls dafür, daß die Kassehaltung sich nicht zur Hortung und Schatzbildung ausweitet. Auf diese Weise wird das Risiko der Nachfrageschwankungen durch Hortung und Enthortung so gut wie ausgeschaltet.

Schaut man sich dann Gesells Lösung im Hinblick auf den ordnungspolitischen Ausgangspunkt noch einmal genauer an, so zeigt sich, daß sie letztlich doch ganz auf der Linie des zweiten Weges liegt: Der Inhaber von Liquidität wird mit den Kosten des Risikos belastet, das er für den Markt darstellt. Gibt er sein Geld sofort weiter, entsteht für die Volkswirtschaft praktisch keine Nachfragelücke und für den Geldbesitzer entstehen praktisch keine Kosten. Hält jemand, aus welchen Gründen auch immer, viel Geld in der Kasse, dann entsteht für die Volkswirtschaft ein Nachfrageloch und besteht für die Volkswirtschaft die Gefahr eines plötzlichen Nachfrageimpulses, und dann entstehen auch dem, der das Geld in der Kasse hält, erste nennenswerte Kosten. Das motiviert ihn, seine Kassehaltung entsprechend zu optimieren mit der Folge, daß für die Volkswirtschaft praktisch kein Risiko und für ihn wieder kaum nennenswerte Kosten anfallen.

Man kann die Frage nach dem Risiko, das Kassehaltung für die Volkswirtschaft bedeutet, auch noch anders erläutern: Wenn ein Arzt, dessen Wagen in der Werkstatt ist, für Notfalleinsätze einen Taxifahrer bittet, den ganzen Tag vor seinem Haus bereitzustehen, so wird der Taxifahrer in seine Vergütung Bereitstellungskosten mit einkalkulieren und an die Chancen denken, die ihm an diesem Tage womöglich entgehen. Daß ein Taxi auf Abruf bereitstehen soll, hat seinen Grund in der Sphäre des Arztes: Er will jederzeit einsatzbereit sein. Also soll er auch die Kosten dafür tragen und sie gegebenenfalls an seine Patienten weitergeben, die den Nutzen davon haben. So ähnlich ist es mit dem Geldbesitzer, der Kasse hält, um jederzeit zahlungsfähig zu sein, und den Produzenten in der Volkswirtschaft, die bereit stehen, um auf Abruf zu liefern. Den Vorteil daraus, daß alle anderen bereitstehen und auf Nachfrage warten, hat der Geldanbieter, der Kasse hält. Die Kosten dagegen tragen die anderen. Es gilt aber in der Marktwirtschaft der fundamentale ordnungspolitische Grundsatz: wer den Nutzen hat, soll auch den Schaden tragen.

Also ist es ordnungspolitisch geboten, den Nutznießer der Liquidität zugunsten der anderen mit entsprechenden Kosten zu belegen. Diesem Ziel kommt man mit einer Abgabe auf Liquidität, die der Allgemeinheit zufließt, sehr nahe. Diese Abgabe fließt der Allgemeinheit zu, die mit der Einrichtung einer funktionierenden Geldordnung ja auch die Liquidität organisiert und zur Verfügung stellt, deren Chancen und Vorteile der liquide Geldbesitzer als wirtschaftlichen Vorteil genießt. Kurz: So wie alle Wege nach Rom führen, so führen hier alle Überlegungen zu der Folgerung, daß monetäre Liquidität mit einer Ausgleichsabgabe belegt werden muß, deren Höhe ungefähr die ökonomischen Vorteile der Liquidität abschöpft. Auch ordnungspolitisch erweist sich diese Ausgleichsabgabe also als das „archimedische Knöpfchen", an dem gedreht werden muß.

Das Risiko der Geldhortung und ‑enthortung wird freilich ohnehin nur aktuell, wenn nicht schon Inflation oder hinreichend hohe Zinsen oder beides dafür sorgen, daß kein Geld gehortet wird; sonst nämlich bewirken diese pathologischen Symptome des Geldgeschehens (Inflation, hohe Zinsen), daß das pathologische Horten von Geld unterbleibt: Eine Krankheit wirkt für ihre Dauer der anderen entgegen.

Nachdem sich jedoch „Bestandhaltekosten für Liquidität" für eine Wirtschaft mit stabilem Geld und mäßigen Zinsen als ordnungspolitisch geboten empfohlen haben, um bestimmten typischen Risiken und Krisen gegenzusteuern, ist zu erwarten, daß ein Konstruktionselement, das sich für eine gesunde Geldwirtschaft unbedingt empfiehlt, von so allgemeiner Struktur und Wirkung ist, daß von ihm noch ganz andere volkswirtschaftliche Probleme und Möglichkeiten der Problemvermeidung abhängen als die, die beim Studium bloß einer „Hortungskrise" sichtbar werden. Um welche Probleme es sich dabei handelt, dies herauszufinden, liefern die Überlegungen im ersten und zweiten Teil dieses Buches vielerlei Anhaltspunkte, und der Ansatz für analytische Diagnostik liegt auf der Hand: Wenn das bisherige Geld dem „Geldkapitalisten" die Möglichkeit bietet, den Mehrwert, den das Geld kraft seiner Jokereigenschaften erzeugt, auf seine Konten „abzuzweigen", ohne dafür eine Leistung in die Volkswirtschaft einzubringen außer der, die von ihm gesperrte Liquidität des allgemeinen Tauschmittels für den Tausch wieder freizugeben, dann liegt der Konstruktionsfehler in dieser Abzweigmöglichkeit; und dann muß man die volkswirtschaftlichen Probleme, die mit dem Konstruktionsfehler verbunden sein dürften, dort suchen, wo der Strom der mit dem Zins abgezweigten Kaufkraft hinströmt (Fehlallokation).

Wenn die Zinsen und Zinseszinsen typischerweise immer wieder dorthin fließen, wo ohnehin Geld verliehen und wieder angelegt wird, weil marginale Beträge übrig sind, so muß dem gegengesteuert werden, um ‑ grob nach Keynes ‑ den Nachfrageausfall für diejenigen Waren zu vermeiden, mit deren Absatz die Profite gemacht werden müssen, die die Anleger erwarten.

Das ist das Problem eines Recycling des Mehrwertes: Werden monetäre Anwartschaften auf das Sozialprodukt laufend in falsche Kassen geleitet, und zwar durch geldordnungsbedingte Marktprozesse, dann müssen diese Mittel um des Ausgleichs und des Gleichgewichts willen unter großem Aufwand wieder zurückgepumpt werden: Lohnkämpfe mit Streik und Aussperrung; Vermögensumverteilung; „sozialstaatliche" Ausgleichs‑ und Hilfsleistungen in den unterschiedlichsten Formen obrigkeitlicher Transfersysteme; Staatsverschuldung, Zwangsanleihen, Konsumentenkredite; Geldvermehrung und Geldentwertung; ‑ jeweils nebst den Folgen und Fernwirkungen. Was die Geldordnung dem Gemeinwesen an Fehlallokationen frei Haus liefert, das muß der Staat mit nicht marktmäßigen Mitteln mehr schlecht als recht wieder etwas richtiger „allokalisieren": mit allen unvermeidlichen Begleiterscheinungen des eingreifenden Staates und des gnädig austeilenden Staates. Die Ausgleichsabgabe auf Liquidität jedoch setzt bei der Ursache an. Sie korrigiert den Fehler an der Wurzel, statt bloß die Symptome zu mildern.

Einem scheinbar plausibelen, in Wahrheit jedoch eher wirtschaftlich unsinnigen Einwand gegen monetäre Reformen in Richtung auf Abschöpfung des Mehrwertes muß in diesem Zusammenhang noch einmal Rechnung getragen werden: „Wenn Geld zu wenig oder keine Zinsen mehr erbringt, dann wird nicht mehr genügend gespart, und wo nicht gespart wird, fehlen die Mittel für die Investitionen." Selbst in Zeiten ganz erheblicher nicht ausgelasteter wirtschaftlicher Produktionskapazitäten erwartet man kraft kapitalistischer Glaubensgrundsätze das Heil für Wirtschaft und Konjunktur von der Schaffung zusätzlicher Kapazitäten durch neue Investitionen: „Das Kapital schafft die Arbeitsplätze", lautet das kurzsichtige Vorurteil. Dieses Vorurteil ist zwar unter den heutigen monetären Bedingungen und sehr kurzfristig betrachtet gar nicht einmal ganz falsch. Denn heute können wir uns einfach kaum anderes vorstellen als dies, daß die in einer Stagnation festsitzende Wirtschaft „angeschoben" werden muß von enthaltsamen Sparern, Rentnern und anderen tugendsamen Geldanlegern, die den Gürtel enger schnallen. Zwar „schieben" diese monetären Herren über Konjunktur und Wirtschaft gar nicht wirklich, sondern sie geben gegen Zins oder Rendite nur Liquidität frei in diese oder eine andere Richtung: z. B. in Richtung Staatsanleihen oder in Richtung unternehmerischer Investitionen. Aber daß ihre Entscheidungen von Effekt sind, je nachdem, wie sie ausfallen, springt in die Augen. Woran wir aber kaum noch denken können, das ist, daß die in der Stagnation festgefahrene Wirtschaft auf eine langfristig sehr viel wirksamere und gesündere Art und Weise wieder flott kommt, wenn sie nicht durch Rentnerdispositionen mehr „entsperrt" als „angeschoben", sondern vielmehr durch Nachfrage auf den Waren‑ und Dienstleistungsmärkten aus der Stagnation „freigeschleppt", „angezogen" und wieder in Fahrt gebracht wird. Gewinne auf den Umweg über den Kapitalisten zu leiten, der sie sperren kann oder falsch lenkt: Das verursacht jene Recycling‑Kosten in Form der Zinsen, die so überflüssig sind wie ein Kropf oder ein Krebsgeschwür.

Wenn nun durch eine wohldosierte Ausgleichsabgabe auf Liquidität der Zinssatz gesenkt wird, so hat das zunächst eine Folge, die auch für jene, die noch ganz in der Vorstellungswelt des „Investitionskapitalismus" leben, erstens nicht zu bestreiten ist und zweitens konjunkturell erfreuliche Aussichten bietet: Realkapitalien können bei niedrigem Zinssatz die Konkurrenz mit Geldkapitalien eher gewinnen. Die Investitionen nehmen also zu. So lange und so weit die Zinsen für Geldkapital nämlich hoch bleiben, gilt nach den theoretischen Erkenntnissen seit Keynes und in der anschaulichen Sprache von Gesell für Realkapital: „Was den Zins des Geldes nicht einbringt, bleibt ungeboren."

Die volkswirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten kümmern sich nicht um die Alltagsdummheit von der Förderung des allgemeinen Wohlstandes durch Enthaltsamkeit und Sparsamkeit ausgerechnet von Kapitalrentnern und denen, die gern Kapitalrentner werden wollen. Sinkende Zinsen bremsen die Investitionen und den Konsum nicht, sondern lockern die Bremsen für beide, und des einen luxuriöse Ausgabe ist des anderen Einnahme.

Sinkende Zinsen haben aber noch einen anderen Effekt, auf den weiter unten noch sehr viel ausführlicher eingegangen werden wird: In dem Maße, wie die Zinsen sinken, kommen die „kapitalistischen" Rentner und Anleger in Versuchung, nicht mehr tugendsam um ihrer Renditen willen zu „sparen", sondern zu „Verrätern" an ihren Märkten zu werden, nämlich ihr Geld nicht mehr nur auf den Kapitalmärkten unterzubringen, sondern auch andere Märkte in Betracht zu ziehen, auf denen wertvolle und wertbeständige Waren angeboten werden. Ihre Neigung wächst, von den Sparern und Anlegern zu den Nachfragern und Konsumenten überzulaufen: also von denen, die durch ihre Entscheidungen über die Frage „Geldkapitalanlage oder Realkapitalanlage?" die Wirtschaft‑ vielleicht! ‑ „anschieben", zu denen, die sie durch ihre Nachfrage ‑ zuverlässig! ‑ „anziehen". Diese Überläufer gesellen sich den Heerscharen derer hinzu, deren Nachfrage für beständigen Absatz der Produkte sorgt, und zwar gerade deshalb, weil sie nicht sparen, sondern realen Reichtum nachfragen. Die Unternehmer wiederum, die diese Nachfrage nach hochwertigen Waren bedienen wollen, können, dank niedriger Zinsen und dank schnell erwirtschafteter Gewinne, ihrerseits die erforderlichen Investitionen mit Eigenkapital vornehmen. Alles das liegt auf der Linie einer alten Erkenntnis: Die Enthaltsamkeit und „Sparsamkeit" der Reichen fördert den allgemeinen Reichtum nicht nur nicht, sondern sie behindert ihn (77).

Gegen das Gesellsche Freigeld und gegen jede andere Form von „Durchhaltekosten auf Liquidität" gibt es nach allem keinen dümmeren und einfältigeren Einwand als den, daß die angeblich tugendhafte Neigung von Rentnern und Kapitalisten zur profitorientierten Askese Schaden erleiden könnte, so daß sie an ihren lebenspendenden Investitionen gehindert würden. ‑ Anders sieht es freilich aus, wenn man die Sache vom Standpunkt des Kapitalisten und Rentners selbst betrachtet; denn für ihn gibt es keinen besseren Einwand gegen die Abschöpfung des Mehrwertes als das Schreckgespenst des nicht mehr sparenden Kapitalrentners: Erstens hat der Einwand den Schein von Plausibilität, so daß naive und leichtgläubige Politiker, Gewerkschaftler oder auch einfache Bürger schnell und leicht darauf hereinfallen. Zweitens täuscht der Einwand jeden, der auf ihn hereinfällt, darüber, daß die Figur und Funktion des „enthaltsamen Rentners und Kapitalisten" wirtschaftlich auf die Dauer so gut wie nur schädlich ist. Drittens suggeriert er die Unentbehrlichkeit des „enthaltsamen Rentners und Kapitalisten" beim „Anschieben" der Konjunktur, läßt also den eigentlichen Störer im Heiligenschein des Heilsbringers erscheinen. Kurz: Das Schreckgespenst der bei niedrigen Zinsen sinkenden Sparrate ist wie kein anderer Einwand dazu geeignet, gerade alle diejenigen irrezuführen, zu täuschen und für dumm zu verkaufen, die am meisten davon gewinnen, wenn sie sich nicht länger verdummen lassen.

Nach wie vor scheint es das Ideal der Geldlehre zu sein, „alle drei klassischen Funktionen" des Geldes gleichzeitig zu optimieren: seine Tauschmittelfunktion, seine Wertspeicherfunktion und seine Funktion als Recheneinheit. An die zwar auch klassische, aber erst von Keynes auf den Begriff gebrachte Liquiditätsfunktion wird dabei meist gar nicht erst gedacht. Warum aber soll es eigentlich nicht genügen, die Geldscheine als Tauschmittel und die Geldeinheit für Zwecke zuverlässiger transtemporaler Kaufkraftmessungen zu optimieren? Dann kann der Besitzer von Geldscheinen seine Kaufkraft in verformungsfesten, teils staatlich garantierten Geldschulden „anlegen" und „abspeichern". Das wäre dann die Optimierung der „Wertspeicherfunktion des Geldes". Sofern diese Optimierung des monetären Speicherproblems erleichtert oder überhaupt erst strukturell dauerhaft ermöglicht wird dadurch, daß man Liquidität durch eine Ausgleichsabgabe belastet, erfordert die Optimierung der Funktionen von Geld bei der Abspeicherung, daß Kaufkraft, die in Form von Tauschmitteln gehalten wird, belastet wird. Anders ausgedrückt: Die Geldeinheit als der verformungsfeste Geldmaßstab wird geldtechnisch dadurch gegen Inflation abgesichert, daß man sie davor bewahrt, in den Strudel der Inflation mit hineingerissen zu werden: in den Strudel der Inflation, in die das Tauschmittel offenbar fast mit wirtschaftlicher Naturgesetzmäßigkeit hineingerät.

Bei der Tendenz zur Unstabilität der Währung (früher auch Deflation, heute Inflation) auf der einen Seite und bei den vergeblichen Bemühungen, ihr gegenzusteuern, auf der anderen Seite, handelt es sich am Ende wirklich um eine ökonomische Unausweichlichkeit, die in den Eigenschaften des Geldes angelegt ist und nur geldordnungspolitisch behoben werden kann. Das zu erklären und einzusehen, ist nicht leicht, zumal Erkenntnisgewohnheiten den Weg versperren. Wir hatten gesehen, daß das Geld für den, der es als Tauschmittel ausgibt, einen anderen Wert hat, als für den, der die Valuta in der Hand behält und nur die Liquidität verkauft. Geld hat zweierlei Wert. Geld ist ein Widerspruch in sich.

Diese Zwiespältigkeit des Geldes (sowie der Idealvorstellungen von diesem Geld) zeigt sich beim Ablauf von Zeit und hat mit „Bestandhaltegrößen" zu tun: Bei dieser Zwiespältigkeit sind nämlich zwei verschiedene monetäre Maßeinheiten im Spiel, die einerseits in der Zeit auf praktische Divergenz programmiert sind, die aber andererseits durch das überlieferte Geld mit dem nur scheinbar realisierten Ideal der Zweieinigkeit von Tauschmittel und Sparmittel „gewaltsam" und durch die Zeit hindurch zusammengehalten werden. Wird der Unterschied nicht durch die Ausgleichsabgabe auf Liquidität abgeschöpft, so daß dann endlich Geld so viel wert ist (und in der Zeit bleibt) wie Geld, dann erzeugt dieser Unterschied notwendigerweise die Spannungen im System, mit denen man nicht fertig wird. Ich will versuchen, diese Thesen zu erläutern und dabei Ansätze für die formal‑exakte Erörterung der einschlägigen Probleme zu bieten:

Der Widerspruch, der in die Geldordnung hineinkonstruiert ist und von der Geldlehre weitgehend mitgemacht wird, erscheint in der Doppelgesichtigkeit des Geldes: Geld hat einen Kaufkraft‑Nennwert auf den Waren‑ und Dienstleistungsmärkten einerseits, und es hat einen Preis auf dem Kapitalmarkt andererseits, der in einer anderen Einheit gemessen wird, nämlich in Kaufkraft pro Zeiteinheit. Denn Liquidität ist ein Gut pro Zeiteinheit.

Diese Zweigesichtigkeit des Geldes spiegelt sich dann in einer Widersprüchlichkeit und Unentschlossenheit der Wirtschaftssubjekte sowie der Geldtheoretiker, die den Wirtschaftssubjekten ein Geld zugestehen, das ihnen diese Widersprüchlichkeit und Unentschlossenheit durchgehen läßt: Die Wirtschaftssubjekte möchten liquide sein, um auf allen Märkten „aus der Hüfte schießen" zu können. Das ist die eine Sache. Zugleich möchten sie gerade nicht jetzt und jederzeit „aus der Hüfte schießen" können, sondern ihre monetäre Waffe „Kaufkraft" sorgfältig so speichern, daß ihr nichts geschieht und daß die Kaufkraft von morgen, die sie dem Speicher wieder entnehmen werden, genau dem Betrag entspricht, den sie heute hineingelegt haben. Das ist die zweite Sache. Wenn sich die Wirtschaftssubjekte dann aber wirklich zur Speicherung entschließen und ihr angeblich schon selbst als Speichermedium geeignetes und als Speichermedium zu konstruierendes Geld wirklich einmal speichern wollen: sei es in eine Geldforderung, sei es in Aktien oder in sonstige rentable Objekte, dann verlangen sie obendrein und selbstverständlich, daß sie dem Speicher am Ende der Speicherzeit nicht etwa nur die eingespeicherte Kaufkraft entnehmen können, sondern mehr, nämlich Kaufkraft, die sich mit einer Zuwachsrate pro Zeiteinheit während der Speicherzeit vergrößert hat. Das ist die dritte Sache: die Speicherung des Speichermittels, oder die „Speicherung im Quadrat" mit dem Wachstumskoeffizienten.

Um die Widersprüchlichkeit sowohl des Geldes, wie auch der Motive seiner Nutzer (und der Theoretiker, die das mitmachen) zu verdeutlichen, empfiehlt es sich, die Motive des Geldbesitzers einmal wortwörtlich auszusprechen: „Ich will jederzeit zahlen können, also liquide sein. Nein, ich will nicht liquide sein, sondern die Kaufkraft, die ich in mein Geld einspeichere, erst in ein paar Jahren verwenden. Nein, ich will sowohl liquide sein als auch meine Kaufkraft speichern. Bei der Speicherung darf sich aber die Kaufkraft nicht etwa verändern! Aber im Grunde möchte ich meine Kaufkraft doch lieber nicht im Geld speichern, sondern woanders, wo sie wächst. Ich will halt alles gleichzeitig." So spricht der Geldbesitzer. Und der Geldtheoretiker erwidert: „Deine Wünsche sind uns Befehl! Dein praktisches Wollen sei unser theoretisches Sollen. Wie du dir das Geld erträumst, so soll es auch sein!" Dementsprechend ist die Praxis dieser Theorie.

Theoretische Konzepte, die in sich widersprüchlich sind, führen, wenn man sie in die Praxis umsetzt, im günstigsten Fall zu Reibungsverlusten, im übrigen zu Streit oder zur Störung. Hat etwa ein Kutscher die Theorie, er fahre schneller, wenn er eines seiner beiden Pferde hinten an den Karren spannt, darf er sich nicht wundern, wenn er praktisch nicht richtig vorwärtskommt. Wer sich darüber hinaus im zwischenmenschlichen Verkehr widersprüchlich verhält, tut das in der Regel zu Lasten der anderen, die sich darauf einlassen oder damit abfinden müssen. Deshalb verbietet die Rechtsordnung in der Regel widersprüchliches Verhalten oder belegt es mit Nachteilen. Die Juristen sagen: Wer sich widersprüchlich verhält, verwirkt sein Recht. Oder lateinisch: Es gilt ein Verbot des „venire contra factum proprium". Widersprüchliche Motive und widersprüchliches Verhalten von Geldbesitzern werden von der Rechtsordnung jedoch geldtechnisch geradezu einprogrammiert. Die Geldtheorie segnet das ab. Und wirtschaftlich werden die Geldbesitzer für ihre Widersprüchlichkeit noch mit Zinsen prämiiert.

Man darf sich bei den theoretischen Überlegungen also weder von der tatsächlichen Erscheinungsform des bisherigen Geldes im Geiste fesseln noch sich von den Gewohnheiten, Wünschen und Schizophrenien seiner bisherigen Benutzer das Sollkonzept vom Geld vorgeben lassen. Man muß vielmehr von den Funktionen ausgehen, die Geld in einer geordneten Marktwirtschaft logischerweise gleichzeitig haben kann. Theoretisch konsistent und logisch schlüssig ist dann einzig und allein: Wer liquide sein will, soll „Kasse halten", sei es in bar, sei es auf dem Girokonto. Wer Kaufkraft „speichern" will, sei es das Wirtschaftssubjekt, das jetzt über entbehrliche Liquidität verfügt, sei es der Geldtheoretiker, der über die Lösung des Problems nachdenkt, der möge mit sich selbst ins reine kommen! Er möge sich darüber klar werden und sich entschließen, welches die geeignete Form für die Abspeicherung seiner monetären Kaufkraft ist: Er mag an Gold, Silber, Juwelen und Diamanten, an Obligationen, Aktien und Hypotheken, oder an alles sonstige denken, was er auch immer für einen guten Speicher halten mag: Legt er sein Geld in Waren an, die ihm für Speicherzwecke gut dünken, ‑ er möge es tun! Das Geld bleibt im Umlauf. Legt er sein Geld aufs Sparbuch oder in Obligationen an, er möge es tun! Das Geld bleibt im Umlauf.

„Gespeichert" wird Kaufkraft dabei freilich überhaupt nicht. Bringt jemand sein Geld zur Sparkasse, so springt ein anderer in die Lücke, die der Speicherer im Geldkreislauf hinterläßt, und der andere macht die Lücke wieder frei, wenn der Speicherer, wie vereinbart, wieder hineinspringen will. „Speichermittel" oder „Wertaufbewahrungsmittel" ist dabei, wenn überhaupt, der andere, der Leiher, oder besser: die Volkswirtschaft, die diesen transtemporalen Kaufkraftaustausch ermöglicht.

Kaufkraftspeicherung im Geld ist, wenn man sie strengen Sinnes durchdenkt, ein geldtheoretisch unsinniger Begriff. Man kann dem monetären Kreislauf zwar Kaufkraft entziehen und eine Lücke reißen (Sparstrumpf) und man kann womöglich versuchen, sich in den Kreislauf hineinzuzwängen, auch wenn an sich niemand verpflichtet ist, eine Lücke freizumachen (z. B. mit zusätzlich in den Kreislauf eingeschleustem oder ihm durch Hortung zunächst entzogenem und später durch Enthortung wieder zugeführtem Geld). Aber Kaufkraft in Geld als solchem zu "speichern", das heißt, den monetär vermittelten Doppeltausch Ware gegen Geld und Geld gegen Ware in der Mitte auseinanderzureißen: ein Abbruch des Geschäftes oder eine Art Leistungsverzug in einer gestuften Tauschbeziehung. Der Widerspruch wird deutlicher, wenn man den Befund etwas anders formuliert. Nach klassischer Lehre soll das Geld sein: sowohl Tauschmittel, also Zirkulationsmittel, als auch Speichermittel, also Mittel zur Unterbrechung der Zirkulation. Denn wenn das Geld als solches verwendet wird als „Speichermittel", so wird es der Zirkulation entzogen, und dieser Entzug ist zugleich ein Mittel zur Unterbrechung der Zirkulation. Die klassische Lehre vom Geld läuft also darauf hinaus, daß das Geld sowohl Zirkulationsmittel als auch das Gegenteil seiner selbst sein soll.

Wird das Geld als solches zum Speichermedium verwendet, obwohl dadurch nur die Zirkulation in der Volkswirtschaft unterbrochen wird, so läuft das auch auf die Absurdität hinaus, daß die Volkswirtschaft, die später die „gespeicherte" Kaufkraft honorieren soll, als Vorleistung dafür erst einmal in ihrer Zirkulation unterbrochen wird. Angesichts solcher theoretischer Ungereimtheiten darf man sich nicht wundern, wenn die praktische Realisierung des Konzeptes Schwierigkeiten in der Zirkulation verursacht.

Staunen muß man allenfalls darüber, daß die Zirkulation trotz allem ganz gut funktioniert. Doch das liegt einfach daran, daß kein erfolgreicher Unternehmer oder Banker jemals die komische Theorie vom Geld als Speichermittel in größerem Stile ernst nimmt: In der wirtschaftlichen Praxis ist man vernünftig genug, das Geld als Tauschmittel und als Mittel zur Liquidität zu verwenden, und man trägt Sorge dafür, daß jede nicht für Zwecke der Liquidität erforderliche Kaufkraft anderweit gespeichert wird, nur nicht in Geld.

Die Geldtheoretiker also, die das Geld unbedingt zum Speichermittel ausbauen und als solches erhalten wollen, befassen sich mit einem Phantom. Die monetäre Praxis verläuft anders; und nur weil sie anders verläuft, funktioniert sie. Sobald die Wirtschaftssubjekte im größeren Stil den Unsinn der „Kaufkraftspeicherung" mitmachten, den die Geldtheorie ihnen ansinnt, bräche die Zirkulation zusammen. Zum Glück ist die Praxis wenigstens etwas klüger als die Theorie.

Die wirtschaftliche Praxis stört sich auch nicht daran, daß die Speicherung eines Speichermittels ein theoretischer Unfug ist. Sie speichert nicht das Speichermittel, sondern sie speichert die Kaufkraft, oder genauer, sie wählt als funktionales Äquivalent für die Speicherung den transtemporalen Kaufkraftaustausch.

Die bisher beschriebenen Widersprüchlichkeiten lassen sich bis hinein in die Definition des Geldes verfolgen und dort bei den verwendeten Maßeinheiten exakt erfassen. Man erinnere sich, daß mit der Bezeichnung „Geld" oder mit dem Währungsnamen „DM" oder z. B. „Dollar" zwei verschiedene Maßeinheiten bezeichnet werden, nämlich erstens eine Maßeinheit für einfache Kaufkraft, zweitens eine Maßeinheit für Bestandhaltepreise und ‑kosten. Diese beiden Maßeinheiten unterscheiden sich genau so, wie sich das Streckenmaß „Kilometer" von dem Geschwindigkeitsmaß „Kilometer pro Stunde" unterscheidet. Schaut man genauer hin, dann bekommt man im Bereiche unseres Geldes sogar noch eine dritte Erscheinung zu Gesicht, die, wenn sie gemessen werden sollte, eigentlich mit einer monetären Einheit gemessen werden müßte, die sich zu den Maßeinheiten für Bestandhaltepreise einerseits und für einfache Kaufpreise andererseits genau so verhält, wie sich die Maßeinheit für Beschleunigung zu den Maßeinheiten für bloße Geschwindigkeit einerseits und einfache Streckenmessungen andererseits verhält. Es gibt zwar keine solche monetäre Maßeinheit für die Beschleunigung der Zunahme von Kaufkraft, aber es gibt den Befund, der damit zu messen wäre: nämlich die beschleunigte Zunahme der Kaufkraft von gespeichertem Geldkapital, dessen Zinsen jeweils zu der verzinsten Forderung hinzugerechnet werden.

Angenommen also, die drei klassischen Funktionen des Geldes sollen optimiert werden, dann läuft das insbesondere darauf hinaus, daß die Maßeinheit für die gespeicherte Kaufkraft sich nicht verformt (weder Deflation noch Inflation). Dabei soll sowohl in der Sphäre der einfachen Preise (Tauschsphäre) als auch in der Sphäre der Speicherung (Bestandhaltesphäre) ein und dieselbe Maßeinheit („DM" oder „Dollar") gelten. Weiter wird gefordert, daß das Tauschmittel, das Liquiditätsmittel und das Speichermittel rigide miteinander verknüpft und identisch sind wie beim Geldschein: Der Geldschein ist Tauschmittel und Tauschmaß, Liquiditätsmittel und Liquiditätsmaß, und er soll sein Speichermittel und Speichermaß in einem: ein Tausch‑, Liquiditäts‑ und Speichermittel mit aufgedrucktem Maß sowohl für den Tausch, als auch für die Liquidität, als auch für die Speicherung. Dabei sollen Maß und Gemessenes; nämlich Nennwert und Kaufkraft nominell und real zeitstabil sein. Angesichts dieses Bündels von Anforderungen wird jeder Logiker zunächst sagen, sie seien logisch unerfüllbar; denn man habe es, wie schon umschrieben, mit wenigstens zweierlei Maßeinheiten zu tun: mit einer einfachen Maßeinheit sowie mit der gleichen Maßeinheit pro Zeiteinheit. Die erstrebte „Einheit" der Funktionen von Geld beim Tauschen und beim Speichern kann also nicht auch in einer Einheit sowohl der Mittel als auch der aufgedruckten Maßstäbe schlechthin gesucht werden. Sie muß von anderer Art sein; sie muß differenzierter definiert werden.

Worum geht es? Die Maßeinheit für einfache Kaufkraft soll sich, wenn man sie zu unterschiedlichem Zeitpunkt anwendet nicht vergrößern und nicht verkleinern. Sie soll durch die Zeit hindurch gleich bleiben, und zwar nominell und real, so wie bei einem idealen, kaufkraftstabilen Geld 100 DM von heute genau 100 DM von morgen und von übermorgen ,,sein sollen". Dann kann Kaufkraft optimal „gespeichert" werden. Es soll also gleichgültig sein, ob man die 100 DM ausgibt oder „speichert", ‑ sie sollen beim idealen Tausch‑ und Spargeld real und nominell heute den gleichen Wert haben wie nach einer beliebig langen „Speicherung". Das setzt voraus, daß der Maßstab, mit dem das gespeicherte Geld gemessen wird, sich weder nominell noch real verformt, so daß die gespeicherte Kaufkraft am Ende der Speicherzeit nominell und real die gleiche ist wie vorher: weder Deflation noch Inflation. Dies ist genau dann der Fall, wenn die Veränderung der gespeicherten Kaufkraft pro Zeiteinheit gleich Null ist. Dann ist ein Geldschein oder ein Schuldversprechen, das heute in der Währungseinheit begründet wird, nach Ablauf der „Speicherzeit" genau so viel wert wie am Anfang, und zwar nominell und real.

Wie aber ist es nun bei unserer monetären Kaufkraft und ihrer Abspeicherung im Geld? Sobald sich der Geldinhaber noch in Ausübung der Kompetenzen aus der Liquidität zur Speicherung wirklich entschließt und statt der Liquidität die Funktion des Geldes bei der Speicherung von Kaufkraft nutzen will, passiert folgendes: Entweder er steckt sein Geld in den Sparstrumpf. Dann „speichert" er im Grunde noch nicht, sondern bleibt liquide und „sperrt" nur seine Kaufkraft. Er weiß immer noch nicht, was er wirklich will. Er hat sich noch nicht entschieden. „Liquide zu sein", umfaßt die Möglichkeit, entweder liquide zu bleiben, oder von der Liquidität zum Tausch oder zur Speicherung überzugehen. Geht der Betroffene nicht zur Speicherung über, sondern behält liquides Geld, dann hat er sich nur scheinbar zur Speicherung entschlossen. Er verhält sich widersprüchlich. Diese Widersprüchlichkeit vermag die Geldtheorie nicht länger mitzumachen. Also bleibt nur der Fall, daß der Betroffene seine Kaufkraft wirklich „speichert", also einen transtemporalen Kaufkraftaustausch bewerkstelligt. Dabei verwendet er das Geld in der einzig legitimen Funktion, die es im Zusammenhang mit einem solchen Vorgang haben kann, nämlich als stabilen, verformungsfesten Maßstab für diesen transtemporalen Kaufkraftaustausch, der „für ihn" als „Speicherung" erscheint und von ihm daher als funktionales Äquivalent für die Kaufkraftspeicherung eingesetzt wird. Dann freilich erlebt er sein (und mit ihm die Geldtheorie ihr) kapitalistisches Wunder: Die Kaufkraft der 100 DM, die er jetzt für ein Jahr in den wirklichen Speichervorgang einspeichert, bleibt nicht etwa gleich, sondern sie ‑ wächst! Am Ende der Speicherzeit hat er mehr als vorher. Seine gespeicherte Kaufkraft wächst der ursprünglichen Einheit aus dem Rahmen.

Die Kaufkraft, die also nicht nur unter dem Schein der Liquidität, sondern wirklich „gespeichert", nämlich in einen transtemporalen Kaufkraftaustausch eingebracht wird, wächst der eingespeicherten Kaufkraft davon. Damit ist der Traum, daß die Kaufkraftveränderung bei Zeitablauf Null betragen müsse, ausgeträumt. Ein für den Geldbesitzer sehr viel schönerer Traum gewinnt Wirklichkeit: das monetäre perpetuum mobile. Die „gespeicherte" Kaufkraft verhält sich nicht zeitstabil, sondern deflationär. Der Deflationssatz pro Zeiteinheit beträgt nicht Null, wie für die Funktion des Geldes beim Speichern von Kaufkraft gefordert wird, sondern er beträgt z. B. 5 oder 6 oder 10 oder 12% der Ausgangseinheit pro Jahr. So öffnet sich eine monetäre Schere zwischen einfacher Kaufkraft einerseits und Kaufkraft‑nach‑Zeitablauf andererseits. Was also tun, damit nicht auffällt, daß das monetäre Ideal des Geldes als eines einheitlichen Gebildes mit optimierten Tausch‑ und Speicherfunktionen für den Fall der wirklichen Speicherungsprobleme gar nicht erfüllt ist? Die witzigste Lösung dafür hat Wolfram Engels gegeben, nämlich in der Form, daß er eine wachsende Geldeinheit eingeführt hat. Dann aber ist das klassische Ideal aufgegeben, daß die Geldeinheit sich weder nominell noch real im Verlaufe der Zeit verformen soll. Bei dem gegenwärtigen Geld hält die Geldtheorie an dieser Forderung fest, beklagt, wenn die Geldeinheit an Kaufkraft verliert, und mißt den Kaufkraftgewinn von gespeicherter Kaufkraft einfach in der Form, daß die Kaufkrafteinheit angewendet wird„ die bei Beginn der Speicherung angewendet wurde. Dann braucht man die eingespeicherte Kaufkraft nur mit dem Kaufkraftveränderungs‑Faktor zu multiplizieren, und schon kann man messen, wie groß die Kaufkraft‑nach‑Zeitablauf geworden ist, die aus ihrer ursprünglichen Maßeinheit herausgewachsen ist.

Doch das ist noch nicht alles: Nach dem ersten Jahr wird der Kaufkraftzuwachs der schon abgespeicherten Kaufkraft hinzugerechnet und mitverzinst. Das gleiche geschieht nach dem zweiten Jahr, nach dem dritten usw. Die gespeicherte Kaufkraft wächst also der ursprünglichen Kaufkraft nicht nur linear wachsend davon, sondern beschleunigt. Die monetäre Schere zwischen der einfachen Kaufkraft einerseits und der Kaufkraft‑nach‑Zeitablauf öffnet sich nicht nur mit geraden Schneiden, sondern mit einer nach oben exponentiell verbogenen Schneide für die Kaufkraft‑nach‑Zeitablauf. Das alles erscheint, auf der Grundlage der gewohnten Vorstellungen, als selbstverständlich. Auch den beschleunigten Zuwachs kann man messen und ausdrücken, indem man die Maßeinheit verwendet, die zur Zeit des Beginns des Speichervorganges galt.

Die „klassische" Forderung, daß das Geld ein stabiler Kaufkraftspeicher sei und als solcher zu dienen habe, ist also ein Unsinn: Sie wird aufgestellt für den Phantom‑Fall, der gar kein Speicherfall ist, sondern ein Fall der Liquidität und des Sperrens von Kaufkraft; und für den Fall der wirklichen „Speicherung" (transtemporaler Kaufkraftaustausch) wird sie nicht nur nicht erfüllt, sondern es wird für selbstverständlich erachtet, daß sie nicht erfüllt wird.

Dazu also bringen es die Geldtheoretiker, die das Tausch‑ und Liquiditätsmittel Geld unbedingt selbst zum Speichermittel machen wollen: daß ihnen die wirklichen Speicherfälle in geradezu exponentiell explodierender Form aus der Einheit platzen, ‑ daß ihnen also genau das passiert, was sie beim Geld selbst mit allen Mitteln zu verhindern suchen, nämlich extreme und gefährliche Kaufkraftveränderungen in der Zeit. Weil die Geldtheoretiker sich dagegen wehren, funktionsgerechte monetäre Spezialisten für die Zirkulation, für die Liquidität und fürs Sparen zu entwickeln, dürfen sie sich nicht wundern, wenn ihnen bei ihrem plumpeinheitlichen monetären Allerweltsmittel funktionswidrige Scheren‑, Allokations‑ und Bremseffekte frei Haus beschert werden.

Wer also als Geldtheoretiker die klassische Vorstellung und Forderung wirklich ernst nimmt, daß das Geld beim Tauschen und beim „Speichern" eine funktionale Einheit bilden müsse, die man nicht in „Tauschgeld" und „Spargeld" mit unterschiedlicher Stabilität der Maßstäbe auseinanderreißen darf, der muß sich sehr genau Gedanken darüber machen, wie denn dieser Forderung überhaupt wenigstens theoretisch zu genügen sei. Die landläufigen Vorstellungen dazu sind, sehr milde gesagt, zu undifferenziert, als daß man mit ihnen noch arbeiten dürfte. Erstens kommt zum Tauschmittel und Speicherproblem noch das Liquiditätsmittel hinzu. Präzisiert werden müßte aber zweitens vor allem das, was man sich unter „Speicherung" (im Gegensatz zum üblichen Tausch und im Gegensatz zur Liquidität) ökonomisch genau vorstellen möchte. Es wird Zeit, sich von Bezeichnungen und den damit verbundenen Assoziationen zu lösen, die noch erinnern an das Korn auf dem Speicher im Dachstuhl oder an das angehäufte Gold in den Hochbunkern von Onkel Dagobert: Diese Erinnerung verklebt die theoretischen Vorstellungen und hindert sie daran, die ökonomischen und monetären Zusammenhänge in klarem Licht zu erkennen.

Bezeichnungen wie „Speichermittel" und „Wertaufbewahrungsmittel" sollten also aus dem monetären Wortschatz verschwinden. Mit dieser Sprachbereinigung für die Theorie verschwände freilich für die Wirtschaftssubjekte nicht im geringsten die Möglichkeit, Kaufkraft fürs Alter zu „speichern"! Denn „für sie" ist das, was ökonomisch ein „transtemporaler Kaufkraftaustausch" ist, durchaus etwas, was sie als „Speicherung" sehen und erleben. Das hängt ganz von der Perspektive ab, von der man es betrachtet, und die Geldtheoretiker sind bisher viel zu sehr in den Geldbesitzer hineingeschlüpft, wenn sie das Wort „Speichermittel" ausgesprochen oder niedergeschrieben haben. Der andere, der bei dem „transtemporalen Kaufkraftaustausch" den Tauschpartner spielt und sich Geld leiht, sieht es ganz anders: Was für den Verleiher als ein Spar‑ und Speichervorgang erscheint, das ist für ihn vorweggenommene Kaufmöglichkeit. Er sieht es eher so, als schöpfe er aus einem Speicher, der voll ist, bevor er ihn gefüllt hat. Was ist das für ein komischer Speicher, der speichert, ohne zu speichern, und der Kaufkraft hergibt, bevor er gefüllt ist? Es ist die Volkswirtschaft. Es empfiehlt sich, in diesem Zusammenhang noch einmal die Robinsonade von Silvio Gesell zu lesen, diesmal nicht im Hinblick auf das Zinsproblem, sondern im Hinblick auf das, was man in einer arbeitsteiligen Wirtschaft unter „Speicherung von Kaufkraft" sinnvollerweise verstehen darf.

Der langen Kritik kurzer Sinn: Das Ideal der monetären Dreieinigkeit von Tausch‑, Liquiditäts‑ und Speichermittel ist nicht falsch. Es muß nur erst mal genauer und theoretisch konsistent definiert werden. Um es praktisch zu verwirklichen, muß der Vorteil aus der Liquidität, der über den Zins zur Realverformung gespeicherter Kaufkraft in der Zeit führt, durch eine Ausgleichsabgabe abgeschöpft werden. Dann wird der Schereneffekt vermieden, der damit verbunden ist, daß „Geld mehr wert ist als Geld". Wer also das klassische monetäre Ideal in theoretisch schlüssiger Weise definiert und dann in einer auch praktisch widerspruchsfreien Weise verwirklichen möchte, der drehe auch hier wieder nur am „archimedischen Knöpfchen" der Ausgleichsabgabe auf Liquidität. Dann kommt er seinem Ziel näher.

Worum es dabei geht, läßt sich auch formaler darstellen: In der Physik und sonst im Leben werden Maßeinheiten wie das Meter oder das Kilogramm möglichst unabhängig von den zu messenden Größen definiert und festgesetzt: das Meter verändert sieh nicht, wenn mit einem Metermaßstab eine Strecke gemessen wird. Bei Geld und Währung ist das anders: Die Währungseinheit wird nicht definiert und festgesetzt (wie scheinbar noch zu Zeiten, als der Münzgesetzgeber das Münzgewicht bestimmte). Sie ergibt sich heute vielmehr aus der Verwendung des Geldes, das auf die Währungseinheit lautet, im wirtschaftlichen Verkehr. Das Geld ist insoweit eine Art Maßstab, bei dem sich die Größe der Maßeinheit beim Messen mit dem Maßstab herausbildet.

Die Währungseinheit E ergibt sich mithin als eine Funktion f des Geldgebrauchs GE, wobei der Index E bei G anzeigt, daß es sich um den Gebrauch eines Geldes handelt, das gestückelt ist in Bruchstücken und Vielfachen der Währungseinheit, um deren Bestimmung es geht:

(1) E = f(GE) (Die tatsächliche Einheit von Kaufkraft der Währung ist eine Funktion des Gebrauchs des auf sie lautenden Zahlungsmittels.)

So einfach bleibt die Sache jedoch nicht; denn Geld wird in wenigstens zweierlei grundverschiedenen, einander voraussetzenden, aber auch ausschließenden Weisen verwendet: einerseits als Tausch‑ und Tilgungsmittel TE und andererseits als Liquiditätsmittel LE. Also kann (1) auch beschrieben werden als:

(2) E = f(TE, LE)

Tatsächlich kommen in der monetären Wirklichkeit folgende funktionale Verknüpfungen, also Aufspaltungen von (2) vor:

(3) El = fl(TE) (Die Währungseinheit ist eine Funktion des Gebrauchs von Geld als Tauschmittel)

(4) E2 = f2(LE) (Die Währungseinheit ist auch eine Funktion des Gebrauchs von Geld als Liquiditätsmittel.)

 

Bei (3) hat man es mit dem Gebrauch von Geld zum Zeitpunkt der Zahlung und zum Nennwert zu tun (TE). Bei (4) hingegen geht es um diejenige Geld‑ und Währungseinheit, die als Liquiditätsmittel und –maßstab fungiert, also pro Zeitspanne genutzt wird und einen wirtschaftlichen Vorteil ebenfalls pro Zeitspanne abwirft (LE):

Unterstellt jetzt, El sei stabil im Sinne einer „stabilen Währung". Dann ändert sich El nicht: Die Ableitung der Funktion fl(TE) nach der Zeit hat den Wert 0. Tatsächlich jedoch kommst bei stabiler El in der Wirtschaft eine Ableitung der allgemeinen Währungsfunktion E = f(GE) nach der Zeit vor, die nicht den Wert 0 ergibt, sondern einen positiven Wert: nämlich jene Funktion, die den wirtschaftlichen Nutzen von Geld angibt, das als Liquiditätsmittel verwendet wird. Das ist bei E2 der Fall. Wenn aber die Ableitung der Funktion E2 = f2(LE) nicht den Wert Null, sondern eine positive Änderungsgeschwindigkeit ergibt, dann heißt das nichts anderes, als daß E2 wächst (relativ zu El und gemessen in El). Wir können uns das nicht recht vorstellen, weil E2 im Geld faktisch mit E1 zur Identität verkoppelt ist, so daß El nominell den Ton angibt und sich das Anschwellen von E2 nicht in der Ausdehnung der Einheit selbst zeigt, sondern an der wachsenden Zahl von El, die man braucht, um E2 nach Zeitablauf zu messen. (Man erinnere sich an das Aktiengeld von Wolfram Engels: Bei diesem Geld wird umgekehrt die Rente in einer nominell gleichbleibenden, faktisch aber anschwellenden Währungseinheit versteckt.)

Wir haben also ein Geld und eine Währung mit einer zwiespältigen Währungsfunktion, die uns eine „gespaltene Währung" beschert derart, daß bei stabiler Tauscheinheit die Liquiditätseinheit anschwillt (monetäre Schere). Wer das Geld „stabilisieren" will, muß also nicht nur El konstant halten, sondern E2 und El „unitarisieren", damit es keine Ableitung der Währungsfunktion nach der Zeit mehr gibt, der eine veränderliche Währungseinheit zugrundeliegt. Die Ableitung von f2(LE) nach der Zeit ergibt faktisch jedenfalls dann den Wert 0, wenn der Gebrauch von Geld als Liquiditätsmittel keinen positiven oder negativen wirtschaftlichen Vorteil, meßbar in El pro Zeiteinheit, mehr mit sich führt. Das ist wiederum jedenfalls dann der Fall, wenn die wirtschaftlichen Vorteile des Gebrauchs von Geld als Liquiditätsmittel LE durch eine Liquiditätsausgleichsabgabe abgeschöpft werden.

Man verlangt, unter ordnungspolitischem Aspekt, schließlich noch, daß das Geld in der Volkswirtschaft als „neutrales Tauschmittel" fungieren solle. Es soll die Austauschbeziehungen nicht beeinflussen: Der Güteraustausch soll sich so vollziehen; als wäre die betroffene Volkswirtschaft eine Naturalwirtschaft, bei der man sich lediglich des Geldes bedient, um den Tausch zu erleichtern (78).

Neben diesem allgemeinen Neutralitätspostulat, das auf die Auswirkungen der Einführung von Geld auf die Preise, auf die Lenkungs‑, Allokations‑ und Verteilungsprozesse zielt, kennt man die „Neutralität von Geld" auch im quantitätstheoretisch verengten Sinne mit der Fragestellung, wie sich Veränderungen der Geldmenge auf das Preisgefüge und auf die Preishöhe auswirken: Im Folgenden ist ;,Neutralität" im umfassenden, vor allem funktionalen Sinne gemeint: Wirkt die Einführung von Geld auf den Austausch der Naturalleistungen (Waren, Dienstleistungen, Investitionsgütern, Risiken usw.) neutral? Oder mischt sich das Geld als unlauterer Wettbewerber unruhe‑ und krisenstiftend in die Marktvorgänge ein, weil es nicht nur als Tausch‑ und Tilgungsmittel ein monetäres Passepartout auf den Märkten ist, sondern wegen seiner Eigenschaften als Liquiditätsmittel zugleich ein profitables Wirtschaftsgut mit besonderen Vorzügen, die aus seinem Passepartout‑Charakter resultieren?

Hält man sich angesichts des allgemeinen Neutralitätspostulats noch einmal Silvio Gesells lehrreiche Robinsonade als Modell für transtemporale Austauschvorgänge ohne Geld vor Augen, drängen sich erhebliche Zweifel daran auf, ob das Geld heute wirklich „neutral" wirkt. Nimmt man hinzu, daß das Geld unter allen Tauschobjekten eine eigenartige, „generalisierte" Stellung einnimmt, die als solche, einen wirtschaftlichen Vorteil bietet: nämlich den Liquiditäts‑ oder Jokervorteil des Geldes, verdichten sich diese Zweifel: Ein Joker ist keine „neutrale" Karte! Wenn dann gar der Zins des Geldes eine Marge setzt für den Grenznutzen und die Vermehrung von Realkapital, dann ist nur noch schwer einzusehen, inwiefern man trotz aller dieser Befunde weiterhin an der Illusion von der Neutralität des Gelds festhalten kann. Viel eher handelt es sieh bei der Neutralität des Geldes um eine kontrafaktische Fiktion, an die man zur Entlastung des Gewissens um so hartnäckiger glaubt, je unrichtiger sie ist.

Wie aber läßt sich genau identifizieren, inwiefern das Geld nicht neutral ist? Welche Preisgefüge bringt es aus dem Gleichgewicht? Die Antwort liegt auf der Hand: Geld hat, wie wir gesehen haben, zweierlei Wert, nämlich seinen Kaufkraft‑Nennwert zum einen und seinen Zins-Preis zum anderen. Geld hat also einen nach Märkten „gespaltenen Wert", und der „Spalt" zwischen den beiden Werten ist der Mehrwert.

Mit dem Ablauf von Zeit wächst die transtemporal getauschte Kaufkraft der einfachen Kaufkraft davon, womöglich mit exponentiell wachsender Geschwindigkeit. Jener Jokervorteil des Geldes bei einfachen Tauschgeschäften, der als „Liquidität" am Geldmarkt vermarktet werden kann, schlägt sich also vor allem auch darin nieder, daß die transtemporalen Preisgefüge auseinandergerissen werden. Diese „monetäre Schere" öffnet sich um so weiter, je länger die Zeitspannen sind, um die es dabei geht. Soll Geld bei transtemporalen Tauschvorgängen, insbesondere bei transtemporalem Kaufkraftaustausch, „neutral" wirken, dann darf es keinen „gespaltenen Wert" haben, keinen „Mehrwert".

Die Nicht‑Neutralität, um die es dabei geht, läßt sich wie folgt veranschaulichen: Durch die Verformung des Preisgefüges in der Zeit, die das Geld mit sich bringt, wird das Alter vor der Jugend privilegiert; der Erbe vor dem Nichterben; der Reiche vor dem Armen; der besitzende Nichtstuer vor dem Arbeitswilligen, dem die Mittel fehlen; usw. Alle Unstimmigkeiten, Absurditäten und Ungerechtigkeiten, die von Menschen mit empfindlichem Gerechtigkeitssinn seit jeher im Zusammenhang mit Geld und Zins beschrieben und kritisiert worden sind, können hier als Symptom dafür angeführt werden, daß das Geld nicht neutral wirkt.

Die kapitalistische Parteilichkeit unseres Geldes ist so allgegenwärtig und übermächtig, seine Nicht‑Neutralität so himmelschreiend, daß Praxis und Theorie darauf inzwischen reagieren wie alte Leute, die eine gefährliche verkehrsreiche Straße überqueren: Statt wach und bewußt alle beängstigenden Informationen und Symptome aufzunehmen und für die praktischen Entscheidungen auszuwerten, schließen sie die Augen. Im Innern tragen sie mit sich herum die Fiktion vom neutralen Geld. Die gibt ihnen eine autonome, scheinbare Orientierungssicherheit, bis die Volkswirtschaft wegen der ausgeblendeten und verdrängten Asymmetrie andernorts aus dem Gleichgewicht gerät. Dann schlägt man sich mit den Symptomen herum und wundert sich, daß man die Probleme nicht in den Griff bekommt.

Schon der Begriff der Neutralität wirft Probleme auf: Wie soll die Neutralität des Tauschmittels „Geld" gemessen werden an dem fingierten Zustand einer Naturalientauschwirtschaft, die durch Einführung des Tauschmittels „Geld" in signifikanter Weise verändert wird? Dabei besteht die Gefahr, daß gerade das Wichtigste übersehen wird: Mit der Einführung des Geldes als allgemeinem Tauschmittel wird ein neues Tauschobjekt eingeführt, das wegen seiner Eigenschaft, ein Joker unter den Tauschobjekten zu sein, etwas „wertvoller" ist als die typischen anderen Tauschobjekte. Dadurch wird ausgerechnet das Geld, um dessen Neutralität es geht, selbst zum bevorzugten Lieblingskind aller Tauschenden.

Wenn man also in einer Wirtschaft, die durch das „künstliche" Geld dem als ausgeglichen definierten Naturzustande entfremdet worden ist, „Neutralität" definieren will, so muß sie selbstständig definiert werden, und zwar so, daß Funktionen und Wirkungen des „neuen" generalisierten Tauschobjektes „Geld" mit denen der anderen verglichen werden können: .z. B. in Anlehnung an Vorstellungen vom fairen Spiel. Dann springt die kapitalistische Parteilichkeit des Geldes sofort ins Auge.

Oben, anläßlich der Kritik am Geldkonzept von Wolfram Engels, war als Komplementärbegriff zur „Akzeptabilität" des Geldes der Begriff der „Alienabilität" eingeführt worden: für Eigenschaften des Geldes, die dazu motivieren, es anderen weiterzugeben. Vermutlich läßt sich die Neutralität des Geldes als der Zustand von Geld definieren, bei dem seine Akzeptabilität und seine Alienabilität gleich sind. Das ist nicht der Fall, wenn Geld Liquiditätsvorteile bietet, die sich vermarkten lassen, und auch nicht, wenn sich dabei der „natürliche" Zins erwirtschaften läßt: So lange nämlich Geld einen (durchschnittlichen) Liquiditätsvorteil gegenüber anderen Tauschobjekten bietet, bleibt es als Geld ein Wirtschaftsgut, ein Kapital, und nimmt dadurch gewissermaßen Partei für Investitionsgüter und gegen den Konsum von Waren und Dienstleistungen und gegen andere wertvolle Tauschobjekte, die als Anlage in Frage kommen. Wenn Geld aber ein neutrales Tauschmittel sein soll, das den Wettbewerb der Waren, Dienstleistungen, Kostbarkeiten und Investitionsgüter untereinander nicht verfälscht, dann darf das Tauschmittel nicht selbst Kapital sein: Es darf nicht selbst zusätzlich zu seinem Tauschkraft‑Nennwert wirtschaftliche Vorteile bieten, die es per Saldo rentierlich machen. Also müssen die Liquiditätsvorteile, die das Geld zusätzlich zum Tauschwert bietet, mit Hilfe von Durchhaltekosten im wahrsten Sinne des „neutralen Geldes" neutralisiert werden. Dann erst leitet das Geld die Nachfrage nach Waren, Dienstleistungen, Kostbarkeiten und Investitionsgütern: also die Nachfrage nach Naturalleistungen, „neutral" weiter, ohne sich selbst als ein privilegierter und daher unlauterer Wettbewerber in die Konkurrenz dadurch einzumischen, daß es mit den höchst eigenen Liquiditätsvorteilen „winkt". Anders ausgedrückt: Die Eigenschaft des Geldes als des generalisierten Tauschmittels darf nicht dazu führen, daß eben diese allgemeine Eigenschaft des Geldes privat ausgebeutet und genau dadurch das Tauschmittel zum Kapital verfremdet, wird. Bei „natürlichem" Zins mag das Geld unter Kapitalien ein „neutrales" Kapital sein; neutrales Tauschmittel ist es jedoch nur, wenn der Zinssatz gleich Null ist.

Weil das derzeitige Geld nicht neutral wirkt, hat es zur Folge, daß monetäre Anwartschaften aufs Sozialprodukt in falsche Kassen fließen, wo sie sich typischerweise als entbehrliches (marginales) Vermögen niederschlagen, das wieder nur Zinsen und Renditen sucht, statt Waren Dienstleistungen oder Kostbarkeiten nachzufragen. Wegen des listigen Nachfrageausfalls führt das u. a. zu konjunkturpolitischen Reycling‑Problemen: Wie können die fehlgeleiteten Mittel wieder der Nachfrage von Letztverbrauchern zugeführt werden? Über Staatsverschuldung und Konsumentenkredite! Die freilich machen das Problem, das sie kurzfristig entschärfen, langfristig um so brisanter, weil die Nachfrage dieser Letztverbraucher durch den Zins mehr und mehr gebremst wird und weil diese Zinsen jene ordnungspolitisch unsinnigen Vermögensmassen nur noch weiter aufblasen, die den Nachfrageausfall verursachen und das Recycling‑Problem auslösen.

Wird die ordnungspolitische Problematik noch eine Stufe weiter abstrahiert, so ergibt sich folgender, sehr einfacher und sehr weittragender Befund: Weil der Vorteil von Liquidität kein Verdienst dessen ist, der Geld in die Hand bekommt, fließt mit der Liquiditäts(verzichts)prämie zu ihm ein Einkommensstrom hin, den er nicht verdient. Diese Fehlallokation hat zur Folge, daß monetäre Nachfragekapazität an einer Stelle aufgebaut wird, wo sie nicht hingehört. Insbesondere handelt es sich nicht um einen Unternehmerlohn, den verdient, wer geschickt einen volkswirtschaftlichen Bedarf mit entsprechenden Leistungen deckt. Durch die Zinsen (und für Renditen gilt Entsprechendes, soweit sie „Verzinsung des eingesetzten Kapitals" enthalten) wird also monetäre Nachfragekapazität an falsche Stellen verschoben, und zwar an Stellen, an denen weder der Bedarf nach Verbrauch noch der Bedarf an eigenen Investitionen besteht, jedenfalls nicht in dem Umfang, daß von einer richtigen, marktmäßigen Allokation die Rede sein könnte. Infolgedessen entwickeln sich auseinander: einerseits der Bedarf an Leistungen der Volkswirtschaft und andererseits die Zuordnung monetärer Kaufkraftkapazität.

Am Ende also fehlt dem Bedarf zur Nachfrage das Geld, und dem Geld fehlt zur Nachfrage der Bedarf, so daß weder der Bedarf allein noch das Geld allein zur wirksamen Nachfrage werden können. Erst wenn beide wieder zusammengeführt werden, wenn also das Geld zum Bedarf hin zurücktransferiert wird, kommt wieder Nachfrage von Investoren nach Investitionsgütern und Nachfrage von Letztverbrauchern nach Konsumgütern und Dienstleistungen zustande. Das ist der Umweg, den das fehlgeleitete Geld einschlagen muß. Das ist das Recycling, von dem die Rede war. Aber der Umweg und das Recycling sind mit Kosten verbunden: mit den Zinsen und dem Zinsanteil von Renditen.

Bei dem Recycling der Gelder aus den „Kassen mit Geld ohne Bedarf" in die „Kassen ohne Geld mit Bedarf" durch Kredite handelt es sich um Transaktionen im monetären Bereich. Daher handelt es sich auch bei den Zinsen um monetäre Transaktionskosten, die das monetäre Recycling und damit auch die Marktwirtschaft überhaupt belasten und hemmen. Werden die Recyclingkosten gesenkt oder abgeschafft, so wird zugleich die Marktwirtschaft entlastet von verhängnisvollen monetären Transaktionskosten.

Ordnungspolitisch gesehen handelt es sich bei den Zinsen und Renditen also schlicht um die Kosten eines Recycling, das wegen vorhergegangener Fehlallokation erforderlich wird, um die Faktoren wieder zusammenzubringen, aus denen Nachfrage hervorgeht. Weil mit steigenden Fehlallokationen auch der Recycling-Bedarf steigt, nährt sich der verhängnisvolle Prozeß selbst. Und weil die Zinsen und Renditen dorthin fließen, wo schon die ausgezahlten Mittel nicht hingehörten, ernährt sich der Prozeß nicht nur selbst, sondern er verstärkt sich auch selbst. So kommt es zu einer Wirtschaft mit eingebauter Krisenautomatik und mit eingebauter Selbstzerstörung.

Wohlgemerkt: Nicht der Bedarf nach Verschiebung von monetärer Nachfragekapazität an sich und seine Befriedigung durch Kredite ist pathologisch. Nur die Transaktionskosten des Recycling sind Gift. Jede Rückführung von Geld, um einem Bedarf wieder zur Nachfrage zu verhelfen, belastet die Volkswirtschaft mit Kosten vom Typ der Bestandhaltekosten, also mit „Kosten pro Zeiteinheit". Das System ist geldordnungspolitisch darauf programmiert, daß es dabei langfristig so gut wie kein Zurück gibt, sondern immer nur ein Vorwärts: kein Fallen der gesamten monetären Recycling‑Kosten, sondern nur ein Wachsen. So entstehen jene wahnwitzig aufgeblähten Ballons von Vermögen in der Form von Kredit‑ und Zinsforderungen, die eines schönen Tages platzen müssen, wenn nicht durch drastische Inflation der Druck abgelassen oder auf eine andere Weise Abhilfe geschaffen wird. Langfristig hilft nur die Abschöpfung des Mehrwertes von Geld durch die Ausgleichsabgabe auf Liquidität: die Entlastung der Marktwirtschaft von dysfunktionalen monetären Transaktionskosten.

Bei den Geldern, die sich in den Kassen ohne realen Bedarf befinden, handelt es sich im übrigen um Gelder, die funktional nicht dazu prädestiniert sind, ein sicheres Zinseinkommen zu ermöglichen, sondern dazu, Risiko zu tragen: Es handelt sich der Tendenz nach um marginales Vermögen, das nicht für existentielle Zwecke gebraucht wird. Also steht es als „Spielmasse" zur Verfügung, bei der ein „Spielverlust" den „Spieler" nicht existentiell, sondern nur marginal trifft. Solange jedoch die Gelder ohne realen Bedarf ein sicheres Zinseinkommen ermöglichen, verringert das die Neigung der Anleger, um eines möglichen Gewinnes willen ein Risiko einzugehen. Kann aber der Anleger „Mehrwert" nur noch erhoffen, wenn er etwas riskiert, wächst seine Neigung, Risikokapital zur Verfügung zu stellen. Und wenn er jetzt einen Gewinn macht, so ist dieser Gewinn nicht mehr unverdient und fehlallokalisiert, sondern legitime Risikoprämie, die denjenigen mit noch mehr risikobereiter Liquidität versorgt, der Risiken offenbar richtig einzuschätzen weiß. Das „Geld ohne Mehrwert" würde also nicht das Ende der Bereitschaft darstellen, Risikokapital zur Verfügung zu stellen, sondern diese Bereitschaft fördern. Zugleich würden die marginalen Vermögensbestände funktional optimal als Risikopuffer, statt zur reinen Abzweigung von „Mehrwert" eingesetzt.