Inhaltsverzeichnis: „Geld ohne Mehrwert“
5. Kapitel
Geldmenge, Geldumlauf, Geldpolitik
Mehr als jedes andere Kapitel in diesem Buch sollte
dieses von einem professionellen Volkswirt und Kenner des Geldwesens verfaßt
werden, nicht von einem juristischen „Außenseiter". Doch bei dem Versuch,
Material für dieses Kapitel zusammenzustellen, stieß ich auf einen Befund, der
dem ähnelt, was Wolfgang Stützel über die Lehrbücher in bezug auf die
Geldtheorie geschrieben hat: Wer z. B. die Geldströme nicht nur schön abstrakt
mit Formeln erklärt bekommen will, sondern z. B. fragt, wie denn die besonders
aufschlußreichen Arme des volkswirtschaftlichen Geldstromes verlaufen, nämlich
die Ströme der Zinsen von Geldkapitalien und die der Erträge von
Realkapitalien, sucht weitgehend vergeblich, und zwar nicht nur, wenn er in den
Lehrbüchern nachschlägt, sondern auch, wenn er sich direkt um empirische Daten
bemüht. Der Mehrwert ist auch insofern kein Thema. Den Mehrwert gibt es nicht.
Aber zu den Geldmengen und zum Geldumlauf läßt sich einiges sehr allgemein
sagen, ohne das der Überblick über das Geldwesen zu lückenhaft wäre, als daß er
einen hinreichenden Hintergrund abgeben könnte zu den Überlegungen, die oben
zum Zins, zum Mehrwert und zur Geldordnung angestellt wurden und unten noch
angestellt werden.
Steckte man allen Bürgern plötzlich die gleiche Menge
Geld, die im Umlauf ist, noch einmal in die Tasche, dann liefen sie zum Markt
und fragten Waren und Dienstleistungen nach. Jedem würde schon etwas einfallen,
das er noch gebrauchen kann oder auch einmal genießen möchte, und wer das
zusätzliche Geld sparen wollte, fände schon eine Sparkasse, die es ihm abnähme
und jemandem anderen gäbe, der immer doch nicht genug kaufen konnte. Kurz: Die
Nachfrage würde ganz erheblich steigen. Bis aber auch das Angebot an Waren und
Dienstleistungen sich auf die brausende Nachfrage hin langsam vermehrt hätte,
bliebe das Angebot an Waren und Dienstleistungen ziemlich träge und fast
gleich. Also würden die Preise drastisch steigen. So wirkt sich die
„Geldmenge" auf die Nachfrage und auf die Preise aus.
Umgekehrt gilt Ähnliches: Solange sich Geld nur vermehren
ließ, wenn das Gold oder das Silber vermehrt wurde, aus dem das Geld war,
konnte die Nachfrage nicht nur keine Sprünge machen, sondern konnte nicht
einmal angemessen wachsen. Wuchs das Angebot trotzdem, weil die Wirtschaft sich
ausdehnte, so wußte die größere Menge an Waren und Dienstleistungen mit der
gleichen Menge Gold oder Silber umgeschlagen und bezahlt werden. Die Preise
gingen zurück. Das hatte dann zur Folge, daß das Geld, mit dem man nicht das
Notwendige kaufen mußte, in der Hoffnung auf noch günstigere Preise, also aus
spekulativen Gründen, gar nicht mehr ausgegeben wurde und die Nachfrage fast
ganz zum Erliegen kam. Das ist die Art von Krisen, die Silvio Gesell als
Kaufmann erlebt hatte und deretwegen er erstens für vermehrbares Papiergeld und
zweitens für nicht hortbares Stempelgeld kämpfte; denn er wußte, daß man die
Geldmenge genau kontrollieren muß, wenn sich die Wirtschaft und die Preise
stabil entwickeln sollen, und dazu brauchte man ein Geld, dessen Menge nicht
von Umständen abhing, die mit dem wirklichen Bedarf an Geld in der
Volkswirtschaft nichts zu tun hatten.
Heute sind die Gedanken, die für Gesell nur die Grundlage
und den Ausgangspunkt für seine weiteren Überlegungen bildeten, eine
Selbstverständlichkeit der Währungspolitik. Der Streit geht fast nur noch um
die Abgrenzung von Geldmengen und insgesamt um Feinheiten der Steuerung, vor
allem um die Frage, ob es besser ist, die Geldmenge gewissermaßen
vorprogrammiert und fast „blind" langsam und stetig zu vermehren, oder ob
die Geldmenge unter Ausrichtung an jeweiligen wirtschaftlichen Lagen gesteuert
werden soll. Börsentendenzen folgen prompt der Bekanntgabe von Veränderungen in
den Geldmengen.
In den Augen der Gesellianer und Freiwirtschaftler ist
der heutige Monetarismus nach wie vor nur ein halber Monetarismus (polemisch:
„naiver Monetarismus"), und zwar deshalb, weil zur Geldmengenkontrolle
gehöre, daß auch wirklich alles Geld im Umlauf sei und sich nicht hier oder
dort durch Hortung und Enthortung jene Störungen ergeben, die oben als
Abpufferung und als Entleerung der monetären Puffer schon beschrieben worden
waren. „Konsequenter Monetarismus" laufe daher auf eine Geldpolitik oder
besser auf eine Geldordnungspolitik hinaus, bei der durch „Umlaufzwang"
(besser: Umlaufdruck) dafür gesorgt werde, daß die Geldmengenpolitik nicht
durch monetäre Puffer verzerrt und gestört wird. (68) Diese Argumentation
vermag jedoch zu Zeiten relativ hoher Inflation und satter Zinsen nicht zu
überzeugen, selbst wenn relativ große, unkontrollierte Geldmengen in
„dunklen", sprich: illegalen oder halblegalen, Sphären auf unberechenbare
Art und Weise herumvagabundieren, verschwinden und wieder auftauchen
(Schattenwirtschaft). Womit der heutige Monetarismus in der wirtschaftlichen
Wirklichkeit seine Probleme hat, das dürften in erster Linie nicht
Schwierigkeiten des Geldumlaufes sein, sondern Schwierigkeiten der Geldlenkung
und die Probleme, die das „Geld mit Mehrwert" für die (mit Keynes gesprochen:)
„wirksame Nachfrage" mit sich bringt. Die Fachökonomen müßten sich der
Frage sehr viel eindringlicher zuwenden, welche Wirkungen es zeitigen würde,
wenn man den Gedanken weiter verfolgte, den Keynes für gesund hielt und zur
Weiterverfolgung empfahl: Durchhaltekosten für Liquidität. Diesen Gedanken zu
verfolgen, bedeutete jedoch für die zünftige Fachökonomie, daß man einem
Außenseiter, den man jahrzehntelang beharrlich und trotz vielfacher Hinweise
ignoriert hat, die Reverenz erweisen müßte.
Der neue Monetarismus hat betont quantitativen Charakter.
Als Quantitätstheorie des Geldes begreift er sich in erster Linie als eine
Theorie der Geldnachfrage und insofern wieder als spezielle Thematik der
Kapitaltheorie. Das prägt die Perspektiven, aus denen heraus Milton Friedman
die Quantitätstheorie als einen kapitalistischen Monetarismus par excellence
reformuliert hat. Auf den Spuren der Geldnachfrage geht dieser Monetarismus der
Kassehaltung auf den Grund. Dabei bemüht er sich um strenge Begrenzung der in das
theoretische Modell aufgenommenen Variablen, weil er den empirischen Gehalt des
Modells nicht aufs Spiel setzen will. Was wegen dieser strengen Reduzierung der
Variablen nicht ins Modell aufgenommen wird, kann daher nur dann und insoweit
bedacht und berücksichtigt werden, wie es sich als „externe Größe" auf die
Geldmengenprobleme auswirkt. Einer der vom Modell vernachlässigten Unterschiede
betrifft genau den Punkt, der im Zentrum dieser Untersuchung steht:
„Es ist vielleicht der Mühe wert, explizit anzumerken,
daß das Modell nicht die Unterscheidung zwischen ‚aktiver Kasse' und 'toter
Kasse' oder die eng verbundene Unterscheidung zwischen 'Transaktionskasse' und
'Spekulationskasse', die in der Literatur so breite Verwendung findet, benutzt.
Die Unterscheidung zwischen der Geldhaltung der letzten Vermögensinhaber und
der Unternehmungen ist auf diese Unterscheidung, aber nur entfernt, bezogen.
Von jeder dieser Kategorien der Geldbesitzer kann gesagt werden, daß sie Geld
teilweise aus 'Transaktions'‑Motiven, teilweise aus 'Spekulations'‑
oder 'Vermögens'‑Motiven nachfragen, aber das Geld in Form von Dollar
unterscheidet sich nicht danach, ob die Dollar etwa für den einen oder anderen
Zweck gehalten werden. (69)"
Friedman bewegt sich hier, wo es um den grundlegenden
Ansatz für seine Modellkonstruktion geht, vorbehaltlos auf der Linie der dem
Geld klassischerweise zugeschriebenen Funktion: Das Geld erscheint auch als
Vermögensgegenstand im Sinne der Wertspeichervorstellungen, ohne daß über die
volkswirtschaftlichen Funktionen und Dysfunktionen eines so einfach
hingenommenen Sollkonzeptes vom Geld nachgedacht wird.
Daher geht das Geld in das rekonstruierte Modell der
Quantitätstheorie des Geldes mit seinen widersprüchlichen Funktionen als Mittel
zur Zirkulation und als Mittel zur Unterbrechung der Zirkulation ein: „Das Geld
in der Form von Dollar unterscheidet nicht danach, ob etwa die Dollar für den
einen Zweck oder für den anderen Zweck gehalten werden": zum Zwecke ihrer
Verwendung in der Zirkulation oder zum Zwecke ihrer (langfristigen) Entfernung
aus der Zirkulation. Insofern kann man von einem Monetarismus ohne
Funktionstheorie des Geldes sprechen.
In der „aktiven" Kasse z. B. des Unternehmers oder
Kaufmannes gleicht das Geld einem Pfeil auf gespanntem Bogen. Die Kosten der
Liquidität (insbesondere in Form der Zinsen, die dem entgehen, der Geld „nicht
anlegt") sorgen dafür, daß dieses „gespannte System" der Liquidität
in Grenzen gehalten wird. In der „toten" Kasse (z. B. Sparstrumpf oder
gehortete Banknoten andernorts) jedoch verwandeln sich die
volkswirtschaftlichen Vorteile der Liquidität in bloße Nachteile: Geldhortung
reißt Lücken in den Kreislauf, Enthortung führt dazu, daß sich Nachfrage an den
Markt drängt, wo sonst gerade keiner eine Nachfragelücke freimachen will. Zwar
bedenkt Friedman in anderen Zusammenhängen selbstverständlich das Problem der
„Liquiditätsfalle", die den Ökonomen seit Keynes vertraut ist: daß nämlich
die Vorliebe für eine volle Kasse sprunghaft steigen kann, wenn etwa die Preise
fallen, mit der Folge, daß viel Geld in den Kassen verschwindet wie in einer
Falle. Doch genau daran, daß dieses Problem nicht schon im Grundkonzept bedacht
wird, zeigt sich, welchen relativ niedrigen Rang Friedman dem Unterschied
zwischen aktiver und toter Kasse beimißt, also dem Unterschied zwischen Geld
als legitimen Liquiditätsmittel einerseits und problematischen Sparmittel
andererseits.
Ein Unterschied oder Funktionswiderspruch, der im Modell
nicht repräsentiert wird, wird leicht auch psychologisch verdrängt und
unterschätzt, so wie schon seine relative Geringschätzung zu seiner
Vernachlässigung im Modell führt. Er hat daher auch nur geringe Chancen, bei
der praktischen Anwendung des Modells die ihm gebührende Aufmerksamkeit auf
sich zu ziehen.
In diese Tendenz schon des monetaristischen
Modellansatzes fügen sich weitere Konsequenzen ein, die sich dann aus dem
Modell ergeben: Erstens werden für den optimalen Fall sinkende Produktpreise
erstrebt und dabei wiederum die Gefahren der Liquiditätsfalle geringgeschätzt;
nur wegen erwarteter Übergangskosten (Aufwand beim Übergang von der Inflation
zur leichten Deflation) wird von diesem Optimum Abstand genommen. Zweitens
entstehen nach dem Modell gewisse Unausgeglichenheiten, die dann, konsequent
auf der Linie eines kapitalistischen Monetarismus, dadurch kompensiert werden
sollen, daß die Kosten der Kassehaltung durch Zinsen auf liquide Mittel
ausgeglichen werden, z. B. in Form der wachsenden Kaufkraft des Geldes:
vergleichbar dem Aktiengeld von Wolfram Engels, auf das sogleich ebenfalls noch
näher eingegangen werden soll. Keynes dagegen hatte nicht an die Prämierung von
Liquidität, sondern an die Belastung von Liquidität mit Durchhaltekosten
gedacht, diesen Gedanken jedoch nicht zu Ende geführt, sondern eine langfristig
verhängnisvolle fiskalische Konjunkturpolitik empfohlen. Friedman setzt sich
zwar von diesen fiskalpolitischen Überlegungen ab, sieht jedoch offenbar keinen
Grund, wegen der Einsichten der übrigen „Allgemeinen Theorie" von Keynes
an den Konsequenzen seines Ansatzes zu zweifeln. Drittens spielt Friedman die
Folgen einer erwarteten Deflation oder Inflation herunter, weil bei erwarteten
Kaufkraftveränderungen der Währung ein entsprechender Ausgleich schon durch
niedrigere oder höhere Zinsen geschaffen werde. Daß die höheren Zinsen jedoch
die verhängnisvollen Brems‑ und Fehlallokationseffekte, mit denen Keynes
sich beschäftigt hatte, drastisch verschärfen, wird in diesem grundlegenden
Zusammenhang wiederum nicht bedacht.
Bei dem Unterschied zwischen aktiver und toter Kasse
handelt es sich im übrigen nur um einen Teilaspekt des monetären
Mehrwertsyndroms: also jenes Gesamtkrankheitsbildes der Volkswirtschaft, dessen
verschiedene charakteristische Symptome (Ungerechtigkeiten, Belastungseffekte,
Fehlallokationen, Nachfrageschwächen, Arbeitslosigkeit, usw.) zusammenlaufen
bei dem Problem des Mehrwertes. Wie dieser Unterschied zwischen der aktiven und
toten Kasse, so wird auch das Mehrwertsyndrom insgesamt im Modell nicht
repräsentiert. Daher ist zu erwarten, daß Friedmans Monetarismus seine
Bewährungsprobe bei Problemen erfahren wird, die mit dem Mehrwertsyndrom
zusammenhängen, und daß er genau daran scheitern wird. Unsere derzeitigen
Probleme sind weitgehend Probleme des Mehrwertsyndroms. Da der Monetarismus der
kapitalistischen Wirtschaft auf den Leib geschneidert ist, vermag man sich mit
seiner Hilfe in dieser Welt ganz gut zurechtzufinden. Aber die
strukturtypischen Probleme dieser Welt vermag er nicht zu lösen, weil er dann
die Veränderung der Strukturen ins Auge fassen müßte, die die kapitalistische
Wirtschaft ebenso wie ihren Monetarismus konstituieren.
Im übrigen hätte gerade bei einem quantitätstheoretischen
Ansatz die bloße Denkmöglichkeit von Zinseszinseffekten zu erhöhter Wachsamkeit
führen müssen: Angenommen z. B. ein Ingenieur wäre dafür verantwortlich, daß
ein ihm anvertrautes, sehr komplexes technisches Großsystem stetig funktioniert
und die von ihm erwarteten lebenswichtigen Leistungen stetig erbringt.
Angenommen weiter, dieser Ingenieur entdeckt bei seinen theoretischen
Überlegungen und Berechnungen, daß eine der kritischen Größen seines Systems
unter durchaus wahrscheinlichen Randbedingungen zu einem exponentiellen
Wachstum kommen kann: z. B. eine Temperatur, ein Druck, eine Spannung, eine
Flußstärke oder sonst eine physikalische Erscheinung in dem System. Dann würden
im Kopf dieses Ingenieurs sofort sämtliche Alarmglocken schrillen: Ein
exponentielles Wachstum bei einer kritischen Größe reißt über kurz oder lang
das System auseinander, oder es verursacht zumindest ganz erheblichen
Entschärfungs‑, Entlastungs‑ oder Kompensationsaufwand. Bei
Ökonomen und Wirtschaftspolitikern jedoch, die für den stetigen Ablauf der
Wirtschaft theoretisch und praktisch verantwortlich zeichnen, hat es den
Anschein, als klingelte nicht einmal leise ein kleines Glöckchen, wenn sie mit
dem Gedanken an Zinseszins konfrontiert werden: Geld und Zins gab es schon
immer. Kommt Zeit, kommt Rat. Kommt die Krise, wird man sie schon bewältigen .
. .
Ein Monetarismus, der das Mehrwertsyndrom nicht nur nicht
gründlich behandelt, sondern die Fragen, die zu seiner Erhellung beitragen
könnten, schon im Modellansatz abschneidet, lebt mit einem ihm selbst nicht
bewußten, eingebauten Zeitbombeneffekt. Um den Blick darauf freizubekommen, muß
man endlich die Fiktion vom monetären „Wertspeicher" aus den
Vorstellungsroutinen tilgen und dem Außenseiter Silvio Gesell zugestehen, daß
er der Geldtheorie und Geldlehre mit seinen Diagnosen nun bald ein Jahrhundert
voraus war. Dem stehen jedoch die soziologischen Routinen des
Wissenschaftsbetriebes entgegen: Der Wissenscharts‑Wissenschaftler Thomas
S. Kuhn (70) ist der Frage nachgegangen, wie es zu wissenschaftlichen
Erneuerungen und Durchbrüchen in der Fachwelt kommt. Er hat beobachtet und
festgestellt, daß es in der Regel nicht die versierten Könner ihres Faches
sind, die diejenigen neuen Gedanken („Paradigmata") ausbrüten und
anbieten, mit deren Hilfe der Wissenschaft in größerem Stile die Augen
geöffnet, die alten Paradoxien geklärt und unerwartete Problemlösungen auf den
Tisch gelegt werden. Es sind vielmehr Außenseiter oder besonders junge
Wissenschaftler. Ihre Sehgewohnheiten und Sprechweisen sind noch nicht so tief
eingeschliffen und verhärtet. Sie haben noch die Chance, alte Fragen ganz
anders zu stellen und alte Wirklichkeiten grundlegend neu zu sehen. Die
gestandenen Wissenschaftler jedoch wehren typischerweise ab. Sie bekämpfen das
neue „Paradigma", das ihnen ihre mühsam erarbeiteten Orientierungsmuster
untergräbt. Wenn das alles für die Naturwissenschaftler gilt, wo Thomas S. Kuhn
es beobachtet hat, wie viel mehr trifft es dann zu für die weniger exakten
Wissenschaften, die die Welt noch viel stärker durch die Brille ihrer
jeweiligen Theorie sehen, ‑ bei denen sogar die Theorie mitbestimmt, wie
die Wirklichkeit selbst gestaltet wird (71).
Schaut man auf die gegenwärtigen währungspolitischen
Möglichkeiten („Aktionsparameter"), dann zeigt sich eine ganze Reihe von
sehr fragwürdigen Befunden oder Zusammenhängen. Obwohl man auf Grund
allgemeiner theoretischer und besonderer konjunkturtheoretischer Kenntnisse
weiß, daß hohe Zinsen auf die Wirtschaft lähmend wirken, war die Deutsche
Bundesbank z. B. darauf angewiesen, das Instrument der Hochzinspolitik
einzusetzen, um den Geldwert stabil zu halten. Viele Faktoren spielen dabei
eine Rolle, entscheidend jedoch ist, daß man das erforderliche Geldkapital mit
dem Zuckerbrot hoher Zinsen umwerben muß, damit es nicht davonläuft. Es gibt
kein Mittel, Geldkapital „hart anzufassen", ohne mit den Marktgesetzen in
Konflikt zu geraten, denen man sich verpflichtet fühlt. Das wäre anders, wenn
als weiterer währungspolitischer Aktionsparameter die „Ausgleichsabgabe auf
Liquidität" angewendet werden könnte.
Während das Kindergeld gekürzt wurde, konnten die
Besitzer von Geldvermögen bei uns Zinseinkommen mit Zinssätzen einstreichen,
wie wir sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht hatten, aber als belebende
Nachfrage ist dieses Einkommen am Markt der Waren und Dienstleistungen nicht
angekommen. Während diskutiert wird, daß alle Lohn- und Gehaltsempfänger und
auch die Besoldungsempfänger, also die Arbeitenden, eine Arbeitsmarktabgabe
zahlen sollen für die Arbeitslosen, darf man auch nicht nur daran denken,
diejenigen, die ohne irgendwelche eigene Arbeit Einkommen aus fremder Arbeit verbuchen,
mit einer wenigstens entsprechenden Abgabe zu belegen. Das Geldkapital könnte
davonlaufen, und man würde ohnehin nur einen kleinen Bruchteil der
Zinseinkommen erfassen, weil sie sich dem Blick des Fiskus in Größenordnungen
mehrerer Milliarden mit Erfolg zu verbergen wissen: Das bequemste und
unverdienteste aller Einkommen ist auch das steuerfreieste Einkommen. Diese
Befunde sind paradox.
Jeden anderen kann man hart anfassen, und fast alle
anderen müssen den Gürtel enger schnallen, aber die Besitzer von Geldkapitalien
kann man nur mit Prämien umschmeicheln, vor ihnen kann in solchen Zeiten auch
der Staat und die Bundesbank nur buckeln. Ein großer Teil der Staatseinnahmen
fließt heute fast direkt aus den Taschen der Steuerzahler in die Taschen von Zinsempfängern.
Dabei geht es bei den Geldbesitzern typischerweise um marginalere, bei den
Arbeitenden typischerweise um existenziellere Opfer; aber opfern müssen
diejenigen, die es existenzieller trifft, nicht die Empfänger von Einkommen aus
Geldkapitalien: Sie könnten Verärgerung zeigen und psychologisch ungünstig
reagieren. Alles dies muß gesehen werden vor dem Hintergrund, daß der Zins
(soweit er nicht Risikoprämie oder Inflationsausgleich ist) nichts, aber auch
wirklich nichts anderes ist als ein Einkommen aus dem Verzicht auf
Jokervorteile des Geldes, für die der Geldbesitzer nichts kann und keinen
Finger zu krümmen braucht, die er vielmehr einzig und allein der Tatsache zu
verdanken hat, daß die staatliche Rechtsordnung ein Geld vorsieht, das es ihm
ermöglicht, die Zirkulation zu sperren, bis man ihm den Zins zahlt. Das ist
paradox.
Paradox sind schließlich die Folgen hoher Zinsen auf die
Zahl der Arbeitslosen, wenn nicht gleichzeitig die Geldmenge entsprechend
vermehrt und wiederum die Inflation angeheizt wird. Vom Ergebnis her kann man,
auch wenn dadurch zugegebenermaßen die Zusammenhänge zu brutal vereinfacht
werden, sagen: Es ist doch ganz logisch, daß die Gelder, die an die freiwillig
arbeitslosen Kapitalrentner gezahlt werden, nicht mehr da sind, um die
unfreiwillig arbeitslosen Sozialrentner statt mit mäßigem Arbeitslosengeld oder
mit Sozialhilfe wieder mit satten Löhnen zu bezahlen, die auch wirklich als
Nachfrage nach Lebensgütern auf den Warenmarkt kommen, statt mit der Nachfrage
nach neuen Zinsen auf den Kapitalmarkt. Und für die Arbeitslosenversicherung
kommen wiederum diejenigen auf, die arbeiten oder gearbeitet haben, nicht auch
diejenigen, die Einkommen aus fremder Arbeit beziehen: Was hat der Empfänger
von Zinseinkommen auch für Gründe zur Solidarität mit den Arbeitenden oder
sogar mit unfreiwillig Arbeitslosen? Er lebt ja nur auf ihre Kosten.
Wenn aber die Geldordnung durch die Liquiditätsabgabe so
rekonstruiert würde, daß Geldbesitzer auch einmal unter Druck geraten, weil sie
froh sein müßten, wenn sie durch Verleihen ihres Geldes Verluste vermeiden
können, sähe das Bild anders aus. Die Paradoxien oder vielmehr Schizophrenien,
die unsere Zins‑ und Währungspolitik heute auszeichnen, würden
abgeschwächt oder entfielen weitgehend. Man würde diejenigen zumindest auch zu
Opfern zwingen, die es am wenigsten, nämlich typischerweise nur marginal drückt
und die zugleich diejenigen sind, die am stärksten von der Struktur der
Geldordnung profitieren, die uns die Probleme einbrockt, die wir heute haben. Aber
die überlieferte Ordnung sitzt uns allen so tief in den Gliedern und
Gewohnheiten, daß wir uns längst damit abgefunden haben, und wenn jemand, um
die Abschöpfung des Liquiditätsvorteils zu bekämpfen und den Mehrwert zu
retten, scheinheilig die Sparguthaben oder die Obligationen beschwören würde,
die ja auch der „kleine Fabrikarbeiter" besitze und deren Zinsen ihm
genommen werden sollen: Man fände das sicher allgemein überzeugend. Die
Heuchelei muß nur groß genug sein, dann wird sie auch geglaubt. Und wer lange
den Rücken gekrümmt hat, fühlt sich in seiner Freiheit beschränkt, wenn man ihn
vor die Aussicht stellt, er dürfe sich aufrichten.
Man darf freilich den Geldkapitalisten als solchen keinen
Vorwurf machen, bloß weil sie den Mehrwert fordern! Sie verhalten sich nur so,
wie der Markt, die Eigenschaften des Geldes und die derzeitige Geldordnung es
von ihm verlangen. Sie tun nur, was in der „Natur der Sache" angelegt ist
und was sich bis zur Selbstverständlichkeit eines ökonomischen Naturgesetzes in
unser aller Gewohnheiten sowie in den wissenschaftlichen Denkweisen
eingeschliffen hat. Nicht der (Geld‑)Kapitalist, sondern die Geldordnung
ist dafür verantwortlich, daß der im Geld eingebaute Mehrwert auf alle, die ein
bißchen oder viel Geld übrig haben, seinen unwiderstehlichen monetären
Magnetismus ausübt. Es ist dieser Sog, mit dem der Mehrwert des Geldes
marginale Liquidität anzieht, der die Geldbesitzer zu Geldkapitalisten macht
und auf diese Weise sein schwer zu begreifendes „Unwesen" treiben muß.
Wen es gelüstet, Vorwürfe zu erheben und seiner Empörung
Luft zu machen, muß sie also gegen die Geldordnung richten. Seine
Auseinandersetzung aber muß denen gelten, die für die wissenschaftliche
Durchdringung des Geldwesens und für die politisch‑praktische Ausgestaltung
der Geldordnung kompetent und verantwortlich sind. Dazu würden dann freilich
auch alle diejenigen gehören, die sich der wissenschaftlichen Durchdringung,
der nüchternen Beurteilung und schließlich der für richtig erkannten
Rekonstruktion der Geldordnung mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln
widersetzen, sowie alle anderen, die ihnen dabei mit Geist, Tat und Geld zu
Diensten sind.
Betrachtet man vor dem Hintergrund der vorstehenden
kritischen Überlegungen die zwei nach Gesell weitreichendsten Vorschläge zur
Sanierung des Geldwesens, die mir begegnet sind, dann zeigt sich: Der eine, von
Friedrich A. Hayek, ändert am Mehrwert des Geldes gar nichts; und der zweite,
von Wolfram Engels, würde die mit dem Mehrwert zusammenhängenden Probleme
geradezu verdoppeln oder ins Quadrat erheben.
Werden Banknoten, wie Hayek (72) es vorschlägt, nicht
mehr vom Staat, sondern wieder von Banken ausgegeben, die miteinander
konkurrieren, so fällt die erste Rate des Mehrwertes der Bank zu, die das Geld
ausgibt, und jede weitere Rate, die fällig wird, sobald das Geld auf dem Weg
seines Umlaufes nicht zur Bezahlung eingesetzt, sondern „verliehen" wird,
geht an den jeweiligen Geldkapitalisten wie bisher. Insoweit bliebe alles beim
alten. Worum es Hayek geht, ist denn auch allein das monetäre Ideal vom
stabilen Geld, dem er durch konkurrierende Emission der Noten nahekommen will.
Das ist der uralte, seit Thomas Gresham vor mehr als vierhundert Jahren als
fragwürdig erkennbare Ansatz, bei dem das Geld nur aus Sicht desjenigen und für
denjenigen verbessert werden soll, der es besitzt, und nicht aus der Sicht
aller anderen, die es nachfragen. Wie vor Gericht beide Seiten gehört werden
müssen, so soll man auch beim Geld als einem Tauschmittel an beide Seiten
denken: Je vollkommener das Geld den Wünschen und Sehnsüchten derer auf den
Leib geschneidert wird, die es haben, darüber verfügen und behalten wollen,
desto mehr wächst es ihnen ans Herz, desto zögernder geben sie es aus und desto
zähflüssiger wird die monetäre Zirkulation.
Was wir brauchen, ist sicherlich eine stabile
Geldeinheit: einen stabilen Währungsmaßstab zur Bemessung von Kaufkraftschulden
und zur Kalkulation, der sich im Verlaufe der Zeit so wenig wie möglich
verformt. Das ist richtig. Das bestreitet niemand. Denn die Geldeinheit als
Maßstab dient dazu, den Kaufkraftaustausch über Zeitspannen hinweg gerecht
abzuwickeln, und jede Verformung pro Zeiteinheit schlägt wegen der Länge der
Zeitspannen ganz erheblich zu Buche. Eine Geldeinheit, deren Tauschkraft sich,
wenn sie gespeichert wird, vergrößert oder verringert, erfüllt nicht die ohne
weiteres einsichtigen Mindestanforderungen, die an sie zu stellen sind.
So sehr wir auch eine stabile Geldeinheit brauchen, so
sehr ist zweifelhaft, ob wir auch kostenlose Liquidität brauchen. Diese
kostenlose Liquidität erzeugt den Mehrwert und seine ebenso funktionswidrige
wie ungerechte Auszahlung an den Geldkapitalisten. Das Mehrwertproblem mit
allen seinen volkswirtschaftlichen Implikationen bleibt auf dem Tisch, wenn man
Hayeks Vorschlag realisiert. Es wird bei Hayek nicht einmal angesprochen.
Was schließlich Wolfram Engels (73) zur Optimierung des
Geldes vorschlägt, ist bestechend. Wer schon immer irgendetwas am Zins
auszusetzen hatte, kann begeistert sein: Der Zins verschwindet! Oder genauer:
Der Nominalzins strebt, jedenfalls im theoretischen Konzept, dem Werte Null zu.
Also gilt auch und vor allem, was Wolfram Engels besonders betont: „Gemessen in
diesen Geldeinheiten beträgt der Anteil des Einkommens aus Arbeit am
Volkseinkommen 100%." Der Mehrwert wäre abgeschafft: zwar auf eine nicht
ganz so einfache Weise wie bei Gesell und Keynes durch eine Ausgleichsabgabe
auf die Liquidität, aber immerhin. Es gäbe kein arbeitsloses Einkommen mehr.
Hier wird allem Anschein nach noch eine Lösung des Problems angeboten, die den
außerordentlichen Vorzug besitzt, in Gestalt modernster ökonomischer Theorie
formuliert zu sein.
Wie die Banknoten bei den Ausgabebanken früher gegen Gold
eingetauscht werden konnten, so sollen die Banknoten des Engels‑Geldes
bei den Banken, die das Geld ausgeben, gegen Realkapitalien in der Form von
Aktien eingetauscht werden können. Bei der Ausgabe der Banknoten sollen, ja
müssen die Banken konkurrieren. Die Einheit der Währung jedoch wird einheitlich
bestimmt als Bruchteil des „Marktportefeuilles", also als ein Bruchteil
der Gesamtheit aller Besitztitel für Produktionsunternehmen, die am Markt
gehandelt werden.
Die Formel, nach der das Engelsche Aktiengeld monetär
optimiert wird, lautet: „Geld ist optimal, wenn man es in Einheiten des
Marktwertes von Realkapitalien, das ist in Einheiten des Wertes des
Marktportefeuilles, definiert und die Rate des Nominalzinses Null ist. Die
Preise fallen dann nach Maßgabe der Rate der Grenzproduktivität des
Kapitals."
Zwar möchte Engels durchaus alle „drei klassischen
Funktionen des Geldes" optimieren: Tauschmittelfunktion,
Wertspeicherfunktion, Kalkulationsfunktion der Recheneinheit, ‑ und er
formuliert ausdrücklich: „Im Hinblick auf die Leichtigkeit des Tausches ist
Geld um so besser,
‑ je bereitwilliger es angenommen wird,
‑ je weniger Geldarten im Umlauf sind und
‑ je ausgedehnter der Bereich ist, in dem das Geld
freiwillig akzeptiert wird."
Daß das Geld freiwillig angenommen wird, erscheint
besonders wichtig, weil es ja um konkurrierende Emission von Banknoten durch
verschiedene Banken geht. Doch gerade diese Perspektive lenkt den Blick
einseitig in eine bestimmte Richtung, so daß Engels sein Geld ohne Rücksicht
auf die Nachfrage konzipiert, seine Rechnung also gewissermaßen ohne den Wirt
gemacht hat, der seine Mahlzeiten und Getränke anbietet und dabei Geld
nachfragt und Mühe hat, es seinem Gast aus der Tasche zu ziehen, wenn dieses
Geld so sehr optimiert wird, daß jeder es am liebsten behält.
Für den Tausch und für die Zirkulation kommt es nicht
darauf an, das Geld noch besser zu machen als Gold, sondern darauf, es eher
schlechter zu machen. Engels erwähnt nur die Akzeptabilität des Geldes: also
die ganz besondere Anziehungskraft, die es auf die Menschen ausübt. In seiner
Liste fehlt jedoch eine andere Eigenschaft des Geldes, die für seine
Zirkulation und für die Erfüllung seiner volkswirtschaftlichen Funktionen noch
wichtiger ist und die ich einmal als „Alienabilität" des Geldes bezeichnen
will: also eine eher abstoßende Beschaffenheit des Geldes, die die Menschen
dazu motiviert, es nicht lange zurückzuhalten, sondern auszugeben und anderen
in die Hand zu drücken (lateinisch: alienare).
Soll der Tausch weder gebremst werden durch zu große
Akzeptabilität des Geldes, noch über die Maßen erzwungen werden durch zu große
Alienabilität des Geldes, dann muß die Akzeptabilität etwa genau so groß sein
wie seine Alienabilität. Das ist zur Zeit nicht der Fall, weil der
Liquiditätsvorteil des Geldes dafür sorgt, daß man es lieber hat als die nicht
so liquiden Gegenstände, die man dafür bekommen kann, es sei denn, diese
Gegenstände „rentieren" sich so sehr, daß das Vergnügen an der Rendite das
Vergnügen an der Liquidität übersteigt.
Wolfram Engels optimiert sein Geld asymmetrisch unter
Bevorzugung des Aspekts der Akzeptabilität. Deshalb kommen ihm keim Bedenken,
wenn er, wohl in Anlehnung an Optimalkriterien der monetaristischen Schule, ein
Geld mit eingebauter Rendite konzipiert und empfiehlt, ‑ ein Geld, das
Aktien repräsentiert und daher kurz „Aktiengeld" genannt werden kann. Die
Rendite dieses Geldes verschwindet nominell im Kaufkraftgewinn, den es als
Repräsentant rentierlicher Kapitalien mit sich bringen soll.
Dieses Aktien‑ und Renditegeld ist seinem Konzept
nach wahrhaft wunderbar: Es versteckt das peinliche arbeitslose Einkommen
nominell im Kaufkraftgewinn, und die Tarnung ist so gut, daß Engels sich nicht
scheut, von diesem seinem Gelde zu sagen, der Anteil des Arbeitseinkommens am
Volkseinkommen betrage ‑ in Einheiten dieses Geldes gemessen ‑ 100%.
Das Aktiengeld erspart dem Geldkapitalisten auch das beschwerliche
Couponschneiden und/oder die Gebühren, die seine Bank für die Besorgung dieser
lästigen Arbeit oder für die sonstige Abrechnung von Zinsen und Ausschüttungen
in der Form von Depotgebühren erhebt.
Dieses Geld ist nicht nur wertbeständig, sondern steigt
von Jahr zu Jahr im Wert. Es ist dazu geschaffen, in privaten Tresoren zu
verschwinden. Wer es einmal hat, wird lange überlegen, ob er es wieder ausgeben
soll. Er braucht nicht einmal seinen Tresor vergrößern, wenn er den Zuwachs
seines Geldvermögens sicher verwahren will; denn nicht die Scheine vermehren
sich, sondern nur die Geldeinheit verformt sich und wächst und wächst,
vergleichbar einem Metermaßstab, der von Jahr zu Jahr länger wird, oder einem
Kilogramm, das von Jahr zu Jahr schwerer wird, so daß man nach einem Jahr mehr
Stoff ausgemessen oder mehr Kartoffeln zugewogen bekommt als zu Beginn des
Jahres. Nur von Zeit zu Zeit, wenn die Geldeinheit durch ihren Kaufkraftgewinn
zu groß und unhandlich geworden ist, müßte sie wohl gestückelt werden, und dann
würde der Zuwachs des Geldvermögens auch in Form von mehr Papier und größeren
Zahlen sichtbar.
Das Aktiengeld verkörpert schon in sich selbst nicht nur
Kaufkraft, sondern auch schon den Mehrwert. Erst dieses Geld ist das wahre, das
kapitalistische Geld in Reinform. Es versteckt den Mehrwert im Wertzuwachs des
Geldes. Es repräsentiert nicht mehr, wie nach alten Theorien, Waren und
Dienstleistungen, sondern Realkapitalien (soll aber, wenn ich Wolfram Engels
richtig verstehe, nach wie vor auch der Zirkulation sowie der transtemporalen
Kalkulation auch der Waren und Dienstleistungen dienen, denen es nicht mehr
gleicht).
Auch für Engels gilt nach allem in potenziertem Maße, was
über andere Geldverbesserer schon gesagt worden und von Keynes bestätigt worden
ist, daß nämlich, was man für besonders gut hielt, sich als der „Kern des Übels
(74)" erwiesen habe: „daß die güterschaffende Kraft des Geldes so gering
ist, liegt daran, daß man das Geld zu sehr verbessert hat, nämlich verbessert
vom einseitigen Standpunkt des Inhabers. Man hat bei der Wahl des Geldstoffes
ganz allein an den Käufer gedacht, nicht an die Nachfrage. (. . .) Man hat
durch die Wahl des Geldstoffes aus der Nachfrage eine Willenssache der
Geldbesitzer gemacht, (. . .) und dabei (. . .) völlig außer Acht gelassen, daß
das Angebot wegen seiner stofflichen Natur diesem Willen gegenüber ganz
schutzlos ist (75)."
Das Engelsche Aktiengeld besitzt zu allen seinen
Qualitäten, die es für die Hortung und Schatzbildung prädestinieren,
selbstverständlich auch noch die Eigenschaft, die es überhaupt erst zu Geld
macht: Es ist liquide. Auch das Aktiengeld fungiert daher als Joker unter den
Waren und Dienstleistungen. Es bietet neben seiner anwachsenden Kaufkraft noch
den Vorteil der Liquidität, von dem wir seit Keynes wissen, daß am Markt dafür
die Liquiditätsverzichts‑Prämie gezahlt wird. Kaum etwas spricht dafür,
daß sich die Besitzer von Aktiengeld, weil die Kaufkraft ihres Geldes sich
ohnehin schon um den Mehrwert vermehrt, auf diese Prämie verzichten würden, die
sie obendrein bekommen können, wenn sie ihre Liquidität verkaufen. Die Besitzer
von Aktiengeld erhielten dann einen Mehrwert zweiter Ordnung auf den schon ins
Geld hinein konstruierten Mehrwert erster Ordnung: Mehrwert im Quadrat!
Also wird auch dieses Aktiengeld noch nicht ganz in den
Tresoren verschwinden. Es wird immerhin noch auf den Markt kommen, soweit es
darum geht, daß man sich das Lebensnotwendige nicht ohne das Tauschmittel verschaffen
kann. Aber es wird auch noch dann auf dem Markt erscheinen, und zwar auf dem
Geldmarkt, wenn sich die Chance bietet, für die Liquidität den Mehrwert zweiten
Grades auszuhandeln. Welche Waren außer denjenigen, die die Menschen unbedingt
zum Leben brauchen, könnten mit einem solchen Geld noch konkurrieren?
Zwar vermutet Engels richtig, daß die
Wirtschaftssubjekte, gäbe es sein Geld, gewissermaßen in Liquidität baden
könnten wie Kleopatra in Eselsmilch oder wie Onkel Dagobert in seinen
Geldspeichern („satiated with money" nach Paul A. Samuelson); denn die
Wirtschaftssubjekte könnten alles Kapitalvermögen in Geldform bei sich haben
und „Kasse halten", ohne daß ihnen dabei die Rendite ersten Grades
entginge. Aber wegen dieser Sättigung der Liquiditätsbedürfnisse verschwände
noch nicht die Liquiditätsverzichts‑Prämie aus der Welt. Sie würde nur
nicht praktisch werden, weil sich die Besitzer von Aktiengeld verhalten würden
ganz ähnlich den Besitzern von Goldgeld zur Zeit fallender Preise; sie würden
abwarten. Die Anbieter von Waren und Dienstleistungen hätten das Nachsehen.
Für die volkswirtschaftliche Zirkulation ist daher kaum
ein schlechteres Geld als das Aktiengeld denkbar. Wenn Wolfram Engels
allerdings die ganze Geldtheorie und Geldlehre auf die Schippe nehmen wollte,
um zu zeigen, was dort alles möglich ist, und eine solche Eulenspiegelei ist
ihm durchaus zuzutrauen: Welch ein Schelmenstreich, welch ein köstliches
Vergnügen!
Dank gebührt Wolfram Engels aber auch insofern, als er
mit seiner monetären Eulenspiegelei allen, die es wissen wollen, sowie allen,
die es nicht so gerne wissen wollen, die wirklichen Kriterien eines optimalen
Geldes endlich wieder bewußt gemacht hat:
‑ Zinssatz: 0% ,
‑ Anteil des Arbeitseinkommens am Sozialprodukt:
100%.
Außerdem hat er gezeigt, daß es in der Geldtheorie nicht
undenkbar erscheint, wachsende Kaufkraft, wie sie bei angelegten Geld‑
und Realkapitalien auftritt, in Form einer selbst anschwellenden
Kaufkrafteinheit auszudrücken. Das erleichtert es, auch die derzeitigen
„Speicherprobleme" mit der Kaufkraft weiter unten exakt zu behandeln. Daß
Engels den Wert des Zirkulationsmittels an die Realkapitalien bindet, die nicht
zirkulieren, und daß er auf diese Weise in Kauf genommen hat, daß man bei den
alltäglichen Kalkulationen unternehmerischer Dispositionen mit einem flexiblen
Maßstab für die Bewertung von Waren und Diensten arbeiten muß, der sich ebenso
sehr ausdehnt, wie er heute schrumpft: das ist der listige Sarkasmus, mit dem
er seinen Lesern per argumentum ad absurdum klarmacht, auf welchem Wege
optimales Geld nicht zu finden ist.
So muß man Engels Vorschlag am Ende vergnügt lesen als
eine listige, nämlich unausgesprochene Herausforderung an seine Leser, eifrig
selbst nach den anderen Wegen zu suchen, an deren Ende man das von ihm
aufgestellte Ziel erreichen und mit einem Schild markieren kann, auf dem zu
lesen ist:
‑ Der Zinssatz beträgt durchschnittlich 0%, und
zwar nicht nur nominell, sondern auch real;
‑ der Anteil des Arbeitseinkommens am Sozialprodukt
beläuft sich auf 100%, und zwar nicht nur nominell, sondern auch real;
‑ der Mehrwert ist abgeschafft, und zwar nicht nur
nominell, sondern auch real.
Einer der Wege, die zu diesem Ziel führen, vermutlich der
einzige, ist der Weg, auf dem der wirtschaftliche Vorteil der Liquidität durch
eine entsprechende Ausgleichsabgabe auf Liquidität abgeschöpft wird.