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Inhaltsverzeichnis: „Geld ohne Mehrwert“

 


 

 

2. Kapitel

 

Eine pfiffige Idee von besserem Geld:

Von S. Gesell über J.M. Keynes zum Trick mit dem Greshamschen Gesetz

 

Nach Proudhon und Marx muß im Zusammenhang mit Fragen des Mehrwerts und des Geldes jetzt eines Außenseiters gedacht werden: Silvio Gesell (29) (1862‑1930). Gesell ist mit Gedanken und Vorschlägen auf den Plan getreten, die ungewöhnlich, ja, auf den ersten Blick geradezu absurd anmuten. Was er herausgefunden und angeboten hat, schien und scheint allem sosehr zu widersprechen, was man sich als Laie oder Fachmann unter Geld vorstellt, daß er sehr lange auf so gut wie gar keine Resonanz stieß. Schüler und Gefolgschaft fand er auch später eigentlich nur wiederum unter Außenseitern. Was aber können Außenseiter tun, um die Aufmerksamkeit des fachwissenschaftlichen Betriebes auf sich zu lenken? Sie brauchen einen Brückenkopf innerhalb dieses Betriebes. Deshalb möchte auch ich den Außenseiter Gesell hier durch die Augen von John Maynard Keynes (1883‑1946) vorstellen, ‑ wohl zum Überdruß einiger Fachökonomen, denen die folgenden Zitate von Gesellianern schon häufig ‑ und eben stets erfolglos ‑ vorgehalten worden sind. Keynes bietet sich hier aber auch deshalb an, weil im Folgenden bei Keynes angeknüpft werden wird, um die Unzulänglichkeit des Gesellschen Konzeptes zu erkennen und zu überwinden.

Keynes ist, neben Irving Fisher (1867‑1947), der Gesells monetäre Vorschläge ausdrücklich übernommen hatte, (30) der einzige große Wirtschaftswissenschaftler, der Gesell ohne Scheu bemerkenswerte Anerkennung gezollt hat. Keynes hat bekanntlich selbst eine die eigenen Grundlagen erschütternde Wandlung durchgemacht, wie sie selten von Wissenschaftlern eingestanden wird. Mag auch die volkswirtschaftliche Theorie inzwischen über ihn hinausgegangen sein, ihn korrigiert und ihn ergänzt haben: Vieles von dem, was er damals in dem Buch ausgebreitet hat, aus dem ich jetzt zitieren möchte, gehört heute zu den ökonomischen Grundlagen und ist treffender, als es die geld‑ und fiskalpolitischen Folgerungen sind, die unter der Flagge „Keynesianismus" laufen.

Keynes` nannte Gesell einen „seltsamen, zu Unrecht übersehenen Propheten ( . . .), dessen Werk Einfälle tiefer Einsicht enthält und der nur gerade eben verfehlte, bis zum Kern der Sache vorzudringen." Keynes war auch überzeugt, „daß die Zukunft mehr lernen wird durch den Geist Gesells als durch den Geist von Marx." Er sagt:

 

„In den Nachkriegsjahren bombardierten mich seine Anhänger mit Exemplaren seiner Werke; aber wegen gewisser offenkundiger Mängel seiner Beweisführung verfehlte ich vollständig, ihre Vorzüge zu entdecken. Wie so oft im Falle unvollkommen analysierter Eingebungen wurde ihre Bedeutung erst augenscheinlich, nachdem ich meine eigenen Folgerungen auf meine eigene Art erreicht hatte. Wie andere akademische Ökonomen behandelte ich bis dahin seine tief originellen Bestrebungen als nichts Besseres als die eines Überspannten. Da die Bedeutung Gesells voraussichtlich wenigen Lesern dieses Buches sehr vertraut sein wird, will ich ihm einen sonst unverhältnismäßig großen Platz einräumen.

Gesell war ein erfolgreicher deutscher Kaufmann in Buenos Aires, der durch die Krise der späten achtziger Jahre, die in Argentinien besonders heftig war, zur Erforschung der geldlichen Probleme geführt wurde. Sein erstes Buch, Die Reformation im Münzwesen als Brücke zum sozialen Staat, wurde 1891 in Buenos Aires veröffentlicht. (. . .) Das letzte Jahrzehnt seines Lebens wurde in Berlin und in der Schweiz verbracht und der Propaganda gewidmet. Gesell zog die halbreligiöse Verehrung auf sich, die früher Henry George umgab, und wurde der verehrte Prophet eines Kultus mit Tausenden von Anhängern in der ganzen Welt. Die erste internationale Zusammenkunft des schweizerischen und deutschen Freiland‑Freigeld‑Bundes und ähnlicher Organisationen aus vielen Ländern wurde 1923 in Basel abgehalten. Nach seinem Tode 1930 wurde ein großer Teil der besonderen Art von Schwärmerei, die Doktrinen wie die seine hervorrufen können, auf andere (nach meiner Ansicht weniger bedeutende) Propheten gelenkt. Dr. Büchi ist der Führer der Bewegung in England, aber ihre Literatur scheint von San Antonio, Texas, verbreitet zu werden. Ihre Hauptstärke liegt heute in den Vereinigten Staaten, wo Professor Irving Fisher, als einziger unter den akademischen Ökonomen, ihre Bedeutung erkannt hat."

 

 

Ohne von Proudhon zu wissen, hatte Gesell als tüchtiger Kaufmann ebenfalls bemerkt, daß sich Geld leichter unters Volk bringen läßt als angebotene Arbeit oder Ware. So war auch er in seiner im Selbstverlag in Buenos Aires 1891 erschienenen Erstschrift „Die Reformation im Münzwesen als Brücke zum sozialen Staat" auf den Gedanken einer Tauschbank verfallen, hatte dabei jedoch ein Problem entdeckt: Wegen Lagerkosten, Alterung und Verderb würden die Waren einem Schwund unterliegen. Sollte die Rechnung aufgehen, so mußten also auch die für die Waren ausgegebenen Gutscheine einen entsprechenden Schwund erleiden, weil sonst bald mehr Gutscheine umlaufen würden, als Ware auf der Bank wäre. Den Tauschbank‑Gedanken gab Gesell bald wieder auf, aber die Idee, das Geld den Waren anzunähern und anzugleichen durch einprogrammierten Schwund, behielt er bei: Herabstufung des Geldes auf die Ebene der Waren, „rostende Banknoten".

Später erkannte Gesell, daß er mit seinen Überlegungen auf einen Weg gestoßen war, auf dem man die Mehrwertlehre von Karl Marx über den Haufen werfen konnte, und daß er, was die Analyse der Zirkulation betrifft, in Proudhon einen Vorkämpfer gehabt hatte, ‑ einen Vorkämpfer, der im Sperrfeuer der verächtlichen Kritik von Marx fast untergegangen war. Wie Gesell seine Position im Verhältnis zu Marx und Proudhon sieht, dazu möge er sich ‑ auch im Hinblick auf unsere bisherigen Überlegungen ‑ am besten selbst äußern:

„Marx' Untersuchung des Kapitals schlägt von Anfang an den verkehrten Weg ein. Wie es der erste beste Bauer macht, so betrachtet auch Marx das Kapital als ein Sachgut. Für Proudhon dagegen ist der Mehrwert nicht Produkt eines Sachgutes, sondern Produkt eines wirtschaftlichen Zustandes, eines Marktverhältnisses. Marx sieht im Mehrwert einen Raub, die Frucht des Mißbrauches einer Macht, die der Besitz gibt. Für Proudhon unterliegt der Mehrwert dem Gesetz von Angebot und Nachfrage. Für Marx ist der positive Mehrwert selbstverständlich, für Proudhon mußte auch die Möglichkeit eines negativen Mehrwertes in den Kreis der Betrachtung gezogen werden (positiv = der Mehrwert auf seiten des Angebots, d. i. der Kapitalisten, negativ = Mehrwert auf seiten der Nachfrage, d. i. der Arbeiter). Marx` Ausweg ist die durch Organisation zu schaffende Übermacht der Besitzlosen; Proudhons Ausweg ist die Beseitigung des Hindernisses, das uns von der vollen Entfaltung unserer Produktivkraft abhält." Auch sonst habe es an Versuchen, Zins und Mehrwert zu erfassen, nicht gefehlt. Sie seien aber fehlgeschlagen. „Der Grund dieses Fehlschlages liegt ( . . .) einfach darin, daß der Kapitalzins ( . . .) ein Geschöpf oder Nebenerzeugnis des herkömmlichen Geldes ist und darum auch nur mit Hilfe der Geldtheorie wissenschaftlich erklärt werden kann. ( . . .) Ohne Einblick in das innere Wesen des Geldes ist es unmöglich, den Zins zu erklären. Die Lehre vom Zins kann nur von der Lehre vom Geld abgeleitet werden''. (32)

Gesell hatte ein doppeltes Problem vor sich: Erstens kämpfte er gegen (wissenschaftliche) Vorstellungen vom Geld an, nach denen Papiergeld und gar Papiergeld ohne Golddeckung so gut wie unvorstellbar war, weil, wie man z. B. glaubte, dem Papier der „innere Wert" fehle. Gesell hat in diesem Punkte auf der ganzen Linie recht behalten gegenüber damaligen Repräsentanten der Wissenschaft vom Gelde. Hier belehrte der kaufmännische Praktiker die Theoretiker auf eine zwar außerordentliche scharfsinnige, für Wissenschaftler aber wohl zu anschauliche Art und Weise.

Zweitens kam es Gesell auf ein Geld an, das seine volkswirtschaftlichen Funktionen besser erfüllt als das bisherige. Es ging ihm, wie wir heute sagen würden, um eine „funktionale Optimierung" des Geldes als eines Zirkulationsmittels. Die, wie Gesell sie nannte, „rohe Quantitätstheorie" des Geldes, für deren präzisierte, modernisierte und differenzierte Version später Milton Friedman den Nobelpreis erhalten sollte, war dabei ein Durchgangsstadium seiner Überlegungen. Er verwarf sie als ungenügend, weil mit dem üblichen Geld die erstrebte Geldmengenregulierung nicht genau genug greifen und infolgedessen die erwünschten Ergebnisse auch nicht erbringen würde:

 

„Die Quantitätstheorie, die für alle Waren ohne Einschränkung als richtig anerkannt wird, hat man auch auf das Geld übertragen und richtig gesagt, daß der Preis des Geldes von dem Geldvorrat bestimmt wird; doch hat die Erfahrung gezeigt, daß das Geldangebot vom Geldvorrat nicht so beherrscht wird, wie für solche Quantitätstheorie vorausgesetzt wird (. . .). Gewiß, der Geldvorrat ist für das Geldangebot nicht gleichgültig, denn dieser Vorrat zieht dem Angebot nach oben eine Grenze. Aber ( . . .) eine untere Grenze (ist) überhaupt nicht zu erkennen. Wenn aber das Geldangebot nicht regelmäßig und ausnahmslos dem Geldvorrat entspricht, so ist auch der Preis des Geldes vom Geldvorrat unabhängig, und die Übertragung der rohen Quantitätstheorie auf das Geld ist nicht statthaft". (33)

 

Was heißt „Quantitätstheorie"? Es geht um die mengenmäßige Erfassung und Beherrschung der volkswirtschaftlichen Zirkulation zwecks Prognose, Wachstums‑ und Konjunktursteuerung sowie Krisenmanagement. Dabei kann „das Angebot" weitgehend gleichgesetzt werden mit der Summe aller Waren und sonstigen Leistungen, die am Markt „angeboten" werden. Was aber ist „die Nachfrage"? Nur wenn „Angebot" und „Nachfrage" einigermaßen zusammenstimmen, kann der Austausch einigermaßen unter Bedingungen des Gleichgewichts vonstattengehen, kann die Zirkulation einigermaßen funktionieren. „Die Nachfrage" also wurde nach der „Quantitätstheorie" gleichgesetzt mit der Geldmenge. Denn das Geld tritt am Markt in der Hand der Nachfrager nach Waren und Dienstleistungen als „Nachfrage" in Erscheinung. Wer die Geldmenge beeinflußt, beeinflußt die Nachfrage. Dabei ergibt sich noch eine Komplizierung daraus, daß das Geld von Hand zu Hand geht und mehrmals zum Tausch benutzt wird. Je häufiger der Geldschein im Jahr benutzt wird, desto häufiger tritt er als Nachfrage im obigen Sinne auf. Also ergibt sich die gesuchte Nachfrage nicht einfach aus der vorhandenen Geldmenge, sondern aus dieser Geldmenge, wenn man sie mit der mittleren Umlaufgeschwindigkeit des Geldes multipliziert.

Hält man sich diese wenigen Grundüberlegungen vor Augen, wird klar, was Gesell meint, wenn er sagt: Zwar werde durch die vorhandene Geldmenge die Nachfrage nach oben begrenzt; aber man wisse nie, wieviel Nachfrage wirklich an den Markt komme, weil Geld in den Sparstrümpfen und Kassen verschwinde, wenn es zurückgehalten, „gehortet" werde. Daher stimme die „rohe Quantitätstheorie" der Geldnachfrage nicht, und da sie nicht stimme, könne sie nicht ohne zusätzliche Überlegungen mit praktisch befriedigenden Ergebnissen auf die wirtschaftliche Wirklichkeit angewendet werden.

Dabei hatte Gesell freilich eine Edelmetallwährung im Auge (oder ein Papiergeld, dessen Kaufkraft stabil ist): Reizt bei solchem Geld kein hinreichend hoher Zins den Besitzer dazu, sein schönes stabiles Geld aus der Hand zu geben, ‑ oder fallen gar die Preise von Waren, so daß das Geld ohnehin im Werte steigt und man es schon aus spekulativen Gründen in der Kasse behalten muß, dann „zieht sich das Geld vom Markt zurück" und die Zirkulation stagniert angesichts eines Loches in der Nachfrage. Solche Krisen, die durch Niedrigzins und Nachfrageausfall bei stabiler oder gar deflationärer Währung entstehen, hatte Gesell bei seinen Konzepten im Auge. Deshalb galt seine Kritik der Hortbarkeit des Geldes: der Eigenschaft des Geldes als eines wertbeständigen „Sparmittels".

Aus den genannten Gründen zielt Geselle Therapie darauf, dem Geld gewissermaßen Beine zu machen. Denn nur, wenn nicht Teilmengen des tatsächlichen Geldvorrats in einer unberechenbaren Weise gehortet (und ebenso unberechenbar wieder enthortet) werden, ‑ wenn vielmehr die gesamte Geldmenge beständig im Verkehr ist und umläuft, nur dann bleibt die Nachfrage, die in der Form von Geldangeboten auftritt, ebenfalls einigermaßen stetig, berechenbar und kontrollierbar. Nur dann also lassen sich nach Gesell Krisen, wie er sie als Kaufmann und als Beobachter erlebt hatte, vermeiden. Mit anderen Worten: Durch einen monetären „Trick" soll dafür gesorgt werden, daß die Geldmengensteuerung weder durch Puffer, die gehortetes Geld schlucken, absorbiert, noch durch unerwartete Entleerung dieser monetären Puffer überrascht und aus der Bahn geworfen wird. Man wird sich daher mit Sicherheit Gesells erinnern, wenn je wieder eine Wirtschaftskrise die gleichen Symptome aufweisen sollte wie jene, die Gesell zur Konzeption seines entpufferten Monetarismus geführt haben (Stagnation der Wirtschaft bei stabiler oder gar deflationärer Währung und niedrigem Zinssatz).

Heute haben wir ein Geld, dessen Kaufkraft ohnehin noch so deutlich abnimmt, daß es keiner „Peitsche" bedarf, um es aus den Kassen, Kassetten und Sparstrümpfen zu treiben. Und heute haben wir auch einen Zins, der sein Übriges tut; um das Geld aus den Kassen, Kassetten und Sparstrümpfen zu locken. Die Peitsche der Inflation und das Zuckerbrot der Zinsen sorgen dafür, daß kein Geldscheinchen zu lange in der Tasche, daß kein Sichtguthaben unnötig groß gehalten wird. Gesells Probleme sind nicht unsere Probleme! Wozu also Gesell heute? (Text von Suhr 1983 geschrieben, Anmerkung von WR)

Erstens könnten sich Gesells theoretische Analysen und Diagnosen allgemein als treffend oder wenigstens anregend und richtungsanzeigend erweisen, wenn sie nämlich trotz der sehr bestimmten und konkreten Problemlagen, die die Herausforderung bildeten, allgemeingültigere Einsichten und Ansätze hervorgebracht hätten. Dafür spricht das Urteil von John Maynard Keynes.

Zweitens könnte auch Geselle praktischer Vorschlag trotz seiner Ausrichtung auf Deflationskrisen wiederum allgemeingültigerere konstruktive Elemente aufweisen, die seinen Vorschlag z. B. zur Vermeidung und vielleicht zur Überwindung auch von solchen Krisen bedenkenswert machen, die durch Stagnation unter den Bedingungen einer schleichenden bis trabenden Inflation stattfinden.

Drittens ‑ das ist für unser Thema entscheidend ‑ hat Silvio Gesell das Problem des Mehrwertes behandelt, das hier vor lauter frühem, Gesellschem Monetarismus fast aus dem Blick geraten ist: „Das Geld ist als selbständiges Kapital entlarvt. Es ist kein vollkommenes Äquivalent. Es ist mehr. Und dieses Mehr schafft den Mehrwert (34)." -

Wie also erklärt Gesell den Zins und/oder den Mehrwert? Zunächst indem er zeigt: Der Mehrwert ist geldbedingt. Er ist nicht in erster Linie eine Eigenschaft der Sachkapitalien. Gesell erklärt das mit Hilfe einer Robinsonade so vergnüglich, daß es ein Frevel wäre, seine Erklärung hier nur in blasser indirekter Rede wiederzugeben. „Sein Zwiegespräch zwischen Robinson Crusoe und einem Fremden ist eine ganz ausgezeichnete wirtschaftliche Parabel ‑ so gut wie nur irgendetwas dieser Art, was geschrieben wurde ‑, um diesen Punkt darzulegen," schreibt Keynes (35). Diese Geschichte verdient auch insofern sehr genau gelesen zu werden, weil sie nicht nur einen Versuch darstellt, den Zins zu erklären, sondern vor allem deshalb, weil sie auch zeigt, was in einer Volkswirtschaft unter „Speicherung von Kaufkraft" verstanden werden kann, und auf diese Frage wiederum wird es später sehr genau ankommen, wenn die Eigenschaften und Funktionen des Geldes näher untersucht werden. Und nur Gesells Robinsonade: (36)

 

Robinson baute einen Kanal und mußte sich also auf 3 Jahre, der Dauer der ganzen Arbeit, mit Vorräten versehen. Er schlachtete Schweine, bedeckte das Fleisch mit Salz, füllte ein Loch in der Erde mit Getreide und deckte es sorgfältig zu. Er gerbte Hirschfelle und verarbeitete sie zu Kleidern, die er in einer Kiste verschloß, nachdem er als Mottenscheuche noch eine Stinktierdrüse hineingelegt hatte.

Kurz, er sorgte nach seiner Ansicht gut für die nächsten drei Jahre.

Wie er nun eine letzte Berechnung darüber anstellte, ob sein „Kapital" für das geplante Unternehmen auch ausreichen würde, sah er einen Menschen auf sich zuschreiten.

Hallo, rief der Fremdling, mein Kahn ist hier zerschellt, und so landete ich auf dieser Insel. Kannst du mir mit Vorräten aushelfen, bis ich einen Acker urbar gemacht und die erste Ernte eingeheimst habe?

Wie schnell flogen bei diesen Worten die Gedanken Robinsons von seinen Vorräten zum Zins und zur Herrlichkeit des Rentnerlebens! Er beeilte sich, die Frage zu bejahen.

Vortrefflich! antwortete der Fremdling, aber ich will dir sagen, Zins zahle ich nicht; sonst ernähre ich mich lieber von Jagd und Fischfang. Mein Glaube verbietet mir sowohl Zins zu nehmen, wie auch Zins zu geben.

R.: Da hast du eine prächtige Religion. Aus welchem Grunde aber glaubst du denn, daß ich dir Vorräte aus meinen Beständen herleihen werde, wenn du mir keinen Zins gibst?

Fr.: Aus Eigennutz, Robinson; auf Grund deines wohlverstandenen Vorteiles, weil du dabei gewinnst und sogar ziemlich viel.

R. : Das, Fremdling, mußt du mir erst vorrechnen. Ich gestehe, daß ich nicht einsehe, welchen Vorteil ich davon haben kann, dir meine Vorräte zinsfrei zu leihen.

Fr.: Nun, ich will dir alles vorrechnen, und wenn du es mir nachrechnen kannst, so wirst du mir das Darlehen zinsfrei geben und dich noch bei mir bedanken. Ich brauche zunächst Kleider, denn du siehst, ich bin nackt. Hast du einen Vorrat an Kleidern?

R.: Die Kiste ist bis oben voll.

Fr.: Aber Robinson wirklich, ich hätte dich für gescheiter gehalten! Wer wird denn Kleider für drei Jahre in Kisten vernageln, Hirschleder, den Lieblingsfraß der Motten! Außerdem müssen diese Kleider immer gelüftet und mit Fett eingerieben werden, sonst werden sie hart und brüchig.

R.: Du hast recht, aber wie soll ich es anders machen? Im Kleiderschrank sind sie nicht besser geborgen; im Gegenteil, hier kommen Ratten und Mäuse noch zu den Motten hinzu.

Fr.: Oh! Auch in die Kiste würden die Ratten gedrungen sein, ‑ sieh, da haben sie schon genagt!

R.: Wahrhaftig! Man weiß sich auch wirklich nicht davor zu retten!

Fr.: Du weißt dich nicht vor Mäusen zu schützen, und du sagst, du hättest rechnen gelernt? Ich will dir sagen, wie Leute in deiner Lage sich bei uns gegen Mäuse, Ratten, Motten, Diebe, gegen Brüchigwerden, Staub und Schimmel schützen. Leihe mir diese Kleider, und ich verpflichte mich, dir neue Kleider zu machen, sobald du welche brauchst. So bekommst du ebensoviele Kleider zurück, wie du mir geliehen hast, und zwar werden diese Kleider, weil neu, bedeutend besser sein als diejenigen, die du später aus dieser Kiste ziehen würdest. Obendrein werden sie nicht mit Stinktieröl verpestet sein. Willst du das tun?

R. : Ja, Fremdling, ich will dir die Kiste mit den Kleidern abtreten, denn ich sehe ein, daß es für mich vorteilhaft ist, dir auch ohne Zins die Kleider zu überlassen.

Fr.: Nun zeige mir mal deinen Weizen. Ich brauche solchen sowohl zur Saat wie für Brot.

R.. Dort am Hügel habe ich ihn vergraben.

Fr.: Du hast den Weizen für drei Jahre in einem Erdloch vergraben? Und der Schimmel, die Käfer?

R. : Das weiß ich, aber was sollte ich machen? Ich habe die Sache nach allen Seiten überlegt und nichts Besseres für die Aufbewahrung gefunden.

Fr.: Nun bück' dich mal! Siehst du die Käferchen an der Oberfläche herumspringen? Siehst du das Gemüll? Und hier diese Schimmelbildung? Es ist höchste Zeit,. daß der Weizen herausgehoben und gelüftet werde.

R.: Es ist zum Verzweifeln mit diesem Kapital! Wenn ich doch nur wüßte, wie ich mich verteidigen soll gegen diese tausendfältigen Zerstörungskräfte der Natur!

Fr.: Ich will dir sagen, Robinson, wie wir das bei uns zu Hause machen. Wir bauen einen luftigen, trockenen Schuppen und schütten auf den gut gedielten Boden den Weizen aus. Und regelmäßig alle drei Wochen wird der Weizen sorgfältig gelüftet, indem wir mit Schaufeln das Ganze umwerfen. Dann halten wir eine Anzahl Katzen, stellen Fallen auf, um die Mäuse zu fangen, versichern das Ganze gegen Feuer und erreichen so, daß der jährliche Verlust an Güte und Gewicht nicht mehr als 10% beträgt.

R. : Aber bedenke doch, diese Arbeit, diese Kosten!

Fr.: Du scheust die Arbeit und willst keine Kosten? Ich will dir sagen, wie du es dann anfangen mußt. Leihe mir deinen Vorrat, und ich werde dir das Gelieferte aus meinen Ernten in frischem Getreide zurückzahlen, und zwar Pfund für Pfund, Sack für Sack. So sparst du die Arbeit, einen Schuppen zu bauen, brauchst das Getreide nicht umzuschaufeln und keine Katzen zu füttern, verlierst nichts am Gewicht und hast statt alten Korns immer saftiges, frisches Brot. Willst du?

R.: Mit tausend Freuden nehme ich den Vorschlag an.

Fr.: Also du lieferst mir das Korn zinsfrei?

R.: Versteht sich, zinsfrei und mit Dank meinerseits.

Fr.: Ich kann aber nur einen Teil gebrauchen, ich will nicht alles haben.

R. : Wenn ich dir nun den ganzen Vorrat anbiete, mit der Maßgabe, daß du mir für je 10 Sack nur 9 zurückzugeben brauchst?

Fr.: Ich danke, denn das hieße ja mit Zins arbeiten ‑ zwar nicht mit aufschlagendem (positivem), sondern mit kürzendem (negativem) Zins ‑, und statt des Gebers wäre der Nehmer Kapitalist. Aber mein Glaube verbietet den Wucher, er verbietet auch den umgekehrten Zins. Ich mache dir aber den Vorschlag, deinen Weizenvorrat unter meine Aufsicht zu nehmen, den Schuppen zu bauen und alles Nötige zu besorgen. Dafür wirst du mir für je 10 Sack jährlich zwei Sack als Lohn bezahlen. Bist du damit einverstanden?

R. : Mir ist es gleich, ob deine Leistung unter dem Titel Wucher oder aber Arbeit gebucht wird. Ich gebe dir also 10 Sack, und du lieferst mir 8 Sack zurück. Einverstanden!

Fr.: Ich brauche aber noch andere Sachen: einen Pflug, einen Wagen und Handwerkszeug. Willst du mir das alles auch zinsfrei überlassen? Ich verspreche, dir alles in gleicher Güte zurückzuerstatten: für einen neuen Spaten einen neuen Spaten, für eine neue Kette eine neue, rostfreie Kette!

R.: Gewiß bin ich dazu bereit. Denn jetzt habe ich von all diesen Vorräten nur Arbeit. Neulich war der Bach übergetreten und hatte den Schuppen überschwemmt, alles mit Schlamm bedeckend. Dann riß des Sturm das Dach fort, so daß alles verregnete. Nun haben wir trockenes Wetter, und der Wind treibt Sand und Staub in den Schuppen. Rost, Fäulnis, Bruch, Trockenheit, Licht und Dunkelheit, Holzwürmer, Termiten, alles ist unausgesetzt an der Arbeit. Noch ein Glück, daß wir keine Diebe und Brandstifter haben. Wie freue ich mich, jetzt durch Verleihen die Sachen so schön und ohne Arbeit, Kosten und Verlust für später verfügbar zu behalten.

Fr.: Also du erkennst es jetzt als einen Vorteil, mir die Vorräte zinsfrei zu überlassen?

R.: Unumwunden erkenne ich es an. Aber warum, so frage ich mich jetzt, bringen drüben in der Heimat solche Vorräte dem Besitzer Zins ein?

Fr.: Die Erklärung mußt du im Gelde suchen, das drüben solche Geschäfte vermittelt.

 

 

Gesells Robinsonade, die noch einen abschließenden Teil zur Mehrwertlehre von Karl Marx enthält, zeigt: Ohne das vermittelnde Zirkulationsmittel „Geld" ist auf Kreditgeschäfte kein positiver, sondern eher ein negativer Zins zu erwarten. (Außerdem zeigt die Geschichte, daß „Speicherprobleme", die ein Individuum kaum lösen kann, sich in einer Tauschwirtschaft im Idealfalle einfach dadurch erledigen, daß gar nicht mehr gespeichert, sondern nur über die Zeit hinweg getauscht wird, daß nämlich Freitag gegen die Überschüsse des Robinson von heute seine eigenen Überschüsse von morgen eintauscht.) Deutlicher läßt sich kaum zeigen, wie wenig Realkapital für sich allein eine „zinsschaffende Kraft" hat. Die Robinsonade zeigt jedoch noch nicht, welche Eigenschaften des Geldes es sind, die seinen spezifischen Gebrauchswert ausmachen, für den der Geldgeber am Geldmarkt den Zins fordern kann. Erinnern wir uns, was Marx, ohne es aufzugreifen, von F.W. Newman zitiert hatte, daß nämlich der große Vorteil von Geld in der Chance liege, „die günstigen Momente des Kaufes auszuwählen". Ganz genau so drückt es Gesell aus. (37)

Gesell war Kaufmann. Er hatte es in Fleisch und Blut, welche Möglichkeiten liquide Mittel bieten. Erstens war ihm, selbstverständlich klar, daß das Geld unbedingte Voraussetzung entwickelter Arbeitsteilung ist. Zweitens sah er: Das Geld hat die bemerkenswerte Eigenschaft, daß es sich unbegrenzt und ohne nennenswerte Lagerkosten vom Markt zurückhalten läßt, während die Warenbesitzer, die auf das Geld als Tauschvermittler unbedingt angewiesen sind, wegen der ständig wachsenden Verluste eine Zwangsnachfrage nach Geld halten. Drittens vermag der Kaufmann als Käufer (Anbieter von Geld), eben weil er nicht unter dem gleichen Druck steht wie der Verkäufer, den günstigsten Augenblick für ein Geschäft abzuwarten und eine besondere Vergütung dafür zu erzwingen, daß er den Austausch der Ware nicht länger hinauszögert oder verhindert. Dabei erscheint für Gesell ‑ im Gegensatz zu Marx! ‑ ein Kaufmann oder Unternehmer, der mit Waren handelt oder mit Realkapitalien produziert, die nur auf Kredit gekauft sind, im Hinblick auf den Zins nur als „Kassenbote seiner Geldgeber". Gesell macht augenfällig, wie der Geldgeber es in der Hand hat, die vom Kaufmann bewegte Zirkulation kraft der Gewährung oder Vorenthaltung von Kredit unter Bedingung des Zinses zu speisen oder auszuhungern.

Wie Proudhon sagte, mit dem Geld sei statt eines Schlüssels ein Riegel zum Markt geschmiedet worden, so sagt Gesell: „Ist der Markt die Straße, auf der die Waren ausgetauscht werden, so ist das Geld der Schlagbaum, der nur nach Zahlung des Wegegeldes gehoben wird ( . . .). Ohne diese Abgabe kein Tausch (39). "Zwar gebe es auch andere Straßen (Tauschhandel, kaufmännischer Wechsel), auf die ausgewichen werden könne, so daß der Zins nicht unbegrenzt steige, aber: „Die billigste und kürzeste Strecke kann der Geldbesitzer sperren, und gesetzmäßig gibt er sie nur frei, falls man ihm die Vorteile bezahlt, die das bare Geld als gerade Straße den krummen Straßen gegenüber ausweist (40)."

Bevor die Marktteilnehmer die dem allgemeinen Güterverkehr gewidmete Zirkulationsbahn des Geldwesens benutzen dürfen, zahlen sie Eintritt an private Bahnbesitzer, die sich dank ihres Vermögens in das System haben einkaufen können: ein fast perfekt als markt‑ und leistungsgerecht getarntes und als solches erscheinendes System moderner Verkehrspfründen. „Der König wie der Geldgeber tun im Grund nichts, sie sperren nur und erheben Zins. Der Urzins ist also, wie der Grenzzoll, eine Abgabe, nur mit dem Unterschied, daß der König mit dem Zoll Staatsausgaben bestreitet, während der Geldgeber den Urzins für sich verwendet. Wir bezahlen im Urzins also weiter nichts als die Tätigkeit des Kapitalisten, die darin besteht, dem Handel Steine in den Weg gewälzt zu haben (41)." Und wie der Zoll den Verkehr über die Grenzen, so bremst oder blockiert der Zins den wirtschaftlichen Austausch von Mensch zu Mensch und insbesondere die Produktivität derer, die von unternehmerischem Tatendurst strotzen, aber über die Realkapitalien nicht verfügen, die sie benötigen, um ihre Produktivität in die Volkswirtschaft einzubringen. So belastet das Geld, das eine effektive Marktwirtschaft überhaupt erst ermöglicht, eben die Marktwirtschaft zugleich durch das Zinspfründensystem, das dieses Geld mit sich bringt: eine sinnlose Kostenlast, die die Wirtschaft ständig mitschleppen muß.

Diese Erkenntnisse, die nicht mehr nur die Verderblichkeit der Waren im Verhältnis zum Geld ins Bewußtsein heben, sondern die spezifischen Vorzüge des Geldes veranschaulichen und als Ursache des Zinses in den Vordergrund rücken, sind nun in der Tat altgemeingültig und haben nichts mehr zu tun mit den besonderen Krisen, im Hinblick auf die Gesell seine Überlegungen angestellt hat. Seine Einsichten bedürfen allerdings der Präzisierung, Verfeinerung und Entwicklung, weil viele Nebenfaktoren noch bedacht werden müssen. Da es z. B. verschiedene Grade der Liquidität und verschiedene Grade von Durchhaltekosten bei den Wirtschaftsgütern überhaupt gibt, setzt Keynes mit seiner Definition des Eigenzinsfußes von Wirtschaftsgütern allgemeiner an, um dann den Sonderfall des Geldes hervortreten zu lassen: Der Eigenzins eines Wirtschaftsgutes wird definiert als Erträgnisse minus Durchhaltekosten plus Liquiditätsvorteils. Angewendet auf das Geld zeigt sich dann dessen Einzigartigkeit daran, daß die Erträgnisse des Geldes null und die Durchhaltekosten verschwindend, daß jedoch die Liquiditätsprämie des Geldes erheblich ist. Gesell trifft also die wesentlichen Punkte. Nur begnügt er sich bei der Beschreibung der Gründe, warum der Zins positiv ist, mit weniger Motiven des Kassehalters für Liquidität als Keynes, und es fehlt ihm noch der zusammenfassende Begriff für die spezifischen Vorteile des Geldes, die am Markt mit Zins honoriert werden, nämlich der Begriff der „Liquidität".

Im übrigen sagt Keynes sehr offen und konkret, was er an Gesells Überlegungen für originell und zutreffend (und mit seinen eigenen neueren Überlegungen übereinstimmend) einschätzt: Gesell unterscheide deutlich zwischen dem Zinsfuß und der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals, und er lege dar, daß es der Zinsfuß sei, welcher der Wachstumsrate des Realkapitals eine Grenze setze. Diese Einsichten gehören inzwischen zu den Binsenwahrheiten der Konjunkturtheorie. Auch habe Gesell richtig erkannt, daß die übrigen Formen von Reichtum, wie Vorräte von Waren, welche Durchhaltekosten bedingen, tatsächlich nur wegen des vom Geld gesetzten Standards einen Ertrag abwerfen. (43)

Wie aber sieht nun Gesells praktischer Vorschlag aus? Womit wartet er als dritter nach Marx, der die Eigentumsverhältnisse umstürzen, und Proudhon, der eine Tauschbank wollte, auf?

Gesell schlägt Geldhoten vor, die ihren Nennwert nur behalten, wenn sie von Zeit zu Zeit mit einer Wertmarke beklebt werden: „Freigeld". Später wurde der Vorschlag abgewandelt: An die Stelle der Wertmarken kann Abstempelung gegen Gebühr treten. Der Entwertungssatz könnte dabei z. B. 5,2% p. a. betragen: also ein Promille wöchentlich.

Von dieser Entwertung, und das kann nicht genug betont werden, sind nur die umlaufenden Geldscheine betroffen und gerade nicht langfristigere Geldforderungen, die auf die Zahlung von „Freigeld" lauten. Das ist der Witz des ganzen Konzeptes! Die Währung bleibt stabil.

Nur wer Geld in der Tasche behält, verliert wöchentlich 1 Promille der Kaufkraft. Wer es zur Sparkasse trägt oder sonst nicht nur kurzfristig verleiht, ‑ wer also sein „Freigeld" in einen Geldanspruch auf Rückzahlung der gleichen Geldsumme verwandelt, vermeidet diesen Kaufkraftschwund.

Man kann das auch so ausdrücken: Während die Geldscheine (die Tauschmittel) künstlich inflationiert werden, bleibt die Währung (der Kaufkraft‑ und Schuldmaßstab) durchaus stabil. Die Währung bleibt um so viel stabiler, wie die Geldscheine relativ zu ihr an Kaufkraft einbüßen, sofern sie nicht bestempelt oder beklebt werden. Die Folge dieses monetären Tricks ist, daß das Geld einem in der Tasche „heiß" wird. Es wird kostspielig, „liquide" zu sein. Es wird unsinnig, Geld zu horten.

Moderner ausgedrückt: ;,Kassehaltung" (Liquidität) wird mit „Durchhaltekosten" oder „Bestandhaltekosten" (44) belegt. Sonst nichts. Die Geldeinheit im Sinne eines Kaufkraftmaßstabes für Geldforderungen bleibt unangetastet. Sie wird von der monetär beherrschten und dosierten Inflationierung des umlaufenden Geldes gerade nicht mitgerissen. Die Geldeinheit als Maßstab für Kaufkraftschulden wird gegen das inflationierte Tauschmittel abgesetzt und dadurch von der Inflation (relativ) freigehalten.

Den Durchhaltekosten, die die Kassehaltung dann verursacht, können sich die Wirtschaftssubjekte entziehen: entweder durch Begründung von Geldforderungen, also durch transtemporalen Kaufkraftaustausch (Eintausch gegenwärtiger in zukünftige Kaufkraft wie bei Sparbüchern und Obligationen); oder durch den Kauf von Aktien und anderen Realkapitalien oder schließlich durch den Erwerb von wertvollen Waren.

Wird das Geld sogleich gegen spätere Kaufkraft getauscht oder sonst ausgegeben, bleibt der volkswirtschaftliche Kreislauf geschlossen. Wer heute für den Gegenwert seiner soeben in die Volkswirtschaft eingeschossenen Werte, den er in Form von Geld in die Hand bekommt, noch keine Gegenleistungen haben möchte, z. B. weil er sich ein Polster für das Alter zulegen möchte, würde für die Dauer der Zurückhaltung seines Geldes im Sparstrumpf eine Nachfragelücke hinterlassen und die volkswirtschaftliche Zirkulation unterbrechen, so daß es legitim erscheint, ihm entsprechende Durchhaltekosten aufzuerlegen. Er wird dann durch den sanften Druck dieser Durchhaltekosten dazu angehalten, sich jemanden zu suchen, der für ihn in die Nachfragelücke einspringt und dafür sorgt, daß jetzt der Kreislauf geschlossen bleibt. Später, wenn er alt ist, muß sein Schuldner wieder eine Nachfragelücke freimachen, in die der „Sparer" dann hineinschlüpfen kann. So entsteht weder heute noch später ein Nachfrageausfall und so bleibt sowohl heute als auch morgen der volkswirtschaftliche Kreislauf geschlossen. Die „Speicherung von Kaufkraft" wird ersetzt durch "transtemporalen Kaufkraftaustausch" oder „transtemporalen Austausch monetärer Nachfragenischen"!

Heute würde man die Gebühr für die Stempelung der Geldscheine oder für die Wertmarken, die man darauf kleben muß, um ihren Wert zu erhalten, als eine „Abgabe" kennzeichnen, die „Lenkungs‑" und „Antriebsfunktionen" hat. Schaut man dann aber genauer hin, so zeigt sich, daß es sich in der Hauptsache um eine „Ausgleichsabgabe", handelt, die an den Tatbestand der Liquidität anknüpft: Durch diese Ausgleichsabgabe wird der Vorteil ganz oder teilweise abgeschöpft, den die Liquidität bietet. Diese „Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteiles von Liquidität" läuft ‑ das wird sich später genauer erweisen ‑ letztlich auf volle oder teilweise „Abschöpfung des Mehrwertes" hinaus: Ein unverdienter Vorteil wird „ausgeglichen". Das ist der sachliche Charakter der Abgabe. Daran hängen dann erst in zweiter Linie automatisch alle andern segensreichen Wirkungen, die die Abschöpfung des Mehrwertes auf die Volkswirtschaft hat, z. B. auch die, daß Nachfragelücken vermieden werden und dadurch bedingten Krisen gegengesteuert wird. Weitere Lenkungseffekte, die die Abschöpfung des Mehrwertes hat, werden sich später noch zeigen.

Gesell wollte dem Geld, das als Nachfrage auftritt, den durchschnittlichen Wertschwund oder die durchschnittlichen Durchhaltekosten der anderen Tauschobjekte anheften: „rostende Banknoten“. Also wurde der Wertschwund des Zirkulationsmittels, der nur durch Stempelung oder Beklebung mit Marken aufzuhalten war, zum Kennzeichen, und das „Freigeld" erhielt den fast diffamierenden Namen „Schwundgeld", obwohl es im Grunde auf Stabilisierung der Geldeinheit durch relative Abkoppelung des Umlaufmittels hinausläuft.

Beiläufige Bemerkungen von Fachleuten, die es besser wissen müßten, zeigen, daß sie den anti‑inflationären Pfiff von Gesells „Freigeld" offenbar gerade nicht begriffen haben oder nicht eingestehen wollen. Wenn z. B. v. Hayek bemerkt, wir hätten heute ja längst das Gesellsche Schwundgeld, oder wenn ein Kenner wie Wolfram Engels schreibt, wir fütterten die Wirtschaft damit, so offenbaren beide bestenfalls, (45) daß sie es mit ihren Worten nicht so genau nehmen, eher jedoch, daß sie sich, ungeachtet der Hinweise von Keynes, mit Gesells „Freigeld" noch nicht genau genug befaßt haben: Heute nämlich zieht die Inflation die Währung, mit der Kaufkraftschulden gemessen werden, in Mitleidenschaft; heute ändert auch die Inflation nichts daran, daß der Geldverleiher die volle Liquiditätsprämie einstreichen kann. Beides sind entscheidende Punkte, beides sieht nach dem Konzept von Gesell ganz anders aus. Insbesondere bleibt nach Gesell die Währung um den Prozentsatz gegenüber dem inflationierten Umlaufmittel stabiler, um den das Umlaufmittel nominell gegenüber der ihm aufgedruckten Geldeinheit mit Durchhaltekosten belastet und dadurch relativ abgewertet wird.

Unsere heutigen Probleme rühren gerade daher, daß die Inflationierung des Umlaufmittels die Währung in Mitleidenschaft zieht und daß dadurch Ungerechtigkeit, Gläubigerverluste, Schuldnergewinne, hohe Zinsen und Wirtschaftskrisen mitverursacht werden. Bleibt jedoch die Währung stabil (oder wenigstens stabiler), dann stören die im Grund minimalen Kosten der Kassehaltung praktisch überhaupt nicht, gereichen aber der Volkswirtschaft womöglich zum Segen. ‑ Haben wir wirklich, wie v. Hayek meint, längst Gesells monetären Vorschlag verwirklicht? Füttern wir wirklich, wie Engels meint, unsere Wirtschaft mit "Silvio Gesell's Schwundgeld"?

Keynes hielt den Gedanken, hinter dem Stempelgeld für „gesund": „Jene Reformer, die in der Erzeugung künstlicher Durchhaltekosten des Geldes ein Heilmittel gesucht haben ( . . .), sind somit auf der richtigen Spur gewesen; und der praktische Wert ihrer Vorschläge verdient erwogen zu werden." Er hatte jedoch auch Vorbehalte und sah Schwierigkeiten: „Wenn den Banknoten somit durch das Stempelsystem ihre Liquiditätsprämie genommen würde, träte eine lange Reihe von Ersatzmitteln in ihre Fußstapfen: Bankgeld, täglich abrufbare Darlehen, ausländisches Geld, Juwelen und die Edelmetalle im allgemeinen usw." Sind diese Vorbehalte berechtigt?

 Würde dem Geld die Liquiditätsprämie genommen? – Zunächst würde dem Geld jedenfalls nicht seine Liquidität genommen, sondern den nach wie vor liquiden Geldmitteln würden mir Durchhaltekosten (moderner: Bestandhaltekosten) angeheftet. Geld als Liquiditätsmittel ist kaum substituierbar; Keynes hielt die „Elastizität des Ersatzes" vorn Geld für gleich oder fast gleich Null (47). Dank des sanften Drucks, den die Bestandhaltekosten auf den Geldbesitzer ausüben würden, würde sein Geld eher noch liquider. Jedenfalls könnte er mit dem Geld nach wie vor jede Schuld begleichen, jede Ware kaufen, jede Leistung im Verhältnis zu jedermann eintauschen und sein Geld bereithalten, um im günstigen Augenblick kaufen zu können. Er müßte jedoch für alle diese Vorzüge von bereitgehaltener Liquidität zahlen, und zwar in Höhe der Durchhaltekosten, die dem Geld anhängen. Diese Kosten mindern für ihn den wirtschaftlichen Vorteil der Liquidität, den er vorher, vor Belastung mit den Durchhhaltekosten, kostenlos und ungeschmälert genießen konnte.

Die Durchhaltekosten, die dem Geld angeheftet werden, kompensieren also ganz oder teilweise die Vorteile die mit Liquidität verbunden sind, ohne die Liquidität als solche zu beeinträchtigen. Liquidität wird nicht beseitigt. Sie wird nur kostspielig.

Wer normales Geld verleiht, verzichtet für eine bestimmte Zeitspanne auf seine Liquidität und bekommt vom Leiher dafür den Barwert der Liquidität: den Zins, sofern er Liquiditätsprämie ist. Hätte er sein Geld behalten (und keine anderen Vorteile aus seiner Liquidität gezogen), so hätte er nach Ablauf der Zeitspanne so viel wie vorher. Durch den Verleih realisiert er darüberhinaus den Barwert der Liquidität auf denkbar bequemste Weise. Um diesen Barwert der Liquidität steht er sich besser als bei Verwahrung seiner Geldnoten in der Kasse. Wenn nun dem Geld Durchhaltekosten angeheftet werden, dann ergibt sich Folgendes: Auch wer solches Geld verleiht, verzichtet für bestimmte Zeit auf seine Liquidität. Hätte er sein Geld in der Kasse behalten, so hätte er nach Ablauf der Zeit einen Betrag, der um die Durchhaltekosten verringert wäre. Durch den Verleih aber erhält er womöglich eine Geldforderung, die sich im Werte nicht durch Bestandhaltekosten verringert. Er steht sich also auch in diesem Falle am Ende besser als dann, wenn er sein Geld in der Tasche behält. Das aber heißt: Auch für ihn bringt der Verzicht auf Liquidität Vorteile. Wenn man bei gegebenen Durchhaltekosten für Liquidität es dem freien Spiel der Marktkräfte überläßt, zu welchen Bedingungen der Geldverleih zustandekommt, dann dürfte sich der „Vorteil aus Geldverleih" in der Nähe des Barwertes jener Liquidität einpendeln, auf die der Verleiher zugunsten des Leihers verzichtet. In dieser Form bleibt also die Liquiditätsprämie erhalten. Aber wegen der Durchhaltekosten schlägt sie sich beim Verleiher nicht mehr als Gewinn nieder, der den Bestand vermehrt, sondern nur noch als ein Vorteil, der die sonst drohenden Vermögenseinbußen verhindert.

Und wie steht es mit den Ersatzmitteln, die nach Keynes an die Stelle des Geldes treten? Es handelt sich dabei nicht um Liquiditätssurrogate, sondern um Anlagesurrogate. Denn das Geld bliebe ja liquide, und es bliebe das gesetzliche Zahlungsmittel. Man würde weiterhin mit Geld bezahlen. Nur die Bereitstellung von Geld um der Liquidität willen würde kostspielig, also erschwert. Vor allem aber das Aufbewahren von Geld zu Speicher‑ oder Spekulationszwecken würde in der Regel unrentabel. Die Flucht in Anlagesurrogate wie Edelsteine, Edelmetalle und Grundstücke mag sowohl unliebsame als auch durchaus willkommene Folgen haben; jedenfalls aber bliebe das Geld im Umlauf, und der Zins für geliehenes Geld würde deswegen nicht steigen. Also würde es sich dann auch schon bei relativ geringen Renditeaussichten lohnen, Realkapitalien zu erzeugen.

Die Flucht aus dem Bargeld hinein ins Bankgeld (Sichtguthaben, Giralgeld) bietet auch nur höchst bedingt einen Ausweg: Welche Bank würde Sichtgelder ohne Bestandhaltepreis zur Verfügung stellen, wenn die Bank auf Sicht mit Geld zur Hand sein muß, das in ihren eigenen Kassen Kosten verursacht? Allerdings verbleiben banktechnische Spielräume, um Sichtgelder mit wesentlich geringeren Bestandhaltekosten als das Bargeld zu ermöglichen. Aber die Möglichkeiten sind nicht unbegrenzt und mit bekannten Mitteln der Zentralbankpolitik kontrollierbar. Also liefert die Furcht vor einer Flucht ins Bankgeld keinen Grund dafür, den Vorschlag eines mit Bestandhaltekosten belasteten Geldes abzulehnen.

Wie aber steht es mit der Gefahr einer Geld‑ und Kapitalflucht, ins Ausland, mit einer Flucht in ausländisches Geld? ‑ Wer Geld in ausländisches Geld tauschen will, braucht einen Partner, und der wird sich das mit Durchhaltekosten belastete Geld nur beschaffen, wenn er damit Schulden begleichen will, die auf inländische Zahlungseinheiten lauten, insbesondere; wenn er im Inland etwas kaufen will. Für promptes Recycling der Gelder wäre also gesorgt. Auch müßte, wer das wegen der Durchhaltekosten „heiße" Geld in Dollar oder Franken tauschen möchte, ein Aufgeld zahlen, das ihm den Spaß ein wenig verderben würde. Freilich bleibt wohl das Problem, daß die Versuchung groß wäre, zwar nicht Geld, wohl aber Kapital in dem Sinne zu exportieren, daß das „heiße" inländische Geld in ausländisches getäuscht wird, um dieses dann zu günstigeren Bedingungen im Ausland zu investieren, oder daß direkt Kapitalgüter gekauft und exportiert werden, um draußen damit zu arbeiten und Profite zu machen, solange diese anderen Länder noch das Geld alter Art und Güte haben und gegen solcherlei Kapitalimport nichts unternehmen.

Die Folgen und Fernwirkungen einer nationalen Einführung von Durchhaltekosten auf Liquidität sind wohl auch für den Fachmann schwer abzuschätzen, so daß man nur behutsam vorgehen darf. Jedenfalls aber sind die Perspektiven, die sich mit dem „heißen" Geld ergeben, zu komplex und zu vielversprechend, als daß man sie mit einem und einem halben Satz erledigen kann, wie dies Keynes getan hat.

Keynes hatte aber vor allem wohl auch Bedenken, gegenüber der geldtechnischen Lösung, die Gesell für die Verwirklichung seines Konzeptes anbot: Gesell habe „seine Theorie ( . . .) weit genug entwickelt, um zu einem praktischen Schluß zu kommen, der den Kern dessen in sich tragen mag, was notwendig ist, obschon er in der vorgeschlagenen Form nicht durchführbar ist. (48)" Inzwischen sind weitere Vorschläge vorgebracht worden, die zwar den Geldumlauf zu sichern versprechen, die aber hinwegführen von denjenigen Elementen des Gesellschen Denkens, die Keynes für besonders treffend hielt und weiterführend interpretierte, indem er davon sprach, daß das Geld mit „Durchhaltekosten" belastet würde. Wenn man also jenen Gesell weiterverfolgen möchte, der vor den kritischen Augen von Keynes bestehen konnte, dann muß man auch die geldtechnische Lösung des Problems der Durchhaltekosten bei Gestaltungsmöglichkeiten suchen, mit denen dem zirkulierenden Geld eben jene für notwendig erachteten Durchhaltekosten angeheftet werden können, und zwar so direkt und so fein dosierbar wie möglich.

In der Tat bieten sich monetäre Gestaltungsmöglichkeiten, die bislang noch nicht systematisch konzipiert worden sind. Sie ergeben sich, wenn man sich hier des Greshamschen Gesetzes erinnert, das es erlaubt, im Geltungsbereich einer Währung mit verschiedenen Zahlungsmitteln in einer maßgeschneiderten Weise so zu operieren, daß die gewünschten Effekte eintreten.

Nach dem Greshamschen Gesetz verdrängt schlechtes Geld gutes Geld. Das hört sich zunächst absurd an, leuchtet jedoch bei näherem Hinsehen sofort ein. Thomas Gresham (1519 - 1579) verfaßte seinerzeit eine Denkschrift für die englische Regierung über Geldfragen, in der er zu dem Ergebnis kam, daß sich der Wert des Geldes nach der jeweils in Bezug auf Feingehalt und Gewicht minderwertigsten Münze richte; denn diese setze sich im Verkehr durch und verdränge die anderen, nach Feingehalt und Gewicht besseren. Das wird verständlich, wenn man sich vor Augen hält: Haben meine Golddukaten verschiedenes Gewicht, so gebe ich die leichtesten zuerst weg. Habe ich Gold und Silber in der Kasse, und entwertet sich das Silber, so werde ich zusehen, mein Silber loszuwerden. Kurz: Das jeweils bessere Geld bleibt in der Schatulle, das schlechtere wandert in den Verkehr und zirkuliert. Auf dem Markt gibt dann das nach Gewicht und Feingehalt schlechteste Geld den Ton an.

Angenommen jetzt, die Zentralbank gäbe einen Teil des von ihr zur Verfügung gestellten Geldes nicht in der Form von Banknoten aus, sondern in der Form von Sichtgeldern. Angenommen weiter, als gesetzliche Zahlungsmittel würden nicht nur Banknoten und Münzen anerkannt, sondern auch Zahlungen vom Konto aufs Konto. Angenommen drittens, die Zentralbank würde dieses neuartige Kontengeld derart mit Durchhaltekosten belasten, daß auch die Banken diese Belastung nicht als Zinsen, sondern nur in Form von Durchhaltekosten für Liquidität auf ihre Kunden abwälzen dürfen. (Unterstellt werden kann schließlich, daß mit geeigneten währungspolitischen Mitteln wie  Mindestreservesätzen einer unkontrollierten Ausweitung des Geldes auf Konten vorgebeugt wird). Dann wären zweierlei gesetzliche Zahlungsmittel im Umlauf: Die Banknoten und Münzen alter Art und Güte, und daneben das neue, mit Bestandhaltekosten belastete Giralgeld. Jeder müßte es sich gefallen lassen, daß man ihm Schulden mit dem „heißen" Giralgeld statt mit den alten Noten und Münzen bezahlt. Dann würde jeder darauf achten, daß er sein „heißes" Geld im Verkehr loswird, ehe er seine Bestände an Noten und Münzen angreift. Im Verkehr also würde sich mehr und mehr das „heiße“ Kontengeld durchsetzen, und wer mit diesem Geld Noten und Münzen kaufen will, müßte ein Aufgeld zahlen für den Vorzug, den diese alten Zahlungsmittel gegenüber dem neuen bieten, weil ihnen keine Durchhaltekosten angeheftet sind. Aber nach wie vor stünden die Noten und Münzen für besondere Zahlungszwecke zur Verfügung: Zur Bedienung von Automaten mit Münzen und zu Barzahlungen, die keine Spuren auf den Konten hinterlassen sollen. (49)

Nach dem Greshamschen Gesetz würde sich bei Konkurrenz von wertbeständigem Geld einerseits und mit Durchhaltekosten belastetem Geld andererseits das letztere durchsetzen und auf dem Markt „den Ton angeben": Bei Darlehen, bei Zahlungen, bei Tilgungen, also vor allem bei der Frage, zu welchen Bedingungen Kredit zu haben ist. Jeder würde mit dem Geld bezahlen, das er nicht haben will, und jeder müßte es als gesetzliches Zahlungsmittel akzeptieren. Keiner würde dieses Geld behalten wollen. Wie mit dem alten Geld, so wäre man auch beim „heißen" Geld darauf aus, jemanden zu finden, der Liquidität braucht, um für die Überlassung der Liquidität die Liquiditätsprämie einzustreichen, freilich mit dem Ergebnis, daß die ins „heiße" Geld einprogrammierten Durchhaltekosten dafür sorgen, daß sich diese Prämie kaum noch als zusätzlicher Gewinn mit Bestandvermehrung niederschlägt, sondern nur noch als Wohltat in dem Sinne, daß der Verleiher dem vorprogrammierten Verlust entgeht.

Jeder würde das „heiße" Geld bei jeder Gelegenheit dem Nächsten in die Tasche oder vielmehr aufs Konto schieben. Neben diesem „heißen" Geld wäre auf dem Markt nicht mehr viel Platz für das alte. Die Marktteilnehmer würden tagtäglich über die Abschaffung des alten Geldes als Zirkulationsmittel abstimmen und sich die Münzen gegen Aufgeld nur noch und nur solange besorgen, wie sie sie z. B. für die Bedienung von Automaten brauchen.. Die Durchhalte‑ oder Bestandhaltekosten, die dem „heißen" Geld angeheftet sind, würden keine geldtechnischen Schwierigkeiten bereiten: Sie würden von den Kreditinstituten den Kunden auf den Konten belastet, so wie die Kreditinstitute von Seiten der Zentralbank damit belastet würden. Wer unbedingt mit altem Bargeld zahlen möchte, müßte es sich besorgen und für diesen Luxus mit einem Aufgeld zahlen, das mit davon abhängt, wie viel des alten Geldes noch zuhaben ist.

Soweit das bisherige Geld nicht durch das „Geld ohne Mehrwert" ersetzt würde, bliebe es äußerlich, was es heute ist. Es würde jedoch in andere monetäre Funktionen hineinwachsen: Während sich das „Geld ohne Mehrwert" zu einem monetären Spezialisten für die Zirkulation entwickeln würde, hätte man es bei den weiterhin in den Kassen (nicht eigentlich „im Verkehr"!) befindlichen Zahlungsmitteln mit einem typischen Geld‑in‑Bereitschaft zu tun, ‑ also mit einem monetären Spezialisten für Liquidität. Jedermann also könnte sich gegen ein entsprechendes Aufgeld die von ihm für nützlich erachtete Liquidität halten. Der Kaufpreis für diese Liquidität neuer Art wäre groß genug, um dafür zu sorgen, daß sie kaum für Zahlungszweckeverwendet, also weitgehend in der Liquiditätsfalle gefangen bliebe. Sie würde daher auch keine nennenswerten Zirkulations‑ und Allokationsprobleme auslösen, so daß die hier zur Abschöpfung von Liquiditätsvorteilen im übrigen angestellten Überlegungen auf den neuen monetären Spezialisten für die Liquiditätshaltung nicht zutreffen.

Wer jedoch zur Zeit weder Zahlungen leisten noch liquide sein will, der braucht keinen monetären Spezialisten für die Zirkulation. Dem ist auch das Aufgeld, das er für den monetären Spezialisten für Liquiditätshaltung zahlen müßte, nicht recht. Er kann und soll sein Geld daher in Form einer Geldforderung aufbewahren: Sparbuch, Hypothek, Obligation, Sparbrief. Diese und ähnliche Geldforderungen sind die auf jede Sparaufgabe zugeschnittenen monetären Spezialisten für Sparzwecke.

Wenn also das „Geld ohne Mehrwert" in der hier erwogenen Form neben den alten Zahlungsmitteln eingeführt würde, dann würde die Geldordnung endlich mit funktionalen Differenzierungen den funktional unterschiedlichen Anforderungen Rechnung tragen, die die Wirtschaft an Geld und Währung stellt. -

Keiner würde, wie gesagt, mit altem Geld bezahlen, solange er mit dem neuen „heißen" Geld bezahlen könnte, ‑auch kein Kapitalist von altem Schrot und Korne, der noch am schärfsten darauf bedacht sein könnte, Durchhaltekosten von sich abzuwenden. So würden die Wirtschaftssubjekte, die Kapitalisten und die anderen, in solidarischer Eintracht durch tägliche millionenfache Abstimmung am Markt für die Abschaffung des alten Geldes stimmen. Am alten Geld aber hing der Mehrwert und die Möglichkeit, diesen „kapitalistischen" Mehrwert einzustreichen. Daher wird mit der Marktabstimmung über die Abschaffung des alten Geldes als Zirkulationsmittel zugleich über die Abschaffung des Kapitalismus entschieden. Die Marktwirtschaft würde sich ganz sanft und nachhaltig durch ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus entledigen und sich zugleich von allen den Belastungen und Krisen befreien; die das alte Geld mit dem Mehrwert für die Marktwirtschaft mit sich bringt.

Die Ausgleichsabgabe nähme dem Geld nicht seine Liquidität, sondern schöpfte nur den Liquiditätsvorteil ab, bevor der Geldbesitzer ihn vermarkten und damit eine Vermögensmehrung herauswirtschaften kann. Wird unter den Bedingungen einer stabilen Währung und eines Marktzinssatzes von 5,2% p. a. eine Abgabe auf Liquidität in Höhe von 3 % p. a. eingeführt, dann scheint es zunächst, als würde Kredit nunmehr zu etwa 2,2% p. a. zu haben sein. Wer Geld hat, steht dann unter Druck, und das Angebot an Geld steigt; der Zins sinkt. Sinkt der Zins, so steigt jedoch auch die Nachfrage nach Kredit. Das wiederum hat zur Folge, daß der Verleiher für seinen Liquiditätsverzicht eine etwas größere Liquiditätsverzichtsprämie heraushandeln kann, so daß per Saldo sein Effektivzins wieder steigt. Also bewirken Durchhaltekosten auf Liquidität in Höhe von z. B. 3% p. a. keine Senkung des Effektivzinssatzes in gleicher Höhe. Die Senkung bewegt sich vielmehr zwischen 0 % und 3 % p. a. Um einen Effektivzins anzunähern, bei dem die Durchhaltekosten den Liquiditätsvorteil gerade aufzehren, so daß effektiv 0 % Zins dabei herauskommen, muß der Satz der Durchhaltekosten mithin größer sein als die Höhe der Liquiditätsprämie vor Einführung der Durchhaltekosten.

Die Frage ist jedoch, ob die Effektivzinsen wirklich auf 0 % heruntergefahren werden könnten: Steigt nicht die Nachfrage nach Kredit ins Unendliche, wenn Kredit zum Nulltarif zu haben ist? Nein:

‑ Erstens: Kredit muß zurückgezahlt werden, und die Rückzahlungskapazität der Wirtschaftssubjekte ist begrenzt.

‑ Zweitens: Kredit ist Vertrauenssache, und auch Vertrauen hat seine Grenzen. Mit der Höhe des Kredites steigen die Risiken und die vom Kreditnehmer zu tragende Risikoprämie.

‑ Drittens: Das entliehene Geld verursacht in der Kasse des Entleihers sofort Durchhaltekosten, so daß er sich hüten wird; Kredit nachzufragen, den er nicht wirklich braucht.

‑ Viertens: Die Realobjekte, die man sich auf Kredit  erwirbt, verursachen, anders als Obligationen oder Aktien, ihrerseits Durchhaltekosten, nämlich Erhaltungs‑, Sicherungs‑ und‑ Unterhaltsaufwendungen, die das Vergnügen daran begrenzen, sich Paläste zu bauen und Segeljachten in Mittelmeerhäfen zu legen.

 

Alles in allem: „Kredit an sich" ist sinnlos. Steht Kredit, was die Liquiditäts(verzichts)prämie betrifft, kostenlos zur Verfügung, dann richtet sich die Nachfrage nach Kredit genau nach der Nachfrage nach Waren, Diensten oder Gütern, die man schon heute erwerben will (und unterhalten kann), für die man aber erst morgen zahlen, also einen Gegenwert opfern will, der mehr ist als die Übernahme einer Schuld.

Es lohnt sich, diese Gedanken weiter zu verfolgen. Sie erhellen wichtige Funktionen und Auswirkung von Geld: In einer Naturalientauschwirtschaft werden die Leistungen in Natur ausgetauscht, und die Waren, Dienste und Güter müssen nicht mit einem zinstragenden allgemeinem Tauschmittel konkurrieren. Sie stehen nur untereinander im Wettbewerb. Damit fehlt sowohl in den Gewohnheiten als auch im Vorstellungsvermögen die Erfahrung mit dem Geldzins als Maßstab für Kredit, also für transtemporale Tauschgeschäfte unter Verwendung von Geld. Es stellt sich ein „natürliches", vom Geld nicht verteuertes Gleichgewicht am Markt zwischen vorweggenommener Nachfrage (Kreditnehmern) und aufgeschobener Nachfrage (Kreditgebern) ein. Wird Geld eingeführt, verändert sich dieses ;,natürliche" Marktgleichgewicht: Das Geld ist dann als Tauschmittel der universellste und wendigste unter den Wettbewerbern, der Zugang zu allen anderen vermittelt, und es wird wegen dieser seiner Allverwendbarkeit selbst zu einem über seinen Kaufkraftnennwert hinaus begehrten Wirtschaftsgut, für das Zins gezahlt wird. Von Stund an müssen die sonst noch angebotenen Tauschobjekte mit der Lust des Geldbesitzers an seiner Liquidität oder mit seiner Lust am Zins konkurrieren. Waren, Dienste und Investitionsgüter, deren Nutzen mit dem Geldzins nicht mithalten können, haben dann eine schlechtere Wettbewerbsstellung. Das ist die Wettbewerbsverzerrung, die mit dem Geld in der Wirtschaft einhergeht.

Soll die monetäre Verzerrung, die das Geld für das Marktgleichgewicht zwischen vorweggenommener und aufgeschobener Nachfrage zugunsten der aufgeschobenen und zulasten der vorweggenommenen mit sich bringt, beseitigt werden, dann muß dafür gesorgt werden, daß die Naturalleistungen trotz der Verwendung von Geld als Tauschmittel wieder so miteinander konkurrieren, als ob es kein Geld gäbe. Das Geld darf in diesem Fall nur Tauschmittel, nicht auch ein Kreditinstrument sein, das die Gleichgewichtslagen auf den Märkten mit transtemporalen Tauschgeschäften stört. Geld genügt dieser Anforderung genau dann; wenn monetärer Kredit zum Nulltarif zur Verfügung steht. Dieses Ziel läßt sich, wie gesagt, mit Durchhaltekosten auf Liquidität annähern.

Beträgt der Zinssatz Null Prozent, dann leitet das Geld nur die Nachfrage nach den Naturalleistungen weiter, ohne selbst einen Standard für die Rentabilität von Realkapitalien zu setzen: Dann konkurrieren trotz Einführung der Geldwirtschaft wieder die Naturalleistungen untereinander, als ob es kein Geld gäbe. Das ist die Wirkung von Durchhaltekosten auf Liquidität: Geld würde endlich zum neutralen Tauschmittler, ‑ eine Einsicht, auf die unten in ordnungspolitischem Zusammenhang noch genauer eingegangen werden wird.

Wird die Ausgleichsabgabe auf Liquidität eingeführt, so belastet sie genau immer nur diejenigen, die tatsächlich Liquidität beanspruchen, und zwar genau für die Zeitspanne, während derer sie liquide sind. Beim herkömmlichen Geld ist das ganz anders: Hier zahlt der Leiher dafür, daß er das geliehene Geld ein einziges Mal benutzen darf, gewissermaßen für eine einzige Sekunde seiner Liquidität, an den Verleiher während der ganzen Laufzeit des Darlehens den Zins. Das ist so absurd, daß man sich bisher wohl besser keine Gedanken darüber gemacht hat. Wird dagegen „Freigeld" aus „Freigeld"‑Darlehen schnell wieder ausgegeben, so hat der Leiher nur ein einziges Mal eine Belastung, und die bewegt sich in Größenordnungen von Promille. Diese Belastungen sind dann nicht wie bisher „Kapitalkosten", sondern „Liquiditätskosten", und jetzt sind auch Laufzeit der Liquidität und Laufzeit der Kosten funktionsgerecht miteinander korreliert, während beim herkömmlichen Geld jedes Kreditgeschäft, durch das der umlaufende Geldschein läuft, immer wieder neue, sehr langfristige „Kapitalkosten" verursacht, die die Zirkulation des Geldes erheblich bremsen und daher der Wirtschaft erheblichen Schaden zufügen.

 Stimmt alles das wenigstens idealtypisch und der Richtung nach, dann ist das Mehrwertproblem geklärt und lösbar: Viel, sehr viel bleibt zu bedenken und durchzudenken: Nicht entfallen würde außerdem derjenige Teil des Zinses, den wir ;,Risikoprämie" nennen. Mit Verbilligung des Kredites würde die Nachfrage und damit der Preis nach solchen Waren relativ stark steigen, die typischerweise mit Krediten finanziert werden. Mit sinkendem Zins würden aber auch die in den Preisen steckenden Zinskosten sinken und von daher das Preisniveau gerade auch der mit Kredit erzeugten Waren nach unten beeinflußt. Mit dem Zins würde die Rentabilität von Realkapitalien wie Produktionsmitteln begrenzt und herabgedrückt: Vielleicht käme es trotz des begrenzten Vorrates dieses Wirtschaftsgutes dazu, daß die Vermieter von Wohnraum froh wären, wenn sie als Miete die Instand‑ und Werterhaltung aushandeln könnten.

Das Geflecht der Folge‑ und Wechselwirkungen wäre außerordentlich komplex. Aber die Richtung wäre klar und wohl auch richtig vorgegeben: Der unverdiente Vorteil, der mit Liquidität verbunden ist und durch Verzicht auf sie am Geldmarkt realisiert werden kann, ließe sich abschöpfen. Dann würden aus den privaten Pfründen, die bei jeder Kreditvergabe in den Geldkreislauf eingebaut werden, schlichte Ausgleichsabgaben, die erhoben werden, bevor es zum Einbau der Pfründenvereinbarung in den Geldverkehr kommt. Diese Ausgleichsabgaben wären, absolut gemessen und verglichen mit den heute gezahlten riesigen Beträgen an Zins, unvergleichlich viel niedriger; denn sie würden nur für die Dauer der Liquidität bezahlt, nicht, wie beim Darlehen, für die Laufzeit der vielen; vielen Kredite, die innerhalb der Wirtschaft bestehen. Diese Ausgleichsabgaben würden die Zirkulation nicht bremsen, wie die Zinsen, sondern die Bremswirkung der Zinsen mindern, ganz beseitigen oder gar in positive Antriebskräfte wandeln. Gesell erwartete, daß sein „Freigeld" die Produktivkräfte geradezu entfesseln würde: „Man kann es sich einfach nicht vorstellen, daß das heute auf seiten des Besitzes liegende Übergewicht einfach dadurch auf die Besitzlosen (Arbeiter) übergehen kann, daß man den Besitzenden neben jedes Haus, jede Fabrik noch ein Haus, noch eine Fabrik baut (50)." Der Mehrwert fällt dann auf Null zu. Eine ähnliche Vision findet sich bei Keynes (51):

 

„Ich bin überzeugt, daß die Nachfrage nach Kapital streng begrenzt ist, in dem Sinne, daß es nicht schwierig wäre, den Bestand an Kapital bis auf einen Punkt zu vermehren, auf dem seine Grenzleistungsfähigkeit auf einen sehr niedrigen Stand gefallen wäre. Dies würde nicht bedeuten, daß die Benützung von Kapitalgütern sozusagen nichts kosten würde, sondern nur, daß der Ertrag aus ihnen nicht viel mehr als ihre Erschöpfung durch Wertminderung und Veralterung zusammen mit einer gewissen Spanne für das Risiko und die Ausübung von Geschicklichkeit und Urteilsvermögen, zu decken haben würde." Das bringe dann die Macht des Kapitalisten zum Verschwinden, „den Knappheitswert des Kapitals auszubeuten ( . . .) Der Besitzer von Kapital kann Zinsen erhalten, weil Kapital knapp ist, gerade wie der Besitzer von Land einen Pachtzins erhalten kann, weil das Land knapp ist. ( . . .) Ich betrachte daher die Rentnerseite des Kapitalismus als eine vorübergehende Phase ( . . .) Es wird überdies ein großer Vorteil der Ereignisfolge sein, die ich befürworte, daß der sanfte Tod des Rentners, des funktionslosen Investors, nichts Plötzliches sein wird ( . . .) Wir könnten somit in der Wirklichkeit auf eine Vermehrung der Menge des Kapitals zielen, bis es aufhört, knapp zu sein, so daß der funktionslose Investor nicht länger einen Bonus erhalten wird."

 

Angenommen einmal, Keynes hätte recht: Der Bestand an Realkapitalien kommt zu einem Grade der Sättigung, daß von „Knappheit" nicht mehr die Rede sein kann. Dann also soll „Kapital" keine „Zinsen" mehr bringen, nur weil es nicht mehr so knapp ist wie z. B. Grund und Boden. Keynes denkt hierbei wohl auch an den Zins von Geldkapital; denn der Rentner überhaupt soll ja eines sanften Todes sterben. Hat aber nicht gerade Keynes uns gelehrt (52), wie sehr wir Geldzins und den Ertrag von Realkapitalien auseinanderhalten müssen und daß es der Geldzinssatz ist, der den Standard vorgibt? Wofür denn erhält der Rentner seine Zinsen: für „Kapital" an sich oder für den Verzicht auf knappe geldliche Liquidität? Auch wenn die Realkapitalien bis zur Sättigung vermehrt werden, wird das Geld knapp bleiben, solange wir die Preise nicht explodieren lassen wollen. Das Geld wird auch seine charakteristische „Liquidität" behalten. Wenn aber Geld „knappes Liquiditätsmittel" bleibt, bleibt auch die Liquiditätsprämie und bleiben auch die Zinsen. Daran ist nicht zu rütteln.

Seien wir also im Punkte „Zins" und „Kapitalertrag" konsequente Keynesianer: Dann ist die Vermehrung von Realkapitalien ein geradezu untaugliches, ja krisenförderndes Mittel zur Beseitigung des Geldzinses. Man darf das Rentnerproblem nicht „von hinten her" aufrollen, sondern man muß es „von vorn her" angehen: vom Geldzins in Richtung auf die Erträge der Realkapitalien, nämlich in jener Richtung, in der der Geldzins den Erträgen von Realkapitalien den Standard setzt. Genau das tut Gesell mit seinem „Freigeld", und genau darin folgt ihm Keynes, wenn er die Idee von Durchhaltekosten für Liquidität als richtig und verfolgenswert erachtet. Welche Folgen diese Durchhaltekosten haben, läßt sich aus der Formel ablesen, die Keynes für den Eigenzins eines Wirtschaftsgutes angegeben hat (53):

 

  Eigenzins = Erträgnisse plus Liquiditätsprämie minus Durchhaltekosten

 

Da die sonstigen Erträgnisse von Geld hier vernachlässigt werden können, verbleibt für das Geld einfach:

 

  Eigenzins = Liquiditätsprämie minus Durchhaltekosten

 

„Worauf es ankommt, ist die Differenz zwischen Liquiditätsprämie und Durchhaltekosten (54)." Die Durchhaltekosten verzehren die Vorteile der Liquidität. Dann sinkt der Eigenzinssatz von Geld. Geld wird billiger, obwohl die umlaufende Geldmenge nicht vergrößert wurde. Die Liquiditätsprämie verschwindet also auch nicht etwa. Man bekommt nur nicht mehr viel von ihr zu sehen: Die Durchhaltekcsten zehren sie auf, bevor der Geldbesitzer Gelegenheit hat, sie beim Darlehensnehmer abzukassieren.

Beim Stempelgeld sind die Durchhaltekosten in die Geldscheine in Form des Kaufkraftschwundes einprogrammiert: z. B. 5,2 % p. a., und wer 100 Mark solchen „Freigeldes" für ein Jahr in der Tasche herumträgt, erleidet einen Verlust von 5,20 Mark. Verleiht er sein Geld aber, so vermeidet er den Verlust und verbucht einem Vorteil, in Höhe von 5;20 Mark: Das ist die Prämie, die er für den Verzicht auf seine Liquidität bekommt. Diese Prämie ist im vorliegenden Beispiel gerade so hoch wie die in den Geldschein einprogrammierten Durchhaltekosten, so daß sich für den Zins nach der Formel „Liquiditätsprämie minus Durchhaltekosten" der Satz von 0 % p. a. ergibt.

 Ob freilich jemand, der „Freigeld" verleiht oder „Freigeld‑Obligationen" kauft, am Ende genau das zurückbekommt, was er hingegeben hat, oder ob er doch noch einen kleinen positiven Zins verbuchen kann, oder ob er gar eines negativen Zins einstecken muß, das hängt von den Umständen ab: davon nämlich, wie hoch die Durchhaltekosten sind, wie lang die Laufzeit des Darlehens ist und welche reale Liquiditätsprämie für Darlehen gerade dieser Art und Laufzeit am Geldmarkt gefordert und bezahlt wird. Der Geldmarkt nämlich bleibt bei Einführung der „marktkonformen" Durchhaltekosten vollkommen in Funktion: Er sorgt dafür; daß die nach wie vor knappen Gelder dorthin fließen, wo sie nach der Formel: „Liquiditätsprämie minus Durchhaltekosten", den relativ besten Ertrag bzw. den relativ geringsten Verlust einbringen.

Welche Verschiebungen das für die Allokation mit sich bringt, darüber wird weiter unten noch nachgedacht werden. Hier kommt es zunächst nur darauf an, den Wirkungsmechanismus von Durchhaltekosten isoliert zu betrachten und dadurch genau bewußt zu machen: zum einen, weil Gesell noch nicht so genau mit „Liquidität" und „Durchhaltekasten" hat arbeiten können wie Keynes und daher irreführende Sätze hinterlassen hat; und zum anderen, weil Keynes bei seiner Vision vom Verschwinden des Rentners seine eigenen Grundsätze wohl nicht ganz durchgehalten oder zumindest ebenfalls irreführende Formulierungen niedergeschrieben hat.

Beim herkömmlichen Geld kann der „Rentner" seine Liquiditätsprämie auf den Nominalwert seiner Forderung draufschlagen, weil der Plafond, von dem er ausgeht, nominell keinen Schwund erleidet, sondern bildlich ausgedrückt, „eben" ist. Mit der Liquiditätsprämie wird seine Vermögensbahn dann „ansteigend". Beim „Geld mit Durchhaltekosten" ist das anders: Der Plafond, von dem der „Rentner" ausgeht, wenn er sein Geld anlegen will, ist nicht mehr „eben“, sondern „abschüssig", weil er ständig Durchhaltekosten abbuchen muß. Legt er sein Geld von dieser Ausgangsbasis kommend an, dann muß er froh sein, wenn er mit Hilfe der Liquiditätsprämie das Gefälle ausgleichen und wenigstens Bestandserhaltung erwirtschaften kann.

Auch dann also, wenn „Freigeld" i. S. von Gesell oder eine andere Form von Durchhaltekosten für Liquidität eingeführt wird, wird es noch einen funktionierenden Geldmarkt mit Anlegern und Investoren geben. Diese Anleger aber werden es schwerer haben, weiterhin eine Bestandsvermehrung zu erwirtschaften; denn je höher die Durchhaltekosten sind, desto weniger können sie noch ein arbeitsloses Einkommen aus dem Markt und aus der Volkswirtschaft herausquetschen. Ihre sichere und vorteilhafte Ausgangsebene nämlich, bekommt Gefälle und wird abschüssig. Um so leichter wird es für alle anderen, an Liquidität heranzukommen: Ein sanfter Druck auf Geldbesitzer, ihr Geld entweder selbst auszugeben oder es auszuleihen, und zwar entweder an Unternehmer, die investieren wollen, oder an Konsumenten, die einen Bedarf haben, aber nicht die Mittel, ihn schon jetzt zu befriedigen. So wird die Wirtschaft durch den sanften Druck auf die Geldbesitzer sowohl von der Nachfrageseite her als auch von der Angebotsseite her angekurbelt.

 In dem Maß, wie Geldanlagen wegen der Durchhaltekosten auf Liquidität immer weniger „rentierlich" werden, wird Geld für die anderen „billiger": Sie kommen leichter an Geld heran. Für sie, die den Nutzen aus der Einführung von Durchhaltekosten auf Liquidität haben, werden Investitionen schon viel eher rentierlich als bisher; denn sie brauchen nur noch weniger abzuliefernden „surplus" zu erwirtschaften. Die Vorgaben, die der Geldzins für den Grenznutzen ihrer Realkapitalien setzt, sind weniger hart. Zugleich können sie, trotz niedriger oder verschwindender Zinsen, damit rechnen, daß genügend Geld in Form von Nachfrage auf den Markt kommt, weil erstens Geld in Kassen und Sparstrümpfen an Kaufkraft verlöre und weil zweitens ein Teil der bisher auf den Geld‑ und Kapitalmarkt drängenden Kaufkraft sich dem Erwerb anderer wertvoller und wertbeständiger Waren zuwenden dürfte. Das Nachsehen hätten nur die bisherigen Kapitalrentner.

Nach allem dürfen wir also leider nicht, wie Keynes, darauf hoffen, daß eine Vermehrung der Realkapitalien uns den sanften Tod des Rentners bringt: Diese Hoffnung widerspricht der monetären Ontologik des „Geldes mit dem Mehrwert". Gesell hat das präziser erkannt als Keynes:

 

„Wir nehmen an, die Pest hätte drei Viertel der Menschheit dahingerafft. Dadurch würde das jetzt zwischen Proletariat und Realkapitalien bestehende Verhältnis auf den Kopf gestellt, und auf jeden Mieter kämen vier Wohnungen, auf jeden Bauernknecht vier Pflüge, auf jeden Arbeiterstamm 4 Fabriken. Unter solchen Verhältnissen würden Realkapitalien keinen Zins mehr abwerfen. ( . . .) Unter solchen Verhältnissen würde nur mehr ein einziges Kapital fortbestehen, und zwar das Geld ( . . .) Die Erzeugnisse der zinsfreien Arbeitsmittel, die Waren, müssten für ihren Austausch dem Geld fernerhin den gleichen Zins zahlen ‑ als ob nichts geschehen wäre. Mit dieser Annahme wird die wahre Natur des Geldes und ihr Verhältnis zu den Realkapitalien sehr gut beleuchtet (55)."

 

Man braucht allerdings nicht gleich die halbe Menschheit der Pest zum Opfer zu bringen: Realkapitalien, die keine Rendite mehr, abwerfen, entstehen auch bei Stagnation und Depression der Wirtschaft: Dann stehen Fabrikhallen und Büros leer. Die Menschen sind dann nicht etwa arbeitslos, weil es diese Arbeits‑Plätze gar nicht gibt, sondern weil es sich nicht mehr rentiert, die Menschen zu bezahlen, die auf den Plätzen arbeiten könnten. Es fehlt auch nicht an Bedarf in der Volkswirtschaft, wenn die Arbeitslosen hungern und nur das Nötigste kaufen können oder nicht einmal das. Es fehlt nur an der monetären Vermittlung zwischen Bedarf und Leistungsangebot: Es fehlt am Geld, und das Geld gibt es nur gegen Zins.

Doch an Stelle des keynesianischen Traumes vom sanften Tod des Rentners, der aus strukturellen Gründen jedenfalls für Geldkapitalien nicht in Erfüllung gehen kann; bietet sich uns als Ersatz eine sehr viel weniger aufwendige monetäre Strategie an, die mehr einbringt, als der Traum hoffen ließ: Wir haben es in der Hand, hier und heute schon den durchschnittlichen Zinssatz von Geldkapitalien und damit den durchschnittlichen Rentabilitätssatz von Realkapitalien mit Hilfe von Durchhaltekosten auf Liquidität wohldosiert herunterzufahren, und zwar z. B. genau so weit, daß die durchschnittliche Liquiditätsprämie von den künstlichen Durchhaltekosten aufgezehrt wird; nach der Formel von Keynes:

 

 Eigenzins von Geld = Liquiditätsprämie minus Durchhaltekosten

 

Dann beträgt der durchschnittliche Eigenzinssatz von Geld 0 %.

 Es ist klar, daß man das „Geld ohne Mehrwert" nicht von heute auf morgen, ohne Übergangsphasen und ohne Übergangsregelungen, verwirklichen kann. Nicht zuletzt der bisherige Mangel an umfassender wirtschaftswissenschaftlicher Ausarbeitung ist Grund zu besonderer Bedachtsamkeit. Wenn aber die Analyse im wesentlichen stimmt, und wenn die praktische Richtung vorgezeichnet ist, gibt es keinen Grund mehr, dem allgegenwärtigen Mehrwert, seiner extremen Ungerechtigkeit, und seinen volkswirtschaftlichen Folgen länger einfach zuzuschauen. Denn dann ist eine marktwirtschaftliche Geld- und Wirtschaftsordnung denkbar, in welcher der Mehrwert abgeschafft, nämlich in Form der Ausgleichsabgabe auf die Liquidität abgeschöpft wird. In dem Maße, wie beim Inhaber der Liquidität der Mehrwert abgeschöpft wird, wird zugleich dem Geldkapitalisten das Wasser abgegraben. Seine monetäre Kultur würde einfach austrocknen.

Fassen wir zusammen: Das, womit Gesell den Geldscheinen „Beine machen" wollte, damit sie ihre Funktion im volkswirtschaftlichen Kreislauf bestens erfüllen, das leistet nicht nur, worum es damals ging, sondern es rührt an sehr viel allgemeinere volkswirtschaftliche Zusammenhänge. Und es greift durch bis in uralte und bislang ewig ungelöste Gerechtigkeitsprobleme des Geldwesens. Offenbar wird der archimedische Punkt des monetären Systems getroffen. Dann darf man sich nicht wundern; wenn allerhand in Bewegung gerät und am Horizont Möglichkeiten auftauchen, an die man vorher nicht denken konnte, weil sie Phantasie und Vorstellungsvermögen des kapitalistisch eintrainierten und entsprechend bornierten Geistes gesprengt hätten.

Gesells Probleme, nämlich die Art von Krisen, mit denen er seine Erfahrungen gesammelt hatte, mögen also unsere Probleme nicht sein. Aber des archimedische Punkt des monetären Geschehens, den er zu fassen bekam, der ist durchaus auch der archimedische Punkt unseres und jedes anderen monetären Systems auf der Welt. Was er im Hinblick auf seine Probleme konzipiert hat und was für diese damaligen Krisenkonstellationen funktionsgerecht war, das ist auch für die grundsätzliche Verbesserung des monetären Geschehens im allgemeinen bedenkenswert. Die Ausgleichsabgabe auf Liquidität zur Abschöpfung ihrer Vorteile wirkt auf diesen archimedischen Punkt der Geldordnung ein. Man kann sie daher als das „archimedische Knöpfchen" bezeichnen, an dem die Geldordnungspolitiker nur ein klein wenig drehen müssen, um das Gesicht der monetären Welt in bisher kaum gekannter Weise zu verändern.