Dokumentation des Symposiums

 

 

 

 

 

 

 

Für einen neuen Geldpluralismus

 

 

- bietet eine Vielfalt von komplementären Währungen einen Weg aus der Krise?

 

 

 

 

 

15. bis 18. Juni 2000

 

im Lebensgarten Steyerberg

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Leitung: Margrit und Declan Kennedy

 

Co-Moderation: Roland Spinola

 

Dokumentation: Volker Freystedt

 

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Herausgegeben durch:

Margrit & Declan Kennedy

Ginsterweg 4-5         

31595 Steyerberg              Fax:   05764-2368

                                                                 

e-mail:  margritkennedy@t-online.de

www.margritkennedy.de


 

INHALT                                                          Seite

 

 

VORTRÄGE

Margrit Kennedy +

Declan Kennedy:      Ziele des Symposium                            03

Bernard Lietaer:     Das Geld der Zukunft                           06

Helmut Creutz:       Monetäre Größenordnungen und

                     Zusammenhänge                                  16

Eckhard Grimmel:     Zum Rechtsstatus der Bundesbank und der EZB    24

Erhard Glötzl:       Welche Probleme können

                     Komplementärwährungen lösen?                   29

Johannes Heinrichs: Anmerkungen und Fragen zum Geld

                     der Zukunft                                    37

Wolfgang Gebauer:    Globale Währungsordnung                        42

Hugo T.C. Godschalk: Das Geld der Zukunft                           52

Bernd Senf:          Weiser als die Weisen                          59

Reinhard Deutsch:    Falschgeld                                     62

Gero Jenner:         Der Mythos vom ökonomischen Gleichgewicht      65

                    

WORKSHOPS                                                           68

Helmut Creutz:       Zur Theorie der multiplen Geldschöpfung        69

                     Erwiderung auf die Argumente der

                     Geldschöpfungs-Befürworter                     73

Erhard Glötzl:       Zusammenfassung der Erkenntnisse aus

                     der Diskussion um die Geldschöpfung            75

 

SCHLUSSVORTRAG

Bernard Lietaer:     Mysterium Geld                                 82

 

LITERATURHINWEISE                                                   85

 

 

 

 

 

 

 

ANMERKUNG

Eugen Drewermanns Vortrag: Und vergib uns unsere Schuld – von der Haltung Jesu zu Kredit und Zins  ist nicht in der Dokumentation enthalten - wesentliche Gedanken sind in den unter “Literaturhinweise” enthaltenen Büchern des Autors zu finden.

 


 

Professor Dr. Margrit Kennedy, Dipl.-Ing.

 

Kurzbiographie:

1959 - 66   Studium der Architektur an der Technischen Hochschule Darmstadt

1966 - 79   Praxis als freie und als angestellte Architektin und Stadtplanerin in Deutschland, Nigeria, Schottland, USA

1979 - 84   Leitung des Forschungsbereichs Ökologie/Energie und Frauenprojekte bei der "Internationalen Bauausstellung Berlin 1987"

seit 1985   Aufbau eines ökologischen und sozialen Modellprojekts "Lebensgarten Steyerberg" bei Nienburg/Weser, Niedersachsen

seit 1987   Veröffentlichungen zum Thema "Geld ohne Zinsen und Inflation - ein Tauschmittel das jedem dient"

seit 1991   Professorin für "Technischen Ausbau und Ressourcensparendes

Bauen", Fachbereich Architektur, Universität Hannover

 

 

Professor Dipl.-Ing. Declan Kennedy

 

Kurzbiographie:

1952 - 61   Studium der Architektur und Städtebau in Dublin und Darmstadt

1972 - 86   Prof. für das Fachgebiet "Entwerfen - Infrastruktur im Stadtbaubereich"           im Fachbereich Architektur der Technischen Universität Berlin.

1975 - 78  2. Vize-Präsident der TU Berlin

seit 1982   Vorträge und Entwurfsseminare in Deutsch und Englisch über das              Thema Permakultur , Ökodörfer und Zinsfreies Geld in verschiedenen                europäischen Ländern, in Afrika, Asien, Süd-Amerika und den USA.

seit 1985   Aufbau des Ökodorfs: Lebensgarten Steyerberg, Niedersachsen

1994        Mitbegründer: Global Eco-village Network (GEN)

1995 - 99   Leiter des Europäischen Büros und (seit 1996) Vorsitzender des                    Aufsichtrates von GEN

seit 1997   Mediation, Empowerment und Ecovillage Trainings

 

 


Margrit Kennedy & Declan Kennedy:

 

ZIELE  DES  SYMPOSIUMS

 

Das Symposium "Für einen neuen Geldpluralismus - Bietet eine Vielfalt von komple­men­tären Währungen einen Weg aus der Krise?" diente als Diskussionsforum für die Thesen und den Beitrag von Bernard Lietaer zur Lösung der Geldproblematik, die er in seinem Buch "Das Geld der Zukunft" dargestellt hat. Insgesamt zehn Experten waren gebeten worden, das Buch zu lesen und ihre Meinungen vor dem Symposium schriftlich zu formu­lieren sowie untereinander auszutauschen, damit eine gut vorberei­tete Diskussion stattfin­den konnte.

 

Als Einleitung für die etwa 60 TeilnehmerInnen baten wir Herrn Lietaer um einen zu­sam­men­fassenden Vortrag zum Thema seines Buches, sowie eine ausführlichere Darstellung der globalen Referenzwährung (Global Reference Currency, abgekürzt GRC), die er TERRA nennt. Diese war sowohl im Buch wie auch in den verschiedenen Kommentaren zu kurz gekommen, erschien uns aber als einer der wesentlichsten Beiträge zu einer prakti­schen Lösung der gegenwärtigen Geld- und Währungsproblematik.

 

Die Diskussion um die TERRA wurde dann zu einem der Hauptschwerpunkte der Tagung, wie sich aus den zahlreichen, in dieser Dokumentation enthaltenen, Fragen und Antworten ablesen läßt. Die vorliegende Zusammenfassung bietet in soweit die aktuellste und umfassendste Darstellung des TERRA-Konzepts.

 

Ein weiterer Schwerpunkt entwickelte sich um das Thema "Geldschöpfung". Der Anstoß dazu ist Helmut Creutz zu verdanken. Das die Diskussion und das Ergebnis hier in ausführ­licher Form einfließen konnten, hat Erhard Glötzl ermöglicht. Der Ansatz, der von ihm und Helmut Creutz vertreten wird, und der von der überwiegenden Mehrheit der Diskussions­teilnehmer des Workshops schlußendlich mitgetragen wurde, steht diametral im Widerspruch zu einigen Textstellen in den Büchern von Bernard Lietaer, zu vielen Lehrbüchern und zu der Ansicht von Reinhard Deutsch, die er auch in seinem Beitrag "Falschgeld" formuliert. Herr Deutsch hat diese Diskussion im Anschluß an die Tagung im Internet[1] fortgeführt, was uns zeigt, daß an diesem Punkt offensichtlich noch immer Diskussionsbedarf besteht.

 

Aufbau und Erstellung der Dokumentation

Die Beiträge der verschiedenen Autoren geben sowohl die schriftlichen Stellungnahmen wieder, um die wir vor dem Symposium gebeten hatten, wie auch mündliche Vorträge und Diskussions­beiträge. Zum Teil hat Volker Freystedt, der die Hauptarbeit an dieser Dokumentation geleistet hat, diese Beiträge aber auch gekürzt und editiert, um Redundanz zu vermeiden. Diese Passagen sind in kursiv gesetzt.

 

Wolfgang Gebauer schickte uns als Beitrag zur Diskussion einer globalen Währungsordnung einen Abschnitt aus seinem neuen und noch unveröffentlichten Buch, den wir hier gekürzt wiedergeben, während der Vortrag von Eugen Drewermann in seiner Gänze den Rahmen dieser Dokumentation gesprengt hätte. Widersprüche, die dadurch entstanden sind, daß einzelne Beiträge vor der ausführli­chen Präsentation seiner Thesen durch Bernard Lietaer geschrieben wurden, haben wir nicht editiert oder kommentiert. Wir sind der Ansicht, daß sich jede/r Leser/in eine ei­gene Meinung zur Richtigkeit der Argumentation bilden soll. Die Vielfalt der Sichtweisen stellt u.E. den Hauptreiz zum Lesen dieser Dokumentation.

 

Danksagung

Wir möchten an dieser Stelle allen danken, die zum Gelingen des Symposiums beige­tra­gen haben, bei der Vorbereitung, der Durchführung und Nachbereitung, insbesondere aber den Experten und TeilnehmerInnen, die durch ihre Beiträge, Fragen und Kommentare viel zur Erhellung wenig bekannter Zusammenhänge beigetragen haben.

 

Zum Schluß möchten wir noch einmal Bernard Lietaer für seine Offenheit und Diskussions­freude danken und Volker Freystedt für seine Bemühungen, das Ergebnis so kurz wie möglich und so ausführlich wie nötig aufzubereiten.


Professor Dr. Bernard A. Lietaer

 

Kurzbiographie:

Prof. Bernard A. Lietaer war Zentralbankier in Belgien, wo er für die Einführung des ECU verantwortlich zeichnete; er beriet die peruanische Regierung bei der Optimierung von Währungsgeschäften; als Präsident des elektronischen Zahlungssystems in Belgien hat er ebenso gearbeitet wie als Geschäftsführer des Hedgefonds Gaia Hedge II.: Außerdem unter­richtete er an der Sonoma State University in Kalifornien archetypische Psychologie, und am Institute for Sustainable Resources der Universität Berkeley nach­haltiges Wirtschaften.

Weitere Informationen und Kontakte über www.futuremoney.de (auf Deutsch) und www.transaction.net/money/ (auf Englisch).

 

 

Prof. Bernard A. Lietaer greift zunächst in seinem Vortrag die Kerngedanken seines Buches “Das Geld der Zukunft” auf, um dann sein Hauptanliegen, die Komplementärwährung TERRA, ausführlich zu erläutern. Er habe inzwischen festge­stellt, daß er in seinem Buch ge­rade diesen Bereich offenkundig zu knapp behandelt hat, denn es tauchen immer wieder Verständnisprobleme auf. Diese sollen in seinem Referat und den Diskussionen beseitigt werden. Auf die Hauptaspekte, die er in seinem Buch “Geld Mysterium” angesprochen hat, ging Bernard Lietaer am Ende der Veranstaltung ein.

 

 

 

 

Bernard Lietaer

 

DAS  GELD  DER  ZUKUNFT - über die destruktive Wirkung des existie­renden Geldsystems und die Entwicklung von Komplementärwährun­gen

 

Bernard Lietaer beginnt seinen Vortrag mit einer Frage an die Anwesenden: Wer glaubt nicht, daß unser Geldsystem einen fundamentalen Fehler hat? Das Ergebnis: niemand. Sein Kommentar: dies ist das erste Mal, daß er ein Publikum erlebt, bei dem solch eine Einigkeit in bezug auf dieses Thema besteht. Es ist aber nicht das erste Mal, daß Leute sich Gedanken über die Fehler im Geldsystem machen. Deshalb ist für ihn die Frage wichtig: warum ist das Geld immer wieder Thema für Veränderungs­wünsche?

 

Zwei Menschen, die sich sehr mit der Geldproblematik beschäftigt haben, sind hier be­sonders zu erwähnen:

- Silvio Gesell: durch ihn gab es in den 20er- und30er-Jahren eine große Bewegung für eine Veränderung des Geldwesens. Hätte zu dieser Zeit eine Volksabstimmung zur Reform des Geldwesens stattgefunden, sie hätte eine Mehrheit erhalten. Gesell hat 18 Bücher ge­schrieben; ihm verdanken wir weit mehr an Beiträgen zu einer Geldtheorie als Irving Fisher. Trotzdem geriet Gesell fast in Vergessenheit; sein Tod 1930 wurde nur als kurze Notiz vermeldet (wahrscheinlich wird sein 100. Todestag um so stärker begangen werden – V.F.).

- John Maynard Keynes: im Gegensatz zu Gesell war dieser sehr bekannt und hoch ge­schätzt. Er war Eliteprofessor, arbeitete im britischen Finanzministerium. England war zu dieser Zeit Zentrum der finanziellen Welt. Aber auch Keynes ist mit seinem Konzept des Banker gegen eine Wand gelaufen, obwohl er sonst mit  seinen Thesen von allen ernstge­nommen wurde.

 

Die Schlußfolgerung von Bernard Lietaer: sowohl von den Graswurzelbewegungen her als auch von der etablierten Wissenschaft aus war eine Änderung des Geldsystems nicht mög­lich. Wenn man aber ein System durch einen Angriff nicht ausschalten kann, so macht man es nur stärker. Denn es bilden sich viele Abwehrmechanismen aus; ent­täuschte Hoffnungen auf Seiten der Reformer stärken zusätzlich das System. Alle Geldreformversuche seit mindestens 250 Jahren kann man als gescheitert bezeich­nen. Deshalb sei es vergeblich, das System insgesamt zu ändern. Auch wenn er mit allen Reformern sympathisiert, ist er selbst überzeugt, daß man andere Wege suchen muß.

 

Bernard Lietaer selbst hat im System gearbeitet und versucht, von dort aus etwas zu ver­ändern. Die Zentralbank von Belgien hat er verlassen, nachdem der Ecu erfolgreich lanciert wurde. Warum? Der Präsident der Bank for International Settlements in der Schweiz habe seine Bücher über die südamerikanische Schuldenkrise gelesen und fragte, was er eigentlich in der Zentralbank wolle. Die Antwort: Nachdem er die latein­amerikanische Schuldenkrise schon 1975 vorausgesehen habe, sei er in die Zentralbank gegangen, um herauszufinden, wie man das Geldsystem ändern könne. Der Präsident antwortete: Die Banken sind dazu da, das System zu erhalten und nicht, es zu ändern. Eine Änderung werde kommen, aber diese würde von außen kommen und nicht von den Banken selbst. An diesem Tage habe Bernard Lietaer beschlossen, bei der Zentralbank aufzuhören. Er ist dann Manager eines privaten Hedgefonds geworden und hat dort jah­relang die be­sten Ergebnisse im internationalen Vergleich erzielt. Er kennt also das Geld-Geschäft von vielen verschiedenen Seiten.

 

Seine Taktik läßt sich mit einer militärischen Strategie vergleichen: eine undurch­dringli­che Wand muß man umgehen, wie es auf der einen Seite lokale komplementäre Währungen tun. Ihre Anzahl vermehrt sich derzeit sehr schnell: 1984 gab es erst eine, 1990 waren es gerade 100. Jetzt im Jahre 2000 sind es über 2600.  D.h., ihre Zahl wächst z.Zt. exponentiell. Von der anderen Seite könnte die globale TERRA-Währung kom­men.

 

Erläuterungen zur TERRA-Währung:

Bernard Lietaer meint, das Wichtigste sei, das Monopol der staatlichen Währung auf­zuhe­ben. Aber nicht durch Zerstörung, weil es dann immer wieder repariert werden würde, son­dern durch die Entwicklung und Konkurrenz von anderen Systemen. Sein erstes Buch behandelt das Geldsystem von außen, wie es jetzt ist. Das zweite handelt von der inneren Ebene. Denn Geld hat eine fundamentale psychologische Ebene – es besitzt seine Macht dadurch, daß wir sie ihm geben. Je nachdem, ob die Gesellschaft pa­triar­chalisch oder matriarchalisch geprägt sei, suche sie sich auch ihr Geldsystem aus. Die Yin- und Yang-Qualitäten in der Gesellschaft müßten aber ausgeglichen sein. Das derzeit herrschende Yang-Geld hat eine wichtige und nötige Rolle. Diese muß aber durch wei­tere Geldsysteme, die Yin-Aufgaben erfüllen, ergänzt und ausgeglichen wer­den. Ursprünglich hatte er seine Arbeit als ein Buch geschrieben, weil beide Blicke – der nach außen und der nach innen – gleichermaßen wichtig sind. Leider ist das Buch aber wegen seines Umfangs (der durch die Übersetzung noch um 20 Prozent zunahm) in zwei Bänden erschienen.

 

Drei Grundannahmen dafür, daß das TERRA-System angenommen werden wird:

1. Das heutige Banksystem wird sich nicht von alleine ändern, und auch die Regierungen haben nicht die Macht, eine Veränderung zu bewirken.

2. Deutschland und Japan sind weltweit Ausnahmen - hier besitzen die Banken die Konzerne; ansonsten bestimmen aber die Konzerne das Geschehen. Und diese haben große Schwierigkeiten mit der derzeitigen Instabilität von Währungen, wie sich in zahlrei­chen Umfragen zeigt.

3. Da die multinationalen Konzerne die Zukunft bestimmen, müssen wir, wenn wir die Zukunft gestalten wollen, Wege finden, sie für unsere Anliegen zu interessieren. Die unter­schiedlichen Interessen treffen sich dabei im Begriff der "Nachhaltigkeit", denn niemand kann ernsthaft interessiert sein, daß etwas nicht nachhaltig ist.

 

Dabei gilt: Eine Änderung des Geldsystems ist notwendig, wenn auch nicht ausrei­chend, um "Nachhaltigkeit" zu erzeugen. Aber ohne eine Änderung des Geldsystems ist keine "Nachhaltigkeit" möglich.

 

Bernard Lietaer erzählte dazu eine Anekdote: Bei einer Begegnung mit einem hohen deutschen Manager fragte er diesen zuerst, ob er Kinder habe. Zu seinem Erstaunen hatte der Manager sogar vier Kinder. Er fragte ihn weiter, in welchen Zeithorizonten er denn für seine Kinder plane und denke; die Antwort: zwanzig bis dreißig Jahre. Und wie weit sei der Zeithorizont seiner beruflichen Aktivitäten, beim Betreten seines Büros? Die ver­wunderte Antwort: na ja, drei bis vier Monate! Dabei ist dieser Mann nicht etwa falsch gepolt in seinem Hirn – wenn er in seinem Beruf nicht kurzfristig denken und handeln könnte, würde er bald seinen Job verlieren.

 

Mit der TERRA-Währung werden wichtige soziale Ziele verfolgt und gleichzeitig die Interessen von multinationalen Konzernen befriedigt. Nur wenn diese beiden Ziele gleich­zeitig unterstützt werden, wird eine Reform möglich.

 

Warum und wie TERRA umgesetzt werden wird:

 

1. Das gegenwärtige Geldsystem muß sowieso verändert werden, da es instabil ist.

Das prozentuale Verhältnis bei täglichen globalen Geldtransaktionen von realen Gütern und Dienstleistungen zu spekulativen Transaktionen ist heute 2% zu 98%.Das ist so, als ob der Schwanz den Hund wedelt. Wir haben heute keinen institutionellen Mechanismus, um diese Spekulationsblase zu kontrollieren. Paul Volcker (vormaliger Präsident der Fed) sagte einmal, seine größte Sorge sei, daß es eine wachsende Zahl von Menschen gibt, die an der Instabilität des Geldes interessiert sind, um spekulieren zu können. Früher gab es eine Übereinstimmung zwischen Regierungen und Reichen, daß das Geld stabil sein sollte. Jetzt sind nur noch die Regierungen daran interessiert, weil heute auch die Banken mit der Geldspekulation Geld verdienen. Georges Soros sagte dazu: die Spekulation ver­läuft exponentiell, deshalb muß das System der flexiblen Wechselkurse zusammenbre­chen. Das die letzten Krisen in Brasilien, Asien, Rußland stattfanden, soll uns nicht glauben machen, daß wir in Europa stabil sind[2]. Für den Welthandel sind die Währungsschwankungen allerdings Gift; wenn z.B. eine hol­ländische Firma ein Schiff in Südkorea bestellt, dauert es mehrere Jahre bis zur Lieferung. In der Zeit schwanken die Währungen ständig, so daß eine vernünftige Kalkulation von Kosten und Gewinn nicht möglich ist. Und viele mögliche Geschäfte deshalb nicht zustande kommen.

 

2. Das kurzfristige Denken in Unternehmen entspringt dem heutigen Geldsystem

Alte ökonomische Lehrbücher sagen, daß die Konzerne um Märkte und Ressourcen kämp­fen. Das stimmt heute nicht mehr. Sie kämpfen um Geld und benutzen Märkte und Ressourcen dazu. Deshalb der Blick durch die Kurzsichtbrille: solange man das Geld unter dem Gesichtspunkt des Zinses ansieht, wird die Zukunft irrelevant. Solange man Zinsen be­kommt, will man das Geld immer jetzt, um die Zinsgewinne einzustreichen. Mit dem Liegegeld wird die Zukunft wieder interessanter, weil das Geld in der Zukunft weniger wert wird.

 

Ein Beispiel: Sie wollen etwas für die Zukunft Ihrer Kinder tun. Wenn Sie einen Wald be­sitzen, so lohnt es sich heute, die Bäume zu fällen und das Geld auf die Bank zu brin­gen. Mit einem Liegegeld sieht die Sache völlig anders aus: wenn Sie Geld haben,

würden Sie damit einen Wald pflanzen, um ihn später verkaufen zu können, da er da  we­sentlich mehr wert ist als das Geld.

 

Es gab zwei Zivilisationen, die über Jahrhunderte ein solches Schwundgeld hatten: das Pharaonische Ägypten, und das Europa des Hochmittelalters (ca. 1.000 bis 1.300 n.Chr.).

Wie hat in Ägypten das Geldsystem funktioniert? Es gab ein duales Geldsystem. Das eine System galt für den Handel über große Entfernungen und bestand aus Währungen aus sel­tenen Materialien, z.B. Gold- oder Silbermünzen oder kostbaren Hölzern.

Das zweite System wurde nur lokal in Ägypten benutzt und war um die Tempel herum or­ganisiert. Die Bibel-Geschichte von Josef, der in guten Jahren Vorsorge für die schlech­ten Jahre traf, ist unvollständig: die Bibel sagt nicht, daß Josef das ägyptische Geldsystem er­funden hat. Das wird in einer Studie des deutschen Forschers Preisigke klar ("Das Ägyptische Geldsystem"; 3 Bände, 1902). Wenn jemand Ernteüberschüsse im Tempel ein­lagern wollte, wurde auf Tonscherben die Menge der Waren notiert. Wollte jemand seine Ware, z.B. Getreide, wieder abholen, bekam er weniger zurück – es wurden Lagerkosten abgezogen. Diese Scherben konnten dann als Geld verwendet werden, z.B. 10 Sack Weizen als Notierung auf einer Scheibe gegen ein Schaf. Die Preise wurden vom Markt festgelegt. Dieses System erfüllte alle Voraussetzungen, die Bernard Lietaer auch von TERRA erwartet: es war 100%ig mit Waren gedeckt, die Lagergebühr wurde vom Geldhalter bezahlt, und es war robust – es wurde erst nach 1.600 Jahren militärisch durch die Römer beendet.

 

Damals kam niemand auf die Idee, Reichtum in Form von Geld anzuhäufen; man dachte langfristig, investierte in Dinge, die lange hielten, und man baute auch langfri­stig - alles ohne daß jemand eine grüne Fahne hochhalten oder an die Zukunft gemah­nen mußte: die Kathedralen und Pyramiden stehen heute noch. Das Einzige, was von uns in 1.000 Jahren noch bleiben wird, sind die Atomendlager. Das duale ägyptische Geldsystem ist das Vorbild für TERRA.

 

3. Mit TERRA schaffen wir ein Geldsystem für "Nachhaltigkeit" und langfristiges Denken:  Die Umsetzungsstrategie

John Naisbitt, Autor von "Megatrends", sagt: "Ein Wechsel wird nur dann passieren, wenn die ökonomische Notwendigkeit mit einem Wertewandel zusammenkommt, sonst nicht."

Der Systemkonflikt existiert momentan zwischen den kurzfristigen Interessen der Aktionäre und den langfristigen der Gesellschaft. TERRA bietet die Lösung dieses Interessenkonflikts; es ist eine Sicherheitsmaßnahme, ein Ersatzreifen, der erst zum Einsatz kommt, wenn er benötigt wird.

 

4. Umsetzung der TERRA-Währung: Die nächsten Schritte

Bernard Lietaer berichtet von einer Konferenz in London Anfang Juni 2000, wo sich in­ter­nationale Barter-Gesellschaften aus 15 Ländern trafen (aus Deutschland war nie­mand da), die per Internet weltweit Güter über Verrechnungskonten tauschen.

- Die Bartergeschäfte machen heute weltweit ein Viertel des gesamten Welthandels aus (ca. 670 Milliarden Dollar in 1997).

- 2/3 der größten 500 Gesellschaften der Welt machen täglich Bartergeschäfte.

- In den USA gibt es seit 1982 Gesetze für Bartergeschäfte. Man zahlt Steuern für Bartergeschäfte genauso wie für Geschäfte, die über Geldzahlungen abgewickelt werden (im Gegensatz zu Deutschland, wo es keine solche Gesetzgebung gibt).

- Die Hälfte der amerikanischen Werbespots laufen über Barter. Wenn United Airlines eine Werbekampagne bei CBS machen will, dann bezahlt sie z.B. mit Flügen.

- Es gibt in den USA bereits 600 Firmen, die Barter für Kleinkonsumenten anbieten.

- Für Barter wird zwar auch das Internet benutzt, meistens geschieht es jedoch über eine normale Buchhaltung.

- Das Bartervolumen wächst z.Zt. um das dreifache schneller als der Handel über Geld; 15 - 20 Prozent beträgt die Wachstumsrate pro Jahr.

 

Die Gründe dafür sind:

      1. Währungsinstabilität.

2. Es gibt viele Länder ohne harte Währungen. In der Mongolei gibt es z.B. keine       Dollars, also bezahlt man mit Waren.

      3. Es reduziert die Kosten für Umlaufkapital.

      4. Zusätzliche Umsätze und damit eine bessere Betriebsauslastung.

 

Das heißt: mit TERRA erfindet man nichts Neues, sondern knüpft an die Vorzüge des heu­tigen Bartergeschäfts an; sie ist eine Standardisierung von Barter.

 

TERRA funktioniert auf folgende Weise:

TERRA orientiert sich an einem bestimmten definierten Warenkorb.

Es gibt eine TERRA-Allianz, die TERRA ausgibt.

Man bekommt TERRA, wenn man eine bestimmte Ware hinterlegt. Eine Firma ver­pfän­det also ihre Lagerhaltungen. Die TERRA ist ein Lagerschein für eine Warenmenge.  Genauso wie man an Warenbörsen mit den Waren handelt in Dollar, so tut man dies dann in TERRA.

Dies läuft elektronisch.

• Das Neue an TERRA ist: die Lagerhaltungskosten werden auf den Geldhalter übertra­gen. Es gibt also eine Liquiditätsgebühr.

Die Menge der ausgegebenen TERRA muss also der Menge der produzierten Waren ent­sprechen. Mehr kann nicht ausgegeben werden. (Wenn es einen Lagerbrand oder ähnli­chen Schaden gibt, dann ist der Ausfall von einer Versicherung gedeckt.)

Wenn sich der Preis der hinterlegten Waren auf dem Weltmarkt ändert, dann än­dert sich auch der TERRA-Preis.

 

Charakteristika von TERRA:

  Sie ist eine inflationssichere Währung par excellence. Inflation wird immer gegen­über einem Warenkorb gemessen. Wenn der Warenkorb aber die Basis der Währung ist,  dann gibt es keine Inflation.

Die Annahme der TERRA ist freiwillig; sie wird nur dann angenommen, wenn sie sich als vorteilhaft erweist. Man kann auch teilweise in Dollar und in TERRA ab­rechnen.

Der TERRA-Warenkorb wird international anerkannt.

Im Bartergeschäft spielen die Banken keine Rolle (man kann z.B. keine Flüge bei der Bank hinterlegen). Wenn das Bartering durch TERRA eine standardisierte Verrechnungsbasis bekommt, dann können die Banken wieder einsteigen und TERRA-Konten anbieten (ähnlich dem heutigen ECU). Mit TERRA kommt der durch Barter verlo­rene Marktanteil wieder zu den Banken zurück.

TERRA ist ein reines Tauschmittel. Es kann nicht als Wertspeicher funktionieren. Wer sparen will, wird wieder in die nationalen Währungen gehen.

Es gibt aus der Sicht der TERRA zwei Arten von Firmen: Die Erzeuger des Warenkorbes (the backers), bzw. der Güter, die an die TERRA-Allianz verkauft werden (nicht physisch, sondern in der Form von Quittungen für den Bestand), und die Nutzer (the users) der TERRA, also Käufer und Verkäufer.

Vorteile für die Warenerzeuger: Sie verlagern die Lagerhaltungskosten auf die Geldhalter.

  Vorteile für die TERRA-Nutzer: TERRA ist ein stabiles, beständiges und inflations­freies Geld im internationalen aber auch nationalen und lokalen Zahlungsverkehr.

  Vorteile für Banken: mit TERRA gewinnen sie das Umsatzvolumen des Bartergeschäfts zurück.

 

Geld hat nach der klassischen Definition drei Aufgaben: Wertmaßstab, Austauschmittel, Wertaufbewahrungsmittel. Durch das Freigeben der Wechselkurse gibt es seit 1973 im in­ternationalen Handel kein festes Maß mehr. Dieser internationale Wertmaßstab wird durch TERRA neu geschaffen, d.h. diese Währung bringt eine neue Absicherung gegen die Risiken von Wechselkursschwankungen. Außerdem hat TERRA  eine antizyklische Wirkung, im Gegensatz zum normalen System: wenn es der Wirtschaft und einem Unternehmen gut geht, dann bekommt ein Unternehmen heute viel Geld von der Bank; wenn es der Wirtschaft und einem Unternehmen schlecht geht, bekommt es weniger Geld von der Bank. Banken fördern also betriebs- und – zu­sammengenommen - volkswirtschaftliche Schwankungen. TERRA wirkt dagegen ausgleichend bzw. antizyklisch. Wenn eine Rezession ansteht, sin­ken die Rohstoffpreise; deshalb versuchen die Rohstoffproduzenten, ihre Rohmaterialien abzu­setzen, um liquide zu bleiben und um weiter fallenden Preisen zuvor zu kommen. Nun können sie ihre Lagerhaltungen in TERRA liquidieren und ausgeben. Wenn damit mehr TERRAs zur Verfügung stehen und in Umlauf kommen, werden auch die Geschäftsaktivitäten wieder belebt.

 

Es gibt jetzt ein Projekt (unter Beteiligung eines Instituts in Oxford, des Ifo-Instituts in Deutschland und eines japanischen Instituts), das untersuchen will, wie TERRA auf die Konjunkturentwicklung der letzten 30 Jahre gewirkt hätte, wenn es sie bereits gegeben hätte. Dazu wird entweder das Oxford- oder das Fuji-Modell für Ökometrik benutzt.  Gefördert wird das Projekt von drei Stiftungen: der Gaia-Foundation aus Dänemark, der Hübner Stiftung (Kassel) und der Schweisfurth Stiftung (München). Ein weiterer Antrag auf Unterstützung liegt der Volkswagen Stiftung derzeit vor. Außerdem versucht Bernard Lietaer, eine strategische Allianz zwischen größeren Firmen aufzubauen. Der derzeitige Stand ist, daß mehrere große Konzerne in Deutschland und Japan Interesse haben, bei einem Modellprojekt mitzumachen – aber z.Z. keiner will der erste sein. Gedacht ist an ein Modell wie das der Visa-Card. Es gibt keine Visa-Zentrale, man kann keine Visa-Anteile kaufen. Visa besteht aus 20.000 Verträgen zwischen Banken und Firmen nach einem bestimmten Muster. Jede Nation hat eine Visa-Gesellschaft, die die Karten ausgibt. Wer die Visa-Regeln befolgt, kann am Visa-System teilnehmen. Genauso wie Visa aus bestimmten Regeln besteht, die von Banken und Firmen freiwil­lig befolgt werden, genauso wird TERRA für ausgebende Firmen bestimmte Regeln aufstel­len, die dann auch nicht mehr von einzelnen geändert werden können.

 

 

Antworten von Prof. Lietaer auf weitere Fragen der Teilnehmer

Die TERRA -Allianz gibt nur die Lagerscheine aus, sie kauft nicht und verkauft nicht.

• TERRA ist kein Tauschhandel, sondern es bietet nur ein anderes, besseres Währungssystem zur Verrechnung für den internationalen Handel an.

• Waren und Dienstleistungen werden in TERRA berechnet, indem man die vorhan­denen Marktpreise in DM oder Dollar auf TERRA umrechnet.

• Die TERRA hat einen Wechselkurs gegenüber anderen Währungen wie die Währungen untereinander auch.

Einwand: Der Außenwert der TERRA ist instabil, der Innenwert auch, denn wenn z.B. der Ölpreis sinkt, dann muss man mehr TERRA für Brot aufwenden. Antwort von Prof. Lietaer: Die Instabilität der TERRA entspricht nicht der Instabilität der an­deren Währungen. Sie schwankt in einem wesentlich geringerem Maße.

• TERRA allein wird die Umwelt nicht retten. Es braucht zusätzlich ein Besteuerungssystem, das alle Umweltkosten in die Preise mit einzukalkulieren hilft.

Die Vorteile von TERRA für den Kleinverbraucher bestehen vor allem in seiner Stabilität und seiner allgemeinen Geltung.

In dem Moment, wo die großen Konzerne sich entschließen, TERRA zu benutzen, wer­den sie es einfach machen; niemand wird sie daran hindern können. Für die lo­kalen Tauschwährungen hätte das eine Schutzfunktion, nach dem Motto: wenn die das können, warum sollen wir das dann nicht auch machen dürfen?

Wenn die TERRA-Allianz TERRA ausgeben will, dann muss sie die Waren besit­zen. Das heißt, wenn jemand z.B. eine große Menge Weizen hat, dann muß er diese über einen Broker an die Allianz verkaufen. Diese Waren bleiben dann solange im Lager, bis jemand diese haben will. Aber die TERRA wird immer weniger im Laufe der Jahre, weil die Lagerhaltungskosten auf die Geldhalter übertragen werden.

Einwand: Durch TERRA werden die Konzerne und die reichen Länder unterstützt, diese benötigen aber keine Unterstützung. Antwort: Ohne die Konzerne kann man die Welt heute nicht ändern. Aber durch TERRA wird das Wachstum eines Baumes konkurrenzfähig zum Wirtschaftswachstum. Und die Konzern-Manager können endlich langfristig denken, da sich dies auszahlt.

Bernard Lietaer: Das offizielle Geldsystem wird innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre zusammenbrechen. Da brauchen wir nichts dazu tun, es zerstört sich selbst. Wir können nur hoffen, daß es nicht völlig brutal passiert – es würde mehr Leid produzieren als der 2. Weltkrieg. Die Wirtschaftskrise der 30er Jahre betraf ja nur Nordamerika und Europa – Asien und Lateinamerika waren nicht betroffen. Und heute? Man stelle sich einen totalen Zusammenbruch des Dollar vor: allein Deutschland hat das Doppelte seines Sozialproduktes in Amerika investiert! Wir be­kommen aber sehr wahrscheinlich eine schwere Depression in den nächsten Jahren - dann brauchen wir ein Auffangsystem, und das soll TERRA sein.

 

Weitere Fragen und Antworten zum TERRA-System:

  Ist die Deckung einer Währung durch Waren nicht ein überholtes Konzept wie die Deckung durch Gold? – Im Gegensatz zum Gold kann die TERRA-Deckung durch alles geschehen, was einen allgemein akzeptierten Wert hat.

• Sollen wir nicht besser auf eine Kursänderung des gesamten Geldsystems hinarbei­ten, als den Bau von Rettungsbooten (lokale Geld-Systeme plus TERRA) zu betrei­ben? - Beides ist gut!

  Wann wird die Liegegebühr fällig? - Die Liegegebühr wird nie extra bezahlt, son­dern wird später beim Verkauf der Waren abgezogen. 

  Was mache ich jetzt mit meinen Schulden? - Da ist mit TERRA nichts zu machen. Wenn wir in eine schwierige Phase für unsere Währung eintreten, dann ist es wichtig, keine persönlichen Schulden zu haben.

  Wäre eine Sabotage durch das eine Prozent der Superreichen denkbar, und wie kann das verhindert werden? Wenn es möglich ist, daß diese die heutige Währung mißbrauchen, warum dann nicht auch TERRA? Zum Beispiel durch monopolisti­schen Aufkauf von Rohstoffen? - Ein monopolistischer Ankauf von Rohstoffen ist nicht machbar; die Familie Baker aus Texas hat es z.B. mit Silber versucht, ist aber gescheitert. Es gibt zuviel Konkurrenz unter den Reichen. 

  Bietet Terra auch die Möglichkeit langfristiger Kredite? Wenn nicht, dann ist nicht be­gründbar, warum es mit TERRA langfristiges Denken geben soll. - Es gibt im Moment noch keine langfristige Kreditmöglichkeit, aber die gab es auch im Hochmittelalter nicht.

  Kleine Unternehmen zahlen regelmäßig Zinsen, große Unternehmen profitieren mei­stens von Zinsen. Warum sollten die großen Unternehmen dann eine Währung ohne Zinsen einführen wollen? - Die Konzerne können beide Systeme benutzen. Wenn ihnen TERRA Vorteile bietet, dann verwenden sie es auch.

  Welche Rolle könnten der Staat und die Öffentlichkeit übernehmen, um bei den Großunter­nehmen die Akzeptanz der TERRA zu erhöhen? - Bei der Einführung des ECU waren die Deutschen besorgt, nicht den Interessen der Amerikaner zu wider­sprechen. Selbst wenn wir die Regierung in Deutschland überzeugen könnten, würde sie am Ende sagen: wir können es nicht machen. Vergesst besser die Regierungen, wenn es um eine Geldreform geht!

  Ist es ethisch vertretbar, wenn wir Güter, die gebraucht werden, horten? - Alle Güter werden wieder in den Wirtschaftskreislauf gebracht; es wird nur gelagert bis zum Verbrauch, nicht gehortet.

  Wie wird die Höhe der Lagerhaltungskosten festgelegt? – Durch die tatsächlichen Kosten der Lagerhaltung.


REFERATE

 

Die folgenden Texte stammen zum größten Teil von den jeweiligen Autoren; bei ihren Vorträgen im Lebensgarten  in Steyerberg hielten sie sich – zum Teil dem Zeitdruck ge­schuldet, zum Teil auch wegen der regen Fragen der Teilnehmer – nicht immer an ihr Manuskript. Soweit die Abweichungen wichtige Ergänzungen erbrachten, sind sie weit­ge­hend dokumentiert.


Helmut Creutz

 

Kurzbiographie:

Jahrgang 1923. Arbeitsdienst, Militärzeit, russische Gefangenschaft. Nach 1949 Techniker und Betriebsleiter in Deutschland und Rußland. Ab 1972 freier Architekt und Erfinder, Fluglehrer und Schriftsteller. Seit 1982 als Wirtschaftsanalytiker und Publizist tätig.

Seit den 60er Jahren gesellschaftspolitisch aktiv, u.a. bei Antikriegs-, Umweltschutz-, Dritte-Welt- und Wählerinitiativen. 1979/80 Mitbegründer der Alternativen Liste und der Grünen in Aachen und NRW.

 

 

Helmut Creutz versuchte in seinem Vortrag, Klarheit zu bringen in die unterschiedli­chen Begriffe, Funktionen, Größenordnungen und Zusammenhänge, denen wir in der umfassen­den Thematik GELD immer wieder begegnen. Der Teil seines Referates, der sich mit dem Buch von Bernard Lietaer und im besonderen mit der Theorie der multi­plen Geldschöpfung durch die Banken beschäftigte, findet sich in einem gesonderten Kapitel auf Seite 64.

 

 

 

 

 

 

Helmut Creutz

 

MONETÄRE  GRÖßENORDNUNGEN  UND  ZUSAMMENHÄNGE

 

Der Bereich Bargeld, Nachfrage, Ersparnisse, Kredite und Wirtschaftsleistung

Weil über die Größen und Zusammenhänge im Bereich der geldbezoge­nen Bestände und Vorgänge oft nur vage Vorstellungen bestehen, wird in der Darstellung der Versuch ge­macht, sie einmal optisch zu veran­schaulichen. Bezogen auf die deutschen Gegebenheiten des Jah­res 1997, sind darum in der Grafik die absoluten Beträge sowohl in Mrd. DM als auch in den jeweiligen Flächengrößen wiedergegeben.

 

Der Balken A am Kopf der Grafik steht dabei für die Bargeld­menge, die von der Bundesbank insgesamt herausgegeben wurde. Dar­unter, in Feld B, sind die Zentralbankgeldguthaben eingetragen, die von den Banken als Liquiditätspuffer bzw. - soweit vorge­schrieben - als Mindestreserven bei der Notenbank gehalten werden müs­sen. Diese Zentralbankgeldguthaben sind vor allem für die Ab­wicklungen aller Geschäfte zwi­schen den Banken erforderlich. Sie erfüllen also - gewissermaßen auf ei­ner höheren  Ebene - eine ähn­liche Aufgabe wie die Sichtguthaben der Bankkunden für deren Ge­schäftsabwicklungen. Zusammen mit dem Bargeld werden diese Zen­tralbankgeldguthaben als Zentralbankgeldmenge, Geldbasis oder Geldmenge MO (M Null!) zusammen gefaßt.

 

 

Wie die Aufteilung des Balkens A erkennen läßt, wurden die in Deutschland in Umlauf ge­setzten Bargeldbestände zu knapp zwei Dritteln über Kredite an die Banken herausgege­ben. Das restliche Drittel ist durch Direktgeschäfte der Bundesbank in den Wirt­schaftskreislauf geflossen, vor allem durch Ankäufe von Gold, De­visen und Wertpapieren. Soweit über die Banken in Umlauf gebracht, ist das Geld über die Bankkassen (C) gelau­fen, in denen etwa zehn Prozent der ge­samten Bargeldmenge als Puffer gehalten werden. Die übrigen 90 Prozent des Bargeldes befinden sich in den Händen der Nichtbanken (D). Diese erwirtschaf­ten damit (soweit nicht für kürzere oder längere Zeit gehortet), direkt oder indirekt über Umwandlungen in Giralgeld, jedes Jahr das sogenannte Bruttosozial- oder Bruttoin­landsprodukt (BSP/BIP), das größenmäßig mit der unteren Fläche E wiedergege­ben ist. Dabei läuft das bei den Banken nachge­fragte Bargeld meist nur einmal in der Wirtschaft um, da es von den Emp­fängern über­wiegend am glei­chen Abend wieder bei den Banken auf den Girokonten bzw. Sicht­guthaben (Fläche E) eingezahlt wird. Außer für den Zweck unbarer Zahlungsabwicklungen, müssen die Sichtguthaben auch als eine Art Ansparbec­ken für längerfristige Anlagen gesehen werden, immer mehr aber auch als Spekulations­kasse.

 

Die Ergebnisse längerfristiger Ersparnisse spiegeln sich in der Fläche G wider, die al­ler­dings nur die bei Banken angesammelten Geldvermögensbestände wiedergibt. Die ge­samten deutschen Geldver­mögen, zu denen auch Versicherungs- und Fondseinlagen so­wie Aktien gezählt werden, lagen in dem herangezogenen Jahr - wie in Klammern ange­führt - mit rund 8.800 Mrd. DM um rund ein Drittel höher. Die in der Grafik wie­dergegebenen Relationen lassen die geringe Größe der Bargeld- bzw. Zentralbankgeldmenge deutlich werden, die jedoch die Grundlage aller monetären Vorgänge und Größen in der Wirt­schaft ist. Dabei ist zu beachten, daß die Zentralbankgeld­menge etwa im Gleichschritt mit der Wirtschaftsleistung zunimmt, die Er­sparnisse und Geldvermögen des Publikums jedoch drei- bis viermal rascher, so daß die Größen zwischen Geld- und Guthabenbe­ständen immer mehr auseinanderdriften.

 

 

Geldmenge und Geldvermögen

Trotz ihrer unterschiedlichen Funktionen werden Geld und Geldgut­haben immer noch miteinander verwechselt bzw. gleichgesetzt. Ihre Unverwechselbarkeit geht jedoch be­reits aus ihrer Entstehung und ihren Auswirkungen hervor: Die Menge des Geldes (also der Zahlungsmittel), hängt letztlich von den Aktivitäten der geldausgebenden Notenbank ab, die sich zum Erhalt der Geldkaufkraft an der Entwicklung der wirt­schaftlichen Leistung ori­entieren muß.

 

Die Menge des Geldvermögens (also der Ersparnisse) hängt von den Aktivitäten der Marktteil­nehmer ab, ebenso die Menge der Er­sparnisse, die sie anderen - direkt oder über Banken - als Kredite überlassen. Durch diese Überlassungen werden die Ersparnisse zu Guthaben, denen in gleicher Höhe Rückzahlungsverpflichtungen ge­gen­über stehen. Auf die Geldkaufkraft und die Nachfrage in der Wirtschaft haben diese Geldüberlassungen keine Auswirkungen, wohl aber auf den Grad der Verschuldung und auf die Geldvermögenskon­zentrationen.

 

Die Unterschiede zwischen Geld und Guthaben gehen aber nicht nur aus ihren unter­schiedlichen Funktionen hervor, sondern auch aus ihren Entwicklungen und Größen. In der Darstellung sind diese Entwicklungen in Deutschland - in Fünfjahresabständen und Prozen­ten des BSP - wiedergegeben. Wie daraus zu entnehmen, sind die Geldüberlassungen an Banken von 1950 bis 1998 auf mehr als das Sechsfache angestie­gen. Während die Marktteilnehmer (lt. Bundesbank: "Nichtbanken", lt. EZB: "Publikum") 1950 erst Ersparnisse in Höhe von knapp 30 Prozent des BSP bei den Banken unterge­bracht hatten, lagen diese Bestände 1998 mit 190 Prozent gut beim Sechsfachen des Anfangsbestandes und damit fast beim Doppelten der Leistungsgröße.  Die im gleichen Maßstab zwischengeschobenen Entwicklungen der Zahlungsmittel be­wegten sich dagegen - zusammengefaßt in der Geldmenge M1 - bis 1985 schwankend zwischen 16 und 18 Prozent praktisch auf gleichbleibender Höhe. Erst in der zweiten Hälfte der 80er Jahre und vor allem in den 90er Jahren stiegen sie bis auf etwa 27 Prozent und damit um die Hälfte an.

 

 

 

 

Für diese überproportionale Zunahme der Geldmenge war - wie er­kennbar - die Ausweitung der Giralgeldmenge verantwortlich. Deren Anstieg wiederum dürfte in er­ster Linie mit den Eskalationen an den Börsen zusammenhängen, die zwangsläufig mit größe­ren Bestands­haltungen in den Spekulationskassen verbunden waren. Da diese zu­sätzli­chen Kassenhaltungen jedoch nicht der normalen Nachfrage dienen, ist damit auch kein inflationärer Einfluß auf die allge­meine Kaufkraft des Geldes gege­ben. Eher ist das Gegenteil der Fall, da diese Kassen zu Lasten der übrigen Bankeinlagen aufge­füllt wur­den und somit Kaufkraft aus dem Kreditsektor entzogen ha­ben.

 

Betrachtet man jetzt die Bargeldmenge, dann wird erkennbar, daß diese bis in die 70er Jahre von etwa acht auf etwas über fünf Prozent des BSP zurückging, während die Giralgeldmenge leicht zu­nahm. Ab 1970 verblieb die Bargeldmenge relativ konstant knapp über fünf Prozent, um dann vor und nach 1990 nochmals etwas anzu­steigen. Ursache dieser Anstiege dürften die zunehmenden DM-Bar­geldhaltungen im Ausland ge­wesen sein, vor allem in Jugoslawien und den ehemaligen Ostblockstaaten.

 

 

Auswirkungen der Zinshöhe auf die Geldhaltung

Der enge Zusammenhang zwischen den Geldhaltegewohnheiten und den Schwankungen der Zins- und Inflationsrate wird erkennbar, wenn man die Entwicklungen über längere Zeiträume verfolgt. Besonders deut­lich treten diese Beziehungen hervor, wenn man dabei - wie in der Darstellung geschehen - die jährlich sich verändernden Werte der verschie­denen Geldmengen und Zinsraten übereinander schiebt.

 

Im unteren Teil der Darstellung wurden in die Zinsschwankungen auch noch die Veränderungen der Lebenshaltungskosten, also die In­flationsraten, eingeblendet. Daraus wird ersichtlich, in welchem Maß die Zinsschwankungen von jenen der Preise beeinflußt werden. Konkret: In welchem Umfang sich die Sparer auf Kosten der Allgemein­heit gegen inflationsbedingte Verluste absichern. Die im oberen Teil der Darstellung wiedergegebenen Schwankungen der Geldmengen-Bestandsveränderungen wiederum lassen die Verände­rungen der Liquiditätsvorliebe er­kennen, die mit sinkenden Zins- und Inflationsraten ab- und mit steigenden zu­nimmt. Besonders deut­lich wird das, wenn man einmal die Höchst- und Tiefstpunkte beider Kurvenverläufe miteinander vergleicht. Aus der Darstellung geht ebenfalls der relativ hohe Rückgang der Bargeldmenge in den 60er Jahren hervor und der dadurch be­dingte schwächere der Geldmenge M1, in der ne­ben dem Bargeld auch die Sichtgut­haben enthalten sind. Ebenso ist die relative Stabili­tät in den anschließenden 15 Jahren bis 1985 ersichtlich, in denen die Bargeldbestände um den Satz von 5,5 Prozent des BSP schwankten und die Sätze von M1 um 17 Pro­zent. Mit dem deutlichen Einbruch der Zins- und Inflationsraten in der zweiten Hälfte der 80er Jahre und noch einmal Mitte der 90er Jahre, kam es dann zu zwei steilen Anstiegen bei­der Geldmengen. Dieser Anstieg wurde beim Bargeld durch die damaligen Zunahmen der DM-Haltungen im Ausland noch überzeichnet. Die ebenfalls übermäßige Zunahme der Geldmenge M1 dürfte dage­gen mit den Entwicklungen an den Bör­sen und den damit einhergehenden Ausweitungen der Spekulationskas­sen im Bereich der Sichtguthaben zu erklären sein.

 

Insgesamt geht aus der Gegenüberstellung noch einmal hervor, welche Bedeutung einer Stabilisierung der Kaufkraft für die Zins­höhe zukommt und über diese wiederum für die Schwankungen der Geldhaltung. Da nach übereinstimmenden Erfahrungen der Deutschen Bundesbank wie auch der Schweizerischen Nationalbank den überpro­portio­na­len Ausweitun­gen der Geldmenge nach etwa zwei bis zweiein­halb Jahren ein erneu­ter Inflationsschub folgt, ist der nächste Inflations- und Zinsan­stieg also mit jeder Geldmengenausweitung gewissermaßen vorpro­grammiert, damit aber auch die ent­spre­chenden Folgen für die Konjunktur und den Arbeitsmarkt. So lange also die Notenbanken die wiederkehrenden übermäßigen Liquiditätshaltungen nicht verhin­dern können und mehr Geld heraus­geben als auf Grund der Wirtschaftsentwicklung eigentlich zu ver­antworten ist, werden wir an den sich wiederho­lenden konjunkturel­len Wechselbädern nicht vorbeikommen.

 

 

Größen und Zusammensetzung der Zinsströme im Bereich der Banken

Zur Vermittlung dieser Größen sind in der Darstellung die Gege­benheiten der deutschen Banken aus dem Jahr 1986 herangezogen wor­den, einem Jahr, in dem die Inflation prak­tisch bei Null lag und damit die Real- und Nominalzinsen weitgehend identisch waren. Die Flächen in der Grafik geben in etwa optisch auch die jeweiligen Größen wie­der, die von der Deutschen Bundesbank für 1986 in Mrd. DM ausgewiesen wurden.

 

 

 

 

 

 

Die gesamte Fläche A entspricht dabei den Zinserträgen der Ban­ken in Höhe von 231 Mrd. DM, die wiederum mit den von der Wirt­schaft aufzubringenden Kre­ditzinslasten iden­tisch sind. Die Fläche B steht mit 161 Mrd. DM für die Zinsbeträge, die von den deut­schen Banken an ihre Kunden aus­geschüttet wurden. Die Differenz von 70 Mrd. DM schließlich gibt den Betrag wieder, der bei den Banken als Bankmarge ver­blieb. Bezogen auf die Zinserträge lag diese Bankmarge also bei 30 Prozent, einem Satz, der bei höheren Nomi­nalzinsen durchweg niedriger ist und langfristig um 25 Prozent schwankt. Die in der Darstellung eingetragenen Abstufungen geben in der Breite je­weils die Laufzeit-Anteile der Einla­gen- bzw. Kreditbe­stände wieder, die auf den hori­zontalen Maßli­nien abgetragen sind. Die Höhe der Abstufungen stehen für die un­ter­schiedlichen Durch­schnittszinssätze dieser Anteile.

 

Wie zu erkennen, stimmen die Laufzeiten der Kredite nicht mit jenen der Einlagen über­ein. Konkret: Ein Teil der Kredite wird längerfristiger vergeben, als es den Einlagezeiten entspricht. Da aber die tatsächlichen Einlagezeiten die vereinbarten durchweg deutlich übersteigen (Spareinlagen mit dreimonatiger Kündigungs­frist lie­gen im Schnitt länger als ein Jahr auf den Konten!), ist diese sogenannte Fristentransformation weitgehend unbe­denklich und von der Bankenaufsicht gestattet. Zu Schwierigkeiten könnte es je­doch dann kommen, wenn die Banken bei einem Ansturm der Sparer die Einlagen rascher auszahlen müssen, als sie das Geld von den Kre­ditnehmern zurückerhalten, sofern das überhaupt in solchen Kri­senlagen, in denen jeder sein Geld festhält, möglich ist.

 

Aus den Höhendifferenzen im Bereich C ist auch gut zu erkennen, in welchem Maße die Bankmarge mit den Laufzeiten der Einlagen und Kredite geringer wird, oder anders aus­gedrückt: daß die Zinsen bei den kurzfristigen Kreditaufnahmen die höchsten und bei den kurz­fristigen Einlagen die niedrigsten sind. Die sich daraus erge­bende große Bankmarge spiegelt sowohl den höheren Arbeitsaufwand bei solchen Kurzläufern wider als auch das meist höhere Risiko. Bei den überwiegend vertretenen Langläufern dage­gen sinkt die Bankmarge durchweg auf ein Prozent der Kreditsummen ab. Weder in der oft als Problem beschworenen Fristentransformation noch in der lohnkosten­dominier­ten Bankmarge liegen also die ei­gentlichen Probleme unseres Geld- und Kreditsystems. Vielmehr re­sultieren diese einmal aus dem Tat­bestand, daß die Guthabenzinsen - auch in inflations­freien Zeiten und bei gesättigten Kapitalmärk­ten - nicht marktge­recht ge­gen Null absinken, zum zweiten daraus, daß aufgrund dieser über Null verbleibenden Guthabenzin­sen die Geldvermögen und mit ihnen die Kredite und Zinsströme ständig zu­nehmen. In welchem Maße das der Fall ist, zeigt sich an den kon­kre­ten Zahlen: Von 1986 bis 1998 sind in Deutsch­land die Zinser­träge der Banken von 231 auf 603 Mrd. DM an­gestiegen, also um 161 Prozent, während das Sozialprodukt nur um 94 Prozent zugelegt hat.

 


Professor Dr. Eckhard Grimmel

 

Kurzbiographie:

Jahrgang 1941

Schule            1948 – 1960 in Niedersachsen

Studium           1960 – 1968 in Hamburg (u.a. Geographie, Geologie, Philosophie, Anglistik)

Schuldienst       1968 – 1970 in Hamburg

Universitätsdienst      ab 1970

Promotion         1971 über “Geomorphologische Untersuchungen in der nordöstl.

Lüneburger Heide”

Professur         seit 1977 am Institut für Geographie der Universität Hamburg

Forschungsgebiete u.a.: Endlagerung radioaktiver Abfälle; Behandlung nichtradioaktiver Abfälle; seismische Gefährdung kerntechnischer Anlagen; Grundlagen einer umwelt- und sozial­verträglichen Ökonomie.

 

Prof. Grimmel erklärt zunächst, daß er mit gewissen Hemmungen die Einladung zu diesem Expertengespräch angenommen habe, sei er doch kein Wirtschaftsfachmann, sondern eher ein kritischer Frager auf diesem Gebiet. So habe er sich schon seit länge­rem Gedanken ge­macht, wie eigentlich das Geld in die Welt komme, wer es schöpft, wer es verteilt, und nach welchen Prinzipien dies geschieht. Bei der Klärung dieser Frage, zu deren Beantwortung Prof. Grimmel sich Grundgesetz, Bankgesetz und Rechtswörterbuch zu Hilfe nahm, kamen ihm immer mehr Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit der Zentralbanken auf der Welt. Im Folgenden führt Prof. Grimmel seine Gedanken am Beispiel Deutschlands aus.

 

 

 

 

Eckhard Grimmel:

ZUM RECHTSSTATUS DER DEUTSCHEN BUNDESBANK UND DER EUROPÄISCHEN  ZENTRALBANK

 

Ist die Deutsche Bundesbank eine staatliche oder eine private Institution?

Leider kann diese einfache Frage nicht eindeutig beantwortet werden. Denn der Gesetzgeber  der Bundesrepublik Deutschland hat es versäumt, den Rechtsstatus der so genannten Deutschen Bundesbank eindeutig festzulegen, was mit der folgenden Begriffsanalyse belegt werden kann:

 

Der Bund errichtet eine Währungs- und Notenbank als Bundesbank. Ihre Aufgaben und Befugnisse können im Rahmen der Europäischen Union der Europäischen Zentralbank übertragen werden, die unabhängig ist und dem vorrangigen Ziel der Preisstabilität ver­pflichtet  (Grundgesetz, Artikel 88).

 

Die Deutsche Bundesbank ist eine bundesummittelbare juristische Person des öffentli­chen Rechts. Ihr Grundkapital im Betrage von zweihundertneunzig Millionen Deutsche Mark steht dem Bund zu. .....(Gesetz über die Deutsche Bundesbank, § 2).

 

Eine juristische Person ist eine Personenvereinigung oder ein Zweckvermögen mit vom Gesetz anerkannter rechtlicher Selbständigkeit. .....

Über das Wesen der juristischen Person ..... herrscht viel Streit. .....

Man unterscheidet juristische Personen des Privatrechts und des öffentlichen Rechts. .....

Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind Rechtsubjekte, die auf öffentlich-rechtli­chem und auf privatrechtlichem Gebiet Rechtsfähigkeit besitzen. .....

(Rechtswörterbuch, S. 704-706).

 

Grundkapital ist der bei der Gründung einer Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien von den Aktionären mindestens aufzubringende Kapitalbetrag...... (Rechtswörterbuch, S. 591).

 

Die Deutsche Bundesbank ist verpflichtet, unter Wahrung ihrer Aufgabe die allgemeine Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zu unterstützen. Sie ist bei der Ausübung der Befugnisse, die ihr nach diesem Gesetz zustehen, von Weisungen der Bundesregierung unabhängig. (Gesetz über die Deutsche Bundesbank, § 12).

 

Die Deutsche Bundesbank hat das ausschließliche Recht, Banknoten im Geltungsbereich dieses Gesetzes auszugeben. ..... Sie sind das einzige unbeschränkte gesetzliche Zahlungsmittel. ..... (Gesetz über die Deutsche Bundesbank, § 14).

 

Die Deutsche Bundesbank darf mit Kreditinstituten im Geltungsbereich dieses Gesetzes folgende Geschäfte betreiben: 1. Wechsel und Schecks kaufen und verkaufen, ..... (Anm.: insgesamt 9 Punkte) (Gesetz über die Deutsche Bundesbank, § 19).

 

Kreditinstitute sind ..... Unternehmen, die Bankgeschäfte gewerblich oder in einem Umfang betreiben, der einen  in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert. .....

(Rechtswörterbuch, S. 775).

 

Aus der obigen Begriffsanalyse ergibt sich eindeutig, daß die Rechtsposition der Deutschen Bundesbank nicht eindeutig und deshalb korrekturbedürftig ist: Teils er­scheint die Bundesbank im Gewand einer Behörde, teils im Gewand einer Personenvereinigung, teils im Gewand einer Aktiengesellschaft, teils im Gewand eines Monopolunternehmers, der Banknoten produziert, und teils im Gewand eines Händlers, der mit privaten Banken Geschäfte betreibt.

 

Prof. Grimmel erinnerte dann an einen der zentralen Vorschläge Gesells, der bereits 1892 eine Verstaatlichung des Geldes forderte, da Geldschöpfung, Umlaufsicherung und Mengensteuerung nur vom Staat sicher gestellt werden könne. Die Reichsbank sollte in ein Reichswährungsamt umgewandelt werden, das Geld bei einem Überschuß einzieht, bei ei­nem Mangel über den Finanzminister ausgibt, der es durch Steuerreduzierung an die Bevölkerung weitergibt. Das Währungsamt selbst solle keine Geldgeschäfte betrei­ben – man bräuchte also keine große Behörde, sondern nur jemand, der den Geldbedarf berechnet, sowie „eine Geldpresse (für das neue) und einen Ofen (für das alte Geld)“. In dieser Richtung zu arbeiten, hält Eckhard Grimmel für wichtiger als die Entwicklung komplemen­tärer Währungen.

 

Zur heutigen Situation meinte Prof. Grimmel weiter:

Leider macht es keinen Sinn mehr, wenn sich der deutsche Gesetzgeber jetzt bemühen würde, die rechtlichen Defizite der Deutschen Bundesbank zu beseitigen, da mit Ablauf des Jahres 1998 die Zuständigkeit für die deutschen Währungsangelegenheiten an die Europäische Zentralbank abgetreten worden ist. Jetzt ist der Gesetzgeber der Europäischen Union aufgerufen, die rechtlichen  Grundlagen für ein wirtschafts- und gesellschaftsverträgliches Funktionieren der Euro-Währung zu schaffen. Dazu bräuchten nur die folgenden Vorgaben gesetzlich verankert zu werden:

 

A. Die  Europäische Union errichtet eine staatliche Notenbank, die den Namen “Europäische Zentralbank” trägt.

 

B. Die Europäische Zentralbank steht unter der Aufsicht des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rechnungshofs.

 

C. Die Europäische Zentralbank hat folgende Aufgaben:

      1.   Geldschöpfung

      2.   Geldmengenregulierung

      3.   Geldumlaufsicherung

      4.   Spargeldannahme

      5.   Kreditgeldvergabe

      6.   Geldüberweisung

      7.   Wechselkursregulierung

 

D. Die Europäische Zentralbank hat die unter C. aufgeführten Aufgaben folgender­ma­ßen zu erfüllen:

 

1.   Geldschöpfung

Die Europäische Zentralbank gibt Bargeld schulden- und zinsfrei entweder an die Regierungen der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union aus oder verteilt es als Kopfgeld gleichmäßig auf die Bevölkerung der Mitgliedsstaaten oder hält es als Kreditgeld verfügbar.

 

2.   Geldmengenregulierung

Die Europäische Zentralbank hält den durchschnittlichen Preisstand auf Dauer fest, indem sie die umlaufende Geldmenge vermehrt oder vermindert, je nach­dem, ob die vom Europäischen Amt für Statistik ermittelten Preisindizes Neigung zum Sinken oder zum Steigen aufweisen.

 

3.   Geldumlaufsicherung

Die Europäische Zentralbank sichert den stetigen Umlauf des Geldes, indem sie regelmäßig oder unregelmäßig, häufiger oder seltener - je nach Erfordernis und Erfahrung - bestimmte Geldstückelungen (z.B. 500-Euro-Scheine) oder be­stimmte Serien solcher Stückelungen zum Umtausch gegen neue Banknoten aufruft und  Geldumtausch-, d.h. Geldhortungsgebühren erhebt.

 

4.   Spargeldannahme

Die Europäische Zentralbank nimmt Spargelder gebührenfrei an und zahlt diese auf Wunsch gebührenfrei wieder aus. Geldhortungsgebühren werden auf Spareinlagen nicht erhoben. Zinsen werden nicht gewährt.

 

5.   Kreditgeldvergabe

Die Europäische Zentralbank vergibt aus Spargeldern und Bargeldschöpfungen zinsfreie Kredite, erhebt aber kostendeckende Verwaltungsgebühren. Eine „Giralgeldschöpfung“ ist nicht zulässig, wohl aber Giralgeld mit 100 %iger Bargelddeckung.

 

6.   Geldüberweisung

Die Europäische Zentralbank führt Geldüberweisungsaufträge aus und erhebt dafür kostendeckende Verwaltungsgebühren.

 

7.   Wechselkursregulierung

Die Europäische Zentralbank setzt innerhalb angemessener Zeitabschnitte die Wechselkurse des Euro gegenüber anderen Währungen unter Beachtung der Produktivitätsentwicklungen im Einvernehmen mit den zuständigen Notenbanken fest.

 

E. Die bisherigen privaten Geschäftsbanken in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union können als Filialen der Europäischen Zentralbank in die staatliche Geldverwaltung integriert werden.

 

Seine Vorschläge hat Prof. Grimmel der europäischen Kommission als offenen Brief vorge­legt; in der Antwort hieß es u.a., daß sie „sehr weitreichend“ seien, und daß sie zu „tiefgreifenden Veränderungen“ führen würden. Die Kommission steht aber auf dem Standpunkt, daß sich die vorhandene Geldverfassung bewährt hat und es keinen Grund gebe für eine solch weitreichende Veränderung.

Das europäische Parlament hat über seinen Petitionsausschuß mitgeteilt, daß sie die „äußerst interessante“ Petition an den Ausschuß für Wirtschaft und Währung weiter­geleitet hat.

 

 

LITERATUR:

Bankrecht (1997), 25. Aufl., München (Beck).

Gesell, Silvio (1916): Die Natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld. 10. Aufl., Lauf (Zitzmann).

Grimmel, Eckhard (1999): “Forderung an den Gesetzgeber: Artikel 88 (Bundesbank) des Grundgesetzes korrigieren!” - Der Dritte Weg, 30, Heft 12, S.22-24, Treuchtlingen.

Grimmel, Eckhard (2000): “Das Geld muß verstaatlicht werden! Anmerkungen zum Freigeld Silvio Gesells” - Der Dritte Weg, 31, Heft 5, S. 24-25, Treuchtlingen.

Grundgesetz (1999), München (Beck-dtv).         

Rechtswörterbuch (1999), 15. Aufl., München (Beck).

 

 

 

 

 

 


Univ.-Doz. Mag. Dipl.Ing Dr. Erhard Glötzl

 

Kurzbiographie:

Geboren 1948 in Wels. Studium an der Universität Wien, Hauptfach Chemie, Nebenfach Physik; Studium Technische Mathematik an der Universität Linz; von 1972 bis 1981 Universitätsassistent am Mathematischen Institut der Universität Linz; Habilitation in technischer Mathematik an der Universität Linz. Von 1981 bis 1992 Leiter des Amtes für Umweltschutz der Stadt Linz und damit maßgeblich mitverantwortlich für die umwelt­mäßige Sanierung der Linzer Großindustrie. Seit 1992 Technischer Vorstandsdirektor der SBL ‑ Stadtbetriebe Linz GmbH. Nebenberuflich längere Zeit Lehrtätigkeit an der Pädagogischen Akademie (Chemie) und an der Universität Linz (Betriebliche Umweltinformationssysteme).

 

 

Zu Beginn seines Referates berichtete Dr. Erhard Glötzl folgende kurze Anekdote von einer Begegnung mit dem damaligen österreichischen Vizekanzler Schüssel während des Wahlkampfes 1995:

 

Als ich den Vizekanzler, der immer soviel vom "Sparen, sparen, sparen" redete,

zufällig auf der anderen Straßenseite sah, ging ich zu ihm und sprach ihn an:

"Herr Vizekanzler, sind Sie bereit für ein kurzes intellektuelles Gespräch?" -

Die Antwort: "Ja".

"Herr Vizekanzler, wenn ich Ihnen 1.000 Schilling gebe, dann

haben Sie 1.000 Schilling Schulden, und ich habe 1.000 Schilling Guthaben. Stimmt das?" -

Die Antwort: "Ja."

"Herr Vizekanzler, also: Die Gesamtheit der Guthaben ist immer gleich hoch wie die Gesamtheit der Schulden!" - Die Antwort: "Na ja, na ja..."

"Also: Wenn wir die Gesamtheit der Schulden vermindern wollen, geht das nur, wenn gleichzeitig auch die Gesamtheit der Guthaben vermindert wird." - "Ja, so ein Blödsinn."

"Herr Vizekanzler, aber das steht doch auf der ersten Seite in den Lehrbüchern, daß sich die Buchhaltung immer ausgehen muß!" -

Der Vizekanzler zu seiner Begleitung: "Nein, nein - gell, Herr Landeshauptmann, das ist wirklich ein Blödsinn, was der sagt!"

Inzwischen ist Herr Schüssel Bundeskanzler.

 

In seinem Vortrag erklärte Dr. Glötzl, daß es analog der Wärmelehre in der Physik auch in der Volkswirtschaft zwei Hauptsätze gäbe: 1. Die Gesamtheit der Schulden ist gleich hoch wie die Gesamtheit der Guthaben. 2. Beide Gesamtheiten nehmen im beste­henden geschlos­senen Geldsystem stets zu.  Zudem definierte er das Fundamentalparadoxon über die Ohnmacht der Schuldner, welches lautet: die Höhe der Schulden wird nicht durch die Schuldner, sondern durch die Gläubiger bestimmt. Dazu im Detail:


Erhard Glötzl:

 

WELCHE  PROBLEME  KÖNNEN  KOMPLEMENTÄRWÄHRUNGEN  LÖSEN?

 

1.    Geld

Die Voraussetzung für materiellen Wohlstand ist eine arbeitsteilige Wirtschaft. Eine Arbeitsteilung ist aber nur dann effizient, wenn Leistung und Gegenleistung zu ver­schiedenen Zeiten (und an verschiedenen Orten) stattfinden können[3], was gleichbe­deu­tend mit der Möglichkeit zur Begründung von Schuldverhältnissen ist. Diese sind aber nur dann möglich, wenn der Leistungserbringer darauf vertrauen darf, daß er für seine Leistung auch eine entsprechende Gegenleistung erhält[4].

 

Dieses Vertrauen kann gestärkt werden durch

-     soziale Bindungen im allgemeinen oder

-     ein Kreditwesen im besonderen.

 

Ein Kreditwesen ist dadurch charakterisiert, daß Leistungen und Gegenleistungen in Maßsystemen gemessen werden können. Die einfachsten Systeme beruhen auf dem Messen von Warenmengen (z.B. Anzahl von Schafen, Kilogramm Weizen, Stunden Arbeitsleistung usw.).

 

Ein Kreditwesen ist dann besonders effizient, wenn es mit einem einzigen Meßsystem auskommt, das geringe Transaktionskosten hat und in dem alle Leistungen gemes­sen werden können. Ein solches Tauschmittel nennt man Geld.

 

2.    Die Unterlegenheit der Schuldner in einer “Geld”-Wirtschaft

Das wesentlichste Kriterium, durch das die verschiedenen arbeitsteiligen Wirtschaftsformen charakterisiert sind, ist daher die Art, wie Schulden gemessen wer­den und damit die Art, in der Schulden zurückgezahlt werden können und müs­sen:

-     soziale Schulden

-     Warenschulden

-     Geldschulden (bzw. Tauschmittelschulden)

 

      Dabei ist zu beachten, daß die Guthaben als Gegenstück zu den Schulden immer gleichzeitig mit den Schulden und immer in gleicher Höhe wie die Schulden ent­stehen (1. Hauptsatz der Volkswirtschaftslehre).

 

In einer “Sozial”-Wirtschaft entstehen durch soziale Leistungen (z.B. Nachbarschaftshilfe) soziale Guthaben und soziale Schulden (die in der Regel nicht ge­messen sondern nur beschrieben werden können). Es steht in der Macht des Schuldners, seine sozialen Schulden durch soziale Leistungen zu tilgen.

 

In einer “Waren”-Wirtschaft entstehen durch Warenleistungen Warenguthaben und Warenschulden. Die Warenguthaben werden dabei in der Form von Warengutscheinen gemessen und stellen Ansprüche bzw. Forderungen auf Waren dar. Es steht in der Macht des Schuldners (durch Fleiß), diese Waren zu erzeugen und die Schulden damit zu tilgen.

 

Im Gegensatz zu “Sozial”-Wirtschaft und “Waren”-Wirtschaft ist die Situation in einer “Geld”-Wirtschaft um eine Stufe komplexer, woraus sich schwerwiegende Konsequenzen ableiten. Volkswirtschaftliche Leistungen werden in Geld gemessen. Geld stellt einen Anspruch auf entsprechende volkswirtschaftliche Gegenleistungen dar. In der zweiten wesentlicheren Stufe wird Geld verliehen. Dabei entstehen Geldguthaben und Geldschulden; Geldguthaben stellen Ansprüche bzw. Forderungen auf Geld dar. Im Gegensatz zur “Sozial”-Wirtschaft und “Waren”-Wirtschaft, in denen der Schuldner allein durch seinen Fleiß die Schulden tilgen kann, weil die Einheit, in der die Schulden gemessen werden, unmittelbare volks­wirtschaftliche Leistungen sind, steht es in der “Geld”-Wirtschaft nicht allein in der Macht des Schuldners, seine Geldschulden durch Erbringung von volkswirtschaftli­chen Leistungen zu tilgen, weil die Einheit, in der die Schulden gemessen und da­her auch bezahlt werden müssen, Geld ist.

 

Der Schuldner muß nämlich zuerst einen Abnehmer finden, der bereit ist, für seine Leistungen Geld zu bezahlen. Diese Tatsache bezeichnen wir als die Unterlegenheit der Schuldner. Die herkömmliche Ökonomie geht aber von dem Dogma aus, daß es aus­schließlich eine Frage des Preises ist, daß er einen Abnehmer für seine Leistungen findet. Diese Annahme ist vielleicht noch in einer jungen, von Mangel geprägten Volkswirtschaft zulässig, in der die Kapitalvermögen noch niedrig sind, oder in einer Volkswirtschaft ohne zinsbedingte Kapitaleinkommen. Unter den heutigen Umständen ist dieses Dogma aber keines­falls richtig bzw. zulässig.

 

3.    Zinsen

Der Hauptgrund, warum eine Diskussion über Zinsen im Rahmen der traditionellen Volkswirtschaft sehr schwierig zu führen ist, liegt darin, weil herkömmlich

-     nicht konsequent zwischen Habenzinsen und Sollzinsen unterschieden wird

-     nicht konsequent zwischen erwünschten Funktionen und unerwünschten     Auswirkungen von Zinsen unterschieden wird und

-     die Möglichkeit der Entkopplung von Habenzinsen und Sollzinsen nicht in     Betracht gezogen wird (Kreditgebühr!)

 

Die erwünschte und notwendige Funktion der Habenzinsen ist die Aufrechterhaltung des Geldkreislaufes. Der Habenzins ist der Anreiz dafür, daß Geld, wenn es nicht durch Kaufvorgänge weitergegeben wird, durch Verleihen wei­tergegeben wird und so­mit nicht durch Hortung ("Halten von Realkassa") dem Geldkreislauf entzogen wird.

 

Eine zweite wesentliche positive Eigenschaft von Habenzinsen besteht darin, daß sie in einer Marktwirtschaft die Voraussetzung sind, daß Arbeitsteilung in hohem Umfang und langfristig möglich ist. Denn diese setzt die Möglichkeit der Bildung von hohen und langfristigen Schulden voraus, was ohne Habenzinsen kaum mög­lich ist. Die uner­wünschte Auswirkung positiver Habenzinsen ist, daß sie zu positiven Rückkopplungen, exponentiellem Wachstum und damit langfristig zwingend zu Destabilisierung von Ökonomie, Politik, Ökologie und Sozialbereich führen.

 

Die erwünschte und notwendige Funktion der Sollzinsen ist es, einen sparsamen Umgang mit knappen Ressourcen zu erzielen. Würden die Sollzinsen nämlich Null werden, würde sich jedermann beliebig viel Geld ausleihen oder es müßte die Kreditverteilung unter Ausschaltung eines Marktes rationiert werden. Dieser wichti­gen Funktion der Sollzinsen wird meines Erachtens in der klassischen Freiwirtschaftslehre zu wenig Beachtung geschenkt. Dies ist einer der Gründe, warum die Freiwirtschaft von der traditionellen Volkswirtschaftslehre weitgehend ab­gelehnt wird.

 

Die unerwünschten Auswirkungen der Sollzinsen liegen wegen der Abzinsung künf­ti­ger Geldflüsse  in einer systematischen Abwertung der Zukunft, mit sich daraus er­ge­benden Problemen für die Ökologie und für den schonenden Umgang mit Ressourcen, was am ehesten mit einer Besteuerung der Ressourcen bzw. einer öko­logischen Steuerreform beherrscht werden könnte.

 

4.    Die Ohnmacht der Schuldner

Da Zinsen zu einem automatischen Anwachsen der Schulden führen, ergibt sich aus den Zinsen für den Schuldner der Zwang, seine Schulden zurückzuzahlen. Dieser zinsbe­dingte Zwang zur Schuldentilgung führt im Zusammenhang mit der für eine Geldwirtschaft charakteristischen Unterlegenheit der Schuldner zur so­genannten Ohnmacht der Schuldner. Die Ohnmacht der Schuldner ist die Ursache für Wachstumszwang, Wettbewerb und Konkurrenz in einer “Geld”-Wirtschaft mit Soll- und Habenzinsen.

 

Wenn die Kapitalgeber (Geldvermögensbesitzer) nicht bereit sind, Waren oder Dienstleistungen im Ausmaß ihrer Zinseinkommen zu kaufen, d.h. ihr Kapitaleinkommen zu verkonsumieren oder zu verinvestieren, müssen die Geldvermögen systemnotwendig rascher wachsen als das Bruttosozialprodukt.

 

Dies hat eine einfache mathematische und damit systemnotwendige Ursache. Das BSP ist eine Flußgröße, von dem jährlich ein bestimmter Anteil immer zur Erhöhung des Kapitalstockes bzw. der Geldvermögen herangezogen wird. Dies hat zur Folge, daß die Geldvermögen als akkumulierende (integrale) Größe immer um eine Potenz rascher wachsen müssen als das BSP. D.h. wäre das BSP konstant, wür­den die Geldvermögen linear wachsen bzw. wächst das BSP linear, müssen die Geldvermögen quadratisch wachsen (Ú x dx = x2)[5]. In der klassischen Ökonomie geht man fälschlicherweise von dem Dogma exponentiellen Wachstums aus, was gleich­bedeutend mit der Annahme konstanter Wachstumsraten ist. Nur unter dieser Voraussetzung könnten BSP und Geldvermögen gleich schnell wachsen, denn nur für die Exponentialfunktion gilt, daß das Integral gleich der ursprünglichen Funktion ist ((Ú ex dx = ex).

 

Da mit den Geldvermögen auch die Kapitaleinkommen rascher wachsen als das BSP und damit auch schneller als das Volkseinkommen, muß dies zwangsweise ab einem gewissen Zeitpunkt zu einem Sinken der Arbeitseinkommen führen. Dies führt notwen­digerweise zu der im folgenden Kapitel näher ausgeführten kapitalis­musbedingten Arbeitslosigkeit, welche das eigentliche aber bisher zu wenig disku­tierte Problem von alternden Volkswirtschaften darstellt.

 

 

Da die Kapitalvermögen und damit die Kapitaleinkommen sehr ungleich verteilt sind, führt dies mit zunehmendem Alter einer Volkswirtschaft zu einer immer größe­ren Umverteilung der Einkommen zugunsten der Kapitaleinkommensbezieher.

 

Je größer die Guthaben und Schulden geworden sind, ohne daß die Zinsen im gleichen Ausmaß gesunken sind, was durch den Liquiditätsvorteil von Geld und der Möglichkeit, Geld in die Finanzmärkte zu transferieren, verhindert wird, desto schwie­riger wird es, die Zinsen durch Wirtschaftswachstum zu bedienen, denn einer­seits sinkt wegen der wachsenden Umverteilung und der Möglichkeit, Geld in die Finanzgütermärkte zu transferieren, die Nachfrage nach Realgütern und andererseits ist exponentielles reales Wirtschaftswachstum grundsätzlich nicht möglich.

 

Die Höhe der Guthaben und Schulden stößt dann an eine Grenze, wenn Zinsen wegen mangelnder Wachstumsmöglichkeiten nicht mehr gezahlt werden können oder Sicherstellungen für die Schulden im Zuge einer Rezession oder Deflation ab­gewertet werden müssen und daher die Schulden fällig gestellt werden. Schuldner können von sich aus aber wegen der Ohnmacht der Schuldner nur Schulden durch Senkungen von Ausgaben (z.B. Lohnkosten) begleichen, was letztlich zu einem ent­sprechenden Nachfrageausfall und damit einer Rezession führen muß. Da die Schulden dabei in der Folge noch schwerer zurückgezahlt werden können, schau­kelt sich diese Situation bis zum Zusammenbruch immer weiter auf.

 

Ein Neubeginn ist erst möglich, wenn durch Crash‑Ereignisse wie Krieg, Rezession, Hyperinflation oder Währungsreform die Guthaben und Schulden soweit vernichtet worden sind, daß sie wieder eine für die Volkswirtschaft verkraftbare Größe erreicht haben. Was dem heutigen System also fehlt, ist eine systemverträgliche Methode, Guthaben und Schulden ohne Crash-Ereignisse abzubauen. Eine entsprechende umfas­sende Kapitalbesteuerung ist aus meiner Sicht die einzige dazu geeignete Methode (siehe Kapitel 7).

 

 

5.    Arbeitslosigkeit

Das gesamte Volkseinkommen setzt sich genauso wie das Einkommen jedes Einzelnen aus Kapitaleinkommen (Zinsen + Gewinne) und Arbeitseinkommen (selbständige + unselbständige Arbeit) zusammen. Zu unfreiwilliger Arbeitslosigkeit kommt es genau dann, wenn die Arbeitseinkommen insgesamt sinken, ohne daß gleichzeitig die Löhne sinken.

 

Sinkende Arbeitseinkommen bei allen oder Teilen der Bevölkerung können unfrei­wil­ligerweise dann und nur dann entstehen, wenn entweder

 

1)    das gesamte Volkseinkommen konjunkturbedingt sinkt, oder

2)    Arbeitseinkommen zu Kapitaleinkommen hin umverteilt  werden, oder

3)    es innerhalb der Arbeitseinkommen strukturbedingt zu Umverteilungen kommt, oder

4)    bei Mängeln in der Organisation der Arbeitsteilung.

 

Da unfreiwillige Arbeitslosigkeit also immer durch unfreiwillig sinkende Arbeitseinkommen in Verbindung mit unflexiblen Löhnen ausgelöst wird, hat Arbeitslosigkeit letztlich genau die gleichen Ursachen wie niedrige Arbeitseinkommen und kann daher in die gleichen Typen eingeteilt werden:

 

1)    Konjunkturbedingte Arbeitslosigkeit

2)    kapitalismusbedingte Arbeitslosigkeit

3)    strukturellbedingte Arbeitslosigkeit

4)    organisationsbedingte Arbeitslosigkeit

 

Alle heutigen Maßnahmen richten sich ausschließlich gegen konjunktur-, strukturell- und organisationsbedingte Arbeitslosigkeit. In alternden Volkswirtschaften stellt al­lerdings die kapitalismusbedingte Arbeitslosigkeit ein systemimmanentes Problem dar, das notwendigerweise in einer Geldwirtschaft mit Zinsen durch das dadurch ausge­löste, raschere Wachstum von Geldguthaben und Kapitaleinkommen verur­sacht wird.

 

6.    2. Hauptsatz der Volkswirtschaftslehre

Die oben dargestellten Konsequenzen lassen sich als 2. Hauptsatz der Volkswirtschaftslehre zusammenfassen:

Die Gesamtheit der Guthaben und die Gesamtheit der Schulden nehmen in einem ge­schlossenen Geld‑ und Wirtschaftssystem der bestehenden Art stets zu. Sie können nur durch unerwünschte Ausnahmezustände wie Depression, Krieg, Hyperinflation oder Währungsreform abgebaut werden.

 

7.    Therapie

Eine langfristig wirksame und nachhaltige Therapie kann nur in Maßnahmen liegen, die verhindern, daß Guthaben und Kapitaleinkommen rascher wachsen als das BSP. Das kann sein:

-       eine Besteuerung der Kapitalvermögen

-       eine Besteuerung von Kapitalerträgen

-       eine Besteuerung liquider Mittel

-       Steuern in der Art der Tobin‑Steuer

-       eine Förderung von Pensionsfonds (allerdings mit gewissen      Einschränkungen).

 

8.    Komplementärwährungen

Komplementärwährungen im Sinne von Lietaer unterscheiden sich nur in einem we­sentlichen Punkt von herkömmlichen Geld: es gibt keine Zinsen.

 

Zinsen stellen im herkömmlichen Geldsystem einen Anreiz dar, um Geld zu verlei­hen und damit eine arbeitsteilige Wirtschaft zu ermöglichen. Der Anreiz besteht in der Schaffung von leistungslosem Einkommen durch Zinsen. Bei Komplementärwährungen entsteht der Anreiz zum Geldverleihen dadurch, daß da­bei soziale Bindungen geknüpft werden, die für die Menschen als soziale Wesen ein gewis­ses Grundbedürfnis darstellen und entsprechende Vorteile schaffen.

 

Entstehen beim Geldverleihen in herkömmlichen Geldsystemen beim Geldverleihen Geldschulden und Zinsschulden, so entstehen auch bei Komplementärwährungen Geldschulden in gleichem Maße. Allerdings treten an­stelle der Zinsschulden soziale Schulden.

 

Der wesentliche Nachteil bei Komplementärwährungen liegt darin, daß dabei die Bildung von hohen und langfristigen Schulden nicht möglich ist und damit eine hoch­gradige und langfristige Arbeitsteilung nicht möglich ist.

 

Ein hoher materieller Wohlstand ist daher nur im Rahmen des bestehenden Geldsystems möglich. Komplementärwährungen können daher nur als positive Ergänzung, niemals aber als Ersatz für ein herkömmliches Geldsystem gesehen wer­den.

 

Da ein herkömmliches Geldsystem - wie ausgeführt - jedoch immer zum Zusammenbruch führen muß (2. Hauptsatz!), geht kein Weg an einer wesentlichen Änderung des bestehenden Systems vorbei.

 

Die unmittelbare Ursache für den Zusammenbruch liegt darin, daß die Geldvermögen schneller als das BSP wachsen müssen. Ohne Verlust der anderen positiven Eigenschaften des bestehenden Geldsystems kann dies nur durch eine Besteuerung von Kapitalvermögen, Kapitaleinkommen, Kapitaltransaktionen und liquiden Mitteln ver­hindert werden.

 

Die Art und Weise, wie Geld geschöpft wird, ist dabei von untergeordneter Bedeutung. Auch wenn „Fiat“-geld über zinsbehaftete Kredite (Diskontzins usw.) ge­schöpft wird, ist die Höhe der dadurch ausgelösten Zinsströme unbedeutend gegen­über den durch Geldverleih ausgelösten Zinsströmen (höchstens im Verhältnis 1:10). Da der überwie­gende Teil dieser Zinseinnahmen auch bei Notenbanken mit priva­ten Eigentümern von der Notenbank an den Staat abgeliefert werden muß, haben diese Zinszahlungen fast ausschließlich den Charakter einer Steuer.

 

Zusammenfassend läßt sich daher festhalten:

Komplementärwährungen tragen bei zur

     Lösung sozialer Probleme, weil sie soziale Bindungen fördern und zur

     Bekämpfung organisationsbedingter Arbeitslosigkeit, weil sie die Arbeitsteilung   im kleinen Rahmen fördern;

 

Komplementärwährungen bringen keinen wesentlichen Beitrag zur Verhinderung von

     konjunkturbedingter, kapitalismusbedingter und strukturellbedingter    Arbeitslosigkeit

     Umweltzerstörung und

     Währungskrisen,

weil sie herkömmliches Geld nicht ersetzen, sondern nur ergänzen können, die ge­nannten Probleme aber durch herkömmliches Geld verursacht werden.

 

Wenngleich eine durch Güter gedeckte Währung und eine Währung mit einer Liquiditätssteuer (Nutzungsgebühr) Vorteile gegenüber einer herkömmlichen Währung haben, können diese beiden Maßnahmen allein ohne Kapitalbesteuerung die anstehenden Probleme nicht lösen.

 

 

Teilweise ausführlichere Darstellungen in:

 

[1]  Erhard Glötzl: „Über die (In-)Stabilität unseres Geld- und Wirtschaftssystems aus der Sicht eines Technikers“; erweiterte Fassung eines Vortrages, gehalten am 13.11.1995 vor dem KdF – Kreis der Führungskräfte der Voest.

[2]  Erhard Glötzl: „Arbeitslosigkeit – Über die kapitalismusbedingte Arbeitslosigkeit in al­ternden Volkswirtschaften und warum Keynes recht hatte und doch irrte“; erweiterte Fassung eines Vortrages, gehalten am 11.10.1997, Workshop „Zur Entkoppelung von Güter- und Finanzmärkten im Prozeß der Globalisierung“ im Rahmen eines Projektes des Institutes für Internationales Management der Universität Graz (im Internet über www.geldreform.de).

[3]  Erhard Glötzl: „Das Wechselfieber der Volkswirtschaften – Anamnese, Diagnose, Therapie“; Diskussionsbeitrag für die Arbeitsgruppe Finanzwirtschaft des Föhrenbergkreises.

 

 

 

 


Professor Dr. Johannes Heinrichs

 

Kurzbiographie:

Geb. 1942 in Duisburg-Rheinhausen.

Nach Jesuiten-Noviziat Studium von Philosophie, Theologie, Germanistik und Psychologie in München, Bochum, Bonn, Frankfurt, Paris.

1972 Promotion summa cum laude in Bonn mit einer Hegel-Studie, für die er den Geffrub-Preis der Universität Bonn erhielt.

1975 Habilitation für Philosophie an der Jesuitenhochschule St. Georgen in Frankfurt.

Nach Verzicht auf eine Jesuitenprofessur 1978 lebte Johannes Heinrichs als Lehrstuhlvertreter, Forschungsbeauftragter, Referent und Schriftsteller in der Umgebung von Bonn.

Seit Wintersemester 1998 / 99 Professor für Agrar-Kultur und Sozialökologie (Nachfolge Rudolf Bahro) an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Veröffentlichungen: 13 wissenschaftliche Bücher und Sachbücher, 75 Aufsätze in Fachzeitschriften und Sammelwerken, außerdem literarische Essays.

 

 

Prof. Heinrichs erklärt zu Beginn, daß auch er kein Geldexperte sei – sein Gebiet ist die Sozialphilosophie. Sein Hauptanliegen ist die Unterscheidung der Subsysteme des Sozialen, also Wirtschaft, politisches System, Kultursystem (Bildung), sowie Religion und Weltanschauung. Wir brauchen auch Nachhaltigkeit in der Gesellschaft, d.h. nicht Bestimmung durch einen Automatismus im Bereich der Wirtschaft, sondern eine Bestimmung der Wirtschaft durch die Politik, die wiederum unter kulturellen Voraussetzung stehen muß.

 

 

 

 

Johannes Heinrichs:

 

ANMERKUNGEN  UND  FRAGEN  ZU  BERNARD A. LIETAER:

“Das Geld der Zukunft - Über die destruktive Wirkung des existierenden Geldsystems und die Entwicklung von Komplementär­währungen”

 

Dieses Werk atmet nicht nur Insider-Souveränität, zumindest in Bezug auf das eigentli­che Thema, es ist auch sprachlich souverän verfaßt. Ginge es um eine Rezension, müßten seine Qualitäten ausführlich dargelegt und müßte der reichhaltige Inhalt erst zusammengefaßt werden, auch der Inhalt dessen, was über die Konklusion eines zu wün­schenden viergestuften Währungssystems im Jahr 2020 hinausgeht. Ich möchte mich auf einige kriti­sche Anmerkungen und Fragen aus sozialtheoretischer Sicht beschrän­ken.

 

1. Nur noch leichte Spuren von “Ökonomismus”

Im Vergleich zur früheren Typoskript-Fassung  (die mir leider nicht mehr vorliegt, so daß ich nicht sicher vergleichen kann, ob es nur meine neue Lektüre ist) scheint B. Lietaer von einem ökonomistischen Zungenschlag Abstand genommen zu haben: da­von, das Geld als den Dreh- und Angelpunkt der Menschheitsgeschichte schlechthin, zumindest des ge­sellschaftlichen Menschen, darzustellen, so als würde die Reform des Geldsystems auto­matisch alle anderen gesellschaftlichen Probleme, z.B. das Rechts- und Demokratieproblem, lösen.  Ein  wenig klingt diese Sicht noch nach, wenn etwa be­hauptet wird, Geld sei unser ältestes, am weitesten verbreitetes und universellstes Informationssystem (41). Selbst wenn es stimmen sollte, daß sogar die Schrift in Mesopotamien ursprünglich zur Buchführung erfunden wurde (was ich bestreite, wenn man Runen und andere Buchstaben-Arten berücksichtigt), dann doch nicht die Sprache, um lediglich eines der formalisierten Kommunikationsmedien zu nennen, zu denen auch Geld gehört. Nicht die Geld-Fähigkeit, wohl aber die Sprachfähigkeit kennzeichnet den Menschen von Anfang an und wird ihn noch charakterisieren, wenn wir keine Währung mehr brauchen sollten (was Lietaer gegen Ende seines Buches in Betracht zieht).

 

Ich halte übrigens Geld, Recht, Sprache und religiöse Riten/Lehren für die miteinander vergleichbaren formalisierten Interaktions-Medien der entsprechenden vier sozialen Subsysteme: Wirtschaft, Politik, Kultur und Weltanschauung/Religion. Daneben gibt es nicht-formalisierte Interaktionsmedien wie Macht, Vertrauen usw., die selbst von prominen­ten Sozialtheoretikern (wie Luhmann, Habermas) mit den genannten forma­lisierten Medien verwechselt werden. Lietaers Buch handelt über Geld als Medium der Wirtschaft und in gewisser Weise als Basis des gesamten Gesellschaftssystems – und hält sich er­freulicherweise über die anderen Systemebenen zurück, ohne deshalb seine Art von Integralität, d.h. Ausrichtung aufs Ganze des Sozialen einzubüßen (vgl. 400 ff: Integrierte Wirtschaft). Wenn es aber wiederum heißt: “Letzten Endes ist Geld Vertrauen, und Vertrauen lebt (und stirbt) in den Köpfen von Menschen”(105), dann muß das eher rhetorisch als streng definitorisch verstanden werden. Denn es gibt an­dere, zentralere, durchaus anders symbolisch dargestellte Formen von Vertrauen. Dahin deuten auch Lietaers eigene, wenngleich terminologisch fragwürdige, Ausführungen über  die Zerstörung von “Geschenk-Gemeinschaften” durch das Geld (301 ff).

 

2. Wirtschaftsimmanente Reform des Geldsystems und Barter-System

Den Optimismus des Verfassers, daß die Unternehmen selbst zu einer menschen­freundli­chen (im Wesentlichen: zinsfreien) Geldwirtschaft übergingen, daß es also zu einer völlig wirtschaftsimmanenten Selbstreform ohne gesetzgeberische Maßnahmen (also vom sozia­len Medium Recht her) komme, vermag ich nach den bisherigen Erfahrungen mit dem Zynismus der multinationalen Unternehmen so noch nicht zu tei­len. Dazu müßte gezeigt werden, daß ein internet-gestütztes Barter-System wirtschaft­simmanent das bisherige Währungssystem unterlaufen kann. Dies ist die m.E. einen wesentlichen Schritt weiter ge­hende Sichtweise und Intention von Michael Köhne. (Von diesem liegt mir ein bislang un­veröffentlichtes Papier “Investment-Banking im Internet” vor. Seine offenbar von ihm selbst überholten Geld-Bücher wie „Das unendli­che Zittern“ sind derzeit vergriffen.)

 

Bernard Lietaer referiert, daß man unter Barter-System den “Austausch von Gütern und Dienst­leistungen ohne jegliche Währung” verstehe (282). Auch ein Barter-System braucht jedoch eine Verrechnungs-Einheit, in diesem Sinne also ein Geld. Kann solches Geld auch Währung genannt werden? Oder beginnt Währung erst damit, daß das Geld als Verrechnungseinheit und Tauschmittel selbst Aufbewahrungsmittel und sogar Gegenstand des Handels wird? Gerade letzteres scheint beim Barter-Tauschhandel aus­geschlossen zu sein: die Verselbständigung des ursprünglichen Tauschmediums Geld, wie immer man die Wortdefinitionen von Geld und Währung fassen mag.

 

Nebenbei: Lietaers Arbeitsdefinition von Geld leuchtet mir ein: “Geld ist eine Übereinkunft innerhalb einer Gemeinschaft, etwas als Tauschmittel zu verwen­den”(119). Mit dieser Definition steht die Funktion des Geldes als Tauschmittel, auch als Wertmaßstab und Wertaufbewahrungs­mittel und u.U. als eigener Handlungsgegenstand in Einklang. Ich verstehe jedoch nicht, inwiefern es dann all­gemein erst als Bankdarlehen seine Existenz beginnt und aus dem Nichts geschöpft werden soll: “Jeder Dollar, jeder Euro und jede andere im Umlauf befindliche Währung hat als Bankdarlehen begonnen.” Die Schöpfung des Geldes “buchstäblich aus dem Nichts” sei “die wahre Geburtsstunde des Geldes”(127). Doch alle akademischen Gelddefinitionen und quasi-theologischen Geld-Schöpfungs-Erklärungen verblassen gegenüber der Frage, die heute – aufgrund der Welternährungs- und Weltwährungskrisen wie zugleich aufgrund der überraschend neuen technischen Möglichkeiten – vordringlich ist: Wie kann das Geld am reinsten auf seine Funktion als Tauschmittel und Wertmaß zurückgeführt werden? Übereinstimmung besteht dar­über, daß die jetzige Auffassung von einem sich selbst vermehrenden, vermeintlich selbst arbeitenden Geld kein gangbarer Weg in eine Zukunft mehr ist.

 

Lietaer erwähnt zwar mehrmals die wachsende Bedeutung des computergestützten di­rek­ten Tauschhandels (des Barter-Handels, der übrigens von theosophischer Seite seit den achtziger Jahren konkret als die kommende Geld- und Wirtschaftsform der Menschheit vorausgesagt wird). Er geht aber vermutlich nicht weit genug, wenn er ne­ben der Zunahme des Barter-Handels noch ein viergestuftes System von internationa­len, multina­tionalen, nationalen und komplementären Währungen gelten läßt! Zunächst und vor al­lem wird mir in den letzten Partien des Buches die Funktion einer Weltwährung im Verhältnis zu Idee und Möglichkeit eines Barter-Systems nicht recht verständlich. Welche Art von Weltwährung ist gemeint? Ist TERRA als eine reine (neutrale) Tausch- und Wertmaß-Währung gedacht? Wie soll sie dann durchsetzbar sein? Wodurch läge sie neu­erdings im Eigeninteresse der internationalen Konzerne?

 

3. Friedliches Nebeneinander von offiziellen und  Komplementär-Währungen?

  Was die Idee einer Stufung von Währungen angeht, so wäre eine Diskussion von Silvio Gesells Idee einer Internationalen Valuta-Association mit einer im doppelten Sinne neutralen Weltwährung und festen Wechselkursen zu nationalen Währungen hilfreich und historisch gerecht. Gerade als Nicht-Ökonom wünschte man sich mehr Informationen über die Notwendigkeit und Funktionsweise dieser Stufung, sei es unter der Voraussetzung eines im Wesentlichen zinsfreien neutralen Währungssystems, sei es unter der gegentei­ligen Voraussetzung. Dieser Unterschied entscheidet natürlich das Meiste.

 

Was besonders die lokalen komplementären Währungen angeht, so fragt man sich, ob sie nicht – unter der einstweiligen Voraussetzung eines nicht-neutralen, zinsbelasteten offi­ziellen Währungssystems - die hinhaltende Funktion haben sollen, ein im ganzen un­menschliches System dennoch menschlich lebbar zu machen – und ob sie dann eine sy­stemaufweichende oder  im Gegenteil eine systemstabilisierende Funktion hätten. Vor al­lem in systemstabilisierender Rolle und zudem wegen ihrer quantité négligeable werden sie offenbar bisher vom offiziellen Bankensystem und vom staatlichen Fiskus geduldet. Bei ihrem Erstarken wären Kämpfe mit ähnlichem Ausgang wie in den drei­ßiger Jahren des vorigen Jahrhunderts vorauszusehen. Denn die Kräfte sind zu un­gleich.

 

Bei einem künftigen kampffreien Nebeneinander von Komplementärwährungen und offi­ziell geltenden Währungen fragt man sich, warum es überhaupt diesen Dualismus geben muß – es sei denn im Sinne der gestuften Anpassung des Geldes an die realen wirtschaft­lichen Gegebenheiten (Wertschöpfungen und Bedürfnisse). Im übrigen, der Umgang mit vielen Währungen macht vielleicht einem professionellen Banker Spaß. Für die meisten anderen Zeitgenossen dürfte eine Mehrfachstufung der Währungen ebenso lästig sein wie der Umgang mit den bisherigen Nationalwährungen; das Nebeneinander von Gemeinschafts- und offiziellen Gesellschaftswährungen scheint mir überhaupt nur mit ausgesprochenem Krisen- und Übergangsbewußtsein erträglich.

 

4. Nochmals die Hauptfrage

Diese Erwägungen führen auf die unter 2. gestellten Fragen zurück, besonders diese: Ist angesichts der heraufkommenden, computergestützten Barter-Wirtschaft eine imma­nente Selbstreform der internationalen Geldwirtschaft vornehmlich von unternehmeri­scher Seite zu erhoffen oder muß von der staatlich-rechtlichen Ebene nicht bloß reaktiv reguliert, sondern die wirtschaftsrechtliche Initiative ergriffen werden? Zum Glück be­steht kein striktes Entweder-Oder. Denn unsere demokratischen Entscheidungsstrukturen sind – gerade we­gen der unzulässige Dominanz der Wirtschaft über das gesamte soziale System - nicht minder reformbedürftig als die Währungsstrukturen. Nur gesteht man es sich derzeit  noch weniger ein. Die Durchbrechung dieses Teufelskreises aus der wirtschaftlichen Dynamik selbst heraus wäre mehr als wünschenswert.  Ob und wie dies in angedeuteter Form fried­lich gelin­gen kann,  diese Frage bleibt in Bernard Lietaers so optimistisch gestimmten Werk noch offen. Ohne solche derzeit zum Greifen nahe Chance einer Veränderung des währungs­politischen mainstreams selbst (durch die Nutzung neuer technischer Möglichkeiten) haben alternative Komplementärwährungen m. E. noch weniger Chancen als die zum Teil einflußreichen NGOs auf politisch-rechtlicher Ebene.

 

 

Nachtrag:

Ich hege nach der Tagung von Steyerberg die Befürchtung, daß in der freiwirtschaftli­chen Diskussion die enormen Chancen eines von den Zinswährungen unabhängigen in­ternationalen Internet-Barterb-Verrechnungssystems (vgl. z.B. Neue Zürcher Zeitung vom 14.7.2000, S. 37: “Die enorme Sprengkraft der Internet-Revolution”) zugunsten aka­demisch-semantischer Diskussionen über Geldschöpfung verschlafen werden – ebenso wie auch die Gefahren einer machtmäßigen Okkupierung dieses Bereichs über neue, von interessierten Kreisen erwirkte Rechtsbestimmungen. Jedenfalls wurde die Information und Diskussion über solche aktuellen Perspektiven, die viel weiter über die traditionellen freiwirtschaftlichen Fragen hinausführen als die Frage der kleinen  Komplementärwährungen, im Laufe der Tagung eher ausgebremst als gefördert.

 

 

 


Professor Dr. Wolfgang Gebauer

 

Kurzbiographie:

Jahrgang 1942

1965          Diplom-Volkswirt, Universität Heidelberg

1966 – 1967   Doktorand, Cornell University, USA

1969          Dr. rer. pol., Universität Heidelberg

1969 - 1980   Hauptabteilung Volkswirtschaft, Deutsche Bundesbank, Frankfurt am Main

1973 - 1974   Gastprofessor, Carnegie-Mellon University, USA

1982          Habilitation im Fach Volkswirtschaftslehre, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main

1982 - 1983   Economic Adviser, Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen, Brüssel

1983 - 1986   Assistenzprofessor, Europäisches Hochschulinstitut, Florenz

seit 1986     Universitätsprofessor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Geld und Währung, am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main

1992 - 1995   Direktor des Instituts für Kapitalmarktforschung an der J.W. Goethe-Universität, Frankfurt am Main

1999 - 2000   Prädekan, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften

2000 - 2001   Dekan, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Goethe-Universität, Frankfurt am Main

 

 

 

Prof. Gebauer meint, er solle hier sozusagen die Schulsicht der Dinge vertreten. Er sieht es als wichtig an, die Termini klar zu definieren und zu benutzen, weil bestimmte Sprachkonstruk­tionen, die innerhalb einer Gruppe (wie z.B. der Freiwirtschaft) ver­standen werden, in Gesprächen z.B. mit einem Zentralbanker mißverstanden werden. Nur so aber könne man die Fähigkeit zur Kommunikation verbessern. Weiter ist ihm wichtig, daß wir zur Kenntnis nehmen, in welchem Umfeld wir uns eigentlich heute be­finden – und das ist die europäische Währungsunion. Sein Beitrag befaßt sich mit den Grundlagen einer globalen Währungsordnung und ist Teil seines in Arbeit befindli­chen Buches über Geld und Währung.

 

 

 

 

Wolfgang Gebauer:

 

GLOBALE WÄHRUNGSORDNUNG

 

Die globale Währungsordnung geht prinzipiell über regionale, z.B. europäische Ordnungssysteme hinaus, indem sie sich auf weltumspannende internationale Aspekte be­zieht. Gegenstände einer globalen Währungsordnung sind inhaltlich, in grober Einteilung, die drei Gebiete

     Internationales Geld,

     Währungsreserven   und

     Währungssysteme (vgl. Abb. 1).

Diese Bereiche stehen wiederum in einer wechselseitigen Beziehung zueinander. Dabei nimmt das internationale Geld - analog zur Geldordnung auf nationaler Ebene - eine her­vorgehobene Stellung ein, da die internationalen Geldfunktionen ein zentrales Element der beiden anderen Gebiete darstellt. Internationales Geld ist hier generell de­finiert als Geld, das für grenzüberschreitende wirtschaftliche Transaktionen allge­mein, d.h. global (weltweit) akzeptiert wird.

 

 

 

 

 

 

 

   

 

    Abb. 1: Elemente der globalen Währungsordnung

 

a)    Internationales Geld

(1)    Systematik

Internationales Geld ist nationales Geld, das für private und öffentliche grenz­über­schreitende Transaktionen allgemein (global) akzeptiert wird. Die allge­meine Akzeptanz äußert sich in der internationalen Verwendung des Geldes als Zahlungsmittel, Recheneinheit und Wertaufbewahrungsmittel (traditionelle Geldfunktionen). Grenzüber-schreitende Transaktionen sind alle in der Zahlungsbilanz der beteiligten Länder erfaßten wirtschaftlichen Transaktionen; sie werden üblicherweise in den (güterwirtschaftlichen) Leistungsverkehr und den (geldwirtschaftlichen) Kapitalverkehr grob untergliedert. Die Gleichsetzung von "in­ternational" mit "grenzüberschreitend" bedeutet aus nationaler Sicht, daß Transaktionen zwischen Gebietsansässigen und Gebietsfremden gemeint sind. Gebietsansässig ist dabei jedes Wirtschaftssubjekt, das den Schwerpunkt seiner wirt­schaftlichen Tätigkeit im Inland hat.[6]

Die folgende Systematisierung orientiert sich sprachlich an der Gleichsetzung von "Währung" mit "Geld in internationaler Verwendung".

Die Übersicht (Abb. 2) ist "von oben nach unten" zu lesen wegen der hervorge­hobenen Bedeutung der Zahlungsmittelfunktion des Geldes. Außerdem sollte sie "von links nach rechts" gelesen werden wegen der prinzipiellen Dominanz priva­ter (Markt-) Kriterien: Schon historisch betrachtet muß Geld originär als zwi­schenmenschliche Schöpfung betrachtet werden.

 

 

GELD-

S E K T O R

FUNKTION

Privat

Öffentlich

 

Zahlungsmittel

Transaktions-

Währung

(Transaction Currency)

Interventions-

Währung

(Intervention Currency)

 

Recheneinheit

Fakturierung/Preise, Kurse

(Invoicing currency)

Nominaler Anker für Wechselkursregime

(Reference currency)

Wertaufbewahrungsmittel

Anlage- und Emissionswährung

(Asset Currency)

Reservewährung

(Reserve Currency)

Abb. 2: Geld in internationaler Verwendung

 

 (2)  Theorie: Währungswettbewerb vs. Währungssubstitution

Die Währungstheorie postuliert generell ein Verhalten von Wirtschaftssubjekten zur Minimierung der Kosten grenzüberschreitender Transaktionen. Ein hier rele­vanter Bestandteil sind Informations- bzw. Suchkosten bezüglich der Währung (der Geldeinheit), die als Zahlungsmittel oder zur Ausfertigung der Rechnung (Fakturierung) verwendet werden soll. Diese Informations- bzw. Suchkosten gelten ih­rerseits als im Zeitverlauf abhängig von Wechselkurserwartungen, Risikoüberlegungen sowie dem Volumen der grenzüberschreitenden Transaktion. Letztlich wird argumentiert, daß die Verwendung einiger weniger Währungen bei in­ternationalen Transaktionen zunehmend zu 'economies of scale' führt: Je mehr eine Währung als internationales Geld verwendet wird, desto vertrauter wird man im Umgang damit, und desto geringer werden daher die währungsspezifischen Informationskosten. Banktechnisch gesprochen: Durch die Verwendung von in­terna­tionalem Geld wächst die Wahrscheinlichkeit, eine geschlossene Fremdwährungsposition (currency matching position) zu erreichen.

Bilden sich gemäß der obigen Argumentation einige wenige "Schlüsselwährungen" (key currencies) als internationales Geld heraus, so kann man eine Zone des Währungswettbewerbs (currency competition) zwischen die­sen Währungen sowie Währungsmonopolzonen konzipieren und analysieren (vgl. Abb. 3).

Die Analyse des Währungswettbewerbs einer (international nicht verwendeten) Landeswährung mit dem regional dominierenden internationalen Geld erfolgt in der Literatur unter der Bezeichnung Währungssubstitution; sie ist von der Thematik des Währungs-Wettbewerbs genau zu trennen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Abb. 3: Währungswettbewerb zwischen internationalem Geld

 

(3)   Praktische Entstehungsgründe

Die drei wichtigsten in der Literatur[7] genannten Entstehungsgründe von interna­tiona­lem Geld in der Praxis sind:

  Vertrauen in die langfristige Wertstabilität einer Währung, d.h. in eine stabile Kaufkraft, die wiederum Preisstabilität im Emissionsland der Währung bedeu­tet. Gemäß Kaufkraftparitäten-Theorie (s.u. Abschnitt E) führt Preisstabilität im Inland langfristig auch zu einem festen Außenwert der Inlandswährung ("harte Währung").

  Offenheit, Breite und Tiefe der Finanzmärkte

   Hier kennzeichnet "Offenheit" die Freiheit von Kapitalverkehrsbeschränkungen, "Breite" die Vielfalt der gehandelten Finanzinstrumente und "Tiefe" die Existenz gutentwickelter Sekundärmärkte (Liquiditätsaspekt).

  Wirtschaftliche Größe und politisches Gewicht

   Diese beiden Faktoren gelten als "natürliche Basis" für eine mengenmäßig große Nachfrage nach der Währung eines Landes. Wirtschaftliche Größe wird üblicher­weise gemessen am Anteil des Bruttoinlandsproduktes (BIP) am glo­balen (Welt-) BIP. Als Indiz für politisches Gewicht gilt, neben der wirtschaftli­chen Größe, u.a. die Stabilität der politischen Verhältnisse. Im Zusammenhang mit Finanzkrisen (s.u.) gilt die Währung eines wirtschaftlich großen und politisch stabilen Landes als "si­cherer Hafen" für Kapitalanlagen. Heute sind das vor allem der US-$ sowie - mit Abstand - Euro und Yen (s. Abb. 3).

Im praktisch-historischen Kontext ist es eine wichtige Frage, wie lange eine nationale Währung als internationales Geld verwendet wird. Einen Erklärungsansatz des offen­sichtlichen Beharrungsvermögens einiger histori­scher 'key currencies' liefert die Theorie: Wegen 'economies of scale' er­scheint eine Tendenz zur Konzentration auf eine Währung auch dann noch sinnvoll, wenn die Gründe für deren internationale Verwendung langsam weg­fallen (z.B. Weiterverwendung des Pfund Sterling nach dem ersten Weltkrieg als internationales Geld trotz Hegemonieverlust des britischen Empires).

 

b) Währungsreserven

Währungsreserven sind prinzipiell internationales Geld in den Händen der Zentralbank. Dieses internationale Geld wird überwiegend in Form kurzfristiger und verzinslicher finanzieller Aktiva gehalten.[8] Daher kann man auch - praxisnäher - Währungsreserven definieren als jederzeit mobilisierbare und international uneinge­schränkt zu Zahlungszwecken verwendbare finanzielle Aktiva einer Zentralbank.

Währungsreserven sind international verwendbares Geld, das die nationale Zentralbank nicht selbst schaffen kann. Dieses Geld wird - als Bestandteil der Weltwährungsreserven - von den Zentralbanken generell in drei Formen gehalten: als konvertible Devisen, als Sonderziehungsrechte und IWF-Reserveposition sowie in Form von Gold.  Analytische Grundfragen beziehen sich u.a. auf die optimale Diversifikation solcher Reserveformen nach Anlagewährungen sowie auf Bestimmungsgründe und Auswirkungen mengenmäßig veränderter Währungsreserven; hierbei wird auch nach ihrem optimalen Volumen gefragt.

 

(1)    Konvertible Devisen

Devisen sind Sichtguthaben in Fremdwährung (fremde Valuta). Kann eine fremde Valuta jederzeit frei und unbeschränkt von staatlichen Regelungen in die nationale und/oder eine dritte Währung umgetauscht werden, dann handelt es sich um vollkom­men konvertible Devisen. Die vollkommene Konvertibilität be­zieht sich auf eine natio­nale Währung sowohl in der Hand von Gebietsansässigen als auch Gebietsfremden, und sie erstreckt sich auf den privaten internationalen Kapitalverkehr ebenso wie auf grenzüberschreitende Transaktionen zwischen öf­fentlichen Stellen (z.B. Währungsbehörden oder Regierungen). Gut 80 % der Weltwährungsreserven werden von den Zentralbanken bzw. Währungsbehörden als konvertible Devisen gehalten. Über die Hälfte davon lau­tet auf US-$ (ist in US-$ denominiert). Hieran knüpft die Frage nach den theore­tischen und praktischen Gründen für die dominierende Rolle des US-$ als inter­nationales Geld (u.a. economies of scale; Vertrauen in stabile Kaufkraft; of­fene, breite und tiefe Finanzmärkte sowie wirtschaftliche Größe und politisches Gewicht).

 

(2)    Sonderziehungsrechte (SZR) und IWF-Reserveposition

Die Sonderziehungsrechte sind als ein Währungskorb definiert, der seit Januar 1999 4 Währungen enthält: US-Dollar, Euro, Yen und Pfund Sterling (vgl. Abb. 4).


 

Korbkomponente

Währungsbetrag

Gewicht in %

Euro (Frankreich)

Euro (Deutschland)

Japanischer Yen

Pfund Sterling

       US Dollar

0,1239

0,2280

     27,200

0,1050

0,5821

11

21

18

11

39

Abb. 4: Sonderziehungsrechte

 

Wie man sieht, dominieren US-$ und Euro mit 39 bzw. 32 % Gewichtsanteil. Für den Fall eines Beitritts Großbritanniens zum  Euro-Währungsgebiet würde der Euro mit ei­nem voraussichtlichen Korbgewicht von 43 % den US-$ überflügeln.

 

Die Analyse der Sonderziehungsrechte ist mit der emittierenden Institution, dem Internationalen Währungsfonds (IWF) untrennbar verbunden: Der Gouverneursrat des IWF beschließt die Zuteilung von SZR an die Währungsbehörden der Mitgliedsländer. Ein typisches Kennzeichen des SZR-Währungskorbes ist dessen nur mittelbare Verwendungsmöglichkeit für Interventionen am Devisenmarkt: SZR müs­sen vorher erst in eine "marktfähige" Interventionswährung (d.h. in internatio­nales Zahlungs-mittel) beim IWF umgetauscht werden. Dies hat entsprechende Rückwirkungen auf den SZR-Bestand der jeweiligen Emissionsländer konvertibler Devisen. Im Hinblick auf die Verwendungskategorien des internationalen Geldes (s.o. Abb. 2) fungieren SZR also lediglich als öffentliche Recheneinheit und in­ternationales Reservemedium - nicht aber als Zahlungsmittel. Da SZR nicht am Devisenmarkt ge­handelt werden, haben sie auch keinen aus Angebot und Nachfrage ermittelbaren Marktpreis, sondern nur einen aus den Korbkomponenten abgeleiteten Kurs.

 

Ein immer wieder diskutiertes währungspolitisches Thema bezieht sich auf die Menge und Terminierung von neu zu schaffenden SZR. Dabei geht es aus der Sicht der westli­chen Industrieländer um befürchtete globale Inflationseffekte aufgrund übermäßiger internationaler Liquidität. Hinzu kommen Fragen der öf­fentlichen Finanzen von Entwicklungsländern, zumal SZR generell zur Begleichung internationaler finanziel­ler Verpflichtungen einzelner Länder ver­wendet werden können.

 

(3)    Gold

Mit der zunehmenden Verwendung von SZR als internationales Reservemedium ging eine entsprechende Demonetisierung des Goldes einher: Heute ist Gold für den IWF nur noch ein Vermögenswert, der sich aus früheren Einzahlungen der Mitgliedsländer auf gut 100 Mio. Feinunzen summiert. Insofern ist Gold ein Teil der sog. IWF-Reserve­position eines Landes, die sich im wesentlichen zusammen­setzt aus dessen Einzah­lungen (Subskription) beim IWF in Form von Gold, kon­vertiblen Devisen sowie SZR.

 

Demonetisierung bedeutet, daß Gold nicht mehr als Bezugsgröße für Wechselkurse (Währungsparitäten) oder als Recheneinheit international verwen­det wird. Es gibt keinen offiziellen Goldpreis mehr, keine obligatorischen Goldzahlungen der IWF-Mitgliedsländer, und auch keine Goldankaufs- bzw. Verkaufspflicht der nationalen Währungsbehörden. Wie SZR kann Gold allerdings in international akzeptierte Währungen eingetauscht und dadurch mittelbar zu Zahlungszwecken verwendet wer­den. Gold spielt heute nur noch eine Rolle als privates und öffentliches Wertaufbewahrungsmittel und ist insofern kein interna­tionales Geld. Gold erfüllt so­mit die Urfunktion des Schatzgeldes.

 

Analytisch ist die historische Verwendung des Goldes als Gelddeckung (realer Anker) zu thematisieren. Diese Problematik führt zur Untersuchung von Währungssystemen sowie zur Diskussion der Vor- und Nachteile von “fiat money”, das ja als Vertrauensgeld u.a. gerade durch das Fehlen einer (Gold-) Deckung gekennzeichnet ist.

 

c) Währungssysteme

Die Währungssysteme bestehen im Kern, wie Abb. 5 schematisch verdeutlicht, aus drei Elementen: Wechselkursregime, Charakteristika des internationalen Kapitalverkehrs (Konvertibilität, Kapitalmobilität) sowie Regelungen zur Abgrenzung bzw. Schaffung von internationaler Liquidität (d.h. global akzeptierter Zahlungsmittel in den Händen der Währungsbehörden).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

      Abb. 5: Ordnungspolitische Charakteristika internationaler Währungssysteme

 

(1)   Internationale Liquidität besteht zum Teil aus Währungsreserven, die auch als ak­tuelle internationale Liquidität bezeichnet werden können. Hinzuzurechnen sind die Möglichkeiten einer Beschaffung von Währungsreserven auf dem Kreditwege ("Kreditlinien" bzw. "Fazilitäten") als potentielle internationale Liquidität. Eine Grundfrage zielt hier auf die Bestimmungsgründe einer optimalen (globalen) Schaffung von Liquidität - eine Problematik, die Parallelen zur Analyse der "op­timalen Geldmenge" für eine geschlossene Volkswirtschaft aufweist.

 

(2)   Mit Wechselkursregime bezeichnet man Bestimmungen über Niveau und Veränderungen bzw. Schwankungsbreiten nominaler Wechselkurse. Zum Verständnis der entsprechenden Gestaltungsmöglichkeiten der Währungsbehörden finden sich in der Literatur Fallstudien historischer Währungssysteme, insbesondere für den klassi­schen Goldstandard (1870-1914), das Bretton Woods-System (1945-1973) sowie für das ge­genwärtige, mit dem IWF vereinbarte System, das eine Vielzahl von Wechselkursregelungen mit mehr oder weniger Flexibilität vorsieht.

 

Analytisch geht es hier zunächst um die Frage, warum einzelne Länder be­stimmte Wechselkursregelungen vorziehen. Hier taucht die grundsätzlich akade­mische Auseinandersetzung um feste oder flexible Wechselkurse auf. Die ent­sprechenden ana­lytischen Argumente führen unmittelbar zur internationalen monetären Ökonomie of­fener Volkswirtschaften. Neben dieser traditionellen Wechselkursdebatte werden heute zunehmend auch noch institutionelle Aspekte beachtet, so etwa die Frage der Einführung eines “currency board” (Währungsamtes) als Spielart eines festen Wechselkursregimes bei Verzicht auf eine autonome nationale Zentralbankpolitik. Theoretisch und praktisch bedeut­sam ist auch die Frage nach der inneren Vereinbarkeit (Konsistenz) eines be­stimmten Wechselkursregimes mit anderen monetären Ordnungsaspekten.

 

(3)   Kapitalmobilität und Konvertibilität

Das Konzept vollkommener (perfekter) Kapitalmobilität sagt aus, daß sich jede tatsäch­liche Zusammensetzung eines Portfolios finanzieller Aktiva sofort und vollständig der gewünschten Zusammensetzung anpasset.[9] Vollkommene Konvertibilität bedeutet die freie und unbeschränkte Umtauschbarkeit nationaler Währungen nach innen und au­ßen. Sie ist eine notwendige (aber keine hinrei­chende) Bedingung für vollkommene Kapitalmobilität. Kapitalmobilität ist Teil des - praxisorientierten - Konzeptes Finanzielle Liberalisierung, das im Teilgebiet Internationale Finanzmärkte eine Rolle spielt (s.u.).

 

Heute werden Fragen des internationalen Kapitalverkehrs u.a. in drei Problembereichen diskutiert. Einmal werden Argumente für eine Abkehr vom Ziel ei­ner vollkommenen Kapitalmobilität vorgebracht, insbesondere von Entwicklungsländern im Zusammenhang mit Finanzkrisen. Zweitens steht nach wie vor Tobins Vorschlag einer Steuer auf Kapitalverkehrstransaktionen im Raum, und drittens wird die gleichzeitige Verträglichkeit (Kompatibilität) von perfekter Kapitalmobilität mit verschiedenen Wechselkursregimen bei unterschiedlicher natio­naler geldpolitischer Autonomie analytisch geprüft - vgl. (1). Als moderner Ausweg aus einer drohenden Inkonsistenz dieser Elemente erscheint schlicht die Abschaffung der nationalen Geldeinheit - sei es zugunsten einer regionalen (z.B. europäischen) Einheitswährung Euro, sei es zugunsten der dominierenden inter­nationalen Geldeinheit, des US-$ (Dollarisierung).

 

(4)   Das inkompatible Dreieck

Betrachtet man die beiden wichtigsten Merkmale eines internationalen Währungssystems, nämlich Wechselkursregime und Kapitalmobilität, aus dem Blickwinkel der nationalen Geldpolitik, so zeigt sich, daß nicht alle möglichen Ausprägungen dieser Merkmale mit dem Wunsch nach geldpolitischer Autonomie ver­einbar sind. Insbesondere ist geldpolitische Autonomie inkompati­bel, d.h. nicht dauer­haft vereinbar, mit perfekter Kapitalmobilität und festen Wechselkursen. Dementsprechend lautet die Aussage des "inkompatiblen Dreiecks": Perfekte Kapitalmobilität, feste Wechselkurse und geldpolitische Autonomie sind nicht simultan realisierbar bzw. passen nicht gleichzeitig zuein­ander: Eines der drei Merkmale muß weichen, um auf Dauer ein in sich verträg­liches (kompatibles) Währungssystem zu ge­währleisten. Beispielweise würden au­tonome geldpolitische Entscheidungen (z.B. iso­lierte nationale Zinssenkungen) zu einer Veränderung der Angebots-/Nachfrage­verhältnisse am Devisenmarkt füh­ren, so daß ein fester Wechselkurs gefährdet bzw. auf Dauer unhaltbar wird. Die kompatiblen bzw. inkompatiblen Kombinationen können am besten gra­phisch erläutert werden (vgl. Abb. 6).

 

Zur Konstruktion und innerer Logik der Graphik sind drei Aspekte zu beachten:

  Ausgehend von den drei Eckpunkten des äußeren (auf der Basis stehenden) Dreiecks wird graduell, mit zunehmender Entfernung vom Ausgangspunkt, der je­weilige Gegensatz (Gegenpol) verwirklicht, und zwar optisch beim "Auftreffen" auf die jeweils gegenüberliegende Seitenlinie des Dreiecks Beispiel: Ausgehend von völlig flexiblen Wechselkursen (Eckpunkt rechts un­ten) kommt man über verschie­dene Mischformen (Linie nach links oben) letzt­lich zum Punkt völlig fester Wechselkurs.

 

     Abb. 6: Das inkompatible Dreieck

 

   Das äußere Dreieck bildet den konstruktiven Rahmen, der das inkompatible Dreieck in sich enthält - und zwar als lineare Verbindung der drei Seitenmittelpunkte. Es entsteht ein inneres, auf der Spitze stehendes Dreieck, wel­ches seinerseits in den Eckpunkten die oben genannte inkompatible Kombination feste Wechselkurse, perfekte Kapitalmobilität und geldpolitische Autonomie reali­siert.

   Kompatible Dreierlösungen entstehen, wenn man die Eckpunkte des äußeren Dreiecks als Zirkelpunkte betrachtet und jeweils 1/2 Seitenlänge abträgt. So ist, um zwei Lösungen der oben genannten spezifischen Instabilität zu nen­nen, geldpoliti­sche Autonomie erstens bei flexiblen Wechselkursen und völli­ger Kapitalmobilität realisierbar (Zirkelpunkt rechts unten). Oder man kombi­niert geldpolitische Autonomie mit festen Wechselkursen, führt aber Kapitalverkehrskontrollen ein (Zirkelpunkt oben bei Finanzmarkt-Autarkie).

 

Abgesehen von den bisher genannten Aspekten enthält die Darstellung alle mög­lichen Mischformen, wenn man vom Rand des äußeren Dreiecks ins Innere vor­dringt - ein­schließlich des in der Mitte liegenden Schnittpunktes der eingezeich­neten Verbindungslinien. Eine spezifische Diskussion derartiger Merkmalskombinationen kann hier allerdings nicht erfolgen.

 

Auf die Frage, ob die Suche nach alternativen Währungen lohnenswert sei, antwortet Prof. Gebauer, daß die Geldmengensteuerung vermutlich nicht praktikabel ist; was die Rolle der Banken und die Zinsnahme angeht, so sieht er eine Veränderung in diesem Bereich als et­was so Revolutionäres an, das es vielleicht eine Generationenaufgabe wer­den könnte. Er selbst hat aber vor, die Probleme, die es im Geldbereich gibt (auch wenn sie nicht mono­kausal gesehen werden dürfen), immer wieder anzusprechen, auch auf die Gefahr hin, als Außenseiter und Spinner zu gelten. Die “Blindheit” seiner Kollegen führt Prof. Gebauer darauf zurück, daß zum Erreichen ei­ner führenden Position eine solche Konzentration auf ein Spezialgebiet nötig ist, auf dem man dann mit brillanten Leistungen glänzen muß, daß man später kaum mehr anders kann, als alles kritiklos stehen zu lassen.

 

 

 

 

 


Dr. Hugo T.C. Godschalk

 

Kurzbiographie:

1974 – 1979 Studium der Volkswirtschaftslehre an der Uni Münster/Westfalen mit                Abschluß Diplom-Volkswirt

1982        Promotion über die geldordnungspolitischen Probleme des                      Computergeldes

1979 - 1984       wissenschaftliche Forschungs- und Lehrtätigkeit am Institut für Geld und             Währung der Uni Münster mit Forschungsschwerpunkten im Bereich der           bargeldlosen Zahlungsverkehrssysteme

1984 - 1990       Tätigkeit bei der GZS zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter zur             Begleitung der EFTPOS-Pilotprojekte des deutschen Kreditgewerbes,                 später als Leiter der betriebswirtschaftlichen Abteilung im Controlling                 der Unternehmensbereiche Eurocard, eurocheque und                            Zahlungssystementwicklung

 

 

1990 - 1993       Senior Consultant, Bereich Finanzdienstleistungen beim                       Beratungsunternehmen Ordina (Deutschland) GmbH

seit 1993   Gründung der PaySys GmbH mit Barbara Füller und geschäftsführender

            Gesellschafter der PaySys GmbH

 

Dr. Godschalk weist zu Beginn darauf hin, daß nicht nur von Tauschringen alternative Währungen eingeführt wurden, sondern auch Banken bereits Parallelwährungen in Form des elektronischen Geldes ausgeben; sie nennen es meist “Bonus-Punkte”. z.B. gibt es in Eichstätt eine lokale Währung in Zusammenarbeit der Banken und der örtli­chen Geschäftswelt.

 

 

 

Hugo Godschalk:

 

“DAS  GELD  DER  ZUKUNFT”  VON  BERNHARD  LIETAER

 

Während der Lektüre dieses Buches habe ich mich auf kritische Fragezeichen als spon­tane Randnotizen beschränkt. Diese Stellungnahme ist im wesentli­chen eine Komprimierung dieser Fragezeichen. Insgesamt aber überwiegt das Ausrufezeichen; eine weitgehende Zustimmung zur Diagnose des heuti­gen Geldsystems und zur strategi­schen Forderung nach Zulassung und Eta­blierung alternativer Währungssystemen als Therapieansatz.

 

Kernthese (S. 55 – die Seitenzahlen beziehen sich auf die erste Auflage 1999)

Die Kernthese Lietaers ist die Instrumentalisierung der Komplementärwährun­gen (KW) zur Abwendung der drohenden Krise und zur Schaffung des nach­haltigen Wohlstands: “Bewährte Währungsinnovationen können die vier „Geldfragen“ von Abb. 3 lösen und den nachhaltigen Wohlstand schon in­nerhalb einer Generation ver­wirklichen. Der Schlüssel dazu liegt in der Einfüh­rung von Komplementärwährungen...” (S. 55).

 

Die 4 Geldfragen seien: Wäh­rungsinstabilität, Überalterung der Bevölkerung, Klimaveränderung & Arten­sterben und die Informationsrevolution (S. 38).

Eine Komplementärwährungs­ordnung bedeutet Co-Existenz von herkömmlichen Landeswährungen und Alternativ-Währungen, “die solche sozialen Funktionen erfül­len, die für das of­fizielle Währungssystem nicht vorgesehen sind” (S. 55).

Es geht nicht darum, “die herkömmlichen Landeswährungen zu ersetzen” (S. 55). In ei­nem Szenario konkretisiert Lietaer das Potential der KW in Höhe von 20% des Binnenhandels (S. 432).

 

Kommentar zur Kernthese:

Auch wenn man die These akzeptiert, daß das Geld im Zentrum der “Zeit­kompressionsmaschine” steht (S. 38), stellt sich die Frage, ob die KW in ihrer Nische-Funktion einen wesentlichen Beitrag zur Lösung der 4 Geldfragen lie­fern kann bzw. einen nachhaltigen Wohlstand initiieren kann. Wenn KW nur als Reparaturbetrieb des herkömmlichen Geldsystems dienen und nur die soziale Funktionen wahrnehmen, die das heutige Geldsystem außer Acht lassen, werden wir die zerstörende Wirkung des heutigen Systems nur etwas mildern oder verzögern. Es ist eine third-best-Lösung, die den Status Quo in der Kernökonomie unangetastet läßt und keine Revolution bewirkt.

 

KW sind nur dann sinnvoll, wenn sie einen Keim für ein anderes, neues Geldsy­stem in sich tragen. KW sollen die Embryos einer neuen Geldordnung sein. Sie sollen zumin­dest ein Evolutionsprozeß einleiten. KW sollen die traditionellen Währungen in einem Wettbewerbsprozeß beeinflussen, zu Innovationen im herkömmlichen System führen oder gegebenenfalls die alten Währungen er­setzen. In diesem Ausleseprozeß sollen sich die besten Konzepte durchsetzen. Systemverbesserung durch Wettbewerb konkur­rierender Währungen.

 

Statt einem komplementären Verhältnis zwischen Nationalwährungen und KW mit je­der für sich abgegrenzten Wirkungsbereiche, brauchen wir ein konkurrie­rendes Verhältnis, das Substitutionsprozesse auslöst.

 

In dieser Marktordnung wäre statt Komplementärwährung[10] eher der Begriff Konkurrenzwährung an­gebracht. Dieser Wettbewerb der Währungen soll ein fairer Wettbewerb sein. Als eine von der jeweiligen Zentralbank im günstigsten Fall tolerierte KW kann kein fairer Wettbewerb entstehen. Demnach hat eine KW auch kaum Chan­cen ihrem Nische-Dasein zu entkommen und ihre erhoffte nachhaltige Wir­kung voll zu entfalten. Die Situation wäre vergleichbar mit den Chancen von nicht-subventionierten regenerierbaren Energien in einem de-facto-staatli­chen Monopol für Kernenergie mit subventionierten Preisen.

 

Traditionelle Nationalwährungen versus Komplementärwährungen

Eine wichtige Argumentation zur Begründung seiner Kernthese ist die Gegen­überstellung von herkömmlichen Nationalwährungen und KW. Die Klassifizie­rung Lietaers ist wie folgt (S. 124/S.140):

 

 

traditionelle Nationalwährung

Komplementärwährung

Zinsexistenz mit folgenden Nebenwir­kungen: einseitige Förderung von Konkurrenz, Wachstumszwang und Akkumulation

  Zinslos

  Kooperationsfördernd

  Stärkung des Gemeinsinns

  Soziale Funktion

(National)staatliches Geld

Keine Landeswährung (S. 282)

Fiat-Geld bzw. ungedecktes Geld (aus dem Nichts geschaffen)

Fiat-KW (z. B. Ithaca Hours) und wech­selsei­tige Kreditsysteme (z. B. LETS) (S. 354)

Geldschöpfung durch Bankdarlehen

 

Regulierung durch Zentralbank; Er­zeugung künstlicher Knappheit (S. 129)

Nur im Fall wechselseitiger Kreditsy­steme keine Regulierung notwendig, da Selbstregulierung der Geldmenge; keine künstliche Knappheit (S. 129); keine Inflationsgefahr (wenn richtig kon­zipiert (S. 340)

 

 

Kommentar zur Abgrenzung des Begriffs Komplementärwährung

Lietaer definiert eine KW als „eine Vereinbarung, innerhalb einer Gemein­schaft, eine Währung, die keine Landeswährung ist, als Tauschmittel zu akzep­tieren“ (S. 282). Diese neutrale Definition ist sinnvoll und kann zugestimmt wer­den. Zusätzlich ver­knüpft Lietaer qualitative Eigenschaften mit KW, wie soziale Funktionen und die Kooperationsförderung. Er räumt allerdings ein, daß eine KW nicht per Definition seine positive Wirkungen entfaltet, sondern richtig kon­zipiert sein muß. Er befürwortet in diesem Zusammenhang die Systeme auf Ba­sis wechselseitiger Kredite (S. 283).

 

Wie bei einer Nationalwährung die Konkurrenzförderung nicht systemimma­nent ist, ist auch die Förderung der Kooperation keine systembedingte Eigen­schaft einer KW. So gibt es durchaus KW, die wie die herkömmliche Landes­währung konkurrenzfördernd und keine sozialen Funktionen innehaben. Die von Lietaer selbst genannten Bonuspunktesysteme sind ein gutes Beispiel für solche KW. Ein Bonuspunkte-System wie z. B. Miles & More fördert den Konsum, appelliert an den Sammel- und Kumulierungstrieb des Menschen und ist öko­logisch schädlich. Diese KW – offensicht­lich ohne soziale Funktion - liefert also kaum einen Beitrag zum nachhaltigen Wohlstand. Das gleiche gilt z. B. für kommerzielle Barter-Systeme zwischen Unternehmen (Ziel: Umsatzförderung und Auslastung nicht-genutzter Kapazitäten). Das neutrale Abgrenzungskrite­rium nach Emittent (Staat oder privat) bedarf also einer qualitativen Ergän­zung. Die Existenz von KW ist also nicht ausreichend für die Zielsetzung (Lösung der 4 Geldfragen bzw. Sicherung des nachhaltigen Wohlstands). Es stellt sich also die Frage nach der richtigen KW.

 

Begünstigt durch IT-Innovationen und Internet (Senkung der Informations- und Transaktionskosten bzw. Umgehung der nationalen Regulierung) ist das Auf­kommen von Privatwährungen innerhalb geschlossener Nutzergruppen ein durchaus realisti­sches Szenario. Eine Voraussetzung ist der Bedarf innerhalb der Privatwirtschaft. Es ist zu erwar­ten, daß die Motive zur Nutzung dieser Pri­vatwährungen rein kommerzieller Natur sind (wie z. B. Loyalty Systeme). Derar­tige KW werden aber das Tor für eine neue Geldordnung öffnen, die gege­benenfalls das Ende der Nationalwährungen bedeuten kann. Diese Toröff­nung ist gleichzeitig auch die Chance für die KW mit sozialen Funktionen, die sich ebenfalls etablieren und entfalten können. Es stellt sich die Frage, ob die in diesem Wettbewerbsprozeß ausgelösten Innovationen im herkömmlichen System die Nachfrage nach KW mit Sozialfunktionen nicht wieder rückgängig ma­chen. Oder anders gesagt: Ist die heutige Existenzberechtigung von KW mit sozialen Funktionen nicht bedingt durch die fehlerhaften Konstrukte im herkömmlichen Geldsystem?

 

Es ist ein vielkolportiertes Mißverständnis, daß bei wechselseitigen Kreditsyste­men - wie LETS - die Währung nicht knapp wäre, nicht reguliert würde bzw. inflationsfrei wäre (S. 50 / S. 129 / S. 284). Die Geldmenge innerhalb solcher Sy­steme ist aber bedingt durch die gesetzten Kontoüberziehungsspielräume. Nur wenn man die Teilnehmerkonten unbegrenzt überziehen könnte, wäre die Geldknappheit aufgehoben. Das bedeutet, daß man auch in wechselseiti­gen Kreditsystemen eine Regulierung kennt. In Bezug auf das Inflationspro­blem stellt sich die Frage, ob die Geldmenge in­nerhalb eines LETS nur durch die Summe der Positiv-Guthaben definiert sei. Es sei zu bedenken, daß die Einräumung eines Überziehungslimits zusätzliche Kaufkraft zur Folge hat. Im Vergleich zur Ausgangssituation bedeutet die Einführung eines LETS mit z. B. einem Limit von mi­nus 500 Einheiten (1 Einheit = 1 Euro) für 100 Teilnehmer zu­sätzliche Kaufkraft in Höhe von 50.000 Euro, die durchaus innerhalb der Gruppe infla­tionär wirken kann (z. B. durch Nachfrageüberhang). Eine „ver­steckte“ Inflation kann ebenfalls durch ein unzureichendes Angebot auftreten (z. B. bedingt durch Maximumpreise), wonach die Teilnehmer auf ih­ren LETS-Währungseinheiten sitzen bleiben. Außerdem setzt die These der Inflations­freiheit innerhalb der KW-Systeme stillschweigend voraus, daß Inflation ein ausschließ­lich monetär bedingtes Phänomen ist.

 

Das herkömmliche Geld wird – bedingt durch das Zinsphänomen – als kon­kurrenzför­dernd gekennzeichnet. Im Gegensatz dazu seien – so Lietaer - die KW kooperationsför­dernd. Weitere Nebenwirkungen des Zinses sind der Wachstumszwang und die Akkumulation. Die system­bedingte Nebenwirkung Konkurrenzförderung sollte aller­dings kritisch hinter­fragt werden. Lietaer be­gründet seine These durch die Geschichte des elften Lederstücks (S. 132 ff.). Seine Schlussfolgerung der “unbeabsichtigten Nebenwirkung, daß sie die tra­ditionelle spontane Hilfsbereitschaft im Dorf hemmte” (S. 134), wird nicht wei­ter begrün­det. Die Gemeinschaft steht unter zinsbedingtem Wachs­tumszwang, aber gerät damit nicht zwangsläufig unter einen systembeding­ten Konkurrenzdruck bzw. unter einen Rückgang der Kooperationsbereit­schaft. Der zins­bedingte Mehrwert kann auch mittels freiwilliger Kooperation oder in einer Kommando­wirtschaft produziert werden. Die Wirtschaftsform „Konkurrenz“ ist also nicht geld- bzw. zinssystembedingt. Außerdem räumt Lietaer kurz danach ein, daß die Annahme der Lederstück-Geschichte, inner­halb des Jahres würde alles beim alten blei­ben, unrealistisch sei (siehe auch Fußnote 94 / S. 465). In Wirklichkeit wird die Zentralbank die notwendige Geld­menge zur Erwirtschaftung der zusätzlichen Produktion bereitstellen, womit der Zins aus dem Mehrwert bedient werden kann. Die angenommene Kausal­kette Zins – Wettbewerb verliert damit ihre Plausibilität und ver­langt eine weitere Begründung.

 

Weitere Randbemerkungen:

  Fax-Effekt (S. 147): “Informationen mit zunehmender Verfügbarkeit werden auch wertvoller...” Informationen werden in der Regel nicht wertvoller mit zunehmender Verfüg­barkeit. Mit dem Fax-Effekt ist vielmehr gemeint, daß sich mit Zunahme der Kommunikationsteilnehmer der Nutzen des einzelnen erhöht (auch als Ver­bundeffekte oder economies of scope  bezeichnet).

 

  Elektronisches Komplementärwährungssystem LETS in UK (S. 51):

   Nicht nur in Großbritannien, sondern weltweit können die meisten LETS (noch) nicht als elektronische Währungssysteme bezeichnet werden. Die Wertüber­tragung ist meist beleg­haft und nicht elektronisch, nur die Kontoführung ist in der Regel be­leglos.

 

• (Internet-)Zahlungssysteme, die ausschließlich auf Landeswährungen basie­ren, wer­den strukturell benachteiligt“ (S. 160): die Aussage leuchtet nicht ein.

 

  SmartCards in Minneapolis seit 1997 (S. 160) bzw. 1998 (S. 431): Soweit bekannt plant Hodroff den Einsatz von Chipkarten. Das System basiert bis heute noch auf Magnetstreifenkarten.

 

  Änderung der Natur des Geldes durch E-Money (SmartCards oder Internet­geld) (S. 169/170): E-Money ändert die Natur des Geldes. Es ist eine neue Form neben dem her­kömmlichen Bar- und Buchgeld. “Eine Neugestaltung des Geldes würde die Motivation für die meisten unserer Handlungen verändern” (S.170). Warum führt eine Veränderung der Natur des Geldes zu einer Verhaltensänderung? Die Aussage leuchtet nicht ein.

 

  Unternehmenswährung über 30 Mrd. $ in 1995 (S. 180): Wo gab es zu dieser Zeit eine KW mit einem Volumen über 30 Mrd. $???

 

  30 Mio. wieheraufladbare SmartCards in Frankreich in 1995 (S. 180): Frankreich hatte damals zwar SmartCards, aber keine wieheraufladbaren electronic purses auf Basis der Chipkartentechnik. Diese werden erst derzeit (zögernd) eingeführt.

 

• First Data Ressources als Kreditkartenanbieter (S. 183): FDR ist kein Kreditkartenanbieter, sondern ein Kreditkartenprozessor. Anbieter ist in der Regel eine Bank oder eine Finanzinstitution.

 

  Unbedenklichkeitsnachweis bei E-Money (S. 183): Gerade beim E-Money entfällt die Identitätsüberprüfung des Inhabers, da E-Money „prepaid“ ist und eine direkte Wertübertragung stattfindet (wie beim Bargeld). Bei E-Money wird nur die Echtheit des Mediums bzw. der elektroni­schen Werteinheiten überprüft. Im Gegensatz zur Debit- oder Kreditkarte bleibt der Kaufvorgang in der Regel anonym (Vgl. Nr. 2 / S. 184).

 

  Zylstra als prominenter Vertreter des Freigeldes (S. 273): Keine historische Primär-Quelle weist daraufhin, daß Charles Zylstra ein Vertre­ter des ge­sellianischen Freigeldes war.

 

  Die meisten Anwendungen in den USA waren richtig konzipiert (S. 273): Nur we­nige Anwendungen in den USA folgten dem richtigen Ansatz des Schwundgeldes (dated stamp scrip). Dennoch waren die falschen Ansätze durchaus erfolgreich.

 

  Verbot der Notwährungen in den USA (S. 274): In den USA gab es während der Weltwirtschaftskrise nur für eine sehr kurze Zeit (während der Bankenschließung) ein von Roosevelt verhängtes Verbot der Notwährungen. Bis 1937 wurde depression scrip – ohne Verbot - emittiert.

 

  KW in Form des elektronisches Geldes in Schottland, Holland und Spanien (S. 295): Bei den genannten Projekten handelt es sich nicht um E-Money im Sinne der inter­natio­nal üblichen Definition (elektronische Werteinheiten gespeichert auf einem Datenträger als Forderung gegenüber dem Emittenten).

 

  Erfolg der Notwährungen mit Anti-Hortungsgebühr in Hunderten von Fällen in den 30-er Jahren (S. 357): Neben Wörgl gab es nur wenige Experimente mit dieser Art des Notgeldes. Die meisten wurden gestoppt bevor sie Erfolg zeigen konnten. Siehe auch Randbemerkungen zu Stamp Scrip in den USA.

 

Zum e-Geld sagt Dr. Godschalk noch: Die EZB hat Angst davor; deshalb beschäftigt sie sich bereits mit Fragen der Regulierung, obwohl es das e-Geld in der Praxis noch kaum gibt.  Zur Klärung definiert er den Begriff „e-Geld“:

 

Definition von “e-Geld”:

-  monetäre Einheiten, die nicht im Bank-Computer vorhanden sind;

-  elektronische Werteinheiten, die sich auf meinem Datenträger befinden;

-  diese Werteinheiten müssen nicht DM oder Euro sein;

-  übertragbar auf andere Datenträger;

-  entweder „Vorausbezahlung“ eines herkömmlichen Zahlungsmittels oder als Bonus-Punkte (Belohnung);

-  kann aus dem Nichts geschaffen werden (z.B. Ausgabe an Stelle von Rabattmarken);

-  nicht personengebundene und nicht kontogebundene Forderung des Inhabers an den Herausgeber.

 

Es gibt so genannte 2-seitige Systeme (z.B. die Telefonkarte, die man bei der Telekom kauft und die man per Telefonieren bei der Telekom einlöst), und es gibt 3-seitige Systeme (wenn man z.B. mit der Telefonkarte auch das örtliche Transportnetz benützen könnte), bei denen Ausgabe- und Akzeptanzstellen nicht mehr identisch sein müssen. Diese Form darf nur von Banken ausgegeben werden. Die EU-Kommission hat sich 1998 dafür ausgesprochen, daß auch Nichtbanken e-Geld ausgeben dürfen; die Zentralbanken in USA und GB sehen das ebenfalls locker. Doch die EZB und die Bundesbank sind bisher dagegen. Eine Richtlinie soll noch in diesem Jahr verabschie­det werden.


Professor Dr. Bernd Senf

 

Kurzbiographie:

Jahrgang 1944, lehrt seit 1973 als Professor für Volkswirtschaftslehre an der FH für Wirtschaft in Berlin. Der Titel seiner Dissertationsarbeit Wirtschaftliche Rationalität – ge­sellschaftliche Irrationalität; die Verdrängung gesellschaftlicher Probleme durch die bürgerli­che Ökonomie stieß an der  TU auf wenig Gegenliebe und wurde erst an der FH angenom­men. Sein besonderes Interesse gilt einem tieferen Verständnis lebendiger Prozesse und ih­rem Verhältnis zur herrschenden Wissenschaft, Ökonomie, Technologie und Moral. Neben seinen Seminaren zum Thema Geld führt er auch im­mer wieder in die Arbeiten von Wilhelm Reich ein. Zwischen dem Fließen des Geldes im sozialen Organismus einer Wirtschaft und dem Fließen der Lebensenergie im Organismus eines Menschen sieht er erstaunliche funktio­nelle Identitäten: Die Blockierung des Fließprozesses macht den betreffenden Organismus krank und de­struk­tiv. Daraus folgt für ihn: Die Lösung (der Blockierung) ist die Lösung.

 

 

 

Bernd Senf:

 

WEISER  ALS  “DIE  WEISEN”

- zum Buch “Das Geld der Zukunft” von Bernard A. Lietaer

 

Das Geld der Zukunft von Bernard A. Lietaer hat mich in mehrfacher Hinsicht tief be­ein­druckt. Zunächst einmal deswegen, weil es von einem Autor stammt, der selbst höchste Funktionen in der internationalen Finanzwelt bekleidet hat und dabei zu einer äußerst kri­tischen Einschätzung des bestehenden Geldsystems gelangt ist. Er scheint mir damit wei­ser zu sein als die fünf Weisen (der Sachverständigenrat zur Begutachtung gesamtwirt­schaftlicher Entwicklung, das höchste wirtschaftspolitische Beratungsgremium der Bundesregierung), die - wie die meisten Fachökonomen - am Geld- und Zinssystem gar nichts Problematisches finden, sondern ihm vielmehr den wissenschaftlichen Segen ertei­len.

 

Beeindruckt bin ich auch über den Mut und die Klarheit, mit der Lietaer seine kritische Analyse in die Öffentlichkeit trägt. Denn es gehört heute noch Mut dazu, das bestehende Geld- und Zinssystem grundlegend in Frage zu stellen und sich damit dem Mainstream von Wirtschaftswissenschaftlern und Finanzexperten, aber auch der allgemeinen öf­fentli­chen Meinung entgegen zu stellen - und sich damit der Gefahr auszusetzen, nicht mehr ernst genommen oder gar heftig attackiert zu werden. Als Laie kann man sich vielleicht noch unbeschadet öffentlich zu diesem brisanten Thema äußern, aber als Wirtschaftsexperte riskiert man seinen guten Ruf und gerät leicht in die Rolle des Ketzers.

 

Lietaer hat sich über derlei Bedenken und Risiken offensichtlich hinweg gesetzt, und die Lektüre seines Buches läßt spüren, wie ernst es ihm bei diesem Thema ist. Er hat es so­gar riskiert, als Fachmann eine einfache, klare und allgemein verständliche Sprache zu wäh­len - und manchmal auch bei aller sachlicher Klarheit seine emotionale Betroffenheit durchschimmern zu lassen. Er verwendet auch Bilder, Karikaturen, Anekdoten und kon­krete Szenarien, also ein breites Repertoire an Stilmitteln, um die Problematik des Zinssystems und seiner destruktiven Dynamik sowie mögliche Alternativen von verschie­denen Seiten her zu beleuchten und den LerserInnen näher zu bringen. Damit setzt er sich der Gefahr aus, unter Wissenschaftlern als unseriös und unwissenschaftlich zu gel­ten - und allein schon deshalb von ihnen ignoriert zu werden. Ich rechne es ihm hoch an, daß er es dennoch getan hat, denn das Thema, um das es in seinem Buch geht, ist viel zu wichtig, als daß es nur einem kleinen Kreis von Experten vorbehalten bleiben - oder gar von ihnen unterschlagen werden sollte.

 

Noch aus einem weiteren Grund bin ich vom Geld der Zukunft tief beeindruckt: Es ist vom Inhalt her nicht nur ein ökonomisches Buch, sondern entwickelt im besten Sinne des Wortes eine ganzheitliche Sichtweise, die die traditionellen Disziplingrenzen der Wirtschaftswissenschaft hinter sich läßt. Auch dazu gehört Mut, aber auch dies er­scheint mir notwendig, wenn es um ein tieferes Verständnis der dramatischen Fehlentwicklungen geht, die das Zinssystem in der Geschichte immer wieder hervor getrieben hat und bis heute hervor treibt. Die oftmals nur noch abstrakt-mathematischen Modelle und die rein ökonomische Betrachtungsweise der herrschenden Wirtschaftslehren (insbesondere der Neoklassik) scheinen mir längst den Kontakt zur Realität sozialer, ökologischer und emo­tionaler Krisen der Wohlstandsgesellschaft und des globalen Kapitalismus verloren zu haben - und werden doch in ihren Grundaussagen vom Neoliberalismus mittlerweile welt­weit als Heilslehren nachgebetet - wie eine neue Weltreligion, aber im Gewand von Wissenschaft. Lietaer geht mit seiner Analyse nicht in diese Falle, sondern vermeidet je­den mathematischen Formalismus und eröffnet einen klaren Blick auf die vielfältigen Probleme, die das bestehende Geldsystem auf verschiedenen Ebenen verursacht oder verstärkt.

 

In einem weiteren Punkt fühle ich mich mit Lietaer verbunden: Das er das Zinssystem und den von ihm ausgehenden permanenten Druck auf die Schuldner als Ausdruck ei­nes viel umfassenderen Prinzips deutet, nämlich des Patriarchats, das es nicht immer und überall gegeben hat. In der Rückbesinnung auf nicht-patriarchale Kulturen und Lebensweisen scheinen auch mir wesentliche Grundlagen für andere Formen des men­schlichen Miteinander zu liegen (anstelle des Gegeneinander) - und damit auch für an­dere Formen von Tausch und Geld; und sei es auch erst einmal komplementär zu den immer noch dominierenden patriarchalen Strukturen.

 

Das Lietaer mit seinem Buch die Suche nach Alternativen zum bestehenden Geldsystem anregt und darüber hinaus auch dokumentiert, wie viele alternative Geld- und Tauschsysteme es in der Geschichte gegeben hat, aber auch in der Gegenwart schon wie­der gibt, halte ich für außerordentlich wichtig - auch wenn ich inhaltlich nicht mit al­len seinen Positionen übereinstimme. Während er zum Beispiel die alternativen Systeme als komplementär, also ergänzend zum bestehenden Zinssystem verstanden wissen will, sehe ich es als langfristige Herausforderung an, das als destruktiv erkannte Zinssystem insgesamt zu überwinden. Und daß eine zinsfreie globale Referenzwährung „TERRA“ zum Wohl der Allgemeinheit ausgerechnet von den trans­nationalen Konzernen auf den Weg gebracht werden sollte, die mit dem “Multilateralen Abkommen über Investitionen” (MAI) gerade ihre Kontrolle über den Globus langfristig absichern und ihre Kapitalinteressen gegen soziale und ökologische Standards durch­setzen wollten, diese Vorstellung fällt mir doch einigermaßen schwer.

 

Aber ich verstehe das Buch von Lietaer auch nicht als fertige Antwort, sondern als wich­ti­gen konstruktiven Beitrag auf der Suche nach Alternativen zum Zinssystem. Es wäre zu wünschen, daß das Beispiel Lietaer Schule macht und sich auch andere aus den höhe­ren Etagen von Wissenschaft, Politik, Kirchen, Gewerkschaften und Finanzwelt, aber natür­lich auch eine wachsende Zahl ganz normaler Bürger zu diesem bisher weitgehend ver­drängten Zinstabu öffentlich äußern. Denn wir benötigen nicht nur einen Ausstieg aus der atomaren Kernspaltung, sondern auch aus der “monetären Kernspaltung”, aus ei­nem Geldsystem mit destruktiven Kettenreaktionen, das die Gefahr eines Super-GAUs des Weltfinanzsystems in sich trägt.

 

Lietaer zeigt auf, daß alternative Geld- und Tauschsysteme, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen, mindestens die Funktion von Auffangnetzen erfüllen könnten, die es rechtzeitig zu spannen gilt. Sie können überdies auch wichtige Aufgaben der wirt­schaftli­chen Wiederbelebung strukturschwacher Regionen sowie der Einbeziehung von Menschen übernehmen, die aus dem Beschäftigungssystem mehr oder weniger heraus­ge­fallen sind. Es ist zu hoffen, daß auch politische Entscheidungsträger durch die von Lietaer angeregte Diskussion die sozialpolitische Funktion solcher Modelle erkennen und sie fördern - anstatt sie zu behindern.

 


Reinhard Deutsch

 

Kurzbiographie:

Geboren 1936 in Quedlinburg (Harz).

Volksschule in Taucha bei Leipzig. Dann 1950 mit 14 Jahren in den Westen, weil ich als "Kapitalistenkind" (Vater hatte einen Milchladen) nicht zum Gymnasium durfte.

Abitur in Frankfurt. Zwei Jahre Lehre als Buchhändler und Verlagskaufmann.

Studium der Betriebswirtschaft in Frankfurt/Main - Abschluß als Dipl.Kfm.

Danach selbständiger Unternehmer. Aufbau mehrerer Firmen im In- und Ausland, die größte davon Video Games GmbH in Lich mit über 80 Mitarbeitern.

Heute Rentner-Wirtschaftsberatung, Anlageberatung, Depotverwaltung, Bücher und Artikel schreiben. Eintreten für freie Marktwirtschaft - freien Kapitalismus mit priva­tem Geld. Libertärer - Hayek, Mises etc. (Entstaatlichung des Geldes). Spezialgebiet Geldtheorie/Goldstandard.

 

 

 

Reinhard Deutsch:

 

FALSCHGELD

– Anmerkungen zum “Geld der Zukunft”

 

Ich möchte zunächst Herrn Bernard Lietaer zu seinem Buch Das Geld der Zukunft aus­drücklich gratulieren, wie auch den Initiatoren des Expertengespräches im Lebensgarten Steyerberg . Mit etwas Glück ist das Jahr 2000 genau der richtige Zeitpunkt für eine solche Initiative – Kairos läßt grüßen. Ich denke, daß die Ereignisse dieses Jahres eine neue in­tensive Diskussion über Geldfragen auslösen werden und grund­sätzliche Überlegungen zu diesem Thema wieder gefragt sind.

 

In meinem Beitrag möchte ich mich auf ein einziges Thema beschränken, daß mir sehr wichtig erscheint. Ein altes chinesisches Sprichwort besagt “Der erste Schritt zur Weisheit ist es, die Dinge beim richtigen Namen zu benennen.”  Das Geld, das wir heute weltweit haben, hat einen Namen, nämlich fiat money. Überraschenderweise gibt es keine deut­sche Übersetzung für diesen Begriff. Wörtlich übersetzt müßte es wohl hei­ßen, “es werde Geld”, aber das ist natürlich kein klarer Begriff. Mit Zaubergeld oder Ersatzgeld könnte man es vielleicht übersetzen , aber das trifft nicht den Sachverhalt, der eigentlich ge­meint ist. Die beste Übersetzung, die mir eingefallen ist und die am klarsten in deutscher Sprache zum Ausdruck bringt, was eigentlich damit gemeint ist, lautet: Legales Falschgeld. Und in der Tat ist genau das der ganze schäbige Trick, der hinter unserem heutigen Geldsystem steckt, die Erzeugung von legalem Falschgeld. Obwohl dieser Trick eigentlich uralt ist und sich in der Geldgeschichte ein staatlicher Geldbetrug an den an­deren reiht, der mit diesem Trick durchgeführt wurde, funktio­niert er erstaunlicherweise immer wieder neu und auch heute wieder.

 

Wenn der Landesherr früher Kupfer in die Edelmetallmünzen mischen ließ, so war das nichts anderes als die Erzeugung von legalem Falschgeld. Manche Geldtheoretiker be­haupten zwar, der Landesherr handele nur rational und wirtschaftlich, wenn er ver­sucht, aus dem vorhandenen Edelmetallvorrat durch Beimischung soviel Münzen wie möglich herzustellen. Aber das ist, denke ich, eine jener intellektuellen Verwirrungen in Gelddingen, für die Wirtschaftswissenschaftler nicht unerhebliche Verantwortung tragen. Die Beimischung wurde dem Publikum ja nicht mitgeteilt. Das Kupfer wurde heimlich in die Münzen gemischt, eben um das Publikum zu täuschen und deshalb war es legales Falschgeld.

 

Dieser Trick läuft heute zwar raffinierter und ist deshalb sehr viel schwerer zu erken­nen, aber am Grundprinzip hat sich nicht viel geändert. In meinem Buch Die Geldfalle er­kläre ich ausführlich, wie dieser Trick im Laufe der Geschichte immer mehr ver­feinert wurde und wie er heute funktioniert.

 

Das wir seit etwa 30 Jahren erstmals in der Geschichte ein weltweites Geldsystem ha­ben, daß ausschließlich auf fiat money, also auf legalem Falschgeld aufgebaut ist, wird in Fachkreisen kaum bestritten. Dieses Geldsystem ist aber nicht vom Himmel gefal­len, son­dern in einem langen geschichtlichen Prozeß von vielen klugen Leuten erst allmählich entwickelt worden, allerdings nicht unter dem Begriff Falschgeld. Vielmehr wurde diese Entwicklung immer als geldtechnischer Fortschritt verkauft und zwar so gut, daß auch heute die Menschen nicht glauben wollen, daß es legales Falschgeld überhaupt geben kann, obwohl sie doch, besonders in Deutschland, immer wieder neu mit legalem Falschgeld vom Staat betrogen worden sind.

 

Einer der ganz wenigen Geldtheoretiker, die offen und klar sagen, daß es bei ihrem Geld um Falschgeld geht, ist Silvio Gesell. In seinem Buch: Die natürliche Wirtschaftsordnung schreibt er: “Europa verdankt seinen Aufstieg der größten Erfindung aller Zeiten - dem Falschgeld. Die Falschmünzerei hat in der Renaissance Rom und ganz Europa aus dem mittelalterlichen Winterschlaf geweckt.” Falschgeld kann in der Tat Wunder bewirken. Das Beschäftigungswunder der Nationalsozialisten beruhte auf Falschgeld, das sie über die Mefo Wechsel erzeugten. Das amerikanische Beschäftigungswunder und der weltweite Börsenboom heute beruhen ebenfalls auf Falschgeld. Man sieht also, es funktioniert, aber es hat eben auch eine Schattenseite. Jeder Geldfälscher bringt erst einmal Wohlstand und Prosperität in die Gemeinde, in der er sein Falschgeld unter die Leute bringt, jeden­falls solange niemand merkt das es Falschgeld ist. Es entstehen Arbeitsplätze, die Nachfrage steigt und Handel und Wandel werden belebt, ganz so wie es Goethe im Faust II beschreibt:

 

Damit die Wohltat allen gleich gedeihe

So stempelten wir gleich die ganze Reihe

Zehn, Dreißig, Fünfzig, Hundert sind parat

Ihr denkt Euch nicht, wie wohl‚s dem Volke tat

Seht Eure Stadt, sonst halb im Tod verschimmelt

wie alles lebt und lustgenießend wimmelt

 

Das Problem ist nur, daß es Wunder nicht gibt und daß die Leute nicht wissen, daß das Wunder nur auf Falschgeld beruht, weil die Dinge eben nicht beim richtigen Namen be­nannt werden. Der Grund dafür ist natürlich auch klar. Wenn man es Falschgeld nen­nen würde, funktionierte das Wunder nicht mehr. Warum ist fiat money Falschgeld? Einfach weil es Geld ist, daß ohne Leistung erzeugt wird. Vom Gelderzeuger wird auch keine Leistung versprochen. Eine Bank die fiat money aus dem Nichts erzeugt, schuldet für die­ses Geld selber nichts. Banken lösen ihr Schuldversprechen ein, indem sie im­mer neue Schuldversprechen geben. Die Bank selbst braucht den versprochenen Umtausch in reale Güter nie zu leisten, anders als etwa bei einem Wechsel. Bei einem Wechsel wird zwar auch Kreditgeld aus dem Nichts erzeugt, aber der Gelderzeuger selbst verpflichtet sich mit seiner Unterschrift, eine Leistung zu erbringen. Auch wenn er seine Wechselverpflichtung nur mit Geld erfüllt, so muß er, anders als die Bank, doch eine kon­krete Leistung erbringen, um an dieses Geld zu kommen.

 

Auch Bernard Lietaer will in seinem Buch fiat money nicht grundsätzlich verdammen. Er zeigt nur auf, daß es nicht das einzig mögliche Geld ist, wie heute vielfach geglaubt wird, sondern eben nur ein Geld unter vielen und vielleicht nicht das Beste. Aber letzt­lich soll der Markt entscheiden, ob auch solches Geld gewünscht wird. Eine wesentliche Verbesserung gegenüber dem heutigen Falschgeld schlägt er allerdings doch vor. Er zeigt, daß man auch für Falschgeld weder Staat noch Banken braucht, daß die Menschen auch Falschgeld selbst machen können. Wenn man schon fiat money ver­wenden will, wie das bei Kreditgemeinschaften, wie z. B. der Schweizer WIR ja auch teil­weise der Fall ist, so muß man sich dieses Falschgeld nicht gegen Zinsen von den Banken leihen, sondern die Tauschgemeinschaft kann es zinslos selbst machen. Genau das ist ja auch das eigentlich Revolutionäre an dem Reformvorschlag von Silvio Gesell und nicht etwa das Schwundgeld. Der wirklich belebende Effekt beruhte eben auch in Wörgl nicht etwa auf dem vergleichsweise mageren Schwundgeldeffekt sondern auf dem wuchtigen Falschgeldeffekt, wie es die Nationalsozialisten ja dann auch klar de­monstriert haben.

 


Dr. Gero Jenner

 

Kurzbiographie:

Als Asienwissenschaftler und Soziologe arbeitete und forschte Gero Jenner in Indien und lebte längere Zeit in einem Tempel in Japan. Dann begann er sich für das moderne Japan zu interessieren, für seine wirtschaftliche Entwicklung. Damals schrieb er „Nippon, eine unter­gehende Sonne?“. Heute arbeitet er als freier Autor in der Steiermark.

 

 

Dr. Jenner beschäftigte sich sehr ausführlich mit dem Phänomen des Monopols. Dieses geht zurück bis zur Agrarrevolution, die der Beginn der Überflußgesellschaft ist. Hier kam es zu großen Ungleichgewichten durch die Zusammenballung bei wenigen, die ih­ren Besitz dann so lange verteidigen, bis es zum Zusammenbruch kommt. Die Gesellschaften haben Strategien entwickelt, wie sie mit dieser Entwicklung umgehen können. Die wichtigste war das Verbot der Veränderung durch Einrichtung einer stati­schen, nachhaltigen Gesellschaft. Der reinste Fall findet sich im indischen Kastenwesen: hier war die Gesellschaft ebenso hei­lig und unantastbar wie die Natur. Es findet kein Wettstreit statt, allerdings ist die Kooperation verordnet und unfrei. Das Motto „Freiheit und Gleichheit“ bringt einerseits den Wettbewerb zwischen den Menschen, andererseits wird die Natur vogelfrei. Die moder­nen Gesellschaften sind in dauerndem Umbruch, weshalb genau wieder das da ist, was frü­her vermieden werden sollte: die Möglichkeit des Ungleichgewichts. In dynamischen Gesellschaften ist das Gleichgewicht der mathematisch unwahrscheinlichste Zustand. Deshalb stehen wir heute vor der Herausforderung der Herstellung eines dynamischen Gleichgewichts, ei­nes Gleichgewichts im ständigen Wandel.

 

Der folgende Beitrag findet sich auch im Buch Das Ende des Kapitalismus.

 

 

 

Gero Jenner:

DER  MYTHOS  VOM  ÖKONOMISCHEN  GLEICHGEWICHT

 

Es erscheint schwer begreiflich, wie die Wirtschaft einseitig als ein sich selbst regulie­ren­des System aufgefasst werden konnte – so viele elementare Gegenbeispiele gibt es. Genau genommen wirkt die Mechanik des Gleichgewichts nicht einmal in jenem Bereich, auf den sich schon die klassischen Ökonomen beziehen: bei Nachfrage und Angebot. In allen modernen Staaten wachen Kartell­behörden darüber, daß es nicht zu Absprachen über die Preise oder zur Bildung von Monopolen kommt. Sie tun dies genau deshalb, weil Nachfrage und Angebot sich eben nicht automatisch zum Nutzen der Allgemeinheit auf dem bestmöglichen Niveau einpendeln. Kartellbehörden verhindern, dass private Interessen auf Kosten der Allgemeinheit erfolgreich sind. Die Eingriffe der Allgemeinheit mit dem Ziel, private Interessen daran zu hindern, dem Allgemein­wohl zu schaden, reichen aber nicht aus, um ein Gleichgewicht herzustellen. Es ist durchaus möglich, daß private Interessen zwar nicht im direkten Konflikt zu den Zielen einer Gesellschaft stehen, aber auf diese dennoch eine schädliche Wirkung aus­üben. Dies ist z.B. der Fall, wenn sie anderen Interessen hemmend entgegenstehen, die der Gesellschaft einen größeren Vorteil verschaffen. Anders gesagt, bestimmte gesell­schaftliche Ziele bedürfen eines ausdrücklichen Schutzes, damit ihre positiven Wirkungen zur Geltung gelangen. Hierzu gehört in erster Linie das Leistungsprinzip. Die persönliche Leistung spielt in der freien Marktwirtschaft eine überragende Rolle. Auf den ersten Blick scheint hier eine Motivationskette vorhan­den zu sein, die den Einzelnen zu immer größerem

Einsatz ermuntert:

 

Leistung ‡ Erfolg (aufgrund höheren Einkommens) ‡ Steigerung der Leistung etc.

 

Je größer der Erfolg, den finanzielle Belohnung und soziale Achtung verschaffen, um so höher fällt die Steigerung der Leistung aus, die sich wiederum in finanziellen Belohnungen auswirkt etc. Wie im Fall von Nachfrage und Angebot pendelt sich das Ausmaß der Leistung schließlich auf einer für den Einzelnen maximalen Ebene ein. Den Gewinn an finanzieller Belohnung und sozialem Prestige verrechnet er mit dem jeweili­gen Einsatz an Zeit und Kräften, d.h. mit seinen Kosten. Er wird daher die Leistung an ei­nem Punkt begrenzen, wo Gewinn und Einsatz für ihn ein angemessenes Verhältnis errei­chen. Diese Entscheidung bleibt ganz allein ihm selbst überlassen, ganz in der Art wie sich auch Nachfrage und Angebot ohne äußeren Eingriff regulieren.

 

Dennoch hängt diese Motivationskette stark von äußeren Umständen ab. Es genügt, daß andere Faktoren als die persönliche Leistung zu viel höheren Einkommen führen, in die­sem Fall wird sie nur noch eine untergeordnete Bedeutung besitzen. Dies trifft etwa auf Gesellschaften zu, in denen der einzelne seinen Aufstieg vor allem Beziehungen und po­litischem Einfluß verdankt. Die obige Motivationskette gilt unter derartigen Verhältnissen nicht mehr. Selbst wenn es weiterhin möglich ist, durch per­sönliche Leistung Vorteile zu erringen, wird man versuchen, den einfacheren Weg

der Beziehungen einzuschlagen.

 

A. Leistung ‡ Erfolg (geringe Einkommenssteigerung) ‡ Steigerung der Leistung usw.

B. Beziehungen ‡ größerer Erfolg (große Einkommenssteigerung) ‡ mehr Beziehungen usw.

 

Es sind letztlich die Rahmenbedingungen einer Gesellschaft, die das persönliche Handeln in viel höherem Maße bestimmen als bestimmte Zusammenhänge der Motivation. Denn in unserem Beispiel wird die zweite der beiden Motivationsketten deut­lich bevorzugt werden. Eine solche Gesellschaft wird sich gewiß nicht auf einem Gleichgewichtszustand mit maximaler per­sönlicher Leistung einpendeln, sondern es wird in ihr eine stete Verschiebung in Richtung auf Beziehungen und Korruption eintre­ten. Anders gesagt, wenn eine Gesellschaft die persönliche Leistung nicht ausdrücklich schützt und begünstigt, wird diese schließlich nur noch eine untergeordnete Rolle spie­len. Die moderne Marktwirtschaft ist zwar auf dem Prinzip der persönlichen Leistung be­gründet. Ihm verdankt sie ihre spektakulären Erfolge. Aber sie ist gegenwärtig dabei, in ein Wirtschaftssystem umzuschlagen, das statt der Leistung das Vermögen begün­stigt - das System des Kapitalismus. Die Motivations­kette der Leistung ist nicht etwa au­ßer Kraft ge­setzt - das ist gar nicht nötig, um das Leistungs­prinzip zu schwächen. Es ge­nügt, daß eine andere Motivationskette immer mehr an Bedeutung gewinnt:

 

A. Leistung ‡ Erfolg (geringe Einkommenssteigerung) ‡ Steigerung der Leistung etc..

B. Vermögen ‡ größerer Erfolg (große Einkommenssteigerung) ‡ mehr Vermögen etc.

 

Wie sich diese Verschiebung konkret auswirkt, zeigt das folgende Beispiel. 140 000 ab­hängig Beschäftigte der Gruppe Peugeot erwirtschafteten im ersten Halbjahr 1998 einen Gewinn von 2,2 Milliarden Francs oder 330 Millionen Dollar (bei einem Kurs von 6 Francs zu einem Dollar) - ein Rekorderfolg. Im gleichen Zeitraum brachten es aber ganze 340 Händler der Citibank mit ihren Devisenspekulationen zu einem Gewinn von 552 Millionen Dollar - pro Person entspricht dies einem 400 mal so großen Erfolg! Reale volkswirtschaft­liche Leistung und Einkommen auf ihre Kosten verhalten sich hier also wie 1 zu 400! Kein Wunder, daß die Spekulation ein ex­ponentielles Wachstum ver­zeichnet, weil die reale Leistung unter diesen Bedingungen immer weniger zu motivie­ren vermag. Diese Entwicklung ist in höchstem Grade gefährlich, weil ein sozial wün­schenswertes Gleichgewicht dadurch in immer weitere Ferne gerückt wird. Die persön­liche Leistung verschafft zunehmend weniger , das Vermögen zunehmend mehr Erfolg. Ohne den Eingriff der Gesellschaft muß dieses System an seiner Instabilität und den inneren Widersprüchen zerbrechen.

 


WORKSHOPS

 

Aus den vier Workshops kamen folgende Ergebnisse:

 

e-Money:

Dies ist eine weitere Geldart neben Bargeld und Buchgeld, die über das Internet abge­wickelt werden kann. Damit eröffnet sich ein großes Potential für Parallelwährungen, wenn z.B. große Firmen ihre Bartergeschäfte auf diesem Weg abwickeln.

 

Öffentlichkeitsarbeit:

Als Vorschläge für die zukünftige Arbeit, deren Hauptziel das Vermitteln unseres Anliegens einer Geldreform ist, wurden formuliert: Vernetzung der be­reits Informierten (Bündnis für Geldreform); gemeinsame Aktionen und Projekte sowie breitere Informationen nach außen; Einbeziehen aller Sinne, also über Hören + Sehen + Fühlen; Verpacken in und mit anderen relevanten Themen, um nicht mit der gebets­müh­lenhaften Zinskritik zu verschrecken (Mehr Demokratie; Equilibrismus). Auch sollten ver­stärkt Schulen und Schüler angesprochen werden. Unter dem Stichwort Soziale Homöopathie wurden auch spektakuläre Aktionen vorgeschlagen, z.B. die Einrichtung ei­ner Kapelle zur Geldanbetung oder eine öffentliche Geldverbrennung.

Eine wichtige Rolle kommt dem Internet zu; ein Vorschlag aus der Runde wurde gleich nach dem Symposium in die Tat umgesetzt: die Einrichtung eines gemeinsamen Portals unter www.geldreform.net, unter dem Links zu allen Geldreform-Homepages aufgeli­stet sind. Dieses Portal sollte bei allen sich bietenden Gelegenheiten publik gemacht werden, z.B. auf T-Shirts, Kappen etc; ein Vorschlag war auch die Anfertigung eines Stempels, mit dem dann Geldscheine gestempelt werden könnten.

 

Visionen:

Diese Gruppe hatte herausgefunden, daß wir so sehr im Aktuellen verhaftet sind, daß Visionen schwer zu entwickeln sind. Der gemeinsame Nenner bei den dann doch noch gefundenen Visionen war Bewußtseinsänderung. Bei der Vermittlung des Geldproblems sollten Emotionen nicht außen vor gelassen werden, da Emotionen auch eine Rolle spielen bei der Vermittlung des im Geldsystem steckenden Problems, vor al­lem die Unsicherheit, die wir damit auslösen. Die Menschen, die schon ein Problembewußtsein haben, sollten sich stärker vernetzen für gemeinsame Aktionen, z.B. über Mehr Demokratie e.V.. Und: jeder sollte seinen indivi­duellen Weg der Vermittlung wählen, also von verrückt und spektakulär bis vernünftig und einfühlsam, denn so vielfältig wie wir Reformer sind auch die Adressaten unserer Vorschläge.

 

Geldschöpfung:

siehe zu diesem Workshop die folgenden Kapitel:


Das unerschöpfliche Thema: GELDSCHÖPFUNG

 

Wegen der Komplexität und der Bedeutung dieses Themas, das in der Literatur und vor al­lem in hitzigen Debatten z.B. auch in Internet-Foren dafür sorgt, daß viel Zeit und viele Energien absorbiert werden, sind die dazu gehörenden Beiträge in diesem Kapitel zusammengefaßt.

 

Zunächst folgt eine grundlegende Stellungnahme, die Helmut Creutz vor dem Symposium vorgelegt hatte. Danach geht er auf einige besonders häufig in den Diskussionen geäußerte Einwände ein.

 

Auf Anregung von Prof. Margrit Kennedy wurde beschlossen, das Dauerbrenner-Thema der Geldschöpfung, dessen Kernproblem für viele schon wegen der unterschied­lichen Sprachregelung nicht verständlich ist, in eine Expertengruppe zu verlagern. Diese sollte zunächst einmal klären, woran sich der Streit immer wieder entzündet, und dann versu­chen, einen Lösungsansatz zu finden. Das Ergebnis dieser Experten-Diskussion faßt Dr. Erhard Glötzl am Schluß dieser Dokumentation zusammen.

 

 

Helmut Creutz:

Zu Das Geld der Zukunft, besonders zur Theorie der multiplen Geldschöpfung durch die Banken

 

Das Buch von Bernard Lietaer wird kein Leser ohne wesentliche Zugewinne an Informatio­nen und Erkenntnissen aus der Hand legen. Das trifft nicht nur auf die de­taillierten Beschreibungen alternati­ver Geld- und Verrechnungssysteme in aller Welt zu, son­dern vor allem auch auf die vielen Beiträge, die über die im Titel des Bu­ches an­ge­sprochene Thematik hinausgehen.

 

Da diese positiven Seiten des Buches in allen mir bekannten Re­zensionen ausführ­lich gewürdigt wurden, kann ich auf eine de­taillierte Wiederholung mit eigenen Worten ver­zichten. Als je­mand, der sich seit mehr als 20 Jahren mit Analysen un­seres Geld­systems befaßt, möchte ich vielmehr auf einige spezielle Punkte einge­hen, die aus mei­ner Sicht einiger Anmerkungen und Ergänzun­gen bedür­fen.

 

So scheint mir z.B. die Beschreibung der "destruktiven Wirkung des existierenden Geldsystems", vor allem gemessen am Umfang der den Komplementärwährungen ein­ge­räumten Buch-Anteile, etwas zu kurz gekommen zu sein. Vor allem, wenn man be­rücksich­tigt, daß erst die genauere Beschreibungen dieser Destruktivitäten dem Le­ser den Sinn und die Notwendigkeit alternativer Wege verdeutli­chen dürften. Au­ßerdem hatte ich per­sönlich an dieses Buch eines Insiders die Hoffnung geknüpft, über das all­gemeine Informati­onsniveau hinausgehende neue Details über das existie­rende Geld­system erfah­ren zu können.

 

Neben diesen eher allgemeinen Bemerkungen möchte ich nachfol­gend einige be­stimmte Aussagen bzw. Textstellen aus dem Buch kritischer beleuchten. Dies trifft vor allem auf die mehrfach wiederholten Verknüpfungen des Geldbereichs mit Be­griffen wie Alche­mie, Magie oder Mysterium zu. Solche Begriffe könnten m.E. viele Le­ser, die mit dem Nachvollzug monetärer Vorgänge sowieso ihre Schwierigkeiten haben, zusätz­lich verwir­ren bzw. auf falsche Fährten lenken. Das gilt vor allem auch für die mehr­fach ange­führte und nachfolgend von mir behandelte Theorie der so genann­ten multi­plen Geldschöpfung, die auch immer noch durch die mei­sten Lehr­bücher geistert.(1)

 

Die Theorie der multiplen Geldschöpfung durch die Banken

Nach dieser Theorie können - wie es im Kasten auf Seite 68 des Lietaer-Buches heißt - aus "ursprünglich 100 Millionen der Zen­tralbank 900 Millionen als `Kreditgeld´ entste­hen". Diese wunder­same Geldvermehrung wird dann durch die Darstellung auf Seite 69 noch optisch untermauert.

 

Um die Fragwürdigkeit dieser Schöpfungstheorie besser vermitteln zu können, gebe ich diese Darstellung nachfolgend noch einmal detail­lierter wieder:

 

Schema der sogenannten multiplen Geldschöpfung

 

 

Geht man den Vorgängen einmal von der Theorie unbelastet nach, dann zeigt sich, daß:

1. jeder erneuten Verwendung der als Anfangssumme eingesetzten 100 Millionen jedes mal auch eine erneute Einlage irgendeines Bankkunden voraus geht.

2. die wiederholte Reservebildung und Kreditgewährung durch die Banken nur möglich ist, wenn und so lange der Einleger über sein Guthaben nicht selbst durch Abhebung oder Überweisung verfügt.

3. es bei den dargestellten Vorgängen zu keiner wie auch immer gearteten Vermeh­rung der in Umlauf gegebenen 100 Millionen kommt, die sich auf jeder Stufe aus den bisher gebildeten Reser­ven und dem zuletzt gewährten Kredit immer wieder auf 100 addie­ren.

4. es nicht nur zu keiner Vermehrung der Geldmenge kommt, son­dern, bezogen auf die in der Wirtschaft aktive Geldmenge, sogar zu einer ständi­gen Verringerung, da die gesamten 100 Millionen nach und nach in den Reserven verschwinden.

5. sich durch eine wiederholte Verwendung von Geld, ob zum Kau­fen, Verleihen oder Schenken, niemals das Geld vermehrt, sondern lediglich die Summe der nacheinan­der getätigten Kauf-, Verleih- und Schenkungsvorgänge.

 

Diesen Tatbeständen kommt man sehr schnell auf die Schliche, wenn man in der Ablaufkette statt der Banken einmal eine Kette von Ge­schäften einsetzt, und statt der Verleihvorgänge Verkaufsvor­gänge. Auch hier würden sich, wenn jeder Geschäftsin­haber zehn Prozent in die Reserve nimmt und der Rest in einem weite­ren La­den kau­fend eingesetzt wird, die gleichen Ergebnisse an Reserven und Um­sätzen ergeben. Kaum jemand käme hierbei je­doch auf die Idee, daß aus 100 Mil­lionen Zentralbankgeld 900 Millionen Kaufgeld ent­stehen und sich damit das Geld vermehren würde. Denn was sich hier im Gleichschritt mit den Durchläufen des Geldes durch die Läden vermehrt, sind immer nur die Kauf-Um­sätze. Nicht an­ders aber vermehren sich auch bei den Durchläufen des Geldes durch die Banken im­mer nur die Verleih-Umsätze und damit Gutha­ben und Schulden, nicht aber das Geld.

 

Eine solche Vermehrung des Geldes ist den Banken auch schon des­halb nicht möglich, weil sie für jeden Geschäftsvorgang in gleicher Höhe über Zentralbank­geld verfügen müs­sen. Das gilt nicht nur für die Auszahlungen an den Bankkassen, sondern auch für alle Überweisungen, gleichgültig ob im Auftrag eines Sparers oder Kreditnehmers. Denn auch dazu muß die überweisende Bank in entspre­chender Höhe Zentralbankgeld zur Verfügung haben und an die empfan­gende Bank übertragen. Dieses Zentralbankgeld aber können die Banken nicht selbst schaffen oder vermehren.(2)

 

Der grundlegende Fehler bei der Geldschöpfungstheorie ist, daß dabei die Menge des Geldes mit der Menge der damit getätigten Vorgänge ver­wechselt bzw. zusammen ad­diert wird. Oder an­ders ausgedrückt: daß man die Verwendung des Geldes mit seiner Ver­mehrung gleichsetzt, also das Trans­portmittel mit dem Trans­portvolumen. So wenig aber wie es durch eine wiederholte Verwen­dung von Waggons für Transportzwecke zu einer Vermehrung der Wag­gons kommt, so wenig kommt es bei einer wiederholten Verwen­dung von Geld für Kauf- oder Verleihzwecke zu einer Vermehrung des Geldes.

 

Geldschöpfung für Regierungen

Auch die in dem Kasten auf Seite 68 angeführte Inumlaufsetzung von Zentralbank­geld zur Begleichung staatlicher Rechnungen muß den Leser verwirren, weil sich in kei­nem halbwegs zivilisierten Land eine Regierung ihre Ausgaben von der No­tenbank be­zahlen lassen kann. Nach Artikel 21 des Maastrichter Vertrags ist der EZB und den na­tionalen Zentralbanken die Kreditvergabe an öf­fentliche Haushalte sogar ausdrücklich verboten, selbst der un­mittelbare Erwerb öffentlicher Schuldti­tel.

 

Gehen die Ausgaben einer Regierung über die Einnahmen hinaus, erhalten diese also kein zusätzlich herausgegebenes Geld von der Notenbank, sondern sie müs­sen sich das fehlende Geld von ihren Bürgern leihen, gleichgültig ob aus deren Erspar­nissen bei den Banken oder durch den Verkauf von Schuld­verschreibungen. Haben die Bürger nicht ge­nügend Ersparnisse ge­bildet, bleibt den Re­gierungen allenfalls noch die Kreditauf­nahme in anderen Ländern, die über Ersparnis-Überschüsse verfü­gen.(3)

 

Schulden gleich Geld

Ebenfalls verwirrend erscheint mir die Darstellung des Geldes als Schuldschein bzw. Schuldanerkenntnis. Wenn ich einen Hand­werker für eine Reparatur mit einem 100-DM-Schein bezahle, schuldet mir weder dieser etwas noch ich ihm. Vielmehr begleiche ich mit dem Schein meine Schuld bei dem Handwerker, für den wie­derum der Schein eine Bestätigung für eine eingebrachte Leistung ist, die er seinerseits bei einem Dritten gegen eine Leistung einlösen kann.

 

Irritierend ist auch die Gleichstellung von Geld und Schulden als "die beiden Seiten ei­ner Münze" (S.70). Denn Schulden sind kein Geld, sondern das Ergebnis einer Geld-Ausleihe und die Ver­pflichtung zu seiner Rückgabe. Und diesen Schulden steht auf der Aus­leiher-Seite ein gleich hohes Guthaben gegenüber. Mit der Rück­zahlung der Schuldensumme verschwindet darum auch kein Geld, sondern ledig­lich, zusammen mit den Schulden, das mit der Aus­leihe entstandene Guthaben. Das bei dem Aus­leihe-Vorgang be­nutzte Geld wandert bei der Tilgung also nur wieder an denjeni­gen zurück, der es übrig und ausgeliehen hatte. Das gilt auch dann, wenn der Vorgang in zwei Schritten über Banken abläuft. - Auch hier wird offensichtlich wieder das Transport­mittel Geld mit den Transportvorgängen bzw. Geld mit Guthaben ver­wechselt!

 

Geld verschwindet nur dann aus dem Kreislauf, wenn sich bei den Banken mehr Zentralbankgeld ansammelt als laufend wieder bei ih­nen abgefragt bzw. von ihnen für Überweisungen und neue Kredite eingesetzt wird. In diesem Fall würden die Geschäftsbanken die­ses überschüssige Geld zur Senkung ihrer Schulden an die Zen­tralbank zurückgeben, womit sich die Geldmenge verringert.

 

Einnahmen der Banken

Zweifellos nehmen die Umsätze und Gewinne zu, die von den Banken außerhalb der all­gemeinen Kreditgeschäfte erwirtschaftet werden. Der auf Seite 71, dritter Ab­satz, er­weckte Eindruck, daß diese Kreditgeschäfte nur noch von geringer Be­deutung wären, trifft je­doch, zumindest in Europa, nicht zu. So weisen die von der Deutschen Bun­desbank jähr­lich veröffentlichten Geschäftsergeb­nisse der deut­schen Banken für 1998 einen Überschuß aus dem zinsabhängigen Geschäft von 148 Mrd. DM aus, für den aus Provisi­onsgeschäften nur von 36 Mrd. DM.(4)

 

Auch nach der Definition der EZB ist die wirtschaftliche Tätig­keit der Geschäftsban­ken immer noch dadurch gekennzeichnet, "Einlagen des Publikums entgegenzu­nehmen und Kredite auf eigene Rechnung zu gewähren und/oder in Wertpapieren zu investie­ren."(5)

 

 

ERWIDERUNG AUF DIE ARGUMENTE DER GELDSCHÖPFUNGS-BEFÜRWORTER

 

Gegen die Ablehnung der Schöpfungstheorie werden von ihren Befürwortern im­mer wie­der bestimmte Argumente vorgebracht. Da diese auch bei der Tagung in Steyerberg an­gesprochen wurden, soll hier auf die wichtigsten kurz eingegangen werden:

 

 

1. Argument: 

Schon die Goldschmiede im Mittelalter haben für die ein­gelegten Goldmünzen mehrere umlauffähige Quittungen ausgestellt, ausge­hend von der Erfahrung, daß diese nicht gleichzeitig zur Einlö­sung vorgelegt werden. Ebenso können heute auch die Banken auf eine Einlage mehrere Kredite vergeben, da nur wenige in Bargeld abgefor­dert werden. Hier bleibt wieder unbeachtet, daß die Banken nicht nur bei einer Inanspruch­nahme des Kredits durch Barabhebungen über Zentralbankgeld verfügen müssen, sondern auch bei allen Überweisungen (siehe Anmerkung 2).

 

 

2. Argument:

Über Sichtguthaben können sowohl die Einleger als auch die Banken gleichzeitig verfü­gen, womit sich die Nachfrage bzw. das Geldvolu­men in der Wirtschaft verdoppelt. Hier wird übersehen, daß die Banken nur zwischenzeitlich über die Einlagen ver­fügen kön­nen, bis das die Einleger selbst tun. Es gibt also keine gleichzeitige Nut­zung, sondern nur eine nacheinander. Damit kommt es aber zu keiner Ausweitung der Geldmenge, son­dern nur zu einer effektiveren Nutzung.

 

 

 

3. Argument: 

Die multiple Geldschöpfung der Banken ist zwar nicht mit Bargeld möglich, wohl aber mit Giralgeld.  Wie schon beim ersten Argument, wird auch hier der Tatbestand außer Acht gelas­sen, daß die Vorgänge auf den Kundenkonten gewis­sermaßen nur Schatten der ablaufenden Zentralbankgeld-Übertra­gungen sind. Konkret: Wenn die Bank B in der Schemadarstellung von der Bank A keine 90 Geldeinheiten in Zentralbankgeld er­hält, wird dieser Betrag auch niemals auf dem Kontoauszug des Kunden als Gut­schrift erscheinen.  Es ist darum völlig gleichgültig, ob man den Durchlauf des Geldes in der Schema­darstellung mit Bargeld oder Giralgeld durchspielt oder auch mit einem mehr­fachen Wechsel der Zahlungsmittelarten.

 

 

4. Argument: 

Der Dissens in der Geldschöp­fungsfrage resultiert aus den unterschiedlichen Auffassungen, was als Geld gesehen wird, ob Bargeld, M1, M2 oder M3.  Die Wahl des Geldbegriffs ist für das anstehende Problem völlig ohne Belang. Gleichgültig welche Geldmenge man als zutreffend ansieht: Entscheidend für die Schöpfungsfrage ist al­leine, ob die Banken aus den Einlagen ihrer Kunden mehr machen können. Im übrigen gehören Kredite - ob geschöpft oder nicht - niemals zu irgendwelchen Geldmengen. Sie geben lediglich, wie auch die Guthaben, den Stand der offenen Rückzahlungsverpflichten wieder. Darum ist auch die Addition von Zahlungsmitteln und Guthaben als Geldmenge - zumindest in M2 und M3 - eine mehr als fragwür­dige Angelegenheit.

                          

 

Anmerkungen:

(1) z.B. H. Dettmer, Volkswirtschaftliche Grundbildung, Gehlen, Bad Hom­burg v.d.H.

(2) "Die Banken untereinander akzeptieren kein Girogeld, sondern erwarten den Ausgleich ihrer Geldmarktforderungen in Zentral­bankgeld". - Wendelin Hartmann, Mitglied des Direktoriums der Deutschen Bundesbank, 1994

(3) "Deutschland ist in den Jahren nach der Vereinigung zu einem Kapital­importeur ge­worden. Zwischen den Ersparnissen der Deut­schen und der Nach­frage nach Finanzmitteln klafft eine Lücke, die durch ausländische Kapi­talgeber geschlossen werden muß." - Otmar Issing, Chefvolkswirt der EZB, FAZ vom 7. Febr. 1995

(4) Gewinn- und Verlustrechnungen der Kreditinstitute, Monatsbe­richt Juli 1999, S. 50

(5) Monatsbericht Mai 1999 der EZB, S. 36

 

 

 


Erhard Glötzl

 

GELDSCHÖPFUNG

- Die Verwirrungen um die vermeintliche Giralgeldschöpfung durch Geschäftsbanken

 

1. Einleitung

Geschäftsbanken können kein selbstgeschöpftes Geld kaufkraftwirksam verleihen. Sie kön­nen nur Geld, das sie von der Notenbank oder von Einzahlern bekommen haben, kauf­kraftwirksam weiter verleihen. Sie können Geld zum kaufkraftwirksamen Verleihen also nur bekommen

-  durch Verkauf von Gold, Devisen oder Wertpapieren an die Notenbank (dabei wird Notenbankgeld geschöpft);

-  auf Kredit von der Notenbank gegen Hinterlegung von Wertpapieren und Bezahlung von Zinsen an die Notenbank (dabei wird Notenbankgeld geschöpft);

-  durch Geldeinzahlungen von Kunden, denen sie in der Regel dafür Zinsen zah­len müssen (wenig wenn der Kunde sein Geld auf ein Girokonto einzahlt, mehr wenn ein Kunde sein Geld auf ein Sparbuch einzahlt). Dabei wird kein Notenbankgeld geschöpft. Es entstehen dabei Guthaben, die aus verschiedenen Gründen in der Literatur oft zur Geldmenge gezählt werden;

-  durch Einsatz von Eigenkapital.

 

Warum diese im Bankwesen unbestrittene Tatsache in verschiedenen Kreisen immer wie­der in Zweifel gezogen und damit unnötig Verwirrung gestiftet wird, hat folgende Ursachen:

 

-  Die Darstellungen, die sich in Büchern im Zusammenhang mit der Ablösung von Gold als Geld durch Papiergeld finden;

-  die unpräzise Verwendung der verschiedenen Begriffe von Geld;

-  durch die Verwendung des Begriffes der aktiven Giralgeldschöpfung (im Gegensatz zum Begriff der passiven Giralgeldschöpfung) und der damit im Zusammenhang stehenden englischen Buchungsmethode, die heute bei der Vergabe von Krediten verwendet wird;

-  Mißverständnisse beim Vorgang der multiplen Geldschöpfung.

 

2. Das Mißverständnis bei der Entstehung von Papiergeld

In Büchern findet man oft sinngemäß folgende Darstellung:

Anstelle von Gold haben die Goldhändler Lagerscheine ausgegeben. Diese haben sich als bequemeres Zahlungsmittel als echtes Gold erwiesen. Als sie merkten, daß die Leute diese Lagerscheine nur mehr selten gegen das gelagerte Gold tauschten, weil sie Vertrauen in diese Lagerscheine gewonnen hatten, gaben sie zusätzliche Lagerscheine aus, die nicht mehr durch das Gold im Lager gedeckt waren. Das Verhältnis zwischen Lagerscheinen einerseits und Gold im Lager andererseits war derart, daß sie die weni­gen Leute, die ihre Lagerscheine in Gold tauschen wollten (im Normalfall!), noch sicher be­dienen konnten. Leider steht in den Büchern an dieser Stelle meist nicht dabei, daß die­ser Vorgang nichts anderes bedeutet als die Herstellung von ungedecktem Falschgeld und daß der Vorgang der Geldschöpfung heute nicht in Analogie dazu ab­läuft.

 

Aus der Analogie allerdings, daß es heute bequemer ist mit Giralgeld (Sichtguthaben) als mit Bargeld zu zahlen, wird daher oft der falsche Schluß gezogen, daß Giralgeld heute in der gleichen Weise wie dieses Papiergeld als Falschgeld geschöpft wird, was natürlich nicht der Fall ist.

 

Auch beim Übergang von einer 100 % gedeckten Goldwährung zu einer nur teilweise ge­deckten Goldwährung waren die zusätzlichen Geldscheine nicht ungedeckt sondern etwa durch Wertpapiere gedeckt. Durch die Aufgabe des Goldstandards hat sich an der Deckung der Währung nichts Grundsätzliches geändert, nur wurde die Garantie aufge­ge­ben, einen Geldschein jederzeit bei der Notenbank in Gold tauschen zu können.

 

3. Die unpräzise Verwendung der verschiedenen Begriffe von Geld

Umgangssprachlich spricht man oft in verschiedenem Sinn von Geld:

Vom Geld in der Brieftasche, vom Geld am Girokonto, vom Geld am Sparbuch oder auch vom Geld, das man in Wertpapieren oder auch in Aktien angelegt hat. Mit dem Geld in der Geldtasche, also den Banknoten und Münzen, dem sogenannten Bargeld, kann man jederzeit einkaufen. Mit Bargeld ist man daher immer liquid, Bargeld hat die höchste Liquidität. Dasselbe gilt für Giralgeld.

 

Auch wenn es in der täglichen Praxis den Anschein hat, daß man mit dem Geld am Sparbuch auch jederzeit einkaufen kann, weil man es ja vom Sparbuch abheben kann und damit in Bargeld umwandeln kann, liegen die Verhältnisse hier etwas anders. Geld am Sparbuch ist mindestens mit der gesetzlichen Bindungsfrist von 3 Monaten oder län­ger gebunden. D.h., daß im Fall, wenn die Bank nicht liquide ist (was nur in Ausnahmesituationen der Fall ist), das Abheben von Bargeld oder Giralgeld vom Sparbuch und damit der Einkauf erst nach dieser Bindungsfrist möglich ist. Sparbuchgeld ist daher weniger liquide.

 

Geld, das man in Wertpapieren oder Aktien angelegt hat, ist eigentlich gar kein Geld, weil man erst einen Käufer finden muß, der einem die Wertpapiere oder Aktien abk­auft, bevor man mit dem Geld, das man aus dem Verkauf erlöst hat, einkaufen kann. Wertpapiere oder Aktienbestände werden daher auch bei der Verwendung von sehr um­fassenden Geldbegriffen nicht zur Geldmenge gezählt.

 

An diesen Beispielen erkennt man, daß der Begriff “Geld” sehr unterschiedlich ver­wendet werden kann. So kann im allgemeinsten Fall alles, was eine Tauschmittelfunktion (z.B. Zigaretten im Krieg) oder eine Wertaufbewahrungsfunktion hat, als Geld bezeichnet wer­den oder der Begriff kann auch nur ganz eng für Bargeld verwendet werden. Die Widersprüchlichkeiten in vielen Diskussionen zum Thema Geld ergeben sich sehr häufig aus der unpräzisen Verwendung des Begriffes Geld. Um Verwirrungen zu vermeiden, sollte daher der Begriff “Geld”  ohne präzisierende Zusatzbezeichnungen nicht verwendet wer­den. Aus diesem Grunde seien hier die wichtigsten Geldbegriffe (ohne technische Details) ange­geben:

 

Das von der Zentralbank geschaffene Geld heißt Zentralbankgeld. Es setzt sich zusam­men aus dem Bargeld (Banknoten und Münzen) und den Guthaben der Banken bei der Zentralbank (die Guthaben der Nichtbanken bei der Zentralbank kann man vernach­lässi­gen). Die Banken halten diese Guthaben bei der Zentralbank in Form von Sichtguthaben (= täglich fällige Guthaben), um unter anderem ihren Verpflichtungen zur Haltung einer Mindestreserve nachzukommen.

 

Zahlt ein Kunde bei einer Bank Bargeld ein, so entstehen je nach Bindungsfrist Sichtguthaben (keine Bindungsfrist, täglich fällig), Terminguthaben oder Sparguthaben. Guthaben werden auch als Buchgeld bezeichnet. Da diese Guthaben zu der M3‑Geldmenge zählen (siehe weiter unten) wird beim Einzahlen von Bargeld Buchgeld geschöpft. Dieser Vorgang wird als passive Buchgeldschöpfung bezeichnet, weil Einzahlungen auf der Passivseite der Bankbilanz verbucht werden.

 

Selbstverständlich kann ein Kunde auch die Bindungsfristen ändern und so Sichtguthaben in Sparguthaben und umgekehrt umwandeln. In jedem Fall stellt ein Guthaben eine Forderung auf Bargeld dar.

 

Sichtguthaben entstehen in der gleichen Weise wie Sparguthaben, mit Ausnahme der Vorgänge im Zusammenhang mit der englischen Buchungsmethode bei Kreditvergaben, auf die in Kapitel 4 eingegangen wird und die in der Literatur verwir­render weise als aktive Giralgeldschöpfung bezeichnet werden. Sichtguthaben haben aber gegenüber den Sparguthaben den Vorteil, daß sie als bargeldloses Zahlungsmittel dienen können und damit die gleiche Liquidität wie Bargeld haben. Der Ausdruck „bargeldloses Zahlungsmittel“ verleitet allerdings zur Annahme, daß Zahlungen mit Sichtguthaben (Giralgeld) grundsätzlich ohne Einsatz von Notenbankgeld ablaufen, was natürlich falsch ist. Wenn Herr A beim Fahrradhändler X ein Fahrrad durch Überweisung von seinem Girokonto auf das Girokonto von X bezahlt, muß man zwei Fälle unterscheiden: Wenn A und X das Girokonto bei der gleichen Bank haben, ist das ein reiner bankinterner Buchungsvorgang, ohne daß Notenbankgeld fließt. Wenn al­lerdings A das Girokonto bei der A-Bank hat und X das Girokonto bei der X-Bank hat, muß gleichzeitig mit der Buchung auf den Girokonten eine Übertragung von Notenbankgeld von der A-Bank auf die X-Bank erfolgen. In der Regel findet diese Notenbankgeldübertragung von der A-Bank zur X-Bank nicht durch Übertragung von Bargeld sondern durch die Übertragung von Sichtguthaben bei der Notenbank statt (Sichtguthaben bei der Notenbank sind Teil des Notenbankgeldes!). Da statistisch die Buchungen von der A-Bank an die X-Bank täglich ähnlich hoch sind wie die Buchungen der X-Bank an die A-Bank, ist der tatsächlich zu buchende Saldo relativ zur absoluten Höhe der Transaktionen verhältnismäßig klein.

 

4. Mißverständnisse beim Vorgang der sogenannten „aktiven Giralgeldschöpfung“

Von einer aktiven Giralgeldschöpfung spricht man in der Literatur, wenn die Entstehung von Buchgeld vordergründig durch Aktivitäten ausgelöst wird, die auf der Aktivseite der Bilanz verbucht werden, das heißt aber keinesfalls, daß dadurch bei­spielsweise Kredite aus dem Nichts ohne passivseitige Einlagen kaufkraftwirksam vergeben werden können.

 

Eine – wenn auch in der Praxis nicht häufige – Möglichkeit einer aktiven Giralgeldschöpfung ist der Wertpapierkauf durch eine Geschäftsbank. Verkauft bei­spiels­weise ein Unternehmen ein Wertpapier an eine Geschäftsbank, wird dem Unternehmen der Kaufpreis in der Regel auf einem Girokonto gutgeschrieben. Dieser Vorgang wird als aktive Buchgeldschöpfung bezeichnet, weil Wertpapiere auf der Aktivseite der Bankbilanz verbucht werden. Dieser Vorgang ist inhaltlich aber nichts anderes als eine Hintereinanderausführung eines normalen Kaufes (nämlich des Wertpapierkaufes in Bargeld) und einer passiven Buchgeldschöpfung (durch Einzahlung des Bargeldes auf ein Girokonto).

 

Besonders erläuterungswürdig ist der Vorgang der aktiven Buchgeldschöpfung durch Kreditvergabe. Anstoß dazu wird durch einen Kreditnehmer gegeben. Da vergebene Kredite einer Bank Forderungen der Bank darstellen und somit auf der Aktivseite ver­bucht werden, wird dieser Vorgang aktive Buchgeldschöpfung genannt. Zur Klarstellung des Vorganges ist es wichtig, die Kreditvergabe in die zwei logischen Teile, aus denen sie be­steht, nämlich die Kreditzusage und die kaufkraftwirksame Inanspruchnahme des Kredites, zu unterteilen.

 

Bei der sogenannten kontinentalen Buchungsmethode wird die Kreditzusage nicht ver­bucht, sondern nur der tatsächlich in Anspruch genommene Teil des Kreditrahmens. Gehen wir vom gleichen Beispiel wie vorher aus:

 

Herr A erhält von der A-Bank eine Kreditzusage von Euro 1.000 für ein Fahrrad. Das Fahrrad kostet Euro 800, die er dem Fahrradhändler X überweisen will. Hat der Fahrradhändler sein Konto bei der X-Bank, muß die A-Bank gleichzeitig mit der Überweisung des Rechnungsbetrages einen Betrag von Euro 800 Notenbankgeld in der Regel in Form von Sichtguthaben bei der Notenbank an die X-Bank überweisen. Diese zu überweisende Notenbankgeldmenge kann die A-Bank jedenfalls nur dann überweisen, wenn sie über eine entsprechende Einlage eines Kunden auf der Passivseite verfügt oder durch ein Wertpapiergeschäft mit der Notenbank Notenbankgeld geschöpft wird. Eine kaufkraftwirksame Kreditschöpfung aus dem Nichts ist also nicht möglich. Dies käme einer Bilanzfälschung gleich.

 

Hat der Fahrradhändler sein Konto ebenfalls bei der A-Bank, überweist die Bank den Rechnungsbetrag vom A-Konto auf das X-Konto, ohne daß Notenbankgeld fließt. Inhaltlich bedeutet in diesem Fall die Erhöhung des X-Kontos des Fahrradhändlers nichts anderes, als die Hintereinanderausführung eines Bargeldkredites, eines norma­len Bargeldkaufes und der anschließenden Einzahlung des Bargeldes auf ein Konto, also die Kombination eines Bargeldkredites mit einer passiven Buchgeldschöpfung.

 

Anlaß zu einer möglichen Verwirrung gibt nur die heute meistens angewandte soge­nannte englische Buchungsmethode, bei der nicht der kaufkraftwirksam in Anspruch ge­nommene Teil des Kreditrahmens sondern der gesamte Kreditrahmen sofort bei Kreditzusage verbucht wird. In diesem Fall hat es vordergründig den Anschein, daß die A-Bank vorübergehend Buchgeld aus dem Nichts erschaffen hat. Aber auch in diesem Fall kann bei der Inanspruchnahme des Kredites selbstverständlich die Rechnung nur überwie­sen werden, wenn gleichzeitig ein entsprechender Notenbankgeldbetrag an die X-Bank überwiesen wird.

 

Inhaltlich unterscheiden sich kontinentale und englische Buchungsmethode daher nicht. Da bei der englischen Buchungsmethode der zwischenzeitig nicht ausgeschöpfte Kreditrahmen zwar als Buchgeld aufscheint, dieser aber nicht „kaufkraftwirksam“ ist, sollte man aber auch in diesem Fall diesen Vorgang besser nicht als Giralgeldschöpfung der Geschäftsbanken bezeichnen, weil das nur zur Verwirrung führt.

 

5. Mißverständnisse beim Vorgang der sogenannten multiplen Geldschöpfung

In der Literatur findet man immer wieder Aussagen, daß Banken im Wege der multi­plen Geldschöpfung zwar kein Zentralbankgeld aber doch Buchgeld schöpfen können.

 

Tatsächlich kann ausgehend von einem Betrag von z.B. 1 Million Euro Notenbankgeld, den eine Bank zur Verfügung hat, durch einen wiederholten Ablauf des Vorganges

-  Kreditvergabe von A-Bank an A

-  A kauft ein Produkt von X

-  X legt den erhaltenen Rechnungsbetrag ein und erhält dafür ein Guthaben

ein Vielfaches von 1 Million Euro an Krediten vergeben werden. Die Höhe dieses Vielfachen, der sogenannte Geldmengenmultiplikator, wird im wesentlichen bestimmt durch

-  die Mindestreservepflichten der Banken (Verhältnis der Sichtguthaben der Bank bei der Zentralbank zu täglich fälligen Verbindlichkeiten der Bank)

-  Begrenzungen durch die Höhe des Eigenkapitals der Banken (Verhältnis von Eigenkapital zu vergebenen Krediten)

-  Liquiditätserfordernisse der Banken

-  Liquiditätspräferenzen der Kunden

-  usw.

 

Die Aussage, daß das Bankensystem durch diesen Prozeß Geld schöpft ist also insofern ir­reführend, als durch diesen Prozeß genauer gesagt

-  die M1-, M2- und M3-Geldmenge erhöht wird, ohne Erhöhung der Zentralbankgeldmenge, was aber im wesentlichen nichts anderes heißt, als daß das gesamte Guthabensvolumen wächst und dadurch das gesamte Kreditvolumen wachsen kann;

-  das M1-, M2- und M3-Geld nicht durch die Banken geschöpft wird, sondern durch Einzahlungen von Kunden auf Konten, nämlich Sichtguthaben, Terminguthaben und Sparguthaben, die zur M1-, M2- und M3-Geldmengen zäh­len.

 

6. Zusammenfassung

Heutzutage sind immer mehr Menschen über die zunehmende Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich und die zunehmende Instabilisierung unserer Wirtschaft durch die Finanzwirtschaft berechtigterweise beunruhigt. Intuitiv verspüren sie richtigerweise, daß diese Fragen eng mit unserem Geldwesen, den Krediten und dem Zinssystem zu tun ha­ben. Die Vorgänge um die Geldschöpfung und die Zusammenhänge zwischen Notenbankgeld und Buchgeld sind sehr komplex und daher schwer verständlich. Darüber hinaus werden in der Literatur sehr unglückliche irreführende Formulierungen verwendet, die manche veranlassen zu glauben, daß die Hauptursache für die oben genannten Probleme in der heutigen Form der Geldschöpfung und insbe­sondere in der Buchgeldschöpfung durch Geschäftsbanken liegt.

 

Dem ist nicht so. Im Vorangehenden wurde versucht zu zeigen, daß sowohl das Zentralbankgeld durch Aktiva der Zentralbank als auch das Buchgeld der Geschäftsbanken durch Aktiva der Geschäftsbanken gedeckt sein müssen und nicht be­liebig aus dem Nichts geschaffen werden können. Das heißt natürlich nicht, daß der Wert des Notenbankgeldes oder der Wert des Buchgeldes (z.B. Sparguthaben) hundert­prozentig gesichert ist. Die Sicherheit ist nur in dem Ausmaß gegeben, wie sicher die Aktiva sind, d.h. z.B. wie sicher einbringlich die von den Banken vergebenen Kredite sind.

 

Der Begriff des Geldes kann sehr weit gefaßt werden. So kann z.B. auch ein Schuldschein den A von B erhält, gegen die Übergabe von 1 Sack Weizen als Geld be­trachtet werden und von anderen anstatt einer Zahlung entgegengenommen werden. Geld muß aber in jedem Fall durch eine konkrete Forderung, in diesem Fall nach 1 Sack Weizen, gedeckt sein. So ist das auch bei allen heutigen Geldbegriffen. Wenn A einen Schuldschein von B fälscht, indem er 1 Sack Weizen auf 2 Sack Weizen ausbes­sert, hat er Falschgeld er­zeugt. Im heutigen Geldwesen würde die Produktion von Falschgeld einer Bilanzfälschung entsprechen, vor der uns die Instrumente unseres Rechtsstaates ausrei­chend schützen sollten.

 

Die wahre Ursache für die Instabilisierung unserer Gesellschaft liegt darin, daß die Geldguthaben und damit die Kapitaleinkommen in unserem Wirtschaftssystem not­wendi­gerweise rascher als das Bruttosozialprodukt wachsen müssen, was ich als 2. Hauptsatz der Volkswirtschaftslehre formuliert und begründet habe (siehe dazu [1]) und was wegen der starken Ungleichheit des Kapitalvermögens zu einem Auseinanderdriften von Arm und Reich führen muß. Dieser Ansatz geht in seinem Grundverständnis auf Helmut Creutz [2] zurück, der sich schon lange mit den Fragen der Geldschöpfung befaßt (siehe dazu [3]) und dem ich in diesem Zusammenhang auch für die Unterstützung bei der Verfassung dieses Artikels danken möchte.

 

Die angesprochene Instabilisierung unserer Gesellschaft kann nur durch geeignete Kapitalsteuern verhindert werden und nicht durch Modifikationen im Geldschöpfungsprozeß. In diesem Sinne hoffe ich, mit dem vorliegenden Artikel einen Beitrag dazu zu leisten, daß alle Kräfte von einem Scheinproblem abgelenkt und wieder auf die Lösung der Hauptprobleme fokussiert werden.

 

Literatur:

[1]   Erhard Glötzl: “Welche Probleme können Komplementärwährungen lösen?”

Diskussionsgrundlage für das Expertengespräch zum Thema Für einen neuen Geldpluralismus von 15.-18.06.2000 in Steyerberg/Hannover

[2]   Helmut Creutz: Das Geldsyndrom – Wege zu einer krisenfreien      Marktwirtschaft (Wirtschaftsverlag Langen Müller/Herbig, 1993)

[3]   Helmut Creutz: “Geldschöpfung durch Geschäftsbanken – Theorie oder     Wirklichkeit?”: Zeitschrift für Sozialökonomie 108/1996, Gauke-Verlag,     Lütjenburg


Bernard A. Lietaer

 

MYSTERIUM  GELD

– Emotionale Bedeutung und Wirkungsweise eines Tabus

 

Da das Yin-Yang-Konzept bei Bernard Lietaer eine zentrale Rolle bei der Beurteilung der Währungen einnimmt und deshalb seine beiden Bücher eigentlich als eines konzi­piert war, gab er zum Ende des Symposiums eine kompakte Zusammenfassung seiner Thesen und Untersuchungen, die (mit vielen Grafiken) ausführlich auch im Internet zu finden sind: www.futuremoney.de. Um die Hintergründe für seine Theorie zu verste­hen, sollte man al­lerdings sein Buch lesen.

 

Drei Fragen

Prof. Lietaer benennt zunächst drei Fragen, die er sich zu Beginn seiner Arbeit gestellt hat:

1. Warum ist Geld ein Tabu? Man kann heute eher jemand fragen, mit wem sie/er letzte Nacht im Bett war, als nach dem Kontostand. Sex ist als Tabu weitgehend gefallen, geblieben sind Tod und Geld als starke Tabus.

2. Warum hat jede moderne Gesellschaft – ob in China, Rußland, USA oder Afrika – das derzeitige Geldsystem als normal und quasi naturgegeben akzeptiert?

3. Warum erscheint heute eine Veränderung möglich?

 

Zur Beantwortung dieser Fragen beschäftigte sich Prof. Lietaer mit dem Konzept der Archetypen nach C.G. Jung und der asiatischen Lehre des Yin und Yang.

Yin-Charakteristika sind z.B.:   männlich – Zukunft – Leistung – haben – rational – Technik – Expansion – Unabhängigkeit – Hierarchie – zentrale Autorität – Kontrolle – Teile erklä­ren das Ganze.

Yang-Charakteristika hingegen beinhalten z.B.:   weiblich – Gegenwart – Lebensqualität  – sein – intuitiv – zwischenmenschliche Fähigkeiten – Erhaltung –Interdependenz – Gleichberechtigung – gegenseitiges Vertrauen – Chaos – das Ganze erklärt Teile.

 

So kam Bernard Lietaer zu einer philosophischen Geld-Unterscheidung:

 

a) Yang-Währungen fördern den Wettstreit; sie sind hierarchisch aufgebaut; sie werden von staatlichen Autoritäten garantiert. Stichwort: Knappheit.

b) Yin-Währungen fördern die Kooperation und führen zu einer egalitären Geschenkgesellschaft, zur community (cum = zusammen, munere = geben). Stichwort: ausreichende Verfügbarkeit.

 

Die Rollen von Komplementärwährungen wären dementsprechend:

 

a) Nationale Währungen ermöglichen eine Wettbewerbsökonomie mit einem Austausch auf kommerzieller Basis;

b) Komplementäre Währungen ermöglichen eine kooperative Ökonomie mit ei­nem Austausch auf Gegenseitigkeit.

 

Bisher gibt es Ansätze für Yin-Währungen nur im Bereich der Tauschringe; ansonsten herrscht seit Jahrhunderten das Yang-System. Diesen Zustand vergleicht Prof. Lietaer mit dem Fahrradfahren: man kann auch mit einem Einrad fahren, aber es ist viel in­stabiler und weniger effektiv als auf zwei Rädern.

 

Die archetypische Psychologie ist das einzige intellektuelle Instrument, das wir heute ha­ben, um das kollektive Unterbewußte zu erforschen.

Zwei Begriffe benötigen wir zum Verständnis der archetypischen Psychologie:

-  Muster: z.B. der Krieger, der/die Herrscher(in), die Große Mutter;

-  Schatten: hiermit wird die Manifestation eines unterdrückten Archetypen be­zeichnet; z.B. sind die Schatten des unterdrückten Herrschers entweder der Tyrann oder der Schwächling, also entweder ein Übermaß oder ein Mangel. Der gemeinsame Nenner beider Schatten ist die Angst. Die Heilung erfolgt nicht durch Unterdrückung, sondern durch Integrierung beider Schatten.

 

Im gegenwärtigen Währungssystem werden von den fünf Archetypen des Menschen nur drei aktiviert: Herrscher, Krieger und Magier. Der Liebhaber sowie die Große Mutter sind unterdrückt.

 

Die positiven Seiten des Kriegers, des Herrschers und des Magiers haben zur Beherrschung der Technik ebenso wie zur Idee der Menschenrechte und der persönli­chen Freiheit geführt. Die Vernachlässigung des Liebhabers und der Großen Mutter brachten den Zerfall der Gemeinschaft und den fahrlässigen Umgang mit unserer Umwelt.

Der Archetyp, der beim Geld eine wichtige Rolle spielt, ist die Große Mutter (Ernährer). Wenn dieser Archetyp in der Gesellschaft unterdrückt wird, äußert sich dies in der Entstehung der beiden Schatten Gier und Knappheit, die durch die Angst miteinander verbunden sind. Wir leben in einer Gegenwart, in der der Großteil der Menschheit durch die Verknappung des Geldes unterdrückt wird.

 

Anhand der fünf Bewußtseinsstrukturen nach Jean Gebser und ihrer historischen Abfolge zeigt Bernard Lietaer, daß heute ein Schritt zur Veränderung eingeleitet ist:

 

  Die archaische Bewusstseinsstruktur begann vor ca. 1 Million Jahren bei den Hominiden; das Leben fand nur im Hier und Jetzt statt.

  Die magische Struktur entwickelte sich vor ca. 150.000 Jahren mit der Vorstellung von Zeit und Tod und der Ausbildung von Ritualen.

  Die mythische Struktur schloss je nach Region vor 25.000 bis 3.000 Jahren an. Mit dieser Periode begann das Patriarchat, und in ihr wurde das Geld erfunden.

  Die rationale Struktur entwickelte sich vor 3.000 Jahren und verstärkte sich in den letzten 500 Jahren. Ihren Höhepunkt erreichte sie im Westen während der letzten zwei Jahrhunderte mit dem Monopol der Wirklichkeitsinterpretation durch die ra­tionale Reflexion.

  Die Herausbildung der integrativen Struktur hat gerade erst in Subkulturen einge­setzt.

 

In den USA hat Paul Ray zum ersten Mal Zahlenmaterial dazu gesammelt: Umfragen bei 100.000 Bürgern ergaben, daß die Traditionalisten nur noch ein knappes Viertel der Bevölkerung ausmachen, die Modernisten mit 47 Prozent immer noch den größten Anteil stellen – aber eine neue Subkultur, die Anfang der 60er Jahre noch unbekannt war, in den letzten 20 Jahren einen Zuwachs auf 29 Prozent der Bevölkerung erfahren hat.

   Zu den Traditionalisten gehören die religiös Konservativen und der rechte politi­sche Flügel. Ihr Durchschnittsalter liegt bei 53 Jahren, und sie weisen den niedrig­sten Bildungsstand auf.

   Die Modernisten sind geprägt von der Vorstellung, die Welt so zu sehen, wie sie ist. Also zählt nur, was meßbar ist. Werte sind: Leistung, persönliche Leistung, Konsum, Technik. Entscheidungen werden nach ökonomistischen Kriterien getrof­fen.

   Die junge Gruppe der kulturell Kreativen zählen zur mittleren bis oberen Mittelklasse; ihr Durchschnittsalter beträgt 42 Jahre, 30 Prozent haben einen College-Abschluss. Ihr Wertesystem besteht auf der persönlichen Ebene in der Selbstverwirklichung, auf der kollektiven Ebene in der Stärkung des Gemeinsinns.

 

Das Besondere an dieser stark wachsenden Gruppe ist die Isolation, in der sich die mei­sten ihrer Mitglieder wähnen: zum einen gibt es keine Massenbewegung, die diese Stimmen eint, zum anderen gehören die Medien zur Gruppe der Modernisten und neh­men die kulturell Kreativen nicht wahr. Innerhalb dieser Gruppe der kulturell Kreativen lassen sich zwei Typen unterscheiden: die „grünen“ kulturell Kreativen, die sich mit der Umwelt und sozialen Aspekten beschäftigen; sie machen etwa 16 Prozent der Bevölkerung aus. Die „integrierten“ bzw. „integrativen“ kul­turell Kreativen sind sowohl an ihrer eigenen inneren Entwicklung als auch am Umweltschutz interessiert. Das Verhältnis von Männern zu Frauen liegt hier bei 1:2. Diese Gruppe macht 13 Prozent der Bevölkerung aus und damit 24 Millionen Amerikaner, die fast alle denken, sie seien allein mit ihrer Einstellung.

 

Die Yang-Währungen dominieren heute die Welt und bestimmen damit unsere Gesellschaftsformen, aber die Natur kennt nicht nur das Yang-, sondern auch das Yin-Prinzip.

Das könnte sich heute langsam ändern aus den oben genannten Gründen:

-  wir haben momentan eine hohe Instabilität im bestehenden Yang-System;

-  wir haben im Ansatz die komplementären (Yin-) Währungen

-  und  wir haben ein neues Bewußtsein, die kulturell Kreativen.

 


BÜCHER  DER  REFERENTEN  ZUM  THEMA  GELD  UND  WIRTSCHAFT

 

Creutz, Helmut:    Das Geldsyndrom – Wege zu einer krisenfreien Marktwirtschaft; Langen-Müller 1993; Ullstein 1997 (4. Auflage); (Neuauflage bei Econ Ende 2000)

 

Deutsch, Reinhard: Die Geldfalle  - weitere Informationen unter www.chartdoc.de/zaubergeld.htm

 

Gebauer, Wolfgang:      „Geld und Währung“ (Buch ist in Arbeit)

 

Grimmel, Eckhard: Kreisläufe und Kreislaufstörungen der Erde; Rowohlt, Reinbek 1993

 

Heinrichs, Johannes:    Sprung aus dem Teufelskreis – Logik des Sozialen und Natürliche Wirtschaftslehre; Vita Nuova, Wien 1997

 

Jenner, Gero:      Das Ende des Kapitalismus – Triumph oder Kollaps eines Wirtschaftssystems; Fischer, Frankfurt 1999

 

                   Die arbeitslose Gesellschaft; Fischer, Frankfurt 1997

 

Kennedy, Margrit:  Geld ohne Zinsen und Inflation - ein Tauschmittel das jedem dient; Goldmann, München 1987; in 17 Sprachen übersetzt

 

Kennedy, Margrit :      Interest and inflation free money - creating an exchange me­dium that works for everybody and protects the earth; Seva International, Okemos, Michigan & Bombay, 1995

 

Lietaer, Bernard A.:    Das Geld der Zukunft – über die destruktive Wirkung des exi­stieren­den Geldsystems und die Entwicklung von Komplementärwährungen; Riemann, München 1999

 

                   Mysterium Geld – Emotionale Bedeutung und Wirkungsweise eines Tabus; Riemann, München 2000

 

Senf, Bernd:       Der Nebel um das Geld – Zinsproblematik, Währungssysteme, Wirtschaftskrisen; Gauke, Lütjenburg 1996



[1] www.chartdoc.de/zaubergeld.htm

[2] Laut einer Studie des IIE in Washington haben sich zwischen 1970 und 1995 87 Währungskrisen und

29 Bankenkrisen in kleinen Industriestaaten und großen Entwicklungsländern ereignet – V.F.

[3] Eine reine Tauschwirtschaft ist daher aus diesem Grunde nicht effizient.

[4] Diese Gegenleistung muss nicht immer materiell sein. Sie kann auch in einem guten Gewissen oder einem Leben nach dem Tode liegen.

 

[5] Da Eigenkapitalrenditen (inkl. Wertzuwachs) immer höher sein müssen als Kapitalmarktzinsraten,

gilt dasselbe auch für Einkommen aus Eigenkapital (siehe auch 3. Hauptsatz der Volkswirtschaftslehre

in <3>).

[6] Auch ein "Gastarbeiter" mit z.B. türkischem Pass gilt demgemäss als Gebietsansässiger.

[7] Frenkel/Goldstein (1998).

[8] Z.B. hält die Deutsche Bundesbank konvertible US-$ Devisen in Form von verzinslichen 'treasury bills' des US-Schatzamtes.

[9] Fügt man noch die Annahme einer Indifferenz gegenüber der Währungszusammensetzung eines solchen Portfolios hinzu, so resultiert das Konzept einer perfekten Substituierbarkeit.

[10] Am Rande stellt sich hier die Frage, ob es sich bei den heutigen Nebengeldformen (z. B. LETS), die von Lietaer als KW bezeichnet werden, um „echte„ Währungen handelt. In den meisten Fällen brauchen diese Geldformen die Existenz einer Nationalwährung. Meist nutzen diese Systeme die Nationalwährung weiterhin als nationale Recheneinheit. Außerdem entsteht die Umsatzwirkung dieser Systeme erst durch die höhere Umlaufgeschwindigkeit des Nebengeldes aufgrund der Wirkung des Greshamschen Gesetzes. Das Nebengeld mit der geringeren Liquidität steht demnach unter einem höheren Umlaufdruck. Also: „Parasitär-Währung„ statt Komplementär-Währung?