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Bernd Senf: Der Nebel um das Geld; Gauke 1996; Seite 247 ff

8.3.2.4 Hindernisse auf dem Weg zum "Euro"

Die Hindernisse auf dem Weg zu einer Europäischen Währungsunion werden in jüngster Zeit immer unübersehbarer. Angesichts der Tatsache, daß Ende 1995 nur noch Luxemburg alle Kriterien des Maastricht-Vertrags erfüllt, wird zunehmend die Frage diskutiert, mit welchen Ländern die Währungsunion 1999 überhaupt gestartet werden könnte - oder ob nicht doch mindestens eine Verschiebung ihres Beginns notwendig werden wird. Um vor allem die Inflationsrate, die Staatsverschuldung und das Haushaltsdefizit unter das zulässige Höchstmaß zu drücken, sind mehr oder weniger drastische Einschnitte erforderlich, die den Gestaltungsspielraum von Politik immer mehr einengen.

Am Streit um die notwendige Sanierung des Staatshaushalts ist zum Beispiel in Österreich im Oktober 1995 die große Koalition aus der konservativen ÖVP und der sozialdemokratischen SPÖ auseinander gebrochen und wurden Neuwahlen erforderlich. Die von der ÖVP geforderten Sparmaßnahmen vor allem im sozialen Bereich gingen der SPÖ zu weit, und die von der SPÖ vorgeschlagenen Steuererhöhungen gingen der ÖVP zu weit. Die Neuwahlen im Dezember 95 brachten zwar nicht die befürchtete Stärkung der rechtspopulistischen FPÖ um Jörg Haider, sondern eine Stärkung der SPÖ. Aber wie die Haushaltskrise von einer neuen Regierung auf sozial- und umweltverträgliche Weise gelöst werden soll, ist unklar.

In Deutschland tat sich mit einem Mal ein unerwartetes Haushaltsloch von 20 Mrd. DM auf, das mit weiteren Kürzungen im Sozialbereich und mit dem "Versilbern" von Bundesvermögen nur notdürftig gestopft wurde - bisher noch ohne größeren politischen Widerstand. Bezogen auf die Länder und Gemeinden überschlagen sich die Meldungen über die dramatische Zuspitzung der jeweiligen Haushaltssituation und über die schon eingeleiteten und noch bevorstehenden Sparmaßnahmen. Die offiziellen Zahlen über die Massenarbeitslosigkeit werden immer alarmierender. Mit über 4 Millionen registrierten Arbeitslosen Ende Januar 1996 wurde ein neuer Höchststand in der Nachkriegszeit erreicht.

In Frankreich sah sich die Regierung Juppe gezwungen, ein drakonisches Sparprogramm zum Abbau eines riesigen Defizits von umgerechnet rund 80 Mrd. DM in der Sozialversicherung zu beschließen. Die Gewerkschaften reagierten darauf mit der heftigsten Streikwelle, die Frankreich seit 1968 erlebt hat - und die weite Bereiche des öffentlichen Verkehrs und des öffentlichen Lebens lahmlegte. Trotz der sich ausweitenden und drei Wochen andauernden Protestbewegung will die Regierung an ihrem Sparprogramm festhalten, weil sich ohne dieses Programm die Stabilitätskriterien des Maastricht-Vertrages für Frankreich nicht erfüllen ließen. Und eine Europäische Währungsunion ohne Frankreich erscheint für viele unvorstellbar.

Wenn aber schon Frankreich als eines der produktiveren Länder derartige Schwierigkeiten bei der Durchsetzung einer "Stabilitätspolitik" hat und auf dem Wege dorthin ein hohes Maß an sozialer Instabilität entsteht, wie sollen dann erst die weniger produktiven Länder die Erfüllung der Maastricht-Kriterien schaffen, von denen sie noch viel weiter entfernt sind als Frankreich? Schon auf dem Weg zur Europäischen Währungsunion zeigt sich, daß die Maastricht-Verträge auf viele europäische Länder wie eine Zuchtrute wirken, die vor allem gegen die sozial Schwachen geschwungen wird. Und selbst wenn sich noch einige Länder zu der geforderten währungspolitischen Disziplin bewegen lassen, um die Eintrittskriterien zu erfüllen, so bleibt doch völlig rätselhaft, wie die Einhaltung der entsprechenden Disziplin nach deren Beitritt längerfristig sichergestellt werden soll. Aber auch dafür sind bereits Pläne in der Diskussion, u.a. von Bundesfinanzminister Waigel, der einen "Stabilitätspakt" der späteren Mitgliedsländer fordert und damit diejenigen Länder zusätzlich finanziell bestrafen will, die nach ihrem Beitritt die Kriterien nicht mehr erfüllen. Als wäre es nur eine Frage des guten Willens oder der richtigen Einsicht, ob eine entsprechende "Stabilitätspolitik" gesellschaftlich durchgesetzt werden kann.

Was also bleibt in dieser angespannten Situation an Möglichkeiten? Die Sprunglatte für den Eintritt in die Europäische Währungsunion und für die Mitgliedschaft doch noch niedriger legen, damit sie von einer hinreichenden Zahl von Ländern auch wirklich übersprungen werden kann? Das hieße aber, daß der Euro letztendlich doch weniger stabil würde als bisher die DM. Da hilft auch kein beruhigender Hinweis darauf, daß die Europäische Zentralbank ihren Sitz in Frankfurt/Main, dem Sitz der Deutschen Bundesbank, haben wird. Als hinge die Güte der Geldpolitik von der geografischen Lage der Zentralbank ab! Oder soll die EWU 1999 nur mit wenigen Ländern starten, die bis dahin - wenn überhaupt - die Kriterien erfüllen? Und die anderen Länder erstmal draußen lassen? Wer weiß, ob sie den Beitritt dann überhaupt noch jemals schaffen. Wäre Europa dann nicht eher gespalten als vereinigt - in arm und reich? Oder sollte man den Beginn der Währungsunion hinausschieben, bis es mehr Länder werden? Oder vielleicht doch die Kriterien lockern? "Stabilität" oder "Einhaltung des Zeitplans" - was soll vorrang haben?

Angesichts der sich zuspitzenden Entwicklungen wird sich für immer mehr Menschen, vielleicht auch für immer mehr politische Parteien in den einzelnen Ländern, und vielleicht sogar für die eine oder andere Regierung die Frage stellen, warum eigentlich eine Europäische Währungsunion unbedingt sein muß - wenn schon der Weg dorthin mit derart vielen Problemen verbunden ist. Wenn die demokratischen Parteien der europäischen Länder dieses Thema nicht ernsthaft aufgreifen, die damit zusammenhängenden Probleme offen und sachlich diskutieren und konstruktive Lösungsvorschläge erarbeiten, besteht ein weiteres Mal die Gefahr, daß extremistische und nationalistische Bewegungen in das Vakuum einer geld- und währungspolitischen Blindheit hineinstoßen - und den wachsenden Unmut in der Bevölkerung in eine gefährliche Richtung kanalisieren.

Deutschland ist in diesem Jahrhundert aufgrund des geld- und währungspolitischen Versagens der demokratischen Parteien schon zweimal in soziale Katastrophen gestürzt, die den Boden für den Faschismus bereitet haben. Wenn sich eine ähnliche Entwicklung auf europäischer Ebene nicht wiederholen soll, gilt es, rechtzeitig die Augen zu öffnen gegenüber den fundamentalen Problemen, die mit Geld- und Währungsfragen zusammenhängen - insbesondere der Problematik des Zinssystems und der geplanten Europäischen Währungsunion. Den Nebel um das Geld, der sich bislang so weitreichend über die Gesellschaft ausgebreitet hat, gilt es mehr und mehr zu lichten.


Dieser Text wurde ins Netz gebracht von: W. Roehrig. Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.
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