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a) 1.1.94 Gründung eines Europäischen Währungsinstituts (EWI) (mit Sitz in Frankfurt/Main) zwecks engerer Zusammenarbeit der europäischen Zentralbanken zur Vorbereitung auf eine spätere Europäische Währungsunion (EWU). Ziel dieser Zusammenarbeit soll es u. a. sein, auf eine weitgehende Angleichung wesentlicher wirtschaftspolitischer Bedingungen und gesamtwirtschaftlicher Kennziffern der Mitgliedsländer hinzuwirken - bzw. Mindestbedingungen zu formulieren, die sozusagen als "Eintrittskarte" in eine Europäische Währungsunion gelten. Man spricht in diesem Zusammenhang von "Konvergenzkriterien". Die zunächst voneinander abweichenden Kennziffern sollen also in den kommenden Jahren einander angenähert werden, sollen "konvergieren".
Die Konvergenzkriterien lauten dabei wie folgt:
- Inflationsrate von maximal 3,4 %
- langfristiger Zinssatz von maximal 8,5 %
- Staatsverschuldung von maximal 60 % des Brutto-Inlandprodukts (BIP)
- Haushaltsdefizit von maximal 3 % des BIP
- Bewegung der Wechselkurse für 2 Jahre innerhalb der Bandbreite (ursprünglich +/-2,5 %), das heißt relative Wechselkursstabilität
b) frühestens am 1.1.97 Beginn der Europäischen Währungsunion für den Fall, daß mindestens die Hälfte der Mitgliedsländer die Konvergenzkriterien erfüllt hat.
c) spätestens am 1.1.99 Beginn der EWU - zunächst nur mit den Ländern, die bis dahin die Konvergenzkriterien erfüllt haben (minimal 2 Länder). Die anderen Länder können später - nach Erfüllung der Kriterien - der Währungsunion beitreten.
Aus Abb. 110 ist erstens erkennbar wie unterschiedlich in der Zeit von 1979 - 1992 das Inflationstempo und damit der "Kaufkraftverlust durch Preissteigerungen" der einzelnen EG-Währungen gewesen ist; und zweitens, wie sich die Wechselkurse auseinanderentwickelt haben. Damit es überhaupt zur EWU kommen kann, müßten sich diese Unterschiede (auch in bezug auf die anderen Kriterien) in wenigen Jahren abbauen und in Richtung einer Konvergenz bzw. der Erfüllung der genannten Mindestbedingungen entwickeln.
Abb. 111 zeigt, daß es 1993 um die Erfüllung der Konvergenzkriterien noch sehr schlecht bestellt war: Kein einziges Land hatte bis dahin alle Kriterien erfüllt, und in bezug auf Preisanstiege und Staatsschulden waren die Länder mit erfüllten Kriterien noch deutlich in der Minderheit. Bezüglich des Haushaltsdefizits war es sogar nur ein Land (Luxemburg), was den Anforderungen entsprach.
Am 5.4.95 meldete "Der Tagesspiegel" (Berlin) unter der Überschrift "Schlechte Noten für die EU-Finanzchefs" - unter bezug auf den Jahresbericht des Europäischen Währungsinstituts EWI: "Gegenwärtig dürfte im Grunde genommen kaum eines der EU-Länder die Kriterien für die Währungsunion erfüllen... Allein Luxemburg hat nach Berechnungen des EWI die fünf Konvergenzkriterien für die Währungsunion erfüllt. Deutschland patzte bei der Inflationsrate... Die Verschlechterung der öffentlichen Haushalte in den EU-Ländern blieb besorgniserregend. 1994 lag das Defizit in der Union im Schnitt bei 5,6 % gemessen am Bruttosozialprodukt des jeweiligen Landes." Ob der Fahrplan des Maastricht-Zuges eingehalten werden kann, ist also mehr als fraglich.
Aber an der Zielrichtung hat sich bisher auf offizieller politischer Ebene noch nichts geändert. Allerdings tauchte seit 1994 hier und da die Frage auf, ob man nicht erst einmal mit den Triebwagen losfahren und die langsameren und bremsenden Anhänger lieber abkoppeln sollte - eine Überlegung, die zuerst von Wolfgang Schäuble, dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion unter dem Begriff "Kern-Europa" als Versuchsballon in die politische Diskussion eingebracht wurde. Oder es ist die Rede von einem "Europa der zwei Geschwindigkeiten". Nach heftigen Turbulenzen an den Devisenmärkten innerhalb des EWS im März 1995 mehrten sich die kritischen Stimmen in bezug auf die Realisierbarkeit von Maastricht, und es wurde hin und wieder schon von der Notwendigkeit von Nachverhandlungen ("Maastricht II") gesprochen.
Wer noch vor 1994 Zweifel an der Richtigkeit oder Realisierbarkeit des Maastricht-Abkommens äußerte, galt gleich als "Europafeind" oder gar als "Nationalist", obwohl er oder sie die Entwicklungstendenzen und die daraus entstehenden Probleme vielleicht nur früher und klarer hat kommen sehen. So haben sich denn auch die demokratischen Parteien fast einhellig für Maastricht ausgesprochen, als es anläßlich der Ratifizierung des Abkommens zu einer Diskussion im deutschen Bundestag bzw. Bundesrat kam.
Eine Volksabstimmung zu dieser für die Zukunft Europas und seiner Völker so wesentlichen Frage hat man in Deutschland erst gar nicht riskiert. In Dänemark hatte die Volksabstimmung im ersten Durchgang zu einer knappen Ablehnung geführt (und erst im zweiten Durchgang nach Einräumung einiger Sonderbedingungen für Dänemark eine knappe Zustimmung gebracht), und in Frankreich gab es per Volksabstimmung nur eine knappe Mehrheit dafür. Da für das Wirksamwerden des Maastricht-Abkommens die Ratifizierung durch alle Mitgliedsländer erforderlich war, hätte ein ablehnender Volksentscheid in Deutschland (oder in einem der anderen Länder) das gesamte Abkommen zu Fall gebracht.
Seit Herbst 1995 ist auch in Deutschland mit einem Mal die Diskussion um die geplante EWU voll entbrannt, wenn auch bisher zumeist auf einer unglaublich oberflächlichen Ebene. Bundesfinanzminister Theo Waigel erregte Aufsehen damit, daß er öffentlich seine Zweifel darüber zum Ausdruck brachte, ob Italien die Bedingungen für den Beitritt zur EWU wird erfüllen können - woraufhin der Kurs der Lira weiter absank. Die Frage, ob eine künftige Währungsunion die gleiche relative Preisstabilität wird halten können wie bisher die DM, wurde immer häufiger und heftiger diskutiert. Anleger von längerfristigen Geldern befürchten, daß die spätere Verzinszung und Tilgung anstatt in stabiler DM in einem weniger stabilen Euro-Geld erfolgen könnte und sind aus diesem Grund schon teilweise in Geldanlagen in den Schweizer Franken umgestiegen, der freiwillig außerhalb der Europäischen Währungsunion bleiben wird und als relativ stabil gilt.
Mit einem Mal kamen auch aus der Führungspitze der SPD - vom seinerzeitigen SPD-Vorsitzenden Rudolf Scharping, vom neuen SPD-Vorsitzenden Lafontaine und vom niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder - öffentliche Äußerungen, die davor warnten, die Stabilität der DM für eine möglicherweise weniger stabile Euro-Währung zu opfern (wofür sie zum Teil empörte Kommentare in den Medien ernteten). Auf ihrem Gipfeltreffen in Madrid im Dezember 1995 haben sich die EU-Regierungschefs mittlerweile mindestens auf einen Namen für die geplante europäische Währung geeinigt: "Euro" soll die Währungseinheit heißen. Allein dieser Beschluß wurde schon als großer Erfolg gewertet, wobei die sonstigen mit der EWU zusammenhängenden Probleme gar nicht erst diskutiert wurden. In den darauf folgenden Wochen verging allerdings fast kein Tag, an dem das Thema Euro-Geld nicht für politische Diskussionen, Schlagzeilen und Kommentare in den Medien gesorgt hätte. Die Diskussion um die EWU wird sicherlich noch Jahre weitergehen und vermutlich an Heftigkeit zunehmen. Damit ist die Intention der Strategen von Maastricht, die Währungsunion möglichst stillschweigend und hinter den Kulissen einer breiten öffentlichen Diskussion über die Bühne zu ziehen, erst einmal gründlich gescheitert.
Die andere Alternative wäre, daß die südlichen Länder mit ihrer sich verschärfenden ökonomischen und sozialen Krise von den ökonomisch stärkeren Ländern Mitteleuropas allein gelassen werden. Daraus könnten starke Wanderungsbewegungen von Arbeit suchenden Menschen in Richtung Mitteleuropa entstehen, ohne daß sich hier hinreichend Beschäftigungsmöglichkeiten bieten werden. Da in einem vereinigten Europa oder auch jetzt schon im Rahmen des europäischen Binnenmarktes keine Beschränkungen für innereuropäische Bewegungen von Menschen und Kapital bestehen, könnten derartige Zuwanderungen auch nicht mit Einreisebeschränkungen oder verschärftem Asylrecht aufgehalten werden. Es ist zu befürchten, daß unter solchen Bedingungen eine zunehmende Feindlichkeit oder gar ein Haß gegen "Südländer" entsteht und - insbesondere in Deutschland - an alten Vorurteilen angeknüpft wird und neue aufgebaut werden.
Selbst wenn es sich um ein politisch vereinigtes Europa handeln wird und die "Südländer" insofern keine Ausländer mehr wären, schützt eine nur politische Vereinigung nicht vor dem Aufbrechen nationalistischer oder ethnischer Konflikte, wie dies am Zerfall Jugoslawiens und der Sowjetunion überdeutlich wird. Derartige Konflikte brechen insbesondere dann auf, wenn sich die ökonomische Krise zuspitzt und eine ethnische Gruppe sich einen deutlich höheren Anteil am Gesamtprodukt gesichert hat als andere. Bezogen auf ein vereinigtes Europa hieße das: In den benachteiligten Regionen insbesondere des Südens würden sich sehr bald Pulverfässer von Nationalismus und Extremismus aufbauen, die den Traum vom vereinigten Europa schnell zerstören und in europafeindliche Tendenzen umschlagen können.