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VOLKSWIRTSCHAFTLICHES
Frühe Gesell-Rezension eines Proudhonisten (1)
Vor mir liegt eine kleine Schrift über Geldwesen mit dem Titel:
'Die Anpas-
sung des Geldes und seiner Verwaltung an die Bedürfnisse des modernen
Verkehrs' von Silvio Gesell, Buenos Aires, Verlag von Gesell und Nagel,
Weimar, M. 2,40. Ich habe nicht oft eine volkswirtschaftliche Schrift
mit
größerem Interesse gelesen. Die Klarheit der Grundanschauung
enthebt
den Verfasser der Notwendigkeit, sich in den breitgetretenen Geleisen
des öden Streits zwischen Gold- und Silberleuten herumzutreiben
und ge-
stattet ihm eine Stellungnahme zur ganzen Währungsfrage, die berghoch
über den Ergüssen der Metallenthusiasten steht. Trotzdem
ich die prakti-
schen Schlüsse, zu denen der Autor kommt - sofortige ausschließliche
Papierwährung mit Staatsmonopol; allerdings unter gewissen Einschrän-
kungen - nicht für richtig halte, nehme ich keinen Anstand, seine
Schrift
für das Bedeutendste zu halten, was die Fach- und Broschürenliteratur
des letzten Jahrzehnts über das Geldwesen zu Tage gefördert
hat. Der Ver-
fasser ist ein hervorragender Kaufmann, also in erster Linie Praktiker,
und hat, wie er dies selbst in einfacher, kerniger Weise erzählt,
seine volks-
wirtschaftlichen Studien gewissermaßen umgekehrt gemacht: das
heißt,
sich zuerst einen Fonds praktischer Erfahrungen gesammelt, hieraus
sei-
ne Schlüsse gezogen und dann die Schriften der Theoretiker von
Adam
Smith bis zu Marx, Loria und Bamberger zur Hand genommen. Köstlich
ist die Bemerkung, er habe von den theoretischen Schwierigkeiten der
Währung- und Geldfrage erst nachträglich Kenntnis erhalten,
nachdem
er mit sich selbst längst ins Klare gekommen war.
Der Gedankengang des Verfassers ist kurz folgender: Unter Beiseite-
lassung aller weitläufigen Analysen wird zunächst festgestellt,
daß für den
Praktiker das Geld nur eine Ware sei, und demzufolge nur eine einzige,
den
Käufer und Verkäufer interessierende, Eigenschaft habe -
den Preis. Alle
übrigen Eigenschaften dieser Ware seien Ballast. Außerdem
sei das Geld
ein Verkehrsmittel, oder mit anderen Worten: da es den Stempel des
Staa-
tes trägt, eine staatliche Verkehrseinrichtung. Jede Ware, also
auch das
Geld, entstamme ausnahmslos der modernen Arbeits- und Besitzteilung
und habe somit in diesen beiden sozialen Grundtatsachen ihre einzige
und
eigentliche Quelle. Geldwesen, sowie Besitz- und Arbeitsteilung
bedingen sich also gegenseitig in ihrer Existenz. Infolge der Benutzung
des Geldes als Tauschmittel müssen schon geringe Schwankungen
des
Geldpreises die gewaltigsten Verschiebungen in den Vermögensverhält-
nissen hervorbringen; ja, es sei zweifellos, daß "ein großer
Teil der Übel-
stände, welche man heute in dem allgemeinen Begriff: soziale Frage
zu-
sammenfaßt, nur Wirkungen von Preisschwankungen des Geldes sind".
Forscht man nach den Ursachen der Preisschwankungen oder der mate-
riellen Unterlage des Angebots und der Nachfrage, so gelte es zunächst,
die Begriffe "Bedarf an Geld" und "Angebot an Geld" von allen ideellen
phantastischen und spekulativen Nebenbegriffen zu säubern. Es
läßt sich
dann eine Art schematischer Tabelle konstruieren, welche die die Preisbe-
wegung der Waren und des Geldes bestimmenden Faktoren in zahlenmä-
ßige, kontrollierbare Form zu bringen gestattet. Da ergeben sich
sofort
sehr merkwürdige Dinge. Erstens, daß ein Geld mit sogenanntem
"inne-
ren Wert" nur Fiktion, eine Selbstlüge ist, daß vielmehr
der Preis des Gel-
des, unabhängig von seinem Material, einzig durch den Bedarf an
Tausch-
mitteln bestimmt wird, oder, was dasselbe ist, daß die eigentliche
Ga-
rantie des Geldes in seiner Unersetzbarkeit als Tauschmittel, in dem
unge-
heuren Nutzen besteht, den seine Verwendung im Verkehr bietet. Kurz,
der Verfasser erkennt mit seinem freien, bohrenden Blick jene wirtschaft-
liche Grundwahrheit, daß die Einbildung dem Metalle zuschreibt,
was nur
die Wirkung des Kollektivgedankens ist, der sich in dem Metalle ausspricht.
Zweitens, daß der Mißkredit, in den das Papiergeld bei
der öffentlichen
Meinung geraten ist, in keinerlei Beziehung zum Material des Geldes
steht, sondern höchstens die Frucht unehrlicher, zielloser, unkaufmänni-
scher Verwaltung ist. Drittens, daß bei der unbegrenzten Vermehrungs-
und Verminderungsfähigkert des Papiergeldes das Angebot an Geld
auf-
grund der Papierwährung dem Bedarf an Geld sich anpassen läßt.
Damit
ist die Möglichkeit eines festen Geldpreises gegeben, der, wenn
er in allen
Ländern, oder auch nur in den wirtschaftlich entwickeltsten zum
Duch-
bruch kommt, unbedingt auch einen festen Wechselkurs nach sich ziehen
muß.
Der Verfasser stellt weiterhin fest, daß die theoretischen Volkswirt-
schaftslehrer in der Beurteilung der Ware überhaupt irren. Und
zwar ist
dieser Irrtum ein zweifacher. Erstens wird die Besitzteilung als Quelle
der
Ware fast immer ganz übersehen oder tritt wenigstens gegenüber
der Ar-
beitsteilung viel zu sehr in den Hintergrund. Zweitens wird der der
Ware
innewohnende absolute Verkaufszwang verkannt. Aus diesen Unklarhei-
ten heraus werden dann an ein sogenanntes "gutes Geld" teils Forderun-
gen gestellt, die es gar nicht zu haben braucht, teils Forderungen
unterlas-
sen, die für ein brauchbares Tauschmittel durchaus notwendig sind.
Über-
all, wo Waren erzeugt werden, stellt sich das Bedürfnis nach Tauschmit-
teln, daß heißt die Nachfrage nach Geld von selbst ein.
Das Geld wird nur
als Tauschmittel gewertet, aber in dieser Eigenschaft ist es die weitaus
nützlichste aller Waren, ist es diejenige Ware, deren Nachfrage
am solide-
sten, am meisten garantiert ist. Diese Grundtatsache ist es, welche
von
den Theoretikern der Währungsfrage stets verhüllt wird. Mit
klassischer
Einfachheit wirft der Verfasser den modernen Humbug des sogenannten
"guten Geldes" beiseite. Er sagt: "Den Bedarf an Geld führen diese
Her-
ren auf den Bedarf an Gold und Silber zurück: die Garantie für
den Wert
des Geldes suchen sie nicht in der Unersetzlichkeit des Geldes als
Tau-
schmittel, in dem dauernden Geldbedarf der Warenproduktion, sondern
in dem Werte, den der Bedarf an güldenem Flitter dem Golde und
Silber
erteilt. Nicht der Bauer und der Industrielle garantieren mit ihren
Produk-
ten die Verkäuflichkeit des Geldes, sondern die geputzten Dämchen
und
Einfaltspinsel, die auf unseren Promenaden spazieren." Die nie versagen-
de, unzerstörbare Garantie des Geldes liegt, wie gesagt, in seinem
Nut-
zen, in seiner Unentbehrlichkeit als Tauschmittel. "Seine materiellen
Ei-
genschaften haben für seinen Wert nicht mehr Bedeutung, wie die
Fische
im Suez-Kanal für die Aktien dieses Unternehmens." Dieser eine
Satz des
Verfassers wirft neun Zehntel der modernen Währungsliteratur zum
alten
Eisen. Bei der sogenannten "Währungsfrage" handelt es sich überhaupt
nicht um irgend eine Sicherstellung oder Garantie des Geldes - diese
Garantie liegt ganz und gar in seiner Notwendigkeit - sondern um die
Regulierung der Beziehungen zwischen Ware und Geld oder, um mit dem
Verfasser zu sprechen, "um die Herstellung völliger Parität
zwischen bei-
den".
Dies sind im wesentlichen die Grundgedanken der "Einleitung" der
Schrift, die dann weiterhin an einer Fülle trefflicher, stets
dem Wirt-
schaftsleben unmittelbar entnommener Beobachtungen näher ausgeführt
werden, ohne daß ich hier darauf eingehen kann. Ich verweise
die Leser
auf die prächtige Arbeit selbst. Auch dem minder Eingeweihten
wird
leicht verständlich sein, daß hier endlich einmal ein Mann
der Praxis das
Wort in der Geld- und Währungsfrage ergreift, der wirklich zur
Sache
spricht, der nicht bloß, wie üblich, über die landläufigen
Phänomene des
Geldwesens kannegießert und vor dem Golde, im Verein mit Herrn
Bam-
berger und Herrn Bebel, auf den Knieen liegt. "Die Parität zwischen
Wa-
re und Geld herstellen", mit anderen Worten: jedes Produkt auf die
Rang-
stufe des Geldes erheben - das und nichts anderes ist das Losungswort
der
sozialen Reform, die wahre Formel des Sozialismus, der sich selbst
be-
greift und alle gouvernementalen und kommunistischen Utopien abschüt-
telt.
Aber der Weg zu diesem Ziele ist nicht ganz einfach, und hier ist der
Punkt, wo meines Erachtens auch der Verfasser der vorliegenden Schrift
Schiffbruch leidet. Ausgehend von jener oben erwähnten Grund-Eigen-
schaft der Ware, dem ihr innewohnenden absoluten Verkaufszwang,
strebt er ein Reformgeld an, dessen Preis fortgesetzt, und zwar auf
Kosten
des Inhabers, einbüßt, und sucht auf diese Weise mittels
der staatlichen
Zwangszirkulation das Geld der Ware zu assimilieren. Ich glaube zu-
nächst, daß der moderne Verkehr diese unzweifelhafte, lästige
Erschwe-
rung des Austausches nicht duldet. Die bloße Tatsache, daß
ich den neuen
"Geldbrief" genau untersuchen und seinen reellen Wert erst dem Datum
entnehmen muß, genügt schon, ihn als kursierendes Geld unmöglich
zu
machen. (2) Doch das sind nur formelle Bedenken, über die sich
zur Not re-
den ließe. Der wirkliche, der materielle Grund seiner Unmöglichkeit
liegt
tiefer; er liegt in dem Verhältnis der Staatsgewalt zum öffentlichen
Geld-
wesen überhaupt. Die Oberherrschaft der politischen Gewalt über
die
Zirkulationsmittel in der Gesellschaft kann nur eine bedingte, eine
Art
Oberaufsichtsrecht sein. Selbst Gold und Silber haben trotz ihres Wertes
ursprünglich keinen Zwangskurs gehabt. Sie haben sich im Handel
all-
mählich und mit voller Übereinstimmung aller Beteiligten
festgesetzt und
erst dann hat der Staat seinen Stempel daraufgedrückt. Alle Veränderun-
gen, die das Geldwesen seitdem durchgemacht hat und noch durchmacht,
haben im wesentlichen denselben Weg genommen. Die Gesellschaft in ih-
rer spontanen Initiative geht voraus, der Staat folgt. Auch das neue
Zirku-
lationssystem, dem wir mit Riesenschritten entgegengehen, wird diesen
Weg einschlagen. Die Ansätze dazu sind schon heute in reichem
Maße
vorhanden. "Die Disparität zwischen Geld und Ware", wie Gesell
sagt,
wird verschwinden, sobald die Gesellschaft durch Entwicklung von Ge-
nossenschaften und Gegenseitigkeitsinstitutionen ein ungeheures Ganzes
von Öffentlichkeit, Gleichgewicht und Kontrolle schafft, in welchem
je-
des Produkt den ihm gebührenden Rang einnimmt und eben damit zum
Gelde wird.
Ich hoffe, daß die zuletzt ausgesprochene Einwendung nur dazu
beitra-
gen wird, das Interesse der Leser an der schönen Arbeit unseres
Lands-
manns in der Ferne zu steigern.
Anmerkungen des Herausgebers
(1) Nachdruck der von Werner Onken wiederentdeckten Gesell-Rezension
'Volkswirtschaft-
liches', erschienen in der kleinen Berliner Zeitschrift 'Versöhnung'
19/Januar 1898, S. 25ff.
Das von dem seinerzeit sehr bekannten Proudhonisten Arthur Mülberger
besprochene,
1897 erschienenes rund 200 Seiten starkes Buch 'Die Anpassung des Geldes'
war eine sehr
frühe, die fünfte Schrift des damals noch unbekannten Autors
Gesell. Mühlberger war of-
fenbar nicht nur ein kritischer, sondern auch ein aufmerksamer und
unvoreingenommener
Leser, der andere und ungewöhnliche Auffassungen zu würdigen
wußte.
(2) Mülbergers Vermutung, das Schwundgeld würde von den Wirtschaftsteilnehmern
nicht angenommen werden, ist durch die Praxis widerlegt worden (s.
Text 2, Kap. 4, u. Text
6). Zu Recht kritisiert er jedoch Gesells anfängliches Konzept
einer staatlichen Notenbank-
zentrale, dieses hat Gesell jedoch später aufgegeben (s. Vorwort
zu: 'Der abgebaute Staat',
1927, S. 5). Proudhons aufwendiges Konzept, die Waren durch eine -
übrigens zentrale! -
Tauschbank auf die Stufe des Geldes hinaufzuheben und so als "König
des Marktes" (Proud-
hon) vom Thron zu stoßen, wird durch Gesells praktisch einfacher
zu handhabende und wir-
kungsvollere Schwundgeld-Technik, die das Geld auf die Stufe der Ware
herunterstuft, über-
flüssig gemacht.
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