Auszug aus: Klaus Schmitt: Silvio Gesell - "Marx" der Anarchisten?;
Karin Kramer Verlag; Berlin; 1989; ISBN 3-87956-165-6

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Gustav Landauer

"SEHR WERTVOLLE VORSCHLÄGE"

Auszug aus Aufruf zum Sozialismus *

Die meisten Güter verlieren auch materiell an Wert durchs Liegenlas-
sen oder durch Gebrauch und gehen schnell in den Konsum ein. Sie wer-
den zum Zweck des Tausches produziert, um Verbrauchsgegenstände ein-
zutauschen, um welche es ebenso bestellt war. Das Geld hat dadurch sei-
ne verhängnisvolle Ausnahmestellung, daß es nur in den Tausch, aber gar
nicht in Wahrheit in den Verbrauch eingeht. Aus den entgegenstehenden
Behauptungen der Geldtheoretiker spricht das böse Gewissen. Wird dar-
um in der rechten Tauschwirtschaft, wo sich Produkt nur gegen gleichwer-
tiges Produkt tauschen soll, allerdings ein Zirkulationsmittel nötig sein,
das unserm Geld entspricht und wohl auch Geld heißen wird, so wird es
doch eine entscheidende Eigenschaft unsres Geldes nicht haben können:
die Eigenschaft, absoluten Wert zu haben und auch dem zum Schaden an-
derer dienen zu können, der es nicht durch Arbeit erworben hat. Nicht die
Möglichkeit des Diebstahls soll hier ausgeschlossen werden; Diebstahl
kann es an jeglichem Gelde wie an allen andern Gütern geben; und über
dies ist Diebstahl auch eine Art Arbeit und dazu eine recht aufreibende
und im ganzen wenig ergiebige und in guter Gesellschaft unerfreuliche.
Es soll hier vielmehr darauf hingewiesen werden, daß die Schädlichkeit
des heutigen Geldes nicht bloß in seiner Verzinslichkeit, also seinem
Wachstum, sondern schon in seiner Unverbrauchbarkeit, also in seinem
Bleiben, seinem Nichtgeringerwerden und seinem nicht im Konsum Ver-
schwinden liegt. Die Idee, das Geld werde dadurch harmlos gemacht, daß
es ein bloßer Arbeitszettel werde, also keine Ware mehr sei, ist ganz falsch
und könnte nur für eine Staatssklaverei Sinn haben, wo an die Stelle des
freien Verkehrs die Abhängigkeit von der Behörde träte, die bestimmte,
wie viel jeder zu arbeiten und zu verbrauchen hat. In der freien Tausch-
wirtschaft muß im Gegenteil das Geld allen andern Waren, von denen
es sich heute im Wesen unterscheidet, gleich werden und doch allgemei-
nes Tauschmittel sein: es muß, wie jede Ware, den Doppelcharakter des
Tausches und des Verbrauches tragen. Die Möglichkeit, auch in einer Ge-
sellschaft des gerechten Tausches, wenn das Tauschmittel unverbrauchbar
ist und mit der Zeit seinen Wert nicht einbüßt, zu schädigendem Besitz
großen Umfangs und dadurch zur Erlangung eines Tributrechts irgend-
welcher Gestalt zu kommen, ist nicht von der Hand zu weisen, wenn auch
in der uns bekannten Geschichte bei der Entstehung des Großgrundei-
gentums und damit jeder Art Ausbeutung Ersparnisse, Erbschaften und
dergleichen im Vergleich mit der Gewalt und dem Gewaltschutz des Staa-
tes nur eine untergeordnete Rolle spielen. Sehr wertvoll sind darum die
Vorschläge, die Silvio Gesell gemacht hat, um ein Geld zu finden, das
nicht, wie heute, mit den Jahren an Wert gewinnt, sondern umgekehrt von
Anfang an progressiv an Wert verliert, so daß der, der durch Hingabe ei-
nes Produktes in den Besitz des Tauschmittels gelangt ist, kein angelegent-
licheres Interesse haben wird, als es so schnell wie möglich wieder gegen
ein Produkt einzutauschen und so immer weiter. Silvio Gesell ist einer der
ganz wenigen, die von Proudhon gelernt haben, seine Größe anerkennen
und im Anschluß an ihn zu selbständigem Weiterdenken gekommen sind.
Seine Beschreibung, wie dieses neue Geld den Fluß der Zirkulation in leb-
hafte Bewegung bringt, wie jeder kein andres Interesse bei der Produk-
tion und beim Erlangen des Tauschmittels mehr haben kann, als das des
Konsums, ist ganz aus Proudhons Geist entsprungen, der uns zuerst ge-
lehrt hat, wie der schnelle Umlauf Heiterkeit und Lebendigkeit ins priva-
te und öffentliche Leben bringt, während die Stockung auf dem Markte
und die Verstocktheit des beharrenden Geldes auch unsere Säfte ins Stok-
ken bringt und Starrsinn und stockige Fäulnis über unsere Seelen legt.

Anmerkung des Herausgebers 

* Marcan-Block-Verlag, Köln 1923, S.121 ff.
 


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