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Soziale Emanzipation ist ohne die Befreiung der Volkswirtschaft
vom Ka-
pitalismus nicht möglich. Da Kapitalismus identisch ist mit
Zins- und
nicht mit Marktwirtschaft, kann eine wirkliche, an die Wurzeln
des Kapita-
lismus gehende Befreiung nur durch die Brechung der Zinsknechtschaft
erfolgen. Da es zwischen "Kapital und Arbeit", zwischen
den Klassen
der Unterdrückten und Ausgebeuteten und den Klassen ihrer
Unterdrük-
ker und Schmarotzer weder Gleichberechtigung gibt noch einen friedli-
chen Ausgleich geben kann, ist, wenn die soziale Frage gelöst
werden soll,
der Klassenkampf unausweichlich.
Das Verhältnis von Produzenten und Parasiten läßt
sich weder durch
Appelle an die Menschlichkeit der Sklavenhalter noch durch das
Pochen
der Sklaven auf ihre besseren Argumente überwinden. Und die
Pluto-
kraten werden die Zitadellen ihrer Macht nicht kampflos räumen
auf
Grund demokratischer Mehrheitsbeschlüsse. Sie werden - das
lehren
Geschichte und Gegenwart - alle die ihnen zur Verfügung stehenden
Machtmittel einsetzen, um ihre Pfründen zu verteidigen: Polizei,
Justiz,
Militär, Folter - und damit Gegengewalt herausfordern. Unsere
Zins-
analyse zeigt klar und deutlich, daß die Produzenten mit
ihren Schmarot-
zern eben nicht, wie uns letztere weiszumachen versuchen, "in
einem
Boot sitzen"; allenfalls befinden wir uns mit ihnen gemeinsam
an Bord
der Titanic.
Selbstverständlich ist der Gegensatz von Kapital und Arbeit
nicht der
einzige Widerspruch in den gegenwärtigen Gesellschaften,
und er ist auch
nicht der vielbeschworene "Hauptwiderspruch". Ebenso
wichtig sind der
Gegensatz der Geschlechter und Generationen im Patriarchat, der
Kampf der Bürger gegen den Staat, der polnischen Arbeiter
gegen die
Parteiherrschaft, die Rebellion der schwarzen Kinder und Jugendlichen
gegen die weißen Rassisten in Südafrika usw. Viele
Fronten verlaufen
quer durch Klassen, Schichten und Gruppen. Eine emanzipatorische,
so-
zial- und kulturrevolutionäre Bewegung muß also innere
Widersprüche
bewältigen und gleichzeitig auf breiter Front kämpfen
- doch der jewei-
lige "Trennungsstrich" muß klar erkannt und konsequent
gezogen wer-
den.
Auf den Gegensatz von Kapital und Arbeit bezogen, heißt
das, daß hier
(im Jargon der guten alten 883 (172a) gesagt) die "Hauptkampflinie"
nicht
grundsätzlich zwischen Arbeitern und Unternehmern verläuft,
also zwi-
schen "selbständigen" und "unselbständigen"
Produzenten (die Marx,
wie wir in Kap.10 gesehen haben, unter bestimmten Bedingungen
beide
"Arbeiter" nennt), sondern vorrangig zwischen allen
Produzenten einer-
seits und den Kapitalisten im weitesten Sinne, also jenen, die
mittels Zin-
sen, Renten, Renditen, Monopol- und Spekulationsgewinnen etc.
die Ar-
beit aller Produzenten ausbeuten, andererseits. Zu den Produzenten
ge-
hören selbständige Handwerksmeister, Händler, Bauern,
kleine und mitt-
lere Fabrikanten, Genossenschaftler, Wirtschaftskommunarden, Wissen-
schaftler, Künstler usw ebenso wie alle Lohnarbeiter. (151a)
Jene Sozialisten und Anarchististen, die den Trennungstrich nicht
zwi-
schen Lohnarbeitern und Unternehmern, sondern zwischen Produzenten
und Kapitalisten ziehen, sind von Marx als Sozialisten des Kleinbürger-
tums diffamiert worden. Doch ihre Position entspricht, wie wir
gesehen
haben, objektiv den ökonomischen Tatbeständen. Diese
Fakten müssen
zwar wegen der Handlangerdienste vieler Unternehmer, oft als Manager
im Lohne großer Kapitalgesellschaften, relativiert werden;
sie werden
aber auch durch die subjektiv erlebte Konfrontation der Lohnarbeiter
mit
dem Unternehmer im Betrieb übersehen und darüber hinaus
durch die
Mehrwerttheorie ideologisch verschleiert. Wir sollten uns weder
durch
Marxens Vorwurf des Kleinbürgertums, noch durch diesen Widerspruch
subjektiver Erfahrung und objektiver Analyse, durch "Nebenwidersprü-
che" zwischen selbständigem und unselbständigem
Arbeiter, beirren las-
sen und versuchen, die vorrangige Abgrenzung im Klassenkampf und
da-
mit auch die richtigen und notwendigen Bundesgenossen in diesem
Kampf
zu finden. Denn bei der geballten Macht des Kapitals können
wir auf Bun-
desgenossen nicht verzichten, und zu diesen gehören potentiell
auch die
Kleinbürger und Kleinbauern; sie sind ebenso von der "Knechtschaft
der
Zinsen" (Proudhon) betroffen wie die Lohnarbeiter.
Hiermit soll keineswegs geleugnet werden, daß es auch konkrete
und
gravierende Gegensätze zwischen selbständigen und unselbständigen
Produzenten gibt. Zu diesen Gegensätzen gehören z. B.
jene, die sich aus
der hierarchischen Unternehmensstruktur und aus dem Streit um
die Ver-
teilung des gemeinsam erwirtschafteten Arbeitseinkommens ergeben.
Doch hier wird an Nebenkriegsschauplätzen gefochten, was
vom wichti-
geren und gemeinsamen Gegener ablenkt. Von den Kämpfen um
Mit-
und Selbstbestimmung und um die Lohnanteile des Arbeiters und
Unter-
nehmers bleiben die Zins- und Renteneinkommen der Kapitalisten
unge-
schoren. Diesen Tatbestand sollten beide, die Arbeiter und die
Unterneh-
mer, insbesondere die kleinbürgerlichen, zur Kenntnis nehmen
und dar-
aus entsprechende Schlußfolgerungen ziehen. Wenn beide sich
jedoch die
Ideologie des Kapitals zu eigen machen und den Gegensatz Produzenten
/Kapitalisten bagatellisieren oder gar leugnen und von der "Gleichbe-
rechtigung von Kapital und Arbeit" schwafeln, dann verbünden
sie sich
immer wieder mit den falschen Freunden. Zu Recht spottet z. B.
ein
Stern-Journalist über eine Betriebsvereinbarung bei einem
Elektrizitäts-
werk, der "Dreckschleuder" Buschhaus in Niedersachsen,
in der sich die
Arbeiter und ihre Gewerkschaftsführer nicht nur mit den Managern
(den
lohnabhängigen Unternehmern), sondern ebenso mit den Aktionären
(den Kapitalisten) des Kraftwerks - und das auch noch gegen die
Um-
weltschützer! - verbündeten: Ihr illigitimes Verhältnis
legalisierten sie
mit der Vereinbarung, daß die Zahlung eines Weihnachtsgeldes
an die Ar-
beiter von der Dividendenausschüttung an die Eigentümer
des Unterneh-
mens, also vom Zins, abhängig sein soll! - Arbeiter und Kapitalisten,
vereinigt Euch! (173a)
Diese Fehlverhalten sind zahllos. In Chile führte ein falsches
Klassen-
bündnis im Zusammenhang mit ungelösten sozialökonomischen
Proble-
men zum Sturz der sozialistischen Allende-Regierung und zu einer
kon-
servativen Militärdiktatur. Dort hatten sich die Lastwagenfahrer
(Lohnar-
beiter) mit den Fuhrunternehmern (mittelständische Unternehmer)
und
beide mit US-amerikanischen Kapitalgesellschaften und Großbanken
(Fi-
nananz- und Großkapitalisten) gegen andere Arbeiter, gegen
Kleinbau-
ern (ebenfalls Unternehmer) und - wie vielen inzwischen klar gewor-
den sein dürfte - gegen ihre eigenen langfristigen Interessen
verbün-
det. - Die Allende-Regierung hatte es offenbar nicht verstanden,
sich
die Mittelschichten Chiles zu Bundesgenossen gegen die wirklichen
Kapi-
talisten zu machen.
Die Sandinisten in Nicaragua scheinen heute vor ähnlichen
Problemen
zu stehen. Das ist u. a. darauf zurückzuführen, daß
das gerade in Latein-
amerika so außerordentlich wichtige Bodenproblem trotz der
Machtüber-
nahme der Sandinistas auch in Nicaragua bis heute nicht gelöst
worden
ist. Das Programm der FSLN von 1969, das Großgrundeigentum
abzu-
schaffen, wurde aufgegeben: "Der Großgrundbesitz wurde
mit Samt-
handschuhen angefaßt", schreibt Eva von Hase-Mihalik
in der Frankfur-
ter Rundschau (174). Ein Dekret von 1980, das die Großgrundeigentümer
verpflichtet, Boden an landlose Bauern und Landarbeiter mit der
lächer-
lichen Auflage, einen Nachlaß von einem Drittel der marktüblichen
Bo-
denrente zu gewähren, was kaum funktionieren dürfte,
zu verpachten,
verewigt die Ausbeutung der Produzenten durch die schmarotzenden
Grundrentner. Da bis heute erst ein Viertel aller landlosen Bauern
und
Landarbeiter zu freiem Boden gekommen sind, treibt diese Politik
einen
Keil zwischen diese landlosen Arbeiter und Bauern und die "revolutionä-
re" Regierung. Das zeigen die zunehmenden Demonstrationen
und Land-
besetzungen der Bauern und das Anwachsen ihrer ATC von 35.000
Mit-
gliedern kurz nach der Revolution auf über 80.000 bis 1981
in diesem
Land von nur 2,5 Millionen Menschen. Statt gegen ein paar Groß-
grundbesitzer eine radikale Bodenreform durchzuführen und
sich damit
der treuen Bundesgenossenschaft der Landarbeiter und Bauernmassen
zu versichern, legten sich die Sandinisten, intellektuelle Kleinbürger
mar-
xistischer Couleur und Abkömmlinge der spanischen Kolonialherren,
mit
den Indianern an und trieben viele von ihnen in die Arme der Contras.
Darüber hinaus gerieten sie - offenbar auf Grund ihrer kollektivisti-
schen und zentralistisch-planwirtschaftlichen Ideologie, ihrer
irrwitzigen
Währungspolitik mit einer Inflationsrate von 1.200% (174a)
und ihres man-
gelhaften Verständnisses für die wirklichen Klasseninteressen
in ihrem
Lande - immer mehr in Gegensatz zu ihrer eigenen Klasse und zur
Un-
ternehmerschaft. Was ihnen blieb, waren die Proletarier, doch
im Mai/
April 1988 streikten 3.000 Bauarbeiter und 37 traten in den Hungerstreik,
um Lohnerhöhungen zu erzwingen. Der Grund: "Nach der
Währungsre-
form haben die meisten Arbeiter schwere Kaufkrafteinbußen
hinnehmen
müssen. Während die Preise seither wieder explodiert
sind, bleiben die
Löhne eingefroren." (174b) Das ist eine Politik, wie
sie gemeinhin von beson-
ders dummen und reaktionären bürgerlichen Regierungen
betrieben
wird!
Mangelhafter ökonomischer Durchblick und Orientierung an
marxisti-
scher Geldideologie veranlaßt "unsere" Sandinistas
zu wirtschaftlichen
Maßnahmen, die die Konterrevolution geradezu herausfordern.
Ohne
eine sozialgerechte und funktionierende Wirtschafts- und Währungspoli-
tik ist jedoch eine soziale Revolution nicht zu entfalten und
auf Dauer zu
stellen. Immer wieder verspielt die Linke ihre Chancen...
Das Scheitern der Weimarer Republik
Welch katastrophalen Folgen eine Fehleinschätzung der Klasseninteres-
sen und -gegensätze im Zusammenhang mit falschen Vorstellungen
über
Geld, Zins und Währung in Europa gehabt haben, zeigt die
Geschichte
der Weimarer Republik. Während ihrer vierzehnjährigen
Existenz lebten
dort die Menschen etwa vier Jahre in einer Inflations- und ebenfalls
rund
vier Jahre in einer Deflationskrise, also nur sechs von vierzehn
Jahren in
einigermaßen geordneten Währungs- und Wirtschaftsverhältnissen.
Durch die totale Geldentwertung in der Inflationsphase - am Schluß
waren 4,2 Billionen Mark einen US-Dollar wert! - wurden die Arbeiter
und Kleinbürger restlos ihrer Ersparnisse beraubt, die sie
durch schwere
Arbeit in einer Sechstage-Woche bei einem Zehn- bis Vierzehnstunden-
Tag erworben und sich von einem Bruchteil des heutigen Realeinkom-
mens abgespart hatten. Die Deflation bescherte über 6 Millionen
Men-
schen, die meisten Lohnarbeiter, zum Teil jahrelange Arbeitslosigkeit
und
zahllosen Gewerbetreibenden und Landwirten existentiellen Ruin.
- Es
waren also die Arbeiter und Kleinbürger und Bauern, die in
den "golde-
nen Zwanzigern" und Anfang der 30er Jahre unter der Währungspfusche-
rei, der Währungsspekulation und der Ausbeutung durch den
Zins zu lei-
den hatten.
Die Betroffenheit aller Produzenten von der Ausbeutung durch
die Fi-
nanzkapitalisten schildert treffend ein Hirtenbrief der österreichischen
Bischöfe aus dem Jahr 1925, der heute im Zusammenhang mit
der Ver-
schuldungskrise und Zinsknechtschaft in der Dritten Welt und der
frag-
würdigen Politik der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds
(IWF) wieder außerordentlich aktuell geworden ist. An einer
Stelle heißt
es: Das Kredit-, Banken- und Börsenwesen "dient den
Finanzmächten,
die Völker zu bewuchern und auszurauben, dem Fleiß
fast alle Erzeugnis-
se wegzustehlen und immer weitere Kreise durch Verarmung in gänzliche
Abhängigkeit und in wahre Sklaverei zu bringen. Diesen Geldmächten
ist
nicht bloß die Arbeiterschaft unterworfen, sondern es sind
dies auch sehr
viele Unternehmer, Klein- und Großfabrikanten, besonders
aber die Ge-
werbetreibenden und der Mittelstand. Die Bankenwelt ist die herrschen-
de Macht in den Staaten geworden." (175)
Während die bürgerlichen Parteien die damaligen Geld-
und Währungs-
krisen voll durchzogen und die SPD und KPD - wie der Historiker
Ar-
thur Rosenberg meint -, wie 1923 (Inflation), so auch 1929-33
(Defla-
tion), "eine große historische Stunde" "einer
großen Volksrevolution ge-
gen das herrschende System" versäumten, (176) haben
die Nationalsoziali-
sten die Gunst der Stunde genutzt. Ihr linker Flügel um die
Brüder Stras-
ser und der NS-Zinstheoretiker Gottfried Feder polemisierten in
gleicher
Weise gegen die "Plutokratie" und "Hochfinanz"
wie die katholischen Bi-
schöfe in dem zitierten Hirtenbrief und wie zuvor Tucker
und andere An-
archisten der proudhonistischen Richtung (s. Kap. 1). Die linken
Nazis
vertraten zwar eine staatssozialistische und - ähnlich wie
der faschisti-
sche, konservative und rassistische Flügel der NSDAP - eine
antisemiti-
sche Position, wendeten sich jedoch entschieden gegen das Finanz-
und
Bodenkapital und versprachen dem Proletariat "Arbeit und
Brot" und
den Kleinbürgern und Bauern die "Brechung der Zinsknechtschaft".
(177)
Nicht zuletzt wegen ihres zinsorientierten Antikapitalismus konnten
sie
recht überzeugend und mit Erfolg ein Bündnis von Kleinbürgern,
Arbei-
tern und bestimmten Randschichten propagieren. So forderte Feder
"ei-
ne geschlossene Front der ganzen werktätigen Bevölkerung
(...) von be-
sitzlosen Arbeitern (...) über die gesamte bürgerliche
Schicht der Beam-
ten und Angestellten, des bäuerlichen und kleingewerblichen
Mittelstan-
des hinweg, die in Gestalt von Wohnungselend, Bodenzinsen, Bankzin-
sen usw die unbarmherzige Gewaltherrschaft des Geldes zu spüren
be-
kommen, bis weit hinauf zu den führenden Köpfen, Erfindern
und Di-
rektoren unserer Großindustrie, die alle samt und sonders
mehr oder we-
niger in den Krallen des Großleihkapitals stecken, für
die es als erste Le-
bensaufgabe immer heißt: Renten, Zinsen, Dividenden erarbeiten
für die
hinter den Kulissen spielenden Geldmächte. Nicht minder gehören
auch
alle Kreise der Intelligenz, Künstler, Schriftsteller, Schauspieler,
Wissen-
schaftler sowie die übrigen Angehörigen der freien Berufe
hinzu." (178)
So unausgegoren viele Vorstellungen der National"sozialisten"
über
Geld, Zins und Währung auch waren (der von der SA zum Krüppel
geprü-
gelte Gesellianer Benedict Uhlemayr hat das gründlich am
Beispiel von
Feders Zinstheorie belegt (179)), so hatten ihre Parolen gegen
das Finanzka-
pital im Zusammenhang mit den Folgen der monetären Krisen
- Enteig-
nung der Mittelschichten durch die Inflation und verheerende Arbeitslo-
sigkeit in der Deflation - erheblich dazu beigetragen, kleinbürgerliche
und proletarische Massen für sich zu mobilisieren und zusammenzufüh-
ren. Der Kommunist Rosenberg hat diesen Vorgang aus eigenen Erfah-
rungen beschrieben: "Die radikalisierten Volksmassen, die
weder von der
KPD noch von der SPD erfaßt werden konnten, strömten
seit 1929 den
Nationalsozialisten zu. (... ) Das Programm der NSDAP von 1920
verlang-
te die Verstaatlichung aller Trusts, die Abschaffung des arbeits-
und mühe-
losen Einkommens, die Brechung der Zinsknechtschaft, die sofortige
Kommunalisierung der Großwarenhäuser usw (Otto Strasser
und seine
norddeutschen Anhänger später auch die Verstaatlichung
allen Bodens;
K. S.). Als die Partei sich seit 1929 in allen Teilen Deutschlands
verbreite-
te, erneuerte sie (genauer gesagt die faschistische und konservative
Cli-
que Göring, Goebbels, Himmler etc. um Hitler; K. S.) auf
der einen Seite
ihre alten Beziehungen zur Schwerindustrie und zu den Großbanken,
und
auf der anderen (sozialistischen; K. S.) Seite strömten ihr
viele Tausende
von ehrlichen Sozialisten zu, die da hofften, Hitler werde das
verwirkli-
chen, woran die marxistischen Parteien gescheitert waren. (...)
In der SA
trafen sich stellungslose Akademiker und arbeitslose Proletarier,
darun-
ter viele frühere utopisch-radikale Kommunisten, mit den
alten Frei-
korpsführern." (180)
Die Bedeutung des zunehmenden materiellen Elends für das
Wachsen
der nationalsozialistischen Bewegung belegt der Gesellianer Schumann/
Leuchtenberg mit einer grafischen Darstellung. Sie zeigt die erstaunlich
präzise Parallelentwicklung von Arbeitslosenzahlen und Stimmen
für die
NSDAP bei den Reichstagswahlen (s. Grafik 14). - Was beweist den
Zu-
sammenhang von Ökonomie und Politik deutlicher?
Trotz vieler theoretischer Mängel und politischer Differenzen
in der
NSDAP hat sie Anfang der 30er Jahre ein - wie sich zeigen sollte
-
durchaus brauchbares Wirtschaftsprogramm zur Überwindung
der Defla-
tionskrise vorgelegt, das Ähnlichkeiten hatte mit Keynes'
Vorschlägen ei-
ner monetären Konjunkturpolitik, wie Heinz Höhne in
einer Spiegel-Se-
rie über die Machtergreifung Hitlers schreibt. (181) Daß
jedoch die NSDAP,
wie Höhne behauptet, die einzige Kraft gewesen sei, die einen
Ausweg
aus der Krise wies, ist falsch. Es gab damals - neben Gewerkschaftern
mit ähnlichen finanzpolitischen und etatistischen Vorstellungen
zur Über
windung der Deflationskrise - noch die Gesellsche Freiland-Freigeld-
Bewegung, die ein realistisches monetäres Instrumentarium
zur Krisen-
überwindung vorzuweisen hatte. Darauf hat Gerhard Ziemer
in seinem
Buch mit dem bezeichnenden Titel "Inflation und Deflation
zerstören die
Demokratie" ausdrücklich hingewiesen. (182) Und das
beweisen auch die vie-
len erfolgreichen Schwundgeld-Experimente in allen Teilen der
Welt (s.
Kap. 4 u. Text 6).
Diese Möglichkeit, von der der amerikanische Ökonom
Irving Fisher
glaubte, sie hätte "die Vereinigten Staaten in drei
Wochen aus der Krise
herausbringen" können, (183) wurde von den "demokratischen"
Machtha-
bern nicht genutzt, entsprechende Selbsthilfeinitiativen sogar
(s. Kap. 4)
gewaltsam unterdrückt. Die bürgerlichen Parteien, die
Sozialdemokraten
und die Kommunisten lehnten monetäre Maßnahmen zur
Überwindung
der Deflationskrise strikt ab. Der ehemalige SPD-Funktionär,
zwischen-
zeitliche (und unfreiwillige, wie er sagt) NS-Parteigenosse und
heutige
Freisoziale Hans Schumann hat das in seiner Broschüre "Woran
Weimar
scheiterte" (unter dem Pseudonym Max Leuchtenberg) ausführlich
doku-
mentiert. Wenn wir seiner Zitatensammlung vertrauen wollen (was
mir
meine Erfahrung mit Sozialdemokraten erlaubt), verstieg sich der
Währungs- und Finanzexperte der SPD, Professor Nölting,
korrekt auf
der Linie seines Meisters Marx (s. Kap. 11), zu der Behauptung:
"Die
Geldkrisen sind im wesentlichen interne Vorgänge im Bereich
des Kapi-
tals, häuslicher Hader der Bourgeoisie, ein sich in einer
höheren Region
vollziehendes und sich selbst aufhebendes Kampfspiel." (184)
Der SPD-Ge-
nosse Ernst Heilman, Mitglied des Reichstags, stellte im Freien
Wort die
heute absurd erscheinende, damals jedoch weit verbreitete Behauptung
auf: "Zur Wiederankurbelung der Wirtschaft führt kein
anderer Weg als
die systematische Preissenkung." (185) Mit diesen schwachsinnigen
und
selbstmörderischen Vorstellungen unterstützten sie ideologisch
die kata-
strophale Deflationspolitik des bürgerlichen "Hungerkanzlers"
Brünning
(Mitglied der Zentrums-Partei, Vorläuferin der CDU/CSU).
Das war ei-
ne Geldpolitik, die den Faschisten, Konservativen und Rassisten
um Hit-
ler und mit ihnen dem Finanzkapital und der Schwerindustrie (gegen
Otto
und Gregor Strassers Widerstand!) den Weg zur Staatsmacht ebnete.
(186)
Für diese sozialdemokratischen Marx-Apologeten war das Geld
eben nur
ein bedeutungsloser "Schleier" über jenen Produktionsmitteln,
die sie
verstaatlichen wollten. "Wenn wir uns auf den Standpunkt
stellen wollen,
die Krise sei ein Zirkulationsproblem", tönte damals
Siegfried Aufhäuser,
ebenfalls Mitglied der SPD und des Reichtstags und Gewerkschaftsfüh-
rer, "so können wir uns als Sozialisten begraben lassen."
(187) Viele seiner
Genossen (wie z. B. mein Vater, ebenfalls Anhänger dieser
schleierhaften
Theorie) haben sich dann, unfähig, die Geld-, Währungs-
und Zirkula-
tionskrise zu meistern und damit die Weimarer Republik zu retten,
tat-
sächlich in den KZs der NS-Faschisten "begraben"
lassen.
Erstaunlich ist, daß es heute noch Linke gibt, die dieser
obskuren Geld-
schleier-Ideologie anhängen. Zu ihnen gehört Rudi Ratlos,
ebenso emsi-
ger wie unqualifizierter Ökobank-Kritiker. Auch er begreift
das Geld le-
diglich als einen "Schleier", der problem- und ziemlich
funktionslos über
der Produktionssphäre wabert wie der Morgennebel über
einer Waldwie-
se. Wenn jedoch die rote Sonne der marxistischen Kapitalanalyse
über ihr
aufgeht und der Nebel sich verflüchtigt hat, dann blickt
Rudi durch: er
sieht die "Wirklichkeit": Kraut und Rüben. (188)
So, wie die marxistischen Mehrwert Theoretiker glauben, der Wert
der
Ware Arbeitskraft und damit auch ihr Preis: der Lohn, hänge
im Wesentli-
chen von ihren Reproduktionskosten ab (s. Kap.11), ebenso glauben
die-
se Arbeitswert-Theoretiker, auch der Wert des Geldes werde allein
von
seinem Arbeitswert bestimmt. So, wie der Wert der Goldmünze
(oft, aber
nicht immer!) von den Produktionskosten ihres Goldgehalts bestimmt
wird, so der Geldschein von den Produktionskosten des Papiers,
aus dem
er besteht, von den Druckkosten seiner Beschriftung, von drei
Minuten
Arbeitslohn für seine Herstellung etc. , macht vielleicht
1,50 Mark, also ist
ein Tausendmarkschein 1,50 Mark wert! Schon zu Marxens Zeit war
be-
kannt, daß ein Tausendmarkschein nicht für 1,50 Mark
und auch nicht un-
bedingt für 900 Goldmark zu haben ist. Doch mit fast religiöser
Inbrunst
glauben Genossen wie Rudi Ratlos ebenso wie die Weimarer SPD-Genos-
sen - entgegen aller empirischen Erfahrung - immer noch an die
Geld-
schleier-Theorie der verstaubten Klassiker, von denen Marx einer
ihrer
letzten und hervorragensten ist. Zum Beleg seines phänomenalen
Geld-
und Währungsverständnisses eine kleine Kostprobe aus
einer berühmten
Schrift des großen Meisters: "Das Gesetz, daß
die Quantität der Zirkula-
tionsmittel bestimmt ist durch die Preissumme der zirkulierenden
Waren
und die Durchschnittsgeschwindigkeit der Geldumlaufs, kann auch
so
ausgedrückt werden, daß bei gegebener Wertsumme der
Waren und gege-
bener Durchschnittsgeschwindigkeit ihrer Metamorphosen, die Quanti-
tät des umlaufenden Geldes oder Geldmaterials von seinem
eigenen Wert
(Edelmetallwert; K. S. ) abhängt. Die Illusion, daß
umgekehrt die Waren-
preise durch die Masse der Zirkulationsmittel und letztere ihrerseits
durch die Masse des in einem Lande befindlichen Geldmaterials
be-
stimmt werden, wurzelt bei ihren ursprünglichen Vertretern
in der abge-
schmackten Hypothese, daß Waren ohne Preis (er bildet sich
im Zirkula-
tionsprozeß! K. S.) und Geld ohne Wert (Papiergeld! K. S)
in den Zirkula-
tionsprozeß eingehen, wo sich dann ein aliquoter Teil des
Warenbreis mit
einem aliquoten Teil des Metallbergs (und den Banknoten etc. !
K. S.) aus-
tauscht." (189)
Kein Wunder, daß die Inflationsrate in der VR Vietnam 1.000%
be-
trägt! (189a) (Siehe Quantitätstheorie, Kap. 5.)
Mit derartigem geistigen Rüstzeug ausgestattet, mußten
die Sozialde-
mokraten in der Weimarer Republik währungspolitisch versagen
und muß
Rudi Ratlos geldtheoretisch seinem Pseudonym (?) alle Ehre machen.
Er ist der Auffassung, das Geld diene allenfalls als "Schmiermittel"
der
Wirschaft. Da er gewiß nicht meint, als Schmiermittel in
Form von Partei-
enbestechungsgeld, sondern, um den reibungslosen Zirkulationsprozeß
zu garantieren, ist zu fragen, was er den machen will, wenn dieses
Schmiermittel versagt, die Zirkulation heiß läuft und
schließlich - wie
1932/33 - zum Stillstand kommt. Da weiß auch Ratlos keinen
Rat. Au-
ßer Spott und Nörgelei hat er den "Geldfetischisten"
- zu denen er auch
den marxistischen Finanztheoretiker Hilferding zählt! - nichts
anzubie-
ten. Ein Ritter von der traurigen Gestalt eines Sancho Pansa in
den Huf-
stapfen des klapprigen Gauls eines Don Quichotte namens Karl Heinrich
Marx.
Acht Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg schrieb die Gewerkschaftszei-
tung Metall: "Zweimal wurde das soziale Gefüge des deutschen
Volkes in
den Grundfesten erschüttert; während der großen
Inflation des Jahres
1923 und nach dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise im Jahre 1929.
Oh-
ne diese Katastrophen wäre der Nationalsozialismus niemals
eine Macht
geworden." (190) - Eine späte, zu späte Erkenntnis,
die 50 Millionen Men-
schen das Leben gekostet hat, und die zu vielen Linken bis heute
nicht
durchgedrungen ist.
Chancen eines "Dritten Weges"
Es hat den Anscheint, als würde gegenwärtig eine ähnliche
weltweite Fi-
nanzkrise heranreifen wie 1929, (191) die noch verschärft
wird durch die Öko-
logiekrise, das (hoffentlich gestoppte) gigantische Wettrüsten
und durch
die Bodenrechtsprobleme und die Bevölkerungsexplosion in
der Dritten
Welt. Dem könnten wir eine positive Perspektive abgewinnen,
wenn wir
wirklich an die Wurzeln der Probleme gehende gesellschaftliche
Verände-
rungen herbeiführen wollten. Denn wenn tatsächlich ein
großer Kladde-
radatsch am Horizont heraufzieht, dann würde sich damit ein
ähnliches
Vakuum jenseits der etablierten Machthaber in Ost und West und
in der
Dritten Welt für eine neue sozialrevolutionäre Bewegung
auftun, wie in
den 20er Jahren und Anfang der 30er Jahre, für einen "Dritten
Weg" oder
- wie es der damalige, wahrscheinlich von Stalins Henkern ermordete
kommunistische Verleger Willi Münzenberg formulierte - für
eine
"dritte Front". Damals haben die Faschisten und Nationalsozialisten
die-
sen Freiraum ausgefüllt - und für die Zwecke des Kapitals
mißbraucht.
Heute kommt es darauf an, daß eine wirkliche Alternativbewegung
zum
herrschenden System diese sich möglicherweise eröffnende
historische
Chance nutzt und diesen Leerraum zwischen allen Parteien ausfüllt:
als
dritte Kraft jenseits von Kapitalismus und Staatssozialismus,
im Bündnis
mit allen vom Privat- und Staatskapitalismus, Feudalismus, Rassismus
und Patriarchat betroffenen Menschen. (192)
Mit Schrecken hat offenbar Heiner Geißler, Generalsekretär
einer
"christlichen" Partei, die z. B. den NS-Blutrichter
Dr. Erwin Albrecht zu
einem ihrer Mitglieder zählt, (193) in der Partei der Grünen
diese "dritte
Front" vermutet, als er sie als Nachfolgerin der NS-Faschisten
diffamier-
te. ("Es zittern die morschen Knochen", gell, Heinerle?)
Wenn er jedoch
die Wirtschaftsprogramme der Grünen gelesen hat, wird er
sicherlich wie-
der ruhig schlafen können. Mit grünen Politikern, die
den Kapitalismus
und das gegenwärtige Bodenunrecht akzeptieren und in Hessen
unseren
Genossen Günter Sarre dem Bündnis mit dem "stinkenden
Leichnam"
SPD (Rosa Luxemburg) opfern, und von denen heute viele mit den
Kon-
servativen liebäugeln, ist nur noch Staat zu machen. Rudolf
Bahro, der
den weltweiten Trend auf der Suche nach einem "dritten Weg"
als eine hi-
storische Chance, die die Grünen bereits vertan zu haben
scheinen, be-
griffen hat, hat diesen reformbewegten, jedoch prokapitalistischen
Bil-
dungsbürgern und beamteten Lehrern konsequenterweise den
Rücken
gekehrt.
Anders als die zentralistische, hierarchische und ineffektive
marxisti-
sche Staats- und "Plan"wirtschaft, deren Vertreter sich
primär auf die Ar-
beiterklasse, die ihnen längst davongelaufen ist, stützen
wollen; anders
auch als die liberale Ausbeutungs- und Krisenwirtschaft, deren
soziale Ba-
sis - auf Grund des Scheiterns der marxistisch orientierten Linken
-
nicht nur die Kapitisten und Grundrentner, sondern auch die Kleinbür-
ger, Bauern, und Arbeiter sind; und anders als das ökonomische
Flick-
werk der Grünen, das gewiß nicht die "Massen"
vom Hocker reißen wird,
hat Gesells libertäre Geld-, Zins- und Bodenlehre der großen
Mehrheit
der Bevölkerung - zumindest objektiv - ein Programm anzubieten,
das an die wichtigsten Wurzeln ökonomischer, sozialer und
ökologischer
Probleme geht. Wenn es auch die heutigen Anhänger und Schüler
Ge-
sells - von Helmut Creutz, Dieter Suhr und einigen wenigen anderen
ab-
gesehen - kaum schaffen, aus ihrem Sektendasein herauszukommen,
so konnten sie nach dem Zweiten Weltkrieg in vielen Gemeinden
West-
deutschlands immerhin ebensoviele Stimmen bei Wahlen ergattern
wie
heute die Grünen. (194) Vor allem aber hat die Schwundgeldtheorie
in der
Praxis nicht nur bewiesen, daß sie einen entscheidenden
Beitrag zur Über-
windung von Absatzkrisen und Arbeitslosigkeit leisten kann, sondern
auch, daß sie in bestimmten Situationen alle produktiven
Klassen vereini-
gen kann. So hat in Schwanenkirchen das Schwundgeld im Interesse
der
Arbeiter und des Unternehmers eines stillgelegten Bergwerks dieses
wie-
der in Betrieb gesetzt. In Wörgl hat der Gemeinderat und
sein Wohlfahrts-
ausschuß einstimmig die Ausgabe der "Arbeitsbestätigungsscheine"
be-
schlossen. Die Gemeindemitglieder - Arbeiter, Händler, Bauern
- ha-
haben diese Projekte einhellig befürwortet. Und Nachbargemeinden
be-
gannen, dieses Geldexperiment zu kopieren. (195) In Frankreich
wurden
1956 die "Freie Gemeinde von Lignieres und Berry" und
1958 die "Freie
Gemeinde von Marans" ins Leben gerufen, die ebenfalls ein
Tauschmittel
unter Umlaufzwang herausgaben. In der "Commune Libre de Marans"
gründeten die Einwohner zu diesem Zweck eine "Vereinigung
der Ge-
schäftsleute, Handwerker, Landwirte und Lohnempfänger".
Aus der
Hortungs- und Einlösungsgebühr ihres autonomen Geldsystems,
die sat-
zungsgemäß verteilt werden mußte, konnte die
Gemeinde sogar "den
Lohnempfängern 10% Treueprämie (für die Benutzung
des Tauschmit-
tels; K.S.) zahlen". (196) Und ähnlich wie in Deutschland,
Österreich und
Frankreich, hat Gesells "Freigeld"-Idee auch in den
Gemeinden vieler an-
derer Länder die Produzenten unter ein gemeinsames Wirtschaftsexperi-
ment vereint (s. Kap. 4). (64)
Gesell zur Gegengewalt
Gesell war sich allerdings im Klaren darüber, daß der
Kampf der Produ-
zenten gegen das Finanz- und Bodenkapital letztendlich kein Pullover-
stricken sein würde. In der Erwartung, daß bei radikalen
ökonomischen
und gesellschaftlichen Umwälzungen "die letzten hundert
Meter geschos-
sen" werden würde (wie er einmal gesagt haben soll),
und in der Überzeu-
gung, daß eine "kleine Gruppe entschlossener Männer
genügt (...), um
ein unbewaffnetes Volk zu beherrschen", wie das z. B. die
Leninisten in
der Sowjetunion (u. a. mit der blutigen Liquidierung der nicht
ausrei-
chend bewaffneten Kommune von Kronstadt und der anarchistischen
Bauernrätebewegung in der Ukraine 1921 (197)) vorgeführt
haben, und wie
das konservative Militärs heute immer noch praktizieren,
forderte Gesell
bereits 1913 die Volksbewaffnung.
Er war zwar grundsätzlich für den Kampf der Argumente,
vertraute
aber nicht darauf, daß die besseren Argumente und Mehrheitsbeschlüsse
die herrschenden "Kleptokraten" veranlassen könnten,
kampflos ihre
Machtpositionen und Wirtschaftsprivilegien aufzugeben. Seine Erfahrun-
gen als Volksbeauftragter für Finanzen in der Münchener
Räterepublik,
die von der Reichswehr im Verein mit Freikorps und präfaschistischen
Gruppen und unter der Regie des sozialdemokratischen "Bluthundes"
Noske mit Gewalt und 499 standrechtlich erschossenen Arbeitern
zer-
schlagen worden ist, (198) haben ihn in seiner militanten Einschätzung
bestä-
tigt: "Vor einem einfachen Beschluß einer parlamentarischen
Mehrheit
werden die, deren Lebensinteressen wir angreifen, niemals die
Waffen strek-
ken. " (198a)
Als Individualanarchist und Anarchofeminist versteht Gesell unter
Volksbewaffnung nicht die Bewaffnung ferngesteuerter Massen männli-
chen Geschlechts (SA etc.), sondern die Bewaffnung jedes einzelnen
Bür-
gers ohne Ausnahme - nicht nur die Bewaffnung der Männer,
sondern
auch die der Frauen. In einer Auseinandersetzung mit der anarchistischen
Zeitschrift "Der freie Arbeiter" schrieb er bereits
1913: "Das Volk muß be-
waffnet sein! In jedes Haus gehört ein Gewehr mit Munition.
In jedes
Dorf gehört neben die Feuerspritze ein Geschütz. Als
Korrelat dazu an
Stelle des Geistes der Demut und Unterwürfigkeit, der in
Kirchen und
Schulen der Jugend eingeflößt wird, der unbändige
Geist der Freiheit,
Selbständigkeit, Selbstverantwortung, der alle Ketten zerbricht.
(...) Sor-
gen wir dafür, daß jeder Bürger, jede Bürgerfrau,
jeder Knabe, jedes
Mädchen bewaffnet sei - bis an die Zähne. Auf die Waffen
allein ist wirk-
lich Verlaß." (199) Denn, so schreibt er zehn Jahre
später: "Es muß etwas
Neues geschehen, und gegen dieses Neue wird sich der Kapaitalismus
stem-
men. Wenn das Kommando 'Vorwärts auf der ganzen Linie' des
durch die
Not neu geeinten Proletariats ertönen wird,
dann folgt unausbleiblich das Massengemetzel" (200)